Читать книгу Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise - Sven R. Kantelhardt - Страница 17

Landfried, Moguntia, Hornung 793

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Das Winterlager der Abteilung befand sich noch immer in Moguntia. Schlimmer noch, es lag im Viertel der Fischer, ganz unten am Rhein. Landfried hasste die Untätigkeit während der Wintermonate ohnehin schon, doch zusammen mit dem Gestank nach faulendem Fisch war es schier unerträglich. Bei jedem Sonnenstrahl, der sich durch den Nebel der Flussniederung kämpfte, stieg der Geruch auf. Warum waren die Fischer eigentlich so bettelarm? Sie zogen jede Menge Lachse aus dem Fluss, die man dann geräuchert oder frisch für teure Münzen kaufte. Er zuckte die Schultern. Jeder musste seine Last tragen. Im Quartier befanden sich außer Landfried selbst nur die Hauskarls seines Vaters. Die Pferde waren vor der Stadt bei Bauern untergebracht. Dreiundvierzig Reiter gehörten zu dem Grafen von Meaux, Landfrieds Vater. Der hatte ihm das Kommando anvertraut, doch Irmtraud, seine zweite Frau, aus einer der führenden Familien Frankens, würde zweifelsohne dafür sorgen, dass Landfried es verlor, sobald sein ältester Halbbruder mannbar wurde. Bis dahin musste er entweder reich heiraten, was aber wegen seiner zweifelhaften Erbansprüche kaum gelingen konnte, oder sich bei Hof einen Namen machen, den man auch ohne die Unterstützung seines Vaters nicht vergaß. Daher waren die dreiundvierzig Männer die Chance seines Lebens. Von den Bauern, die jedes Frühjahr als Fußvolk zum Heerbann stießen, konnte man schwerlich Heldentaten erwarten. Widerwillig sog Landfried die muffige Luft ein, in der sich Fischgestank mit den Ausdünstungen der vielen auf engstem Raum zusammengepferchten Männer mischte. Nicht nur die Enge der Unterkunft, die Enge der gesamten Stadt war ihm zuwider. Wie gerne wäre er über das Fest der heilbringenden Geburt Christi ins Allemannische zu der Familie seiner seligen Mutter gezogen. Doch aus taktischen Erwägungen hatte er es vorgezogen, in Moguntia zu bleiben, in der Nähe des Königs. Sein Vater Theutbert, Graf von Meaux in Asturien, war immerhin mit dem Königshaus verwandt, und so hatte er bis zuletzt auf eine Einladung an die Königspfalz in Ingilinheim gehofft. Doch leider war Theutbert mit seiner Mutter, einer edlen Allemannin, nicht rechtens verheiratet gewesen. Das behaupteten zumindest die Verwandten der neuen Frau. Landfried war für sie ein lästiger Bastard. Dabei stützten sie sich auf einen Unterschied zwischen dem fränkischen und allemannischen Recht. Zudem hatten nicht alle die alte Feindschaft zwischen Allemannen und Franken vergessen. Zum Glück gaben sich die Sachsen alle Mühe, den Allemannen diesbezüglich den Rang abzulaufen. Landfried lachte trocken.

»Hm?« Mundariks tiefe Stimme riss ihn aus seinen kreisenden Gedanken.

»Was?«, fragte Landfried überrascht.

»Ob du etwas gesagt hast?« Mundarik blickte ihn auffordernd an.

»Oh, nichts«, wiegelte Landfried ab. »Höchstens, dass ich hoffe, dass wir dieses Jahr den Awaren einheizen werden. Das heißt, wenn die verdammten Sachsen endlich Ruhe geben.«

»Ja, hoffentlich sind diesmal die Hunnen dran«, pflichtete Mundarik seinem Freund und Herren bei. »Ich kann die sächsischen Sümpfe nicht mehr sehen!«

Er schauderte bei dem Gedanken. »Die Vorzeichen stehen jedenfalls gut. Karl hat dem Tassilo die Haare abscheren lassen und ihn ins Kloster verbannt, auch wenn das für Verrat eine noch viel zu milde Strafe ist! Aber die Hunnen, seine Spießgesellen, wird er da nicht ungeschoren lassen. Und die werden bei der Schur bluten müssen!«

Als Kind einer allemannischen Mutter war sich Landfried weniger sicher, inwieweit die Franken im Recht waren, als Mundarik, in dessen Adern nur fränkisches Blut floss. Tassilo hatte die Freiheit seines Bayerischen Herzogtums erhalten, ja sich vielleicht sogar zum König aufschwingen wollen. Letztendlich war er seinem Schwager Karl unterlegen, der ihn in einem öffentlichen Prozess auf dem Reichstag in Ingilinheim demütigen und zum Tode verurteilen ließ. Freilich nur, um ihn dann zu begnadigen und ins Kloster zu verbannen. Die Behauptung, Tassilo habe sich mit den Feinden des Reiches, den Awaren, gegen die Franken verschworen, war allerdings niemals bewiesen worden, und man konnte die ganze Angelegenheit auch anders betrachten: Tassilo war ohne Argwohn nach Ingilinheim gekommen und dort in eine wohl vorbereitete Falle getappt. Nutzen brachte das vor allem König Karl. Er gewann die uneingeschränkte Herrschaft über Bayern.

»Du denkst zu viel nach«, unterbrach ihn Mundarik grinsend. »Ich bin sicher, der Karneval wird auch dir das Grübeln vertreiben.« Er spielte auf die Unsitte der Städter an, vor Beginn der großen Fastenzeit alle Ordnung auf den Kopf zu stellen. An drei Tagen tauschten Würdenträger und Knechte, ja manchmal sogar Männer und Frauen, die Kleidung! Und alle tranken bis zur Besinnungslosigkeit. Dieses Brauchtum stieß bei den Kriegern natürlich auf begeisterte Nachahmer. »Du wirst sehen, das ist eine tolle Zeit«, versuchte Mundarik seinen Freund aufzumuntern. »Im letzten Jahr fuhr sogar ein Schiff durch die Straßen!« Anders als Landfried hatte er dem Treiben bereits im Vorjahr beigewohnt.

»Entweder du warst zu besoffen, um den Rhein von einer Straße zu unterscheiden, oder diese Zeit ist wirklich höchst außergewöhnlich«, entgegnete Landfried nüchtern. »Hat der Bischof die Feier nicht verboten?«

»Nein, nein, die Kirchenmänner machen auch mit«, widersprach Mundarik mit wachsender Begeisterung.

Für Landfried roch das Ganze nach düsterem Heidentum. Er schüttelte den Kopf. »Wir sollten uns auf das kommende Frühjahr vorbereiten. Es wird einen neuen Feldzug geben, da bin ich ganz sicher. Solange ich mich erinnern kann, ist Karl jedes Frühjahr ins Feld gezogen. Gesoffen haben wir im Winter genug.«

Mundarik erhob sich schwerfällig. »Dann bringe ich unsere Männer mal auf Vordermann. Die Untätigkeit macht sie behäbig wie Bauern.«

Landfried war es nur recht. Seine Zukunft hing an ihrer Tapferkeit. »Tu das, ich geh zum Königshof, vielleicht gibt es endlich Neuigkeiten. Ich hoffe, es geht nicht wieder gegen die verdammten Sachsen in ihren Sümpfen!« Vielleicht würde ihn der Krieg dieses Jahr endlich in die Nähe des Königs oder einer der Prinzen führen! Er sehnte sich nach einer Gelegenheit, sich endlich zu bewähren und zu zeigen, was in ihm steckte!

Auf dem Weg in die Stadt warf er einen Blick über die Holzbrücke, die Karl am Ort der eingestürzten Römerbrücke errichtet hatte. Von der anderen Rheinseite glänzte das St. Georgskreuz durch den Nebel, der sich hartnäckig auf dem träge dahinströmenden Fluss hielt. Seufzend betrat er das Gewirr der schmalen, verdreckten Gassen. Sein Weg führte ihn vorbei an St. Christoph und großen Wohnhäusern mit römischem, weil steinernem, Unterbau und fränkischen Reetdächern. Die Welt war lange auf einen Abgrund zugetrieben, die verfallenen Steinhäuser zeigten es ebenso deutlich wie die ruinierte Römerbrücke. Doch Karl hatte einen neuen Anfang gemacht. Nun konnte man immerhin wieder trockenen Fußes über den Rhein gelangen, und Kirchen, Klöster und Königspfalzen erstrahlten in neuem Glanz.

»Herr Landfried«, begrüßte ihn einer der Wachposten am Tor des Königshofes. »Geht nur gleich hinein. Drinnen schwirren die Schreiber wie die Bienen. Heute früh ist ein Bote aus Ingilinheim eingetroffen.«

Landfried schaute überrascht auf. Dann hatte er doch den richtigen Riecher gehabt!

»Alles ist völlig aus dem Häuschen, aber ich werde aus dem Welschen Gebrabbel nicht schlau.« Der Posten grinste ob seiner Respektlosigkeit vor der Sprache der Römer, als habe er einen guten Scherz gemacht. Kein Wunder, dass Städter und Landvolk sich nicht mischten. Sie konnten sich kaum miteinander verständigen. Zum Glück lernt man in Asturien auch am Grafenhof Latein oder zumindest jene Umgangssprache, die der Wachtposten gerade so verächtlich Welsch genannt hatte.

Drinnen war tatsächlich der Teufel los, im hinteren Teil des großen Raums diktierte ein Geistlicher Befehle zur Vervielfältigung an drei Schreiber. Vorne stand ein Mann mit schweren Stiefeln am Pult des ersten Schreibers. Vielleicht war das der Bote? Landfried trat an das Schreibpult. »Was gibt es denn, hier herrscht ja eine ziemliche Aufregung?«, fragte er auf Romanisch.

»Ah, Ihr seid es, Graf!«, rief der Schreiber. Landfried freute es, wenn man ihn zuweilen Graf nannte, obwohl er das aufgrund seiner unklaren Abstammungsverhältnisse wahrscheinlich niemals werden würde. Andererseits drückte König Karl, was uneheliche Beziehungen anging, bei seinen eigenen Töchtern ja auch beide Augen zu, der geliebten Enkelkinder wegen. »Gleich zwei Nachrichten«, übernahm der Bote den Bericht. »König Karl hat es gefallen, im nächsten Jahr alle fränkischen Bischöfe zu einer Synode nach Franconofurt zu laden.«

»Hierher?«, fragte Landfried erstaunt. Franconofurt lag lediglich eine halbe Tagesreise entfernt.

»Daselbst«, bestätigte wieder der Schreiber. »Karl will es nicht auf sich sitzen lassen, dass der Romanische Kaiser zu seinem Konzil in Nicäa keinen einzigen Franken geladen hat. Die Beschlüsse von dort können also für uns nicht bindend sein.«

Landfried nickte unsicher. Er hatte keine Ahnung, worum es bei dem Streit der Kirchenleute eigentlich ging. Irgendetwas mit dem Wesen von Vater, Sohn und Heiligem Geist, was außer Bischöfen und Mönchen sowieso niemand verstand und erst recht nicht interessierte. Und um Bilder ging es. Bilder von Heiligen. »Und was noch?«, fragte er weiter. »Habt Ihr Neuigkeiten? Gegen wen werden wir dieses Frühjahr ziehen?«

»Ja, es wird wieder Krieg geben«, bestätigte der Schreiber mit einem resignierten Achselzucken. »Diesmal müssen die Awaren gezüchtigt werden. Ein weiteres Heidenvolk, das sich der Kirche Christi und der Macht der Franken frech widersetzt, und sich sogar erdreistet, unsere Grenzen zu überfallen!« Offensichtlich gewichtete der Schreiber die Bedeutung der Neuigkeiten anders als Landfried.

»Jetzt lasst Euch doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen«, beschwerte der sich. »Wann geht es los, wer führt das Heer, und weißt du vielleicht auch etwas für mich … ?«

»Der Heerbann soll unverzüglich einberufen werden«, ergriff der Bote wieder das Wort.

»Wann sollen sich die Bauern sammeln?«, drängte Landfried.

»Sobald die Witterungsverhältnisse es zulassen«, bremste der Schreiberling Landfrieds Enthusiasmus. »Von Moguntia sollen die Männer auf Booten über den Rhein setzen und dann weiter den Moin hinauf bis zu einem kleinen Fluss namens Radantia.«

»Nie gehört«, sagte Landfried.

Doch sein Gegenüber wusste noch mehr. »Es wurden auch mehrere Bootsladungen Schaufeln und Hacken bestellt.«

»Hacken und Schaufeln?« Landfried rümpfte die Nase. Das klang nicht nach einer Möglichkeit, seine Tapferkeit zu beweisen!

»Ja, genau«, bestätigte der Königsbote. »Sie sollen in Lauresham in der Schmiede hergestellt werden. Vielleicht will der König zuerst eine Burg bauen, um seinen Nachschub zu sichern?«

Landfried nickte niedergeschlagen. Karl wollte sein Heer also mit Hacken und Schaufeln ausrüsten. »Aber die Boten sind noch nicht ausgesandt?« Alles war besser, als in dem nach Fisch stinkenden Winterquartier darauf zu warten, dass sein Vater einen der Halbbrüder schickte.

»Nein, die ziehen bestimmt nicht vor karneval und dem Beginn der großen Fastenzeit«, bestätigte der Schreiber inbrünstig.

Landfried verzog das Gesicht. Langsam ging ihm dieser Unfug auf die Nerven. Irgendwann kam jeder Strohkopf in diesem verdammten Loch auf dieses dämliche Fest zu sprechen.

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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