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Hludahilt, Hruođolfshof, Weinmonat 792

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Hludahilt standen die Tränen in den Augen, als ihr Vater dem Jungen vom Nachbarhof die Lippen blutig schlug. Sie kannte diese harte Hand, hatte sie am eigenen Leib erfahren und Vaters Fluchen verhieß auch ihr nichts Gutes. Radolf und Edolf, ihre älteren Brüder, standen selbstgefällig grinsend dabei. Oh, wie ungerecht war die Welt! Ungerecht gegen die Armen wie den Jungen Ulf­berht, dessen Namen sie erst am Vortag erfahren hatte, obwohl sie schon immer Nachbarn gewesen waren. Doch der gestrenge Vater ließ sie nicht vom Hof und schon gar nicht zu den armen Nachbarn. Denn ungerecht war die Welt auch gegen Frauen und Mädchen. Ihr selbst ging es kaum besser als einer der Mägde auf dem Hof. Während ihre groben Brüder sich alles erlauben konnten, wurde sie für jedes noch so kleine Vergehen hart bestraft. Hludahilt hatte gelernt, ihr Mitgefühl nicht offen zu zeigen – was sie dazu bewegt hatte, für den armen Jungen Partei zu ergreifen, verstand sie selber kaum.

»Dem habe ich es aber gegeben«, prahlte Edolf am Abend vor seinem älteren Bruder. Hludahilt hörte es, während sie den beiden ihre heiße Grütze vorsetzte.

»Nur, dass der Kleine stärker war als du und Vater dir helfen musste!«, stichelte sie. Es war heraus, bevor sie nachdenken konnte. Sie biss sich auf die Lippe. Doch zu ihrem Erstaunen brauste Edolf nicht auf oder schlug nach ihr, sondern blickte sie nur hasserfüllt an. Der ältere Bruder beobachtete die Szene grinsend. Hludahilt fasste ihren Topf fester und lief rasch zurück zum Herd. Der Blick des gedemütigten Bruders brannte ihr im Nacken, während Radolf leise zu kichern begann. Ein kleiner Triumph, den sie sicherlich teuer bezahlen müsste. Doch irgendwie gelang es ihr, an dem Abend auch dem Vater zu entgehen, und so war der junge Ulf­berht der Einzige, der in dieser Nacht Schläge bezog.

Doch mitten in der Nacht erwachte Hludahilt schweißgebadet und mit der Erkenntnis, dass der junge Ulf­berht Prügel hatte einstecken müssen, die eigentlich ihr zugedacht war. Eine Träne lief ihr die Wange hinab, und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Vielleicht sollte sie den Jungen besuchen? Unruhig wälzte sie sich im Dunkeln hin und her. Sie würde am Ende noch Haltrud wecken, die einen Winter ältere Magd, mit der sie die schmale Schlafbank in der hinteren Ecke der Stube teilte. Entschlossen schob sie die alte Wolldecke zur Seite, die sie ebenfalls mit der Magd teilte, und stand auf. Sie kannte hier jeden Fußbreit und wusste auch, dass die Seitentür, welche direkt von der Wohnstube auf den Hof führte, unheimlich laut knarrte. Daher schlug sie den Weg zur schmalen Diele zwischen den Ställen ein. Sie wusste, dass das Hoftor am Ende bedeutend größer und schwerer war als die Tür der Wohnstube, doch es drehte sich für gewöhnlich geräuschlos in der Angel. Plötzlich stieß ihr Fuß gegen etwas. Scheppernd rutschten Spindel und Wirtel, die eine der Mägde am Abend hatte liegen lassen, über den Boden. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte Hludahilt aus vollem Herzen nachvollziehen, wieso ihre Mutter immer so streng auf Ordnung im Haus bedacht gewesen war. Sie verharrte atemlos und lauschte. Jemand grunzte und drehte sich im Schlaf. Doch dann war wieder alles still, so still, wie es in einem Haus voller Bewohner werden konnte. Es schnarchte und schnaufte, aber zum Glück hatte keiner der Hunde angeschlagen. Sie kannten und liebten Hludahilt ohnehin alle. Langsam schlich sie weiter und erreichte ohne nochmalige Unterbrechung die Tür. Leise schob sie den Riegel zurück und drückte sich nach draußen. Auch dort war alles still, von den üblichen Geräuschen der Nacht und des schlafenden Hofes abgesehen. Sie hielt sich unter den überhängenden Strohdächern, wo nicht einmal das schwache Licht der Sterne hingelangte, und erreichte bald den Schafspferch. Sie würde den Jungen einfach in die Freiheit entlassen. Warum sollte sie ihm auch nicht zur Flucht verhelfen? Immerhin hatte er einen ihrer verhassten Brüder geschlagen und gedemütigt! Vorsichtig tastete sie nach dem hölzernen Riegel, der die Tür verschloss. Doch plötzlich legte sich eine eisenharte Hand um ihren schlanken Arm. Hludahilt erstarrte. Man hatte sie erwischt. Voll panischer Angst blickte sie sich um. Bei der herrschenden Dunkelheit brauchte sie einen Augenblick, bis sie erkannte, wer sie ertappt hatte: Điodabalþ.

»Au, du tust mir weh«, protestierte sie schwach. Doch der Knecht ging gar nicht darauf ein.

»Was glaubst du, was du da gerade tust?«, zischte er sie scharf an.

»Der Junge ist unschuldig«, erwiderte sie trotzig. Ihr eigener Mut erstaunte sie mehr als den Knecht, der ungerührt ihrem Blick standhielt.

»Ich verstehe dich. Glaube nicht, dass ich diese Ungerechtigkeit nicht auch empfinde. Aber du tust dem Jungen keinen Dienst, wenn du ihm jetzt zur Flucht verhilfst. Dann ist er ein entlaufener Knecht, und wenn ihn Hruođolfs Hunde nicht erwischen, ist er vogelfrei und friedlos. Sein Vater ist in Sachsen erschlagen worden, und er hat keinen einzigen freien Mann, der als Eideshelfer seine Unschuld beschwören könnte. Glaub mir, im Kloster bekommt er wenigstens etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Nimm ihm nicht auch das noch!«

Nun stiegen Hludahilt heiße Tränen in die Augen. »Aber das ist alles so ungerecht«, schluchzte sie, während Điodabalþ sie von dem Pferch fortzog.

»Das Einzige, was du für ihn tun kannst, ist zu unserem Herrn und seiner gebenedeiten Mutter zu beten«, erklärte der alte Knecht sanft.

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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