Читать книгу Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise - Sven R. Kantelhardt - Страница 16
Ulfberht, Lauresham, Weidemonat 793
ОглавлениеDen Winter hatten die Köhler mit dem Schlagen und Zerkleinern von Bäumen verbracht, um im Frühjahr neue Meiler zu bauen. Inzwischen hatte Ulfberht gut verstanden, worum es bei dem Kohlen ging, und er half tüchtig mit. Nach und nach konnte er immer besser mithalten, denn über die Monate waren auch seine Muskeln härter und seine noch jungenhaften Schultern breiter geworden. Trotz seines Versagens in der ersten Nacht, in der er die Meiler bewachen sollte, war Adalbert zufrieden mit ihm.
»Aus dir wird einmal mehr als ein Köhler«, prophezeite er eines Abends, als sie nach getaner Arbeit auf die ersten fertigen Meiler des neuen Jahres blickten. Er legte die Hand auf Ulfberhts Schulter, und den überkam ein warmes Gefühl der Dankbarkeit. Ein bisschen war Adalbert wie ein Vater für ihn geworden. Nach all dem durchlittenen Leid sehnte er sich nach nichts mehr als Sicherheit und einen festen Platz im Leben.
»Ich möchte gar nicht mehr weg von hier«, gestand er und fühlte Tränen aufsteigen. Rasch wandte er sich ab, damit der Köhlermeister es nicht bemerkte.
Wenige Wochen später, als die neuen Meiler abgebrannt waren, kamen die Waldschmiede. Ein bunter Haufen, viele von ihren Frauen und Kindern begleitet. Schwere Ochsen zogen ihre Karren. »Wie sollen all die Zugtiere hier im Wald Futter finden?«, war Ulfberhts erster Gedanke. Die bäuerliche Sorge um das Wohl des Viehs war ihm noch immer eigen.
Doch Adalbert winkte ab. »Die Ochsen gehören nicht den Schmieden. Sie haben sie von den Bauern der Umgebung gedungen, und die nehmen sie auch wieder mit auf ihre Höfe.«
»Die Schmiede müssen reiche Leute sein, wenn sie so viele Tiere benötigen, um ihre Habe zu transportieren«, überlegte Ulfberht weiter.
Adalbert lachte freudlos. »Nein, die sind genauso arme Halbfreie wie wir. Auf den Wagen liegen Erzsäcke. Aus der Eisengrube im Tal.« Er wies mit der Hand vage nach Süden. »Einige von ihnen durchstreifen das ganze Land, um den Rot- und den Brauneisenstein zu finden.« Mit lauter Stimme wandte er sich an die Neuankömmlinge. »Wir haben bereits auf euch gewartet!«
Ein kleiner Graubart winkte zurück. »Gott zum Gruß, Adalbert. Ich freue mich auch, dich zu sehen!«
»Das ist Lotrik«, erklärte Adalbert. »Er ist der Erfahrenste von ihnen. Wenn du etwas lernen willst, dann halte dich an ihn.« Ulfberht nickte und sprang eifrig hinzu, um Lotrik beim Abladen der schweren Erzsäcke zu helfen. »Lotrik, hier kommt ein junger Schmiedegesell, der etwas lernen will!«, rief Adalbert lachend.
Ulfberht wurde rot, doch der Graubart nickte. Gemeinsam packten sie an. Doch als sich Ulfberht gerade dem zweiten Wagen zuwenden wollte, hielt ihn der Waldschmied zurück. »Du kannst uns sicherlich zeigen, wo wir hier Lehm finden?«, fragte er.
»Klar weiß ich das«, bestätigte Ulfberht eifrig. »Drüben am Bach gibt es jede Menge, soll ich dich hinführen?«
Lotrik nickte. »Dagobert und Ram«, rief er zwei seiner Männer. »Lasst die anderen weiter abladen. Ihr nehmt Säcke und Schaufeln. Wir holen Lehm.« Wortlos folgten die drei Ulfberht zum Bachbett. »Schafft den Lehm zu den Meilern«, wies Lotrik seine Begleiter an.
»Zu den Meilern?«, fragte Ulfberht erstaunt. »Nicht zu den Hütten?«
Lotrik sah ihn prüfend an. »Nein, warum zu den Hütten?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Weil dort das Erz ist«, erklärte Ulfberht. »Mir scheint, ein Sack mit Eisenstein ist noch viel schwerer als ein Sack Kohle. Da ist es doch einfacher, die Kohle von den Meilern zum Erz zu tragen als andersherum?«, fragte er naseweis.
Doch Lotrik lachte. »Du stellst die richtigen Fragen, Junge. Vielleicht hat dir der Rauch doch noch nicht allen Verstand ausgeblasen.« Freundlich fuhr er Ulfberht mit der lehmverschmierten Hand durchs Haar. »Für jeden Teil Erz benötigen wir drei Teile Kohle. Es wäre also genau andersherum dreimal so viel Arbeit, die Kohle zum Erz zu schleppen!«
Ulfberht nickte. Das ergab Sinn. »Und das fertige Eisen ist noch leichter als das Erz?«, bohrte er weiter.
Lotrik nickte wieder anerkennend.
»Genauso ist es. Beim Ausschmelzen trennen wir es von der Schlacke, und die bleibt hier. Nur etwa der zehnte Teil des Erzes ist Eisen«, bestätigte er. »Und das schmieden wir zu Barren und bringen sie nach Lauresham.«
»Damit Wieland sie zu Schwertern schmiedet?«, fragte Ulfberht neugierig.
»Nicht nur Schwerter, sondern alles, was man braucht. Auch wenn Schwerter in diesen unruhigen Zeiten immer gebraucht werden«, bestätigte Lotrik. »Aber jetzt pack an, statt nur über die Arbeit zu reden.«
Am nächsten Tag wurde die Arbeit noch härter. Ulfberht und die übrigen Kohlenknechte halfen den Schmieden, die Erzsäcke bis zu den abgebrannten Meilern zu schleppen. Obwohl es nur wenige hundert Schritte waren, rann der Schweiß Ulfberht in Strömen über das Gesicht, und die harten, scharfkantigen Erzbrocken schnitten ihm in Finger und Schultern. Dafür konnte er zusehen, wie Lotrik aus einem Gemisch von Holzkohle und Lehm die Brennöfen baute. Zuerst grub er eine flache Mulde und kleidete sie mit dem Lehm-Kohle-Gemisch aus. Dann schichtete er abwechselnd dünne Lagen Erz und dicke Holzkohleschichten darauf. Immer, wenn Erz und Kohle die Lehmwände überragten, erhöhte er sie eine Handbreit. So wuchs der Ofen langsam in die Höhe, bis er schließlich in einen schlanken Kamin auslief. Die Schmiede stellte ganze zwölf dieser Öfen auf. Vor dem Entzünden bohrte Lotrik sorgsam mehrere Lüftungslöcher in die Lehmwände, dann holte er die Blasebälge hervor. Sie bestanden aus einfachen Holzbrettern und Tierbälgen dazwischen, die über ein Ventil Luft ansaugten, und dann, wenn man den Blasebalg mit den Brettern zusammendrückte, aus einer Bronzetülle entweichen ließen.
»Damit blasen wir die Löcher an«, erklärte Lotrik. »Du kannst damit anfangen, sobald ich den Ofen entzündet habe.«
Ulfberht nickte. Er war mehr als gespannt, ob sie aus den rötlichen Gesteinsbrocken wirklich blankes Eisen erhalten konnten. Die ganze Sache war ungeheuer aufregend, und er musste sich insgeheim eingestehen, dass ihm diese Arbeit viel besser gefiel als jene auf den väterlichen Feldern. Willig trat er an den Blasebalg, der vom häufigen Gebrauch bereits so verdreckt war, dass man unmöglich sagen konnte, aus was für einem Tier der Balg einmal gemacht worden war.
Es dauerte volle zwei Tage, bis die Öfen schließlich so weit abgekühlt waren, dass die Schmiede sie aufbrechen konnten. Lotrik fegte Asche und Schlackebrocken beiseite. Übrig blieb ein unförmiger schwarzer Klumpen.
»Das soll Eisen sein?«, fragte er enttäuscht. »Es glänzt ja gar nicht!«
»Warte nur ab, bis wir Schlacke und Asche ausgeschmiedet haben«, lachte Lotrik. »Die Arbeit fängt nämlich gerade erst an.«
Doch bis die Waldschmiede an ihren mitgebrachten Ambossen tatsächlich mit dem Ausschmieden des Roheisens begannen, vergingen noch Tage. Erst als alles mitgebrachte Erz aus- und die Kohlevorräte in den Meilern deutlich ein- und abgeschmolzen waren, kam der nächste Arbeitsgang. Besorgt blickte Ulfberht auf die verbliebenen Kohlemeiler.
»Wird die Kohle denn reichen?«, fragte er. Noch zu Beginn des Frühjahrs hatte er sich nicht vorstellen können, wozu man derartige Mengen an Holzkohle benötigte. »Ich meine, wir müssen doch auch noch Kohle nach Lauresham liefern, an die richtige Schmiede …«
»Richtige Schmiede?«, unterbrach ihn Lotrik unwirsch. »Merke dir eins, Junge: Das richtige Schmieden findet dort statt, wo Eisen hergestellt wird. Gutes Eisen in irgendeine Form hämmern, das kann jeder, aber aus Erz gutes Eisen schmelzen, ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen!«
Ulfberht schluckte. »Ich wollte … «, begann er.
Doch der Meister winkte ab. »Du lernst es am besten, wenn du dabei hilfst. Das kann, wie gesagt, jeder, auch so ein blutiger Anfänger wie du.«
Bald merkte Ulfberht, dass Lotrik nicht übertrieben hatte. Es war eine Heidenarbeit, und schon nach kurzer Zeit schmerzten ihm Arme und Hände so sehr, dass sie zitterten und er kaum noch den Hammer halten konnte.
»Recht so. Das ist wahres Schmieden«, lachte Lotrik, und zum ersten Mal seit dem Tode seines Vaters fühlte sich Ulfberht rundum glücklich und zufrieden.