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Landfried, Moguntia, Hornung 793

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»Komm mit, die ganze Stadt ist auf den Beinen.« Mundarik zerrte Landfried am Ärmel.

Der sah irritiert auf die Hand seines Knechtes. Ob dieser unangebrachte Griff nach seinem Gewand bereits der Auflösung der allgemeinen Ordnung im Rahmen der Karnevalsfeierlichkeiten geschuldet war? Oder hatte Mundarik zu viel getrunken? Zur vierten Stunde? Vermutlich lief es auf dasselbe hinaus. Landfried gab sich einen Ruck und stand seufzend auf. »Wenn du sonst keine Ruhe gibst.«

Im Gang stießen sie fast mit einer Magd zusammen. Das Mädchen arbeitete hier. Sie war Landfried wegen ihrer dunklen Haare und der auch im Winter gebräunten Haut bereits aufgefallen. Aber weiter hatte er sie doch nicht beachtet. Das war nun anders. Die gewagte Kleidung konnte man nicht übersehen.

»Graf Landfried.« Das Mädchen knickste errötend.

»Komm mit, wir gehen zum Umzug. Vielleicht ziehen sie wieder ein Schiff durch die Stadt«, lud Mundarik sie ein, ohne den Rangunterschied zu beachten oder auch nur Landfried nach seiner Meinung zu fragen.

Das war ganz und gar nicht schicklich, aber Landfried hatte ja bereits von mehreren Seiten gehört, dass die hergebrachte Ordnung in den kommenden Tagen auf den Kopf gestellt würde. Auf dem Weg durch den schlammigen Innenhof schlossen sich noch mehrere von Landfrieds Reitern ihrem Anführer an. Das würden sie unaufgefordert sonst auch nicht wagen, überlegte Landfried halb amüsiert. Inzwischen war er genauso neugierig auf das, was sich ihm bieten würde, wie alle anderen. Ein Schiff auf der Straße? So sehr wie Mundarik das immer wieder betonte, war vielleicht doch etwas daran?

»Zuerst brauchen wir Wein«, erklärte Mundarik fachmännisch.

Je weiter sie durch die engen Gassen in Richtung des Doms kamen, desto voller wurden die Straßen. Immer wieder grüßten fremde Städter in fantastischen Roben mit dem alten Römergruß: »Ho Saturnalia!« Dabei war sich Landfried sicher, dass zumindest die Saturnalien, welche die heidnischen Römer zur Wintersonnenwende gefeiert hatten, von der Kirche streng verboten worden war. Aber ganz schienen sich die Städter ihr Fest nicht nehmen zu lassen. Sie hatten es lediglich mit dem letzten Fleischessen vor der Fastenzeit zusammengelegt, dem Karneval, wie sie es in ihrer Zunge nannten. Das Fleischessen oder die Nacht vor der Fastenzeit, Fastnacht auf Fränkisch, wurde auch andernorts gefeiert, aber so einen Trubel wie in Moguntia machte sonst doch niemand darum! Besonders liebten die Städter ihre Würste. Ganze Ringe kamen frisch gebrüht auf den Tisch und wurden sofort verschlungen. Hinuntergespült mit Wein, verstand sich.

Das Gedränge wurde schließlich so dicht, dass Landfried und seine Begleiter sich nur noch mühsam weiterschieben konnten. Jeder Unterschied zwischen Freien und Knechten, Weibern und Männern, Kirchenleuten und Kriegern schien aufgehoben. Aber der Wein, den Landfried großzügig in einer der improvisierten Straßenschänken für seine Männer erworben hatte, tat auch bei ihm selbst seine Wirkung. Die Stimmung wurde ausgelassener, und Landfried ließ sich einfach treiben, die Magd aus dem Quartier mittlerweile fest zwischen sich und Mundarik eingezwängt.

»Halt, halt!«, rief sie auf einmal und hielt Landfried am Mantel zurück. Landfried registrierte es wie durch einen Nebel. »Hier geht der Zug lang, du musst die Straße frei lassen!«, rief sie ihm ins Ohr. Ihr heißer Atem benebelte seine Sinne noch mehr als der Wein. Wie nannte sie sich? Er hatte das ganz sicher einmal gewusst. Doch da rumpelte es im Westen, und ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge. »Sieh dort, die Wagen!«

Und nun sah Landfried es mit eigenen Augen: Hinter einer dicht gedrängten Menge bunt bekleideter Leiber wackelte der Bug eines Schiffes! Mitten in der Stadt, gerade so, als sei die breite Gasse ein Fluss! Beim Näherkommen erkannte Landfried, dass das Schiff Räder besaß. Ein Schiffswagen! So also funktionierte der Trick. Hoch an Bord befanden sich johlende Menschen, darunter auch Geistliche, oder trugen sie nur deren Gewänder?

Der Rest des Tages verging im Rausch. Irgendwann verlor Landfried seine Männer im Gedränge und Geschiebe. Zusammen mit Mundarik und der Magd, an deren Namen er sich immer noch nicht erinnerte, trieb er weiter durch das Getümmel. In einer Wirtschaft am Dom ergatterten sie einen Sitzplatz. Ein Schankmädchen knallte ihnen drei Becher mit Wein, einen Ring geräucherter Fleischwurst und runde Wecken auf den Tisch. Hungrig machte sich Landfried über die Wurst her, während Mundarik seinen Becher mit einem einzigen Schluck leerte. Ihre Begleiterin ließ beides stehen. Plötzlich ergriff sie stattdessen Landfrieds Hand. Er war so überrascht, dass er es ohne Widerworte geschehen ließ. Die Hand erschien ihm wie ein süßes Versprechen.

»Woll’n wir noch einen … «, lallte Mundarik.

Landfried blickte ratlos von seiner Hand auf den Freund. »Ich glaube, wir bringen dich lieber ins Quartier, solange wir das noch können …«

Eilika, denn so hieß die junge Frau, wie Landfried mit einem Mal wieder einfiel, drückte kurz seine Hand. Signalisierte das Zustimmung, oder sollte es vielleicht noch etwas ganz anderes bedeuten? Doch schon ließ sie los und ergriff stattdessen Mundariks Arm. »Wir helfen dir, stütz dich auf uns beide, wir gehen jetzt heim!«, erklärte sie bestimmt.

»Nicht heim, trinken«, lallte der gefallene Kamerad, doch nun griff auch Landfried zu, und mit vereinten Kräften richteten sie den schweren Mann auf. Mehr durch Glück als durch Überlegung fanden sie in der hereinbrechenden Dunkelheit ihr Quartier am Rheinufer und ließen Mundarik drinnen auf seine Pritsche fallen.

»Er hat begonnen zu schnarchen, noch bevor er gelegen hat«, staunte Eilika.

»Ja, so ist er«, bestätigte Landfried knapp. Diese Eigenschaft seines Freundes kannte er aus dem Feldlager zur Genüge. Unschlüssig standen die beiden in der kühlen Nachtluft. Eilikas Atem kondensierte, und ein dichter Reif hatte sich über Hof und Baracken gebreitet. Landfried versuchte verzweifelt, seine Gedanken zu ordnen. Das also war Karneval. Alle waren gleich. Herr und Magd …

Sie sah ihn herausfordernd an. »Ich gehe jetzt auf meine Kammer«, erklärte sie und zog die Brauen hoch. Dann, ganz langsam wandte sie sich um.

Immer noch langsam schritt sie davon, und Landfried folgte ihr. Aber nur mit den Augen. Er wusste, was sie von ihm erwartete. Trotz der Kälte der Nacht überkam ihn eine Hitzewallung. Ich sollte jetzt auch in mein Bett gehen, dachte er und machte dennoch einen ersten zaghaften Schritt in Richtung der Mägdekammern. Dann schüttelte er den Kopf und ging weiter. Vor der Tür der Kammer hielt er inne. Ob sie ihn beobachtete? Oder war sie sich ihrer Reize so sicher, dass sie einfach wartete? Ein hübsches Ding, hochgewachsen und mit heilen, weißen Zähnen in einem breiten, roten Mund. Die dunklen Haare rahmten ihr Gesicht verführerisch ein. Er konnte sich an jede Einzelheit erinnern, dabei hätte er sie noch heute Vormittag auf der Straße nicht erkannt. Drinnen knarrte eine Diele. Er stellte sich vor, wie sie vor Ungeduld und Erregung von einem Fuß auf den anderen trat, auf ihn wartete, vielleicht hatte sie sich schon entkleidet … Nein, entschied sich Landfried, ich werde nicht hineingehen. Wenn sie jetzt vor mir stände, weiß ich nicht, ob ich ihr widerstehen könnte, aber so? Entschlossen machte er kehrt und stapfte über den kalten, leeren Hof zurück in sein eigenes Quartier. Er würde nicht den Fehler seines Vaters wiederholen, sondern eine standesgemäße Frau heiraten. Das verlangten schon allein seine hochfliegenden Pläne bei Hofe! Er warf seine Kleider ab und legte sich sofort hin. Doch schlafen konnte er nicht. Halb bereute er seine Selbstdisziplin, halb schalt er seine Schwäche. Als er schließlich gerade einzudämmern begann, ließ ihn ein Knarren hochfahren. In der Tür stand eine Gestalt.

»Ich konnte nicht schlafen«, erklärte Eilika mit einem entschuldigenden Augenaufschlag.

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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