Читать книгу Unter kalten Duschen - Swany Swanson - Страница 10
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ОглавлениеZwei Tage später war ich mit Sack und Pack bei den Duvalls eingezogen. Nun, das war vielleicht etwas übertrieben ausgedrückt. Viel zu packen hatte ich eigentlich nicht gehabt. Meine Habseligkeiten beschränkten sich auf meinen Laptop, Bücher und ein paar Klamotten zum Wechseln. Schließlich gab es in der Villa Waschmaschine und Trockner. Das hatte Frau Duvall beziehungsweise Fiona mindestens drei Mal erzählt, seitdem ich ihr Angebot – hier in den Ferien einzuziehen – angenommen hatte.
Fürs Protokoll hatte ich dennoch meinen Lebenslauf und alle Zeugnisse mitgebracht, die neben meinem Alter auch meine verkürzte Schullaufbahn attestierten. Nachdem alles Offizielle geregelt war, lernte ich Ben kennen. Er war ein aufgewecktes Kind, das für seine fünf Jahre noch recht verspielt war. Keine Ahnung, wie ich in dem Alter gewesen war. Aber ich glaubte nicht, dass ich mich so ans Bein eines Fremden gehangen hätte, wie er es innerhalb kürzester Zeit tat.
Fiona schien Bens Zuneigung als Vertrauenszeichen zu interpretieren. Punkt für mich also. Ich vermutete, dass sie mich absichtlich so zeitnah geordert hatte, damit ich Ben noch traf, bevor er fürs Erste ins Ferienlager verschwand. Als Test sozusagen. Nur um die Chemie zwischen uns zu prüfen, auch wenn es weder Formel noch Geigerzähler für Sympathie gab. Ich konnte sie verstehen. Ich hätte mich auch erst verabschiedet, wenn ich mein Haus während meiner Abwesenheit in guten Händen gewusst hätte.
Fiona war Innenarchitektin. Im Sommer reihten sich die Fachmessen aneinander und da musste sie natürlich Gesicht zeigen. Das erinnerte mich an meinen Vater, für den die Ferien ebenfalls der stressigste Teil des Jahres gewesen waren. Als Biologie-Professor hatte er die vorlesungsfreie Zeit stets für seine Forschungen, Studien und Publikationen in den einschlägigen Fachzeitschriften genutzt. Er war nie da gewesen, nicht wirklich jedenfalls. Dabei hatte er sein Büro zu Hause, gleich gegenüber von meinem Zimmer. Und jetzt war er wirklich nicht mehr da. Eigentlich ähnlich wie Herr Duvall, wie mir schnell auffiel. Der Hausherr, seines Zeichens Außenarchitekt, studierte in Helsinki die hohe Kunst des modernen Minimalismus.
Die Villa war ein Symbol dessen. Innen und außen von den Duvalls selbst entworfen, war hier alles auf Funktionalität angelegt. In ihrer elegantesten Form natürlich. Ein bisschen wie Ikea, bloß in hochwertig. Die Stuhllehnen in der Küche erinnerten an Bahnschwellen, die Töpfe und Pfannen hingen frei an langen Kupferrohren vor einer rustikalen Brickwand. Ein großes Aquarium – mein Herz setzte bei dem Anblick und der Erinnerung an die gegrillten Fische meines Vaters kurz aus – diente als Raumteiler und separierte Küche und Essbereich. Die Lampen waren platzsparend in die Wände eingebaut und gingen in den meisten Räumen bei Bewegung automatisch an oder aus.
Natürlich gab es im Keller auch eine finnische Sauna, komplett aus nordischem Kiefernholz. Fiona ermunterte mich, diese zur Entspannung zu nutzen. Da ich aber kaum etwas so hasste, wie zu schwitzen, lehnte ich dankend ab. Verlockender war da der Innenpool. Tim hatte nicht gelogen: Das Ding war riesig! Als Fiona mein Interesse am Pool entdeckte, schmälerte sich ihre Freude. Ich sollte das nicht falsch verstehen, erklärte sie mir, ich dürfte den Pool gerne nutzen. Unter zwei Bedingungen: Die Außenfliesen sollten hinterher sauber und trocken sein und Ben dürfte den Raum nicht betreten. Wahrscheinlich konnte er nicht schwimmen, nahm ich an und versprach, darauf achtzugeben.
Für die nächsten zwei Wochen waren nur noch Fiona und ich im Haus. Ich hatte meine Arbeit in der Villa aufgenommen und konzentrierte mich zunächst auf den Außenbereich. Jeden Tag verbrachte ich vier bis fünf Stunden im Garten und holte auf, was man im Frühjahr versäumt hatte zu tun. Zum Glück kannte ich mich mit Gartenarbeit aus und konnte so vor Fiona punkten. Im Gegenzug ließ sie es sich nicht nehmen, mich zu bekochen. Einmal wunderte ich mich offen darüber. Sie wurde rot und erklärte, sie hätten zwar eine Köchin, die allerdings ebenfalls in den Ferien wäre, doch dann und wann genieße sie es, selbst zu kochen. Sie wollte nichts verlernen, sagte sie.
Ich half ihr beim Schnippeln, sie plauderte und ich hörte ihr zu. Sie schien mich zu mögen. Sie war nett und nannte mich Schätzchen – etwas, wozu meine eigene Mutter sich niemals herabgelassen hätte. Was auch immer ich gesagt oder getan hatte, ich schien einen Stein bei Fiona im Brett zu haben. Tim war denkbar erleichtert darüber, das hörte ich klar heraus, wenn ich ihm jeden dritten Tag telefonisch Bericht erstattete.
Die Tage liefen im Grunde gleichermaßen ab. Ich arbeitete im Garten und leistete Fiona Gesellschaft. Wir aßen zusammen und den Rest des Tages hatte ich frei und konnte mich in Ruhe meiner Arbeit fürs Studium widmen. Die Stille in der Villa war dabei ein echter Segen. Keine grölenden Studenten, die im Suff den Weg zu ihrem Zimmer nicht mehr fanden, aber steif und fest darauf beharrten, bei mir richtig zu sein und mitten in der Nacht meine Tür eintreten wollten. Alles in allem hatte ich es ziemlich gut getroffen, fand ich. Langsam verstand ich, warum Tim diesen Job um keinen Preis verlieren wollte.
Von Fionas zweitem Sohn fehlte jede Spur. Ich sah sein Gesicht nur regelmäßig auf dem Foto im Wohnzimmer, wo seine Augen von oben unverwandt durch mich hindurchsahen. Selbst wenn Fiona es mir nicht erzählt hätte, hätte ich gleich gewusst, dass Tristan Internatsschüler gewesen war und auf eine Privathochschule ging. So, wie er aussah, stellte ich mir diese selbsternannte Elite vor.
Jedes Haar seiner Frisur war in einem militärischen Seitenscheitel über die Stirn gelegt. Seine Oberlippe stand ein Stück über und war zu einem trotzigen Schmollmund gewölbt. Die hohen Wangen, die schmale Nase und die eng beieinanderliegenden Augen machten sein Gesicht hart. Es schien, als hätten seine Eltern ihn gebaut, so perfekt war die Symmetrie in seinen skandinavischen Zügen. Mir war nicht wohl, wenn ich ihn ansah, obwohl mich sein Blick hypnotisch anzog.
Natürlich hatte ich mich bei Tim nach Tristan erkundigt. Er klang überrascht, dass ich es mit dem ältesten Sohn der Duvalls zu tun bekommen sollte. Wie ich erfuhr, war Tristan Marathonläufer. Früher sei er sogar Triathlon gelaufen, offenbar auf ziemlich hohem Niveau. Seit Tim hier arbeitete, und das waren gut vier Jahre, habe Tristan seinen Sommer ausschließlich mit Wettkämpfen oder in Trainingslagern verbracht, sodass sich die beiden nie begegnet waren.
Irgendwie überraschte es mich nicht, dass der Kerl ganz nebenbei Spitzensportler war. Garantiert war er einer dieser Typen, die voll auf Leistung getrimmt waren, aber zu cool, um sich wirklich dafür zu interessieren. Er musste schrecklich arrogant sein. Menschen, die aus gutem Hause kamen und noch dazu gut aussahen, neigten bekanntlich zu Überheblichkeit. Und Tristan sah verdammt gut aus. Ich war froh, dass er nicht hier war und vermutlich auch nicht kommen würde, wie Fiona betonte, als sie mich wieder einmal vor dem Familienporträt ertappte.
Dann war es irgendwann an der Zeit, mich von ihr zu verabschieden. Vorerst, denn sie versprach, zwischendurch nach dem Rechten zu schauen. Da sie keinen festen Zeitpunkt nannte, erinnerte ich mich daran, dass ich nach wie vor unter Beobachtung stand. Sie konnte jederzeit vor der Tür stehen. Genau wie der kleine Ben. Es machte mich nervös, nicht zu wissen, wann ich mit Besuch rechnen könnte. Aber als mehr und mehr Tage ereignislos ins Land gingen, wurde ich selbstsicherer.
Bald kannte ich die Villa so gut wie meine Westentasche. Ich entwickelte eine Routine beim Einkaufen im abgelegenen Supermarkt, schloss die Haustür auf wie selbstverständlich und bewohnte das Haus, als wäre es mein eigenes. Meist hielt ich mich dabei in Küche, Wohnzimmer und Gästezimmer auf. Die anderen Räume traute ich mich erst deutlich später zu betreten. Das gebot so die Höflichkeit und was hatte ich auch in den Schlafzimmern fremder Leute zu suchen?
Es waren zwei Tage vergangen, als ich das erste Mal einen Fuß dort hineinsetzte. Immerhin musste ich auch dort Staub wischen, bevor Fiona oder Ben zurückkehrten und von Wollmäusen unter ihren Betten begrüßt wurden. Irgendwann – ich wusste nicht, ob aus Neugierde oder Pflichtbewusstsein – öffnete ich auch die Tür zu Tristans Zimmer.
Ich war überrascht. Außer einem Bett, Nachttisch, Schrank und Schreibtisch gab es hier nichts. Keine Deko, kein Teppich und auch keine Pflanzen wie sonst überall. Nur Möbel und weiße Wände. Selbst mein Zimmer war wohnlicher eingerichtet. Dann kam Tristan wohl tatsächlich selten nach Hause, dachte ich. Trotzdem machte ich darin sauber und lüftete.
Ich war fast enttäuscht. Verrückt. Aber so ein unpersönliches Zimmer passte nicht in das Bild, das ich von ihm hatte. So oft wie ich schon über dem Porträt im Wohnzimmer geputzt hatte, kam es mir vor, als würde ich ihn kennen. Ich hatte sogar schon einen Kosenamen für ihn. In meinen Gedanken nannte ich ihn den Eisprinzen. Zudem fielen mir immer mehr Details an ihm auf, ja, er veränderte sich sogar. An besonders hellen Tagen schien sein Gesicht zu strahlen und dann, wenn die Sonne in einem anderen Winkel durch die Fenster fiel, wurde aus seinem hochmütigen Blick ein trauriger. Ich musste über mich lachen. Tim hätte bestimmt den Kopf geschüttelt und mir erzählt, dass es mir nicht guttäte, so lange allein zu sein.
Aber ich fand es großartig! Endlos viel Raum für mich und überall diese herrliche Stille, die bis in den letzten Winkel drang. Es hätte ewig so weitergehen können. Doch wie sich herausstellen sollte, waren die friedlichen Zeiten bald vorüber.