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Am nächsten Morgen zögerte der Taxifahrer kurz, als ich ihn nach Bredeney zum Brucker Holt kommandierte. Zwar lag mein Elternhaus auch nicht in der schlechtesten Wohngegend, aber das war kein Vergleich zum Nobelviertel im Süden der Stadt.

Die Straße war gesäumt von Bäumen. Hinter den ordentlich kupierten Hecken und langen Zäunen ragten in regelmäßigen Abständen die Erker und verglasten Galerien der Villen hervor. Hier und da war auch mal eine saubere Hausfassade oder die videoüberwachte Schottereinfahrt zu einem der weitläufigen Grundstücke zu sehen.

Wahrscheinlich dachte der Fahrer, ich würde Einbrecher spielen oder gleich den nächstbesten Passanten ausrauben wollen. Mit Hoodie, Jeans und ausgelatschten Turnschuhen sah ich nicht wie jemand aus, der hier wohnte oder hierher eingeladen wurde. Prompt verstellte der Taxifahrer den Rückspiegel, sodass er mich bestens im Visier hatte. Ich konnte beobachten, wie sich seine Augen mit jedem weiteren Haus enger und enger zusammenzogen, und war heilfroh, als er endlich anhielt.

Hastig reichte ich ihm das Geld, registrierte, dass ich damit pleite war, und stieg schnell aus. Die Aussicht auf das Anwesen der Duvalls haute mich dann so um, dass ich mich an den Wagen lehnen musste und ins Taumeln geriet, als das Taxi losfuhr.

Der blickdichte dunkle Aluminiumzaun ging mir knapp bis zu den Schultern und wurde von meterhohen Sträuchern und rotblühender Clematis-Ranken übertrumpft. Dahinter thronte in einiger Ferne eine glänzende Dachspitze. Als ich den Zaun ablief und das Tor erreichte, wo die Büsche und Hecken der Anlage endeten, sah ich vor mir ein geometrisches Kunstwerk von rechteckigen und quadratischen Blöcken, die zu einem zweistöckigen Villenkomplex verbunden waren. Der glatte Hausputz strahlte in reinstem Weiß.

Ich kramte den Zettel mit der Hausnummer heraus, die ich mir von Tim hatte diktieren lassen. Die Adresse passte. Mein Herz schlug schneller. Reflexartig schaute ich mich um. Aber es war weit und breit keine Menschenseele auf dem Gehweg zu sehen.

Tim war die Erleichterung über mein Einlenken deutlich anzuhören gewesen. Er hatte sich so oft bedankt und mir geschworen, für immer und ewig in meiner Schuld zu stehen, dass ich wirklich das Gefühl hatte, etwas Nobles zu tun. Er wollte direkt am nächsten Morgen bei den Duvalls anrufen und mich als seinen Ersatz ankündigen. Um acht Uhr früh hatte er mich wachgeklingelt und verkündet, dass ich gleich um zehn ein Vorstellungsgespräch hätte.

Hier stand ich also: mit diesem amtlichen Tor vor meiner Nase, nervös und mit rasendem Puls. Schließlich drückte ich den schnörkellosen Klingelschalter. Es gab kein Geräusch und kein Zeichen dafür, dass es geläutet hatte, also wollte ich ein zweites Mal klingeln, da drang eine Frauenstimme aus der Sprechanlage.

«Ja, bitte?»

«Hier ist Jona Steinkamp.» Ich räusperte mich. «Tim Valerius hat Sie sicher schon …» Ehe ich ausreden konnte, öffnete sich das Tor mit einem Surren. Die glänzenden Aluminiumfronten schoben sich auseinander und gaben nach und nach den Blick auf eine hellgeflieste Auffahrt frei. Tim hatte nicht übertrieben: Es war eine Villa!

Auf dem Weg zum Haus gab ich mir alle Mühe, möglichst souverän aufzutreten. Nur für den Fall, dass ich über das Bild von einer der Videokameras im Eingangsbereich analysiert wurde. Ich hatte kaum die Haustür erreicht, da wurde mir auch schon geöffnet.

«Hallo Jona. Schön, dass du so kurzfristig Zeit hattest.»

Die Stimme von der Türanlage gehörte zu einer gepflegten Frau von Mitte vierzig mit sanfter Haarwelle und einem freundlichen Gesicht. Sie sah aus wie eine Schauspielerin. Frau Duvall, die Hausherrin persönlich, dachte ich. Schnell nahm ich die restlichen Schritte auf sie zu und erwiderte ihren Gruß.

«Komm doch rein! Ich habe frische Limonade aufgesetzt.» Ich nahm die Einladung dankend an und merkte, wie mir bei dem Gedanken an etwas zu trinken das Wasser im Mund zusammenlief. Obwohl es vormittags war, spürte ich die Wärme des Sommers deutlich.

Sie geleitete mich durch einen weiten Flur, der durch viele Fenster hell erleuchtet war. Eine schmale Treppe ohne Geländer, bei der die Stufen zu schweben schienen, führte an der Seite zur zweiten Etage hinauf. Ich folgte Frau Duvall geradeaus durch die geschwungene Bogentür in ein noch größeres Zimmer – das Wohnzimmer, das links in eine offene Küche überging. Genau wie der Flur war der Wohnbereich halb leer und ebenso weiß und perfekt wie der Außenanstrich des Gebäudes. Alles war sauber und ordentlich, sodass ich kaum wagte, zu atmen. Ich bewegte mich durch das Haus wie durch ein Museum. Es war herrlich!

Frau Duvall nahm auf dem nierenförmigen Sofa Platz, das die Hälfte des Raumes einnahm, und ich tat es ihr gleich. Auf dem niedrigen Beistelltisch, einem komischen Klotz, der silbern glänzte, stand die versprochene Limonade. Stilecht in einer Kristallkaraffe mit zwei Gläsern serviert. Frau Duvall schenkte mir ein und ich musste erst einen Schluck trinken, ehe ich mich dafür bedankte.

«Du bist also Jona», nahm meine Gastgeberin unumwunden das Gespräch auf. «Tim hat mir schon ein wenig von dir erzählt und meinte, du würdest ihn die nächsten zwei Monate während deiner Semesterferien gerne vertreten. Du weißt vermutlich bereits, was deine Aufgaben hier wären.»

Ich begriff erst verspätet, dass das eine Frage gewesen war. «Ich schätze, ich soll mich um das Haus kümmern. Um die Anlage und um Ihren Sohn.»

Sie lächelte knapp. «Nun, das ist prinzipiell richtig. In diesem Sommer gibt es allerdings eine kleine … Änderung.» Das Misstrauen stand mir offenbar ins Gesicht geschrieben, denn ihr Lächeln kehrte plötzlich zurück und entblößte ihre tadellosen Zähne. «Kein Grund zur Beunruhigung. Es ist nur so, dass mein Sohn Ben an einem Sommerprogramm teilnimmt, bevor es nächstes Jahr für ihn in die Schule geht. Deshalb wird er nur an den Wochenenden ab und zu hier sein.»

«Oh, okay.»

«Stattdessen wirst du es vielleicht mit meinem älteren Sohn zu tun bekommen. Tristan.» Sie lächelte vage und machte eine Handbewegung zur gegenüberliegenden Wand. Ich folgte der Geste und registrierte dort ein riesiges Familienporträt. Trotz der Größe war es mir zuvor nicht aufgefallen. Wahrscheinlich weil sich die Schwarz-Weiß-Fotografie durch den hohen Weißanteil perfekt vor der sterilen Wand tarnte.

Ich zählte vier Personen auf dem Foto, allesamt mit hellen Haaren, hellen Gesichtern und hellen Kleidern. Vater, Mutter, Kind und ein Junge in meinem Alter, der so kalt in die Kamera blickte, als wollte er sie zerspringen lassen. Entgeistert drehte ich mich wieder Frau Duvall zu. Tim hatte nichts von einem zweiten Sohn gesagt.

«Und … was bedeutet das?», wollte ich wissen. Sie brauchte einen verwirrenden Moment zu lange, um sich wieder zu fassen.

«Im Grunde gar nichts. Nur, dass es kaum Arbeit für dich geben wird. Aber keine Sorge, du bekommst trotzdem denselben Lohn, wie ihn sonst Tim bekommt.»

«Das ist mir eigentlich gar nicht so wichtig, Frau …»

«Nenn mich ruhig Fiona.» Sie lächelte abermals. Dieses auffallend häufige Lächeln wollte nicht so recht zu ihr passen. Als hätte sie es sich nur kurz geborgt. «Also, Tim meinte, du wohnst nicht mehr bei uns in der Stadt. Es kommt natürlich gar nicht in Frage, dass du jeden Tag hierher pendelst. Ich habe deshalb das Gästezimmer für dich herrichten lassen und würde mich freuen, wenn du die Ferien bei uns verbringst.»

Ich merkte, wie mir das Gesicht entgleiste. Jeden Tag? Die Ferien hier verbringen? So war das nicht verabredet gewesen. Von Einziehen hatte Tim nichts gesagt.

«Es ist mir wichtig, dass immer jemand im Haus ist», erklärte Fiona, die mein Stocken bemerkte. «Mein Mann ist den Sommer über beruflich in Skandinavien und ich arbeite ebenfalls die meiste Zeit oder bin auf Messen unterwegs. Du hast das Haus quasi für dich allein. Geld für Essen und Trinken bekommst du natürlich von uns. Sieh es als kleinen, bezahlten Urlaub.»

«Ich soll nur auf das Haus aufpassen?», wiederholte ich perplex. Das klang zu schön, um wahr zu sein. Ich blickte zu dem Familienbildnis mit dem unheimlichen Jungen. «Was ist mit Ihrem anderen Sohn? Sagten Sie nicht, er sei den Sommer über hier?»

«Nun, Tristan ist … Es ist eigentlich noch gar nicht sicher, ob er überhaupt kommt. Er ist da sehr spontan.» Ich sah, dass sich ihr Kiefer bei den Worten verkrampfte. Kaum schien der böse Gedanke verschwunden, hellte sich ihre Miene wieder auf. «Ihr würdet euch garantiert prächtig verstehen. Tristan ist aufs Internat gegangen, bevor er zur Akademie gewechselt ist, sonst würdet ihr euch vielleicht sogar kennen. Er dürfte gar nicht so viel älter sein als du – wie alt wäre das eigentlich?»

«Ich werde demnächst zwanzig. Ich weiß, ich sehe jünger aus», gab ich zu, da ich ihren überraschten Blick auffing.

«Das ist es gar nicht. Dein Freund Tim sagte nur, du wärest fast mit deinem Studium fertig. Da dachte ich, du müsstest älter sein.»

Ich räusperte mich. «Ich habe in der Schule ein Jahr übersprungen.» Ich sprach so leise, dass es an ein Flüstern grenzte. Es war mir peinlich, dass ich in der Schulzeit so ein Überflieger gewesen war. Das klang nach Wunderkind oder Superstreber. Dabei hatte mir einfach die Ablenkung gefehlt, die meine Hetero-Freunde in der Pubertät gehabt hatten. Nichts, worauf ich stolz war. Im Gegenteil.

Fiona hingegen hielt es da wie alle, die von meiner rasanten Schulkarriere hörten. «Wow. Na, das ist doch was.» Anerkennend prostete sie mir mit ihrem Limoglas zu und setzte ab, ohne einen Schluck getrunken zu haben. «Jona, du machst einen zuverlässigen Eindruck auf mich. Ich würde es sehr gerne mit dir versuchen. Ich hoffe, du könntest dir ebenso vorstellen, in den Ferien bei uns zu wohnen.»

Das war das erste Mal, dass ein Erwachsener mir die Wahl ließ. Das ist so verantwortungslos von dir, hörte ich die Stimme meiner Mutter im Ohr. Ich lächelte und nickte. Die Entscheidung war gefallen.

Unter kalten Duschen

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