Читать книгу Von Notburga, Maria, Cäcilie, Malin und Pia - Sybille A. Schmadalla - Страница 10
ОглавлениеArthur
Der Vater verstorben. Arthur fuhr mit dem Bus zur Aussegnungshalle. Abschied nehmen. Wie üblich, alle kümmerten sich um alles, aber niemand kümmerte sich um ihn. Selbst seine Zwillingsschwester Alma, die um einundzwanzig Minuten Ältere,
schaute nicht nach ihm. Arthur nahm in der hintersten Reihe platz. Er musterte den Sarg. ‚Ich bin dein Sohn Arthur und ich habe seit Geburt einen verkrüppelten Arm. Ich bin die Schmach der Familie‘. Unentwegt strömten Menschen in die Aussegnungshalle. Viele Menschen in schwarzen Kleidern. Verwandte, Nachbarn, ehemalige Kollegen, einige Vereinsfreunde und eine Delegation der Siedlergemeinschaft. Die Stimmen, ein verhaltener Klangteppich, hüsteln, flüstern, verstohlene Blicke, kurzes Begrüßungsnicken. Es war einer der frühen, ersten Frühlingstage in diesem Jahr, kein Wintertag und vorne stand der Sarg, in dem der Vater lag. Arthur sinnierte ‚Anfangen konntest Du mit mir nichts. Ich bin dein erstgeborener Sohn. Selbst wenn Alma einundzwanzig Minuten älter ist als ich, ist sie nur ein Mädchen. Aber ich bin dein Stammhalter und dein Erbe! Womit ich nichts anfangen kann. Aber du hast gekämpft für mich. Die Mutti schämte sich nur für mich. Die Sprachlosigkeit zwischen uns, als Zeichen eines vollumfänglichen Nichtverstehens! Ich dich nicht und du mich nicht. Nordpol und Südpol. Du wolltest etwas Gutes für mich, nur gab es zwischen uns keinerlei Berührungspunkte. Ich hätte Sänger werden können, aber das lag weit außerhalb deiner Vorstellungswelt. So bekam ich dank deiner Hilfe meine Gärtnerhelferstelle in der Lebenshilfe. Das hast du getan für mich. Muss ich dankbar sein? Bin ich dir dankbar? Ja, ich bin dir dankbar, so einer wie ich muss dankbar sein‘ Arthur stand auf und ging den Gang zwischen den Stuhlreihen entlang. Er hielt die Rose am äußersten Ende. Sie hätte ihn stechen können. Arthur mochte nichts, was klebte oder pikste. Die Rose wippte im Rhythmus seiner Schritte. Er ging durch das Spalier der ihm unangenehmen Blicke, spürte sie in seinem Rücken und legte seine Rose auf den Sarg, hastig, fast hektisch. Arthur mochte diese Aufmerksamkeit nicht. Ein echtes Opfer aus Dankbarkeit. Bei sich dachte er ‚ich hoffe du weißt es zu würdigen. Du, der du stets gerne im Mittelpunkt standest‘. Dann ging er zurück, wieder durch das dornige Spalier dieser Blicke und setzte sich. Jeder mit sich beschäftigt, jeder allein, obwohl so viele Menschen den Saal bevölkerten.
‚Gab es zwischen uns noch etwas, was gesagt sein müsste?‘ Arthur erahnte etwas. Ungenau, grau, versunken in der Zeit, etwas das seinen Vater mit ihm besonders verband, etwas das es wert gewesen wäre, erinnert zu werden, aber es fiel ihm nicht ein, er erinnerte es nicht.