Читать книгу Von Notburga, Maria, Cäcilie, Malin und Pia - Sybille A. Schmadalla - Страница 11
ОглавлениеAlma
Almas Hände zitterten, ihr ging es schlecht, sie fühlte sich kraftlos. Während Alma in sich gekehrt den Gedanken nachhing, lachte die Sonne vom Himmel, der in frühlingshaftem Blau erstrahlte, mitten im Winter. Die Vögel zwitscherten, der Frühling nahte, Aufbruch und Beginn. Alma dachte verbittert ‚Ich war Deine älteste Tochter, eine der Zwillinge und ich war das erste Kind. Ein Mädchen, was für eine Enttäuschung. Nur ein Mädchen. Einundzwanzig Minuten nach mir kam der ersehnte Stammhalter. Arthur. Die Freude währte nur kurz. Großvater wollte nicht, dass sie den Krüppel nach ihm benannten. Mutter hatte es uns oft erzählt. Alma und Arthur. Ich sehe Dir ziemlich ähnlich, eine Gemeinsamkeit, die wenig zählte. Deine Erwartungen waren hoch. Irgendwann habe ich sie wohl nicht mehr erfüllt. Dann musste ich ins Internat, das tat weh‘. Almas Augen füllten sich mit Tränen. Sie blickte auf den Sarg. Tausend widersprüchliche Bilder tanzten in ihrem Kopf. Da ist der Vater, der lachte und mit den Kindern bastelte, einen Drachen baute, der grillte und die ‚Zigeunersoße‘ erfand, der bei den Kindern Sandkuchen kaufte, der mit blitzenden Augen, viele wilde Ideen sofort in die Tat umsetzte. Unterhaltsam, chaotisch, ein Lebenskünstler und dann gab es da den zweite Mann, der in ihm steckte. Der, dessen Augen schwarz wurden, vor Zorn, Wut, Hass. Der schlug, der brüllte, der alles verbot, der nur das Schlechteste von seinen Kindern annahm. Der Mann, der in der Familie Angst und Schrecken verbreitete. Alma erinnerte sich, an einen Urlaub in Schweden, oder wie er Tilde …pscht, pscht … daran wollte sie jetzt nicht denken. Liebevolles Gedenken! Liebevolles Gedenken! Ja, nur liebevolles Gedenken ist einer Beerdigung würdig. Alma schaute sich um und registrierte zufrieden ‚Mein Kranz ist der Größte und Teuerste! Ich habe stets darauf geachtet, dass meine Geschenke die Größten, die Teuersten, die Schönsten sind. >Deine Bestechungsgeschenke< verspottete sie ihr Mann. Aber ja, das musste so sein. Alma erinnerte sich, wie sie die silbernen Bilderahmen mit ihren Bildern auf dem Buffet stets nach vorne rückte, jedes Mal wenn sie die Eltern besuchte, damit Vati und Mutti sie sofort sahen. Genauso wie sie stets darauf geachtet hatte, dass sie als Letzte bei den Familienfeiern ankamen, das sicherte ihnen die Aufmerksamkeit Aller. Da konnte sie der gesamten Familie und Verwandtschaft das nagelneue, sündhaft teure Auto präsentieren. Sie erinnerte sich, wie sie es genossen hatte, das große Hallo. Alle Augen auf sie gerichtet. Männer verstanden so etwas nicht. Alma schwelgte in Erinnerungen. Ihr Leben lief gut. Sie besaßen Häuser, eine gutgehende Praxis, zwei Luxusautos. Sie unternahmen exklusive Reisen, sie führten eine gute Ehe. Sie hatte ihren Zahnarzt, bei dem sie gelernt hatte, gleich geheiratet. Sie hatte alle Erwartungen erfüllt. Alma fühlte Zufriedenheit in sich aufsteigen, sie sah sich als Siegerin. Diejenige, der immer alles gelang. Das erfolgreichste Kind! Zu guter Letzt hatte sie zwei Kinder bekommen, alles in der richtigen Reihenfolge. Jetzt würde sie erben.‘ Alma lies ihren Blick schweifen. Sie war die am besten angezogene Frau hier, frisch frisiert, geschminkt. Alles musste tipp topp sein. Ihre Kinder trugen jedes einen neuen, schwarzen Anzug mit weißem Hemd, beide saßen still neben ihr. Alma liebte ihre Kinder über alles. Ein und zweieinhalb Jahre alt, der Großvater konnte sie nicht mehr erleben. Alles ist gut. Sie würde ihren Kindern eine exzellente Erziehung angedeihen lassen, sie würde sie verwöhnen wo es nur ging, sie würde … Almas Gedanken sprangen. ‚Auf deinem Totenbett habe ich dir versprochen, mich um Arthur, meinen Zwillingsbruder zu kümmern, damit du in Ruhe sterben kannst. Ja, so großzügig war ich zu dir, mein lieber Vater. Ich bin ein guter Mensch. Der die größten Lasten dieser Welt mit Ruhe und Geduld erträgt. Der sich opfert. Ich weiß, wie man im Leben die Dinge richtig anpackt. Ich bin für andere da und manchmal denke ich, ich schaffe es nicht mehr‘. Alma schrak zusammen. ‚Arthur besaß eine Eigentumswohnung in Nürnberg, wie sollte das gehen? Sie in Oldenburg und er in Nürnberg? Da musste er eben umziehen! Er musste seine Wohnung verkaufen! Manchmal denke ich, ich schaffe es nicht mehr. Am Besten rede ich mit meiner Sitznachbarin, dann muss ich nicht mehr denken‘. Alma wandte sich der Person, die neben ihr in der Bank saß, zu. Sofort plapperte sie los, übertönte die Gedanken. Im angemessenen Flüsterton plauderte sie routiniert bis zum Beginn des Gottesdienstes. Aus dem Füllhorn ihres Small talk Schatzes schöpfend, türmte sie harmlose, nichtssagende Banalitäten Satz auf Satz in die feierliche, gedämpfte Stimmung, die das festlich mit Blumen geschmückte Gewölbe verbreitete.
Zart schwebte Mozarts Flötenkonzert in der lauen Frühlingsluft, die einen Hauch Kälte in sich trug. Die Türflügel der Aussegnungshalle standen weit geöffnet und die Trauergemeinde erhob sich.