Читать книгу Der Clan vom Berg - Sybille Bayard Walpen - Страница 7
Prolog
ОглавлениеKurz vor ihrer Hochzeit mit Jeremias Bayard im Herbst 1926 begleitete Oktavia Marty ihre Schwägerin Josephine im Zug nach Le Havre an die nordfranzösische Küste. Josephine war die Frau von Oktavias Bruder Ignaz. Mit ihren vier Töchtern, die zwischen drei und zehn Jahre alt waren, wollte sie mit dem Schiff nach New York auswandern, wie Tausende von Walliserinnen und Wallisern in den Jahrzehnten zuvor.1 Ignaz hatte das Wallis bereits vor einem Jahr Richtung Amerika verlassen und holte nun die Familie nach. Ganz freiwillig war er damals nicht gegangen. Ignaz war draufgängerisch, ganz anders als seine Schwester Oktavia, ein Luftibus mit unzähligen Ideen, der vieles ausprobierte und das Abenteuer liebte. Die Martys, so hiess es im Oberwalliser Dorf Varen, seien gescheite und unternehmungslustige Leute. Bevor er auswanderte, arbeitete Ignaz als Schreiner und führte drei Bäckereien in Varen, Leuk und Leukerbad. Die Räder seiner Mühlen baute er selbst. Das Mühlenrad im Nachbardorf Salgesch diente ihm dafür als Modell. Er war auch der Erste in Varen, der ein Auto besass. Misswirtschaft sei es gewesen, die zu Schulden im Umfang von 10 000 Franken und zum Bankrott geführt haben soll. Deshalb wanderte er 1925 in die USA aus, liess sich auf Long Island bei New York nieder und fand eine Anstellung als Schreiner. Er konnte sich schnell etablieren und erhielt als erster Zahltag einen Dollar in Gold. Mit den Jahren baute er sich auf Long Island ein Schreinerunternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden auf und war zeitlebens einer der Einzigen, der in New York Wendeltreppen bauen konnte. Nach einem Jahr war er bereits so gut situiert, dass er einen Teil seiner Schulden zurückzahlen und Frau und Kinder nach Amerika nachholen konnte. Josephine fühlte sich jedoch nie wohl in den USA, war sehr eifersüchtig und lernte nie Englisch. Sie starb früh, geistig verwirrt.
Die damals 29-jährige Oktavia begleitete die Familie auf ihrer Reise nach Le Havre, denn die aus dem Saastal stammende und in Susten aufgewachsene Josephine hatte wenig Reiseerfahrung. Ganz im Gegensatz zu Oktavia, die aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit im Gastgewerbe mit häufigen Stellenwechseln schweizweit schon ziemlich herumgekommen war. Wie im Haushaltsbüchlein vermerkt, in dem Oktavia ab 1915 auf den Rappen genau und mit präziser Datumsangabe ihre Ein- und Ausgaben festhielt und dessen erste Seite sie mit «Spare in der Zeit, so hast du in der Not» überschrieb, kostete die Fahrt nach Le Havre und zurück 100 Franken. Auch einen Handkoffer für 65 Franken schaffte sie sich für die Reise an. Als das Schiff mit Josephine und den vier Kindern an Bord den Hafen von Le Havre Richtung New York verliess, stieg Oktavia wieder in den Zug und kehrte in die Schweiz, nach Varen, zurück. Sie trat die Rückreise nicht ohne eine gewisse Wehmut an, denn am liebsten wäre sie nach Amerika mitgefahren. Sie fühlte sich jedoch Jeremias Bayard verpflichtet, dem sie die Hochzeit versprochen hatte. Oktavias weiterer Lebensweg wäre wohl anders verlaufen, hätte sie sich zusammen mit ihrer Schwägerin auf den Weg über den Atlantik gemacht. Doch sie kehrte ins Wallis zurück, wurde Mutter von elf Kindern und führte zusammen mit ihrem Mann Jeremias ein Leben als Selbstversorger.