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2.2.1 Zweisprachigkeit

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In der umfangreichen Literatur zu dem komplexen Thema der Zweisprachigkeit bzw. des Bilingualismus findet sich eine große Vielfalt von Definitionen und Herangehensweisen der einzelnen Autorinnen und Autoren sowie verschiedenste Untersuchungen zu einzelnen Aspekten des Zweitspracherwerbs (vgl. Forschungsstand z.B. in: Apeltauer 2001, Ahrenholz 2008; Ahrenholz & Oomen-Welke 2014; Grießhaber 2016). Der Terminus Zweisprachigkeit, der gleichzeitig mit Bilingualismus oder auch Bilinguismus (vgl. Müller; Kupisch; Schmitz & Cantone 2011: 15) sinnverwandt benutzt wird, beschreibt sowohl das Individuum, das Sprecher von mindestens zwei Sprachen ist, die es als Kleinkind im natürlichen Kontext als Muttersprachen simultan erworben hat, als auch die Institutionen und Gesellschaften, in denen dieses Individuum lebt (vgl. Coste; Moore & Zarate 2009: 16). Eine bilinguale Situation tritt dann auf, wenn ein Land, ein Staat oder auch eine Gegend zweisprachig ist, und wenn Angehörige zweier unterschiedlicher Ethnien in engem Kontakt zusammenleben und untereinander kommunizieren (vgl. Zydatiß 2010: 339).

Je nach Wissenschaftsdisziplin wie beispielhaft in der Erziehungswissenschaft, der Psychologie, der Soziologie, der Sprachwissenschaft sowie auch der Zweitsprachenerwerbsforschung wird Zweisprachigkeit als Forschungsfeld unter verschiedenen Aspekten analysiert. Es existiert dementsprechend eine Kumulierung von Definitionsansätzen, die nicht einheitlich erfasst werden können (vgl. dazu Hu 2011: 214). Bilingualismus wird beispielsweise in der Zweitsprachenerwerbsforschung als Form von Mehrsprachigkeit betrachtet (Ebd.).

Wirft man aber einen Blick in die Literatur der Psycholinguistik und der Zweitsprachenerwerbsforschung der vergangenen Dekaden, so werden Menschen als bilingual bezeichnet, wenn sie auch nur mindestens eine der vier Fertigkeiten Hörverstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache besitzen, so wie es Macnamara 1967 verdeutlicht:

“[…] I will use the term bilingual of persons who possess at least one of the language skills even to a minimal degree in their second language.” (Macnamara 1967: 59f.)

Eine entgegengesetzte Position vertritt Bloomfield (1976, 1984), der für das Vorliegen von Bilingualismus höhere Kompetenzen voraussetzt, und ihn demzufolge als quasi muttersprachliche Beherrschung von zwei Sprachen charakterisiert: "[…] the native-like control of two languages" (Bloomfield 1984: 56). Seiner Auffassung nach gehört ein annähernd muttersprachlicher Perfektionsgrad dazu, um als zweisprachig betrachtet zu werden.

Was Edwards (1994) angeht, so ist dieser einer ähnlichen Auffassung bezüglich des Bilingualismus wie Macnamara und unterstreicht, dass „Everyone [sic] als bilingual“ bezeichnet wird (Edwards 1994: 55). Für Edwards genügen bereits geringe Kenntnisse in einer Fremdsprache, um als zweisprachig zu gelten und zwar unabhängig davon, ob diese Kenntnisse ausschließlich in einem bestimmten Bereich, wie dem Mündlichen, ausgebildet sind (vgl. auch Aronin & Singleton 2012: 1f.).

Diese dichotomen Sichtweisen verdeutlichen, wie umstritten die Abgrenzungsproblematik betreffs des Bilingualismus ist (vgl. Wode 1985: 36) und wie weit diese Aussagen ebenfalls auf den Plurilingualismus übertragbar sind (vgl. Christ 2004: 31). Bloomfields Position wurde in den darauffolgenden Jahren als überholt angesehen, so Wode (1995); vielmehr öffnen sich Publikationen in der Tertiärsprachenforschung und der Fremdsprachendidaktik den eher weiter gefassten Begriffen von Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit (vgl. Wode 1995: 36; Hu 2011: 11).

Gegenwärtige Begriffsbestimmungen für die individuelle Zweisprachigkeit – per exemplum Coste, Moore und Zarate (2009) – beschreiben damit Einzelpersonen, die eine Sprachbeherrschung in zwei linguistischen Codes aufweisen, welche im Idealfall auf annähernd gleichem Niveau sind.

Eine aktuelle Definition von Zweisprachigkeit erfordert jedoch mehr Flexibilität und muss verschiedene Aspekte berücksichtigen. Der ideale Muttersprachler (Trim; North & Coste 2001: 17) als maximale Anforderung betreffend der Sprachkompetenz gilt nicht mehr als das Maß der Dinge, so wie im Verständnis von Bloomfield (vgl. Definition von Bloomfield1 [1933] 1984: 55f.).

Fäckes Definition (2010) erscheint einleuchtender und trifft die Unterscheidung zwischen individueller und gesellschaftlicher Zweisprachigkeit. Erstere wird noch einmal in simultane oder primäre Zweisprachigkeit und sukzessive oder sekundäre Zweisprachigkeit unterteilt (Fäcke 2010: 86f.). Im simultanen Fall werden zwei oder mehrere Sprachen parallel und zum gleichen Zeitpunkt erworben. Beim sukzessiven Phänomen ist eine ferner erworbene Zweisprachigkeit gemeint.

Des Weiteren wird zwischen additivem und subtraktivem Bilingualismus differenziert:

„Additiver Bilingualismus bezieht sich auf eine gleichgewichtige und positive Berücksichtigung beider Sprachen und Kulturen für die Entwicklung eines bilingualen Kindes. Subtraktiver Bilingualismus geht vom gegenteiligen Fall aus, in dem eine der beiden Sprachen bzw. Kulturen als minderwertig gegenüber der anderen Sprachen bzw. Kultur erachtet wird und in der Folge nicht gefördert wird.“ (Fäcke 2010: 87)

Bei symmetrischem oder ausgewogenem Bilingualismus verfügt der Sprecher über ein identisches Sprachniveau, das heißt einen annähernd gleichgewichtigen Sprachstand in zwei Sprachen (vgl. u.a. Appeltauer 1997; Müller; Kupisch; Schmitz & Cantone 2006; Allemann-Ghionda 2007: 28). Bei asymmetrischem Bilingualismus liegt in einer Sprache ein höheres, dominanteres Niveau vor als in der anderen (Müller et al. 2006: 48ff.; Fäcke 2010: 87). Der Dominanzgrad der Sprache ist demzufolge vom Gebrauch im jeweiligen Kontext abhängig; er kann sich durch geografische oder soziale Veränderungen anpassen. Doppelte Halbsprachigkeit oder Semilingualismus als weitere Unterform der Zweisprachigkeit liegt vor, wenn keine der zwei Sprachen in verschiedenen Lebensbereichen angemessen und kompetent verwendet, bzw. auf nur sehr geringem Niveau beherrscht wird. Defizite quantitativer und qualitativer Art in beiden Sprachen, die sowohl die pragmatische als auch die affektive und psycholinguistische Ebene betreffen, sind in der Realisierung der Kommunikation vorzufinden. In diesem Fall können nur rudimentäre Kommunikationsabläufe stattfinden, die zum Zwecke der Alltagsbewältigung dienen. Der Begriff der doppelten Halbsprachigkeit2 (double semilingualism) ist heute allerdings insofern strittig (vgl. Butzkamm 1993: 55, 2002; Riehl 2009: 74), als dass er suggeriert, das Individuum verfüge lediglich über unzureichende Kenntnisse in beiden Sprachen und habe damit eine Art Handicap aufzuweisen. Man spricht deshalb heute vom "doppelten" Erstspracherwerb.

Zur Beschreibung und Erklärung der verschiedenen Formen der Zweisprachigkeit hat vor allem Jim Cummins (1979) gearbeitet. Er entwickelte die Interdependenz- oder auch Schwellenniveauhypothese, bestehend aus zwei Teilen.

BICS steht für „Basic Interpersonal Communicative Skills“ und fasst die mündlichen Grundfertigkeiten und das sprachliche Leistungsvermögen eines Sprechers zusammen, die in der Alltagskommunikation interpersonal benötigt werden. Jedoch sind diese Kompetenzen für den schulischen Unterricht unzureichend; vielmehr werden einfache Satzkonstruktionen bzw. unvollständige Sätze verwendet.

CALP steht für „Cognitive Academic Language Proficiency“ und beschreibt hingegen vor allem die Fähigkeit, schriftliche, kognitiv eher anspruchsvollere Fertigkeiten zu verstehen und zu verarbeiten. Während BICS sich in jeder Sprache tendenziell entwickeln kann, setzt CALP eine entfaltete Erstsprache für die zu erbringenden sprachlichen Leistungen in der Zweitsprache voraus. Somit ist im Bereich der BICS nach Cummins eine ausreichende Sprachkompetenz relativ schnell erreichbar, wohingegen für das Erlangen der CALP fünf bis sieben Jahre Lernzeit für altersentsprechende Schulkenntnisniveaus angesetzt werden müssten (vgl. Cummins 1979, 1984 und 2000; Apeltauer 2004; Fäcke 2010: 87f.). Diese exponierte Unterteilung hilft vor allem bei der Analyse von Sprachfertigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Durch Submersion liegen bei ihnen häufig nur niedrige, grundlegende konversationelle Sprachfertigkeiten vor.

Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht

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