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KAPITEL 10

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Visitor alpha U P.

Brücken Bereitschaftsraum.

Die Captains Minn und Delune verweilen seit nunmehr fünfundvierzig Minuten im Bereitschaftsraum und sie planen die gemeinsame Einkaufstour.

~

Die virtuelle Besichtigungstour unterbrach die hereinstürmende Sicherheitsoffizierin Miss Burana.

»Sire wir brauchen Sie. Die Interface Verbindung und die Holotransmeter funktionieren nicht. Wir bekommen auch keine Verbindung zu den Technikern. Aber der Hauptgrund ist ...« Burana trat dichter an die Captains heran. »Über Mister Gwens Haut liegt ein hauchzarter Raureif. Er sitzt regungslos da, seine Atmung geht stoßweise. Er murmelt ständig einen Satz, aber außer Cybord Klon verstehen wir nichts.«

»Rau–reif?!« Lennards Nackenhaare stellten sich aufrecht. Ein Kälteschauer rieselte über ihn hinweg, sein Sicherheitssystem schaltete von dem nervigen Stand-by auf aktiviert. (Den menschlichen Systemfehler hatte er, seitdem ihm ein Cybord das Sys Organ zerstörte.) An die Kälteschauer hatte er sich unbewusst gewöhnt. Aber, dass der sichtbar auf seiner Haut liegt, das ist neu.

Burana bewegte, in sicherer Entfernung, einen Finger über Lennards Hand. Feine Raureif Kristalle, sie glitzerten wie Diamanten, wirbelten wie ein Schneegestöber auf.

»Sire, es sieht wie das aus.«

Lennard entfuhr ein krächzendes grollen. »Sorels Unterbewusstsein wittert den Cybord.«

Mit der Vermutung auf den Lippen rannte er auf die Hauptbrücke. Hinter ihm her hechteten, wie zwei aufgescheuchte Hühner, Matise und Burana.

~

Die Captains verstanden auch nur Cybord Klon. Lennard nahm daraufhin mental Kontakt zu Sorel auf. …

»Ja, er fühlt ihre mentale Anwesenheit.«

Delune erschauerte, gleichlaufend hatte er das Empfinden über die Hände bewegt sich etwas Richtung Arme. »Was ist dort?«, die aufgebrachten Augen verfolgten es. ›Matise!‹ Die Stimme vom Captain scheuchte ihn auf.

Jetzt fror Delune.

Lennard fühlte die Kälteschwaden sie waberten vom Kollegen herüber. Ein breites grienen lag in den Mundwinkeln. »Hast du Muffensausen oder warum zitterst du?«

»Ist der Raureif ansteckend?«

Delune streckte seine Arme aus. Hauchzartes glitzern lag über den Händen.

»Ja. Der Jagdinstinkt ist ansteckend.« Ein donnerndes Lachen rollte über Lennards Kehle.

Delune wandte sich von ihm ab. Ein derber Schlag traf ihn auf dem Rücken, es knackste, im ersten Moment dachte er die obere Wirbelsäule bricht.

»Verflucht, was soll das …« Jählings raste von der Aufprallstelle ein wärmendes Gefühl über ihn hinweg.

»Greenhorn«, gluckste Lennard, er fing Matise verstörten Blick ab. »Um bei uns heimisch zu werden, musst du noch viel lernen.«

»Jagdinstinkt«, nuschelte Matise.

»Den kannst du gleich ausprobieren, indem du überprüfst, ob der Cybord Klon noch im Arrest sitzt.« Lennards Augenmerk raste zu Burana. »Sie kontaktieren die echte Brücke«, forderte er mental, »denen sagen Sie: Die Cybord Jagd hat begonnen.«

Während er sprach, gestikulierte er den acht von oben herabsehenden Kadetten: Ich benötige eure Hilfe.

»Aye Captain«, antworteten sie im Chor.

»Ihr durchsucht bitte die Pläne der Wartungsröhren nach versteckten Wegen zur Brücke. Alle anderen warten auf weitere Instruktionen von mir sowie von Captain Delune.«

»Aye Sire.«

In der Wartezeit überprüfte Lennard die Biodaten von Sorels. Als er dann den Mehas zuklappte, fragte er: »Und! Habt ihr was für mich?«, sein Tonfall war so brachial, sogar Sorel riss es unsanft aus dem künstlichen Schlummer.

Burana zuckte mit den Schultern. »Ich arbeite dran.«

»Matise?«, all seine Hoffnung lag darin.

»Wir sind gleich soweit.«

»Weiter machen«, forderte Lennard, er hatte sich dazu neben Sorel hingehockt. Ein erbostes Schnaufen lenkte seinen Blick zu Matise. »Was gibt es?«

»Sire es befindet sich niemand im Arrest«, er konnte anscheinend selber nicht glauben, was er eben sagte.

Sorel setzte sich aufrecht hin. »Das war mir so was von klar«, zischte er mit schwerer Zunge.

Gleichlaufend durchzuckte Lennard eine Angst einflößende Frage: »Was ist, wenn unter den Anwesenden bereits Klone sind.«

Er schnellte hoch und trat vor den nächstgelegenen Terminal. »Citraa«, flüsterte er, der Blick huschte unruhig über die Terminals, »Ein Kraftfeld um alles, was die biometrische Signatur von Stella Kama hat.«

Frage und Antwort berührten sich fast: »Nichts dergleichen im Beyond gefunden«, flüsterte der Citraa an Lennards Ohren.

Unvermittelt trat Lennard in die Mitte, von hier konnte er die gesamte Szenerie der Hauptbrücke einsehen.

»Citraa!«, abermals flüsterte er, »Entferne Hologramm Personen.«

Im rasanten Tempo löste sich die Brückenbesatzung in Millionen Pixel auf. Der Auslöschende Anblick konnte nicht gespenstiger sein.

»E–Ey!«, grollte Matise, ihm entschwand soeben der Gesprächspartner. Im verärgerten Fokus gerieten zuerst die leeren Arbeitsplätze dann die unruhig dasitzende Burana, danach der vor sich hindösende Sorel und letztendlich der Captain. »Was zum Teufel ist hier los?«

Lennard drehte sich zu Matise um. »Willkommen in dem Dahinter.«

Matise konnte nichts mit der Floskel anfangen. »Was wird hier gespielt? Hat Arun Potts das alles inszeniert? Wenn ja, kann er sich gedanklich schon eine Arrestzelle aussuchen.«

»Nein hat er nicht.« Lennard machte weit ausschweifende Armbewegungen. »Das hier ist ein Beyond – eine andere Wirklichkeit. Unsere Geistheiler brachten uns in die künstliche Umgebung. … Nein!, sie verwahren uns hier drin, bis wir bereit sind, die Wahrheit dahinter zu verstehen.« Lennard drehte sich zu Miss Burana. »Geduld Matise, denn schwer verdaulichen Stoff wird dir gleich unsere echte, erste Brücken Sicherheitsoffizierin schonungslos erklären«, seine Stimmbänder duldeten keinen Aufschub.

»Aye Sire.«

Matise verdutzter Blick raste zu Burana, sie gab mit einer Geste zu verstehen, das er zu ihr kommen soll.

~

Lennard wetzte in Sorels Richtung, im vorübereilen schnappte er den Einsatzkoffer.

»So nun zu dir«, schmunzelnd wandte er sich den Patienten zu. »Wir suchen uns jetzt ein ruhiges Plätzchen.« Er half ihn auf und mit schlürfenden Schritten folgte der Schlafwandler dem Schwager in den Captains Bereitschaftsraum.

Hinter verschlossener Tür nahm Lennard den Freund und Schwager genauer in Augenschein. Dicker Raureif lag über Sorels Gesicht, Hals und Haare.

»Weißt du, was das ist?«, zu seiner Frage scannte er Sorel.

»Nein, aber ich habe das Gefühl irgendetwas webt mich ein«, seine Stimme klang abgekämpft.

Lennard hielt den Scanner in Sorels Richtung.

Sowie der Strahl auf den Patienten traf, ertönte ein schrilles Signal.

»Eine Cybord Markierung webt dich ein. Der Raureif ...« Den zu erklären war bei Sorels noch massig vorhandenen Virusblockaden nicht leicht. Die Blockaden verursacht das Skylup Virus in seinem Gehirn. Zweimal hatte er das Dreckszeug verabreicht bekommen, zuerst in U P C Gefangenschaft und dann von Cybords. Das Gegenmittel gab man ihm hier an Bord, aber kontinuierlich frei Denken gelingt ihm noch nicht.

Lennard erklärte es zunächst mit Worten, damit hatte er keinen Erfolg. Vorm Citraa Terminal lag ein Zeichenstift damit malte er eine Art Piktogramme aufs Display.

»Aha!« Sorel klatschte sich an die Stirn. »Der Raureif auf der Haut ist mein körpereigenes Feind-Abwehrsystem.«

»Richtig!« Ein zirpendes Signal vom Mehas lenkte Lennards Aufmerksamkeit auf die Biodaten, er hatte das Gerät vorsorglich auf Überwachen gestellt. Staunend betrachtete er die Scandaten, ein schriller Pfiff brachte es zusätzlich zum Ausdruck.»Dein Libido geht soeben durch die Decke!?« Das Angezeigte machte ihn stutzig. »Or–Latuu! Du hast ein echtes Weckmittel intus!«

Sorel nickte schwach, zu mehr war er nicht in der Lage, denn über seine inzwischen hochsensible Haut schoss ein fiebriges Beben. Der anschmiegsame Overallstoff fühlte sich wie Abertausende zärtlich streichelnde Hände an, es trieb ihn bei jeder noch so sachten Bewegung beinahe in den Wahnsinn.

»Zieh das Ding sofort aus«, forderte Lennard, parallel laufend kam von der Tür ein abschließendes Geräusch. In Gedanken wollte er Sophie kontaktieren, jedoch die mentale Verwindung Schwieg.

Anstatt Lennards Aufforderung nachzukommen, stierte Sorel mit verklärtem Blick an sich hinab. »Geht nicht auf – verklemmt«, keuchte er zwischen aufbegehrenden Seufzern.

Lennard legte selbst Hand an, es gelang ihm ebenfalls nicht, er schnappte sich kurzerhand aus dem Einsatzkoffer ein Skalpell. Mit einem Rutsch schnitt er den Overall neben dem Reißverschluss der Länge nach auf. … Ächzend pellte sich Sorel aus dem Stoff. Über seinen nackten, muskulösen Körper rollten bebende Wellen.

Für einen Moment stand Lennard staunend da, so was, hatte er zuletzt an sich gesehen. …

~ ~

(Lennard ist ein hervorragender Heiler, wenn es um Weiber oder Aditt geht. Anders sieht es mit dem Gatten Heiler Wissen aus, das hat er sich bei Selbstversuchen und in seinem Grundstudium angeeignet.)

~ ~

… Damals, als er vor der zweiten Pubertätsphase stand, war er bereits seit Monaten mit Cara zusammen. Cara ist ein Mischling Nyvosaner Weib vom Shumerer Planeten Polaris, sie ist heißblütig und feurig. Auf den ersten Blick ist ihr Charakter wild und ungestüm. Ihre markanten Gesichtszüge sind von exotischer Schönheit und ihre begehrenden Augen funkeln so heiß, wie ihre Leidenschaft für Lennard. Es macht ihn heiß in Caras azurblauen Haaren zu wühlen. Sie sind so schimmernd wie die Ozeane ihres Heimat Planeten. Wenn sie ganz nah beieinanderliegen, zeigt ihr überschäumender Atem, dass sie sogar ohne Verschmelzung aneinander verfallen sind.

Cara streichelte Lennard sehr behutsam in die zweite Pubertätsphase. Heutzutage ist er süchtig nach ihren stimulierenden Berührungen seiner erogenen Haut. Er kann sich gut in Sorels Entzugs-Notlage hineinversetzen.

»Tja!, deine Süße ist nicht erreichbar. Ich übernehme ihre Rolle.«

Ein Fingernagel schabte in sanften kreisenden Bewegungen über Sorels bebenden linken Oberarm. Er stöhnte vor Wonne.

»Du weißt, was das bedeutet?«, flüsterte Lennard. Der Overall rutschte herunter, der Slip folgte.

»Ich befinde mich in Phase drei des Weckens«, er keuchte es heraus.

Lennard hielt ihm die Kukulle entgegen. »Das ist unser Liebesnest.«

Sie legten es hinter den Schreibtisch.

»Was werden unsere Weiber dazu sagen?« Mit geschmeidigen Bewegungen ließ sich Sorel auf die Kukulle nieder.

»Hauptsache es hat Spaß gemacht«, scherzte Lennard, er gesellte sich zum Freund. Schmunzelnd fügte er an: »Was auch immer ich mit dir mache, nimm es nicht persönlich. Ich will dich nur in die Phase vier bringen. Bevor du dann in die Phase fünf kommst, müssen wir das Cybord Biest eliminiert haben. Abzüglich der zur Umkehr benötigten Zeit verbleibt uns maximal eine Stunde bis zur nächsten Phase. Das ist Urst knapp, aber wenn du dir das Biest holen willst«, – Sorel nickte an der Stelle –, »müssen wir unsere Sexualorientierung kurzzeitig anders definieren.«

Lennard drückte ihm einen vereinnahmenden Kuss auf die vor Pein bebenden Lippen. »Schließ die Augen und stelle dir vor: Sophie liegt bei dir und fummelt an dir herum.«

»Aye«, seine flache Stimme verschluckte ein fiebriges Beben.

Kühle Hände legten sich sachte auf Sorels Brust. Sie glitten behutsam kreisend über seinen brunftigen, nach Berührungen schreienden Leib. Sorels Finger krallten Lusterfüllt in der Kukulle, aber er wagte nicht, den Schwager zu berühren.

Sein verklemmtes Verhalten reizte Lennard, er wollte, wenn er schon als Ersatz dient, auch Spaß haben. Und den bekam Lennard sogleich, ein Gedankenstrich genügte und er hatte sich in die Gedanken von Sorel eingeklinkt. Die übermittelten Erinnerungen ließen den Schwager mitfühlen, wie Lennard den Beginn der Sinne herausfordernden zweiten Pubertätsphase mit Cara erlebte. Sorel entriss es einen verzückten Schrei. Überwältigt von den angenehmen Gefühlen ließ er sich auf den fremden Sinnenrausch ein. … Sie berührten sich begierig wie zwei Liebende. … Stöhnen und ächzen gurgelte den Kehlen empor. Sie gaben sich den Gefühlen hin. … Schniefendes Japsen. … Unvermittelt sah Sorel vorm inneren Auge, wie er einst Sophie dabei half. Ihre gemeinsamen lustvollen Empfindungen ließen seine Gefühle auf der Haut explodieren. Zwei erlösende Schreie, er hatte unbewusst auch Lennard zum Höhepunkt verholfen. Über ihre Kehlen schoss synchron verzücktes keuchen und über Sorels Leib rollte ein Feuersturm, der ist der Auftakt zu Phase vier des Weckens. Ab hier musste Lennard improvisieren, der Freund hat aktive Lingam Blockaden.

Ein Schmerzensschrei raste über Sorels Kehle, in seinen Unterleib verkrampfte es sich, er hielt die unruhigen Hände über den matten Lingam.

Lennard sprang auf und düste zum Einsatzkoffer, im selben Tempo ging es mit einem bestückten Amphispray zurück. In den Ampullen war je ein krampflösendes und ein kühlendes Mittel. Als er vor Sorel kniete, und den Amphispray an den Hals führte, schoss ein rasendes Stöhnen aus ihm.

»Drück endlich ab!«, Sorels zappeligen Finger suchten den Sprühknopf. Lennard kam ihm zuvor.

So wie sich über und unter seiner Haut ein feiner Sprühnebel ergoss, entwichen ihm erleichterte Atemzüge. Ein verlegener Blick folgte. »Danke«, hauchte er.

»Schon gut!« Lennard klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Warum hast du dir das echte Weckmittel geben lassen?«

Unwillkürlich zeigte Sorel das Lederarmband mit dem Impulsgeber. »Es war nicht wegen der Jagd, sondern«, er schaute den Freund ins Gesicht, »weil das Cybord Biest solch ein Ding von Sophie gestohlen hat.«

»Wa–as?« Lennard entriss es ein finsteres Lachen. »Na prima!, das Ding ist quasi ein Generalschlüssel, damit gelangt der Cybord oder die Brut überallhin. Jetzt wird verständlich, wieso nichts mehr von unseren Brücken Transportmöglichkeiten funktioniert. Toll!, und ich Trottel habe auch noch unsere Unterstützung deaktiviert.«

Sorel zog eine Augenbraue hoch, er verstand offensichtlich den Wortlaut nicht.

»Ich habe, bevor wir uns das ruhige Plätzchen suchten, die Realität auf unsere ʺpseudoʺ Brücke geholt ...«

»Wo–ow Prima«, schmiss Sorel müde dazwischen.

»Wie du vorhin gesehen hast, sind außer Miss Burana und deine acht Kadetten keine Aufpasser mehr da«, er atmete einmal kurz durch, »Dein aktiviertes Abwehrsystem ...«

»Stella«, rief Sorel aufgebracht dazwischen, »ich hörte, bevor es hochfuhr, ihre Gedanken.«

»Und jetzt? Kannst du zu diesen entlaufenen Cybord mental Kontakt aufnehmen?«

Sorel holte schwermütig Luft. »Dafür muss sicher meine Abwehr unten sein?«

»Richtig!«

»Und wie geht das?«

»Durch unser kleines Intermezzo sind wir für immer mit einem mentalen Band verbunden.« Lennard umfasste an dieser Stelle Sorels Hand und lief mit ihm zur Tür. »Damit du dich voll und ganz auf Stella konzentrieren kannst, werde ich dein Abwehrsystem dauerhaft unterdrücken. Doch zuvor sehen wir nach, was die Crew für uns herausgefunden hat.«

Ein mentaler Gedankenstrich genügte und Sorels Abwehrsystem war von der Hautoberfläche verschwunden.

~

Sie fühlten sich abgekämpft wie nach einem Hahnenkampf. Gern hätten sie sich noch ein wenig emotional beruhigt, doch die Zeit drängte. Und bei dem bevorstehenden Brücken Auftritt war ihre äußere Erscheinung sowieso alles sagend. Sorel steckte wegen dem zerschnittenen Reißverschlusses bloß bis zu den Hüften im Overall, Lennard hatte es ihm kurzerhand nachgemacht, und die Stoffärmel hatten sie vorn zusammengebunden.

Bevor sie auf die Brücke gingen, testeten sie Sorels empathisches Gespür.

Sein Empfinden sagte vorher: Neun der verbliebenen Brückencrew stehen abseits vorm Hauptdisplay. Der zehnte – Matise steht unmittelbar neben der Tür vom Bereitschaftsraum.

Mit einem zuversichtlichen Lächeln, betraten sie die Hauptbrücke, vor ihnen her galoppierte eine fette Pheromon Wolke. Sie hielten sich an den Händen, und die von Schweiß durchdrängten blanken Oberkörper sowie die zerfledderten Haare ließen keinen Zweifel offen, was die beiden in den letzten zehn Minuten miteinander trieben.

Matise bekam die geballte Pheromon-Ladung ab. »Bo–or! Ist das schmalzig!«

Lennard warf Matise einen abgestandenen Blick zu. »Schmalzig?! Wir haben uns bloß für die Cybord Jagd aufgewärmt!« Er wuselte über Sorels Haare. »Wir haben, bis in unseren zweiten Offizier erneut das unbeherrschte Verlangen ausbricht, ein Zeitfenster von etwa zwanzig Minuten. Und wie ich Sorel einschätze, haben wir, bis dahin das Cybord Biest eliminiert.«

»Cybord Jagd. Zwanzig Minuten«, wiederholte Matise. Über sein Gesicht huschte ein Schmunzeln, »Du scherzt?« – Ein finsterer Blick traf ihn. – »Wir wissen nicht einmal, wo der entflohene Cybord steckt?«, motzte er.

»Das ändern wir mit unserem Plan B.« Indessen Lennard sprach, drehte er sich zum Schwager. »Bist du bereit?«

Obwohl sich alles in Sorel sträubte, nickte er.

»Wa–as?! Moment! Verstehe ich das richtig: Unser Zweiter ist dein Plan B?« Matise Worte peitschten heraus.

»Aye!« Lennard hob dabei Sorels Kopf. »Er ist zwar emotional angeschlagen, aber sein Verstand ist scharf.« Am Satzende drückte er dem Schwager einen Kuss auf die Lippen. »Bereit für die Jagd?«

Abermals nickte Sorel, im nächsten Moment setzte er sich im Schneidersitz auf den Fußboden.

Für Matise sah es aus, als wollte der Zweite meditieren. »Was wird das?«, flüsterte er Lennard zu.

Lennards Geste verdonnerte ihn zum Schweigen. –

Fünf Atemzüge später, ohne die Augenlider zu öffnen, schaute Sorel nach oben. »Ich habe sie«, der Ekel klebte an den Stimmenbändern.

~

Der entflohene Cybord Klon Stella Kama wurde von Sorels mentalen Kontakt überrascht. Die Schrecksekunde nutzte er, um in einem anderen Winkel ihres Gehirns eine weitere mentale Verbindung unbemerkt anzuzapfen. Er sah jetzt mit ihren Augen und fühlte gleichzeitig ihre düsteren Pläne. Seine überwältigten Gedanken strömten erschrocken aus ihm: »Das Biest ist im Raum vom Haupt-Citraa. Sie greift auf die einzelnen Befehlsebenen zu. … Jetzt hat sie uns vom Rest abgetrennt.« Sein Mund öffnete sich, für einige Atemzüge machten die Lippen Kaubewegungen, er Flehmt. Damit witterte er das Biest. Unvermittelt fletschte Sorel die Zähne. »Sie will uns drei!«, fauchte er. Im selben Moment fühlte er, wie unverdauter Zorn in seiner Kehle emporstieg. Davon aufgeschreckt erhob er sich ruckartig. »Soweit lasse ich es nicht kommen!«

Die Worte ließen Lennard scharf Luft holen. Binnen dieses Atemzuges schossen im Geist Bilder hervor, die alle Details seiner Folter widerspiegelten. Jede einzelne Bildfrequenz härtete seinen Willen. »Die Kreatur gehört uns!«, brüllten seine stahlharten Stimmbänder. »Kannst du sehen, wo sie sich jetzt herumtreibt?«

Ein knurriges Stöhnen war Sorels Antwort.

Lennard mutmaßte: weil er es zutiefst ablehnt, wird es ein schwieriges Unterfangen.

Ein Brummen bestätigte seine Vermutung.

»Verflixt es kommt mir so vor, als ob das Biest von irgendetwas abgeschirmt wird.«

»Abgeschirmt?«, wiederholte Matise, er lief gerade drei Schritte auf die beiden zu. Urplötzlich machte er auf der Hacke kehrt und lief gedankenversunken zu seinem Citraa Terminal. Indessen die Finger auf der virtuellen Tastatur Platz nahmen, sprach er: »Ihre letzte Position war beim Haupt-Citraa ...«, mitten im Satz hob er den Kopf, »Kadetten, was habt ihr über die Wartungsröhren herausbekommen.«

Ein schwarzhaariger Kadett, mit Standard Vulkan Frisur, lugte über die Reling. »Moment, wir schicken es. … Wu–ups!« Unübersichtliches Wirrwarr mit Wartungsröhren und Wartungsschächten übersäte das Hauptdisplay. »Das haben wir gleich ...«, abrupt versandete die Stimme. Die Fingergeschwindigkeit auf der Tastatur verlangte alle Aufmerksamkeit. Zwischen den getippten Befehlen machten die Finger winzige Pausen, die nutzten die Stimmbänder: »Das – sieht – schon – besser aus.«

Parallel wurde auf dem Hauptdisplay der Verlegungsplan mit je einer grünen, etliche grauen und zwei gelben Wartungsröhren angezeigt. Eine Röhre, in Grün dargestellt, führte vom Haupt-Citraa direkt zur Brücke. In dieser waren jedoch an markanten Stellen aktive Schutzfelder hochgefahren. Mit anderen grünen Röhren, die zur Brücke führten, sah es ähnlich aus. Hektisch suchte er weiter.

Sorel saß jetzt an seinem Terminal, er zog sich ebenfalls den Plan aufs Display und dabei sah er flüchtig zu Burana. »Nimm dir die Gelben vor. Matise nimmst du die Grauen?«

»Bin schon dabei«, kamen umgehend die Antworten.

»Kadis!«, rief Sorel.

»Ja Boss«, antworteten sie im Chor.

»Ihr positioniert alle I P S von unserem Bereich beim Haupt-Citraa. Ich übernehme sie dann.«

Zeitgleich mit den verteilten Arbeiten, sahen Lennard und Matise gebannt auf das virtuelle Display am Captains Terminal.

Lennards Blick verfolgte die gelben T-1 Wartungsröhren. Matise nahm sich die mit grau hinterlegten Röhren vor. Dabei lenkte er sein Augenmerk auf den Raum vom Haupt-Citraa. Darunter liegen Entsorgungsschächte, sie haben die Bezeichnung C4. In die gelangt man über eine Bodenklappe. Verfolgt man sie abwärts, kommt man in einen Entsorgungstrakt. Und aufsteigend teilt sich der C4 in drei Röhren. Sie endeten alle an unterschiedlichen Orten der separaten Brücke.

»Schlupflöcher gefunden!«, rief ein Kadett mit aufgebrachter Stimme.

»Die genaue Bezeichnung«, forderte Matise.

Synchron zu der Antwort tippte Sorel die Röhrensystem-Nummern ein. Signale zeigten auf dem Brücken Hauptdisplay an, dass die winzigen I P S im Gruppenverband zu den geforderten Positionen flogen. … Zunächst übertrugen die I P S Thermosensoren nur Dunkelheit. Von jetzt auf hier tauchten Bildfetzen auf. Der voran schwebender I P S ortete eine bewegliche und organische Wärmequelle. Einer hungrigen Meute gleich, folgten die restlichen I P S der Wärmequelle. Je näher sie kamen, um so schärfer erschien das Bild auf dem Hauptdisplay.

»Stella Kama!? Sorel das ist ja deine Gefährtin«, rief Matise überrascht.

»Nein ist sie nicht!!«, spie Sorel empört zurück.

»Seht!«, forderte ein Kadett, »Die Röhre endet im Entsorgungstrakt vor unserem Liegeplatz im Vallum Trockendock.«

»Im Abfall versteckt sie sich! Ja!, dort gehört dieser Abschaum hin«, knurrte Sorel. – Und noch bevor die letzte Silbe verhallte, schlüpfte dieser Abschaum in einen der unzähligen Container.

»Citraa!, die echte Sicherheit«, forderte Sorels kühle Stimme.

Als nichts geschah, blickte er zu Burana, sie beauftragte er zuvor mit der Kontaktaufnahme.

Sie schüttelte mit dem Kopf.

»Und mental?«, warf Lennard dazwischen.

»Negativ«, antwortete es aus allen verbleibenden Kehlen.

Lennard sah Sorel an. »Und du?«

»Ich empfange nach wie vor die Gedanken des Cybord Klons.«

Als er es sagte, kroch dieser Stella Verschnitt, wieder aus dem Container. Sie lief geradewegs auf die C4 Röhre zu. Sorel beorderte gleichlaufend einige I P S näher zu ihr heran.

Bevor die Brückencrew sehen konnte, ob der Cybord bewaffnet war, bemerkte sie die fliegenden Augen. Im selben Augenblick schleuderte sie eine undefinierbare Masse auf die I P S. Augenblicklich erloschen ihre Bilder auf dem Hauptdisplay. Die verbleibenden I P S Signale reichten gerade noch, um diesen Klon Stella als wandernden Punkt darzustellen.

Eine Hand von Matise zeigte darauf. »In diesem Tempo wird sie bald auf der Brücke sein.«

Die Kadetten drohten der Gefahr mit Fäusten.

»Dieses Biest, es soll nur kommen«, frohlockte der breitschultrige.

Ihr Ausbilder Sorel sah in die aufgebrachte Runde. »Nichts da! Die Sicherheit der angehenden Brückencrew geht vor. Das hier!, ist Captain Minn's und mein Jagdgebiet.«

»Alle Mann runter von der Brücke«, Lennards Tonfall ließ keinen Spielraum für Verhandlungen, »zum echten Sicherheitsteam vordringen. Meldung erstatten!«

Wenige Sekunden später standen sie am anderen Ende der Hauptbrücke vor einer in die Wand eingelassenen hüfthohen Schiebetür. Als sie das Metall Ding aufschieben wollten, verklemmte es. Der schmale Eingang wurde unpassierbar. Matise versetzte der Tür einen Tritt, sie sprang etwas hoch und er steckte die Stiefelspitze dazwischen. »Aushebeln!«

Kraftvolle Kadetten Hände beseitigten das Hindernis.

Ein breiter, niedriger Schacht führte ins Dunkle. Matise sah hinein. »Ist jemand dabei, der an einer Phobie leidet.«

»Nein Sire«, erklang es aus allen Kehlen.

»Dann folgt mir.«

Über eine Schleuse gelangte Matise in die mannshohe, kugelige und enge Rettungskapsel. Bewegungssensoren schalteten grelles Licht an. Mit vorgehaltener Hand lief Matise zu einem an der Wand angebrachten Piktogramm, es zeigte eine Fluchtröhre. Der dazu gehörige handgroße Notbutton befand sich unmittelbar daneben, er schlug kraftvoll drauf. Die knapp unter der Kapsel Decke angebrachte Luke sprang ächzend auf. Eine Strickleiter rollte heraus. An einer Sprosse, auf Kopfhöhe, war eine Metallplatte mit Wegplan angebracht.

»In der Röhre haltet euch links«, Matise Augenmerk lag auf den Wegplan, »An der ersten Gablung robbt ihr geradeaus weiter, bis ihr auf den Röhrenboden ein – X – seht, das ist eine Notluke zum darunter gelegenen Observatorium. Ein Fußtritt genügt zum Luke öffnen. Viel Glück.«

Er trat beiseite und in Windeseile kletterten Burana und die Kadetten über die Steigleiter in die Röhre. Sobald der letzte von denen die ersten Sprossen emporstieg, kroch Matise zur Brücke.

»Du traust dich wohl nicht durch die dunkle Röhre?«, spöttelte Lennard mit spitzer Zunge.

»Drei stahlharte Kerle sind besser als zwei!«, zu der Kampfansage vollführten seine Fäuste ungeduldige Luftschläge.

»Du!?« Lennard war sich uneins ob Matise mit dem, was gerade in ihm erwacht, umgehen kann. »Du willst gegen dieses unberechenbare Cybord Biest antreten!?«

Matise bekam es prompt in den falschen Hals. »Kanalratten, wie man uns Untergrundkämpfer nennt, werden mit allem fertig …«

Während die beiden munter weiter mit Worten fochten, lief Sorel zurück auf die Hauptbrücke. Sein Augenmerk galt dem Wandernden Punkt auf dem Hauptdisplay. Zu seiner Beruhigung bewegt sich dieser nunmehr sehr langsam in ihre Richtung.

»Wir sollten Barrikaden bauen.« Seine Worte verhallten ungehört. An seinem sauren Minenspiel war zuerkennen, er ist dem Wortgemetzel überdrüssig. »Es reicht!«, brüllte Sorel aus Leibeskräften dazwischen. »Wenn ihr Worthelden überleben wollt, müsst ihr Barrikaden bauen. Und wenn nicht, verfasst in Stille euer Testament.«

Augenblicklich schwiegen die Rivalen.

»Seht!« Sorels Hand zeigte zum Hauptdisplay.

Ohne ein Wort der Erklärung half Lennard mit beim Sessel Stapeln. Matise eilte in den Bereitschaftsraum, dort hoffte er, den vergessenen Werkzeugkoffer der Techniker vorzufinden. Wie erwartet stand der neben dem Waschbeckenunterschrank. Er schnappte sich die drei obendrauf liegenden Akkuschrauber. Unbewusst hielt er die Geräte wie kleinkalibrige Handphaser in den Händen.

»Nur gut, dass es Lennard auf der Oberbrücke nicht sehen konnte, sonst würde auf der Stelle ein neues Geplänkel vom Zaun brechen«, dachte Sorel, als Matise zurückkam.

»Super! Damit geht es schneller.«

»Lennard!, willst du auch einen haben?«, rief Matise schon von weiten.

»Ja!, wirf ihn bitte hoch. Hier gibt es noch eine Menge verwertbares Zeug.«

~

Währenddessen Matise und Sorel die letzte Barrikade auf Festigkeit überprüften, sah Lennard aufs Hauptdisplay.

»Da stimmt was nicht!«

Sie unterbrachen den Kontrollgang und stierten gebannt auf den jetzt verharrenden Punkt. Der erinnerte sie an ein lauerndes Raubtier, dieser Vergleich ließ ein ungutes Gefühl aufkeimen.

Sie, die Shumerer Menschen, die es gewohnt sind mit ihren Instinkten umzugehen, ahnten arges. Matise hingegen überkam bei dem lauernden Anblick ein Galgenhumor.

»Sie gönnt uns noch etwas Ruhe vor dem Sturm.«

»Hah! – Von wegen! Sie ruft die Brut!«, knurrte Sorel, er blickte dabei besorgt zum hinteren Teil der Hauptbrücke, »... Wir sollten uns sofort verschanzen.«

Sie bezogen hinter ihren Barrikaden Stellung.

»Also dann!«, forderte Lennard, »Rufe den Klon Stella, damit wir sie zur Strecke bringen.«

Bevor Sorel dem nachkam, hielt er kurz inne, dann verfolgte er gedanklich ihre mentale Spur. Als sie ihm wahrnahm, stöhnte er gequält auf. »In ihr sprengte eine Kapsel, sie enthielt eine Substanz, die sie zur Kampfmaschine macht ...«, an der Stelle nahm der Stella Klon mentalen Kontakt zu ihm auf, schlagartig war seine eben noch distanzierte Mimik von abgrundtiefem Hass erfüllt.

Ihre mentale Ausstrahlung war jetzt so stark, dass selbst Matise und Lennard es spürten. Weil Matise aber mit solcherlei mentalen Empfindungen nicht umzugehen vermochte, schwanden seine Sinne. Lennard hechtete zu ihm. Als er den Mitstreiter mental wecken wollte, streifte ihn der Schatten einer Begebenheit, die über zwei Jahre zurücklag: ›… Matise hatte damals auch ein ahnendes Gefühl. Es kam ihm so vor, als empfängt er einen Hilferuf seiner Freundin. Umgehend Kontaktierte er sie. … Außer dem Rufzeichen war da nichts!

Erst nach Stunden erfolgte ein Interface Rückruf eines vulkanischen Capter: ›... Ihre Anwesenheit ist hier dringend erforderlich.‹

Spät in der Nacht stand Matise auf seiner Heimat Kanalinsel Jersey – in St. John an einem Schalter vom U P C Polizeirevier. Ein kaltschnäuziger und sichtbar genervter Capter teilte mit: ›Diebe haben aus ihrer Wohnung die gesamte Einrichtung entwendet. Lediglich einen Butler Aiws, welcher auf den Namen Flex hört, ließen sie zurück. Der Aiws habe sie darüber informiert, er sei in einer desolaten Verfassung.‹

Erst nach mehrmaligen bitten erfuhr Matise den etwaigen Tathergang.

die Einbrecher, darunter seine Freundin, gingen äußerst dilettantisch vor. In ihrer Habgier übersahen sie eine Winzigkeit. – Flex! –

Der alte Knabe ging wie allabendlich in seine turnusmäßige Selbstdiagnosephase. Und kaum das er regungslos in dem Wartungsalkoven stand, sahnte die Diebesbande alles ab. Jedoch vergaßen sie, dass Flex zur Kontrolle stets die I P S (fliegenden Augen) im und um das Appeldoms Anwesen aktiviert.

Die Freundin war zunächst nicht auffindbar.

Durch einen glücklichen Umstand hat die Fahndung dann doch gefruchtet. In der darauffolgenden Nacht wurden die Capter zu einem Zwischenfall gerufen. Ein anonymer Anrufer hatte gemeldet, dass am Straßenrand etwas brennt.

Es waren Leichenteile. Äußerlich gesehen gehörten die zu seiner Freundin, jedoch das Innere war kybernetisch. Die Todesursache begründete sich in einem Schlaganfall. –

Von der echten Freundin, sowie all den persönlichen Kram fehlt noch immer jede Spur.

Dumpf stöhnend erwachte Matise.

Lennard weilte noch in den fremden Erinnerungssplittern. Ihm kam das mit dem Schlaganfall und der Todesursache der künstlichen Intelligenz seltsam bekannt vor. »Da war was?! – « Urplötzlich tauchte in diesem Zusammenhang in seinem Geist ein Name auf. »Mark mein Adoptivbruder«, flüsterte es über die Lippen.

Gerade als er das sagte, rief Sorel in einer erregten Stimme: »Sie kommt!«

Gespannt blickte das Trio zum Hauptdisplay. Hingegen ihren Erwartungen bewegte sich dort nichts, jedoch in der hintersten Brückenecke rumorte es.

»Sie benutzt die Rettungskapsel!«, schoss es flüsternd aus Matise.

»Verdammt!, da sind keine I P S.«

»Aber Cybords!«, zischte Sorel. Sein Blick war auf die soeben aus der Luke hechtende Stella Kama gerichtet. Für drei Atemzüge blieb sie regungslos liegen. Alles an ihr, abgesehen von dem nicht zur Bord Standard gehörenden metallfarbenen und hautengen Overall, sah an der gertenschlanken und dunkelhäutigen Schönheit inklusive des schulterlangen braunen Zopfes wie sonst aus. Doch als sie sich dann wieder regte und die Lider aufschlug, hatte sich ihre äußere Erscheinung verändert. Am auffälligsten sind dabei ihre spindeldürren Finger, anstelle von Fingernägeln hatte sie lange Krallen. Und wo bis eben noch vertrauen ausstrahlende Haselnuss braune Augen funkelten, sind jetzt unzählige Facetten, und anstelle von Pupillen gibt es glutrote Schlitze.

Matise schlich von hinten an sie heran, sein Augenmerk huschte für einen Lidschlag zu Stella, gleichzeitig stolperte eine Stiefelspitze über etwas. Den Sturz konnte er gerade noch abfangen, aber seine rechte Hand landete auf einen Terminal, die Finger berührten einen Button. Von jetzt auf hier erschien dicht über seinem Kopf eine kleine 3-D Puffersphere. Der Cybord schnellte herum und feuerte grelle Strahlen aus den Pupillenschlitzen. Als sie auf dem 3-D Abbild aufschlugen, kam es sofort zu einer Phasenverschiebung, mit einem lauten blop verschluckte es die Pixel der Puffersphere.

Dem Trio blieb der Atem weg. In der Schrecksekunde sondierten die Cybord Facetten Augen die Umgebung. (Die Facetten sind um die Pupillenschlitze verteilt.) Von jetzt auf hier schlich sie mit katzenhafter Geschmeidigkeit näher zur Brücken Mitte. Den Kopf bewegte sie dazu langsam hin und her.

Das Trio war sich sicher: ihre spitzen Ohren haben bereits von der Beute die Herzschläge geortet. Aber ihre vor Erregung zuckende Nase sagte: Ich habe keine Übereinstimmung gefunden.

Einen Schnüffler später wischte sie sich aufgebracht mit den schmalen Handrücken über die humanoid aussehende Nase. Es sah aus: als wenn sie irgendwelche ablenkende Gerüche wegwischt. Zwei kräftige Nieser entsorgten es. Und beim nächsten Atemzug schwenkte der Kopf zu Sorels Barrikade. Ihrer Kehle entsprang ein einladender Lockruf. –

Schlagartig gefror Sorels Gesicht zu einer leblosen Grimasse. Er hasste diese hypnotischen Silben abgrundtief. Bis vor Sophies Ankunft, wurde er so vom Cybord zum Speichelfüttern gerufen.

Durch das Weckmittel bist du immun gegen ihren Gesang und den Speichel. Hol sie dir!

Lennards mentale Stimme rüttelte Sorel wach. Unvermittelt ging er zu Boden und nahm die embryonale Haltung ein, seine Zunge schnalzte dabei unentwegt.

Sie antwortete auf derselben Art.

Sorel faltete sich langsam auseinander, und mit gesenktem Kopf stand er auf. Über seinen Lippen floss eine Art Silben-Sprechgesang.

Sie stimmte mit ein, und mit tänzelnden Schritten trat sie vor Sorel. Der Sprechgesang wurde schneller. Ihr Leib bebte, es sah aus, als wenn die schrägen Töne den Cybord in Ekstase versetzten.

Sorels Kopf schnellte hoch und sogleich schlichen sie eng umschlungen umeinander. … Mit einem Male blieben sie stehen und sie stülpte ihre Lippen über Sorels. –

Er sprach daraufhin mit klaren Worten in Lennards Geist: »Es will nur uns töten. An Matise hat sie kein Interesse. … Sag ihm, dass er sie bedenkenlos eliminieren kann. Es ist nur ein Duplikat!«

Genauso schnell, wie sie an Sorel klebte, löste sie sich wieder von ihm, und stattdessen schlichen sie wieder umeinander. … Einen viertel Liebesreigen später, lugte Matise aus seinem Versteck hervor. Sie fummelten aneinander herum. Der Cybord grapschte begehrlich mit den Krallen an Sorels Schritt. Er ließ es ohne Gefühlsregungen geschehen.

Matise stellte sich vor, an Sorels Stelle zu sein, ein Ekelgefühl rauschte über ihn hinweg. Er musste den Freund schnellstens von dieser Brut befreien. Nur wie? Sein Blick huschte über die Hauptbrücke. … »Ja!, das geht!«, sprach er zu sich.

Nicht all zu weit entfernt stand ein Werkzeugkoffer. Weil stets und ständig hier was wackelt, und die Techniker selbst nach mehrfachen Bitten keine Abhilfe schafften, legt die Brückencrew selber Hand an. Matise brauchte erst kürzlich einen langen Schraubendreher. Er robbte wie der geölte Blitz dorthin und griff Blindlings ins unterste Kofferfach. Ein kurzer messender Blick folgte. Sein Fokus wechselte vom Dreher zum Cybord Profil. »Könnte knapp werden«, flüsterte er sich in Gedanken zu. Am Satzende lag er Bauchseitig auf den Deckboden, den Dreher hatte er quer zwischen die Zahnreihen gesteckt. Nonstop robbte er zur Barrikade. … Und als er sich dahinter für den Angriff aufgerappelt hatte, stand Sorel mit dem Rücken zu ihm. »Dreh sie zu mir

Fast zeitgleich zu seinem Gedanken kam Sorel der Aufforderung nach. Im nächsten Augenblick sprang Matise wie ein Bulle, der nur noch rot sieht, auf den Klon Stella zu und rammte ihr den Schraubenzieher bis zum Schlag ins Kreuz. Sein Schwung war so gigantisch das er aalglatt und ungebremst durch ihr ansonsten widerstandsfähiges künstliches Fleisch sowie eine ihrer Rippen durchstieß, und erst im positronischen Herzen kam die Waffe zum stehen. –

Stinkendes kybernetisches Öl quoll aus der Einstichstelle, instinktiv ließ Matise den Griff los und sprang beiseite.

Der Cybord erstarrte, zeitgleich schoss aus der Einstichstelle ein Energiestrahl. Zischend schlug er auf die Barrikade von Matise ein, um Haaresbreite verfehlte es ihm. Am Einschlagpunkt entstand sofort ein Dimensionsriss, dahinein saugte es das Aufgestapelte. … Bevor die Cybord Augen starben, verschwand der Riss.

»Was zur Hölle war das?«, schrie Matise, er zeigte auf das am Boden liegende.

Sorel lachte bei der Frage dunkel, er teilte bis vor kurzem mit dem original Klon weit mehr als nur das Quartier. »Das war definitiv nicht meine Gefährtin.« – Lennard klopfte ihn mitfühlend auf die Schulter. – »Das vor uns liegende ist eine Cybord Kreatur der neuen Generation. Eine ihrer Spezialitäten sind Energiestrahlen, mit denen kann sie einen Übergang zu einer anderen Dimension öffnen«, in Sorels Tonfall lag ein Frösteln, »... Und wo eine ist, sind meist noch mehr.«

Auf die Feststellung hatte das nächste Biest anscheinend gewartet. Furchterregend fauchend machte es auf sich aufmerksam. Wie das Erste kam es aus dem Zugang der Rettungskapsel. Und im nächsten Moment schoss es durch die Verbindungsröhre. Punktgenau landete es auf dem Brückenboden vor der hüfthohen Luke. Ihre aufrecht stehende Gestalt glich exakt, der zuvor eliminierten Stella Kama.

Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin hing sie an einen fetten Strang aus Silber Schlieren, und sie wusste sofort, wo sich die Beute versteckt. Sie setzte zum Sprung an, jählings starb die Anspannung. Ihr Kopf schoss herum, im Fokus lag das am Deckboden liegende Ebenbild. Ein heulender Laut brodelte über ihre Lefzen, und in die angespannte Arm Muskulatur kam Bewegung. Ihre Facetten schwenkten zu Sorel, im selben Moment spitzte sie die Lippen und feuerte eine Speichel Salve auf ihn.

Sorel konnte gerade noch ausweichen, jedoch irgendetwas an ihm zog den Speichel magisch an. Jeder einzelne Tropfen regnete auf ihn nieder und wo sie aufschlugen, wurde das fein gewebte Gitter sichtbar, es umspannte den gesamten Körper. Aus jeder Verästelung wuchsen in rasender Geschwindigkeit Unmengen silbrig schillernde Fäden. In ebendiesem Tempo hoben sie vom Gespinst ab, und in der Luft formatierten sie sich zu einem faustdicken Strang, dieser Zyklus wiederholte sich stetig.

Der Strang hangelte indessen in Richtung Cybord Klon, der den Schraubenzieher im Kreuz hatte.

Blankes Entsetzen lag in Lennards Gesicht. –

Der zweite Cybord Klon stand mit den Rücken zu Matise. Ein knapper Meter trennte sie voneinander. In den Händen hielt er ein Sesselunterteil. Er holte Schwung und raste auf sie zu. Sie drehte sich um, im selben Moment bretterte das Sesselunterteil in ihre Brust. Sie kippte nach hinten weg und blieb regungslos liegen, ihre Pupillenschlitze flackerten kurz, dann glimmten sie nur noch.

»Ja–a«, jubelte Matise. »Die ist erledigt.«

Lennard flitzte zu Sorel, dabei kam er an beiden Cybords vorbei.

»Negativ! Ich empfange von beiden kräftige Schwingungen. Entweder checken die Biester bloß ihr System oder sie warten darauf, dass wir sie aus dem Weg räumen wollen.« Er wandte sich zum Schwager um. Der blickte ihn müde an. »Vertrau deiner Kalab«, flüsterte Lennard in Gälisch.

Die Augenlider klappten zu.

Matise trat heran. »Soll ich ihn mit raus buhlen?«

»Oh nein nein. Berühre nicht das Gespinst.«

»Was ist mit ihm?«

Seine Kalab – sein Grips – legte ihm in eine Art Starre, damit ihm die Fäden nicht allzu viel an Lebensenergie abziehen.« Lennards Stimme hörte sich abwesend an, er stierte auf dem vor ihm schlängelnden Strang. Er berührte Sorels Haut, somit trug er auch den Cybord Marker. Diese Tatsache bescherte ihm düstere Erinnerungen. Von Einsätzen wusste er: Sobald der Strang sich mit dem Cybord Klon verbindet, saugt er dem Opfer sämtliche Lebensenergie ab. Ohne den Blick von der Gefahr zu nehmen, befahl er: »Matise hol das Pogna cor und die Kukulle. Wirf sie dir über.«

~

Von den beiden unbemerkt war der Cybord mit dem Schraubenzieher im Kreuz erwacht. Erst als sie sich bewegte, geriet sie in Lennards Blickwinkel. Schlagartig fröstelte ihm, sein defektes körpereigenes Abwehrsystem fuhr hoch. Im lahmen Tempo kroch Raureif über ihn hinweg. Bevor es ihm vollständig bedeckte, hatte sich der Cybord aufgerappelt. Sie wandte sich um und schleuderte mehrere Speichel Ladungen in Lennards Richtung.

In dem Moment, als sie es abfeuerte, erreichte Matise den Captain. Geistesgegenwärtig schmiss er die Kukulle über den Mitstreiter. Der Speichel prallte unverrichteter Dinge ab. Schmatzend landete er davor auf den Deckboden. Im nächsten Moment erhoben sich die explosionsartig verstreuten Partikel. Einen Herzschlag später lag ein Summen in der Luft. Die Teilchen Formatierten sich zu dutzenden Röhren, und wie Wirbelsturmtrichter fegten sie auf Lennards Stiefel zu. Sobald sie die ungeschützten Sohlen berührten, saugten sie zuerst von den Edos (sie bildeten Lennards Stiefelschaft) die Lebensenergie ab und dann von ihm. Sein Atem reichte bloß für einen erstickenden Laut. Auch seine Kalab legte über ihn die Starre. Auf ihm wurde ein fein gewebtes Gitter sichtbar.

Reflexhaft sprang Matise beiseite, und nachdem er die Schrecksekunde überwand, klügelte er einen Plan C aus. Der jedoch nicht leicht umzusetzen war, denn seine schmale Gestalt ging in der Kukulle unter, und die wuchtige Kapuze nahm ihm die Sicht. Kurzum er empfand die Kleidung als äußerst unpraktisch, aber irgendein Bauchgefühl sagte ihm: Du sollst es nicht ohne Grund tragen.

Dass seine Vermutung stimmt, merkte er sofort. Denn das, was wie ein massiger Berg von uraltem Faltenstoff aussah, wurde mit jedem weiteren Herzschlag lebendiger. Und es kommunizierte sogar mit ihm: Eine Stimme sagte in seinen Gedanken: ›Die Kukullen Gemeinschaft übernimmt das Sehen für dich.

Vorsichtig kam er dem nach. … Nach wenigen Schritten hatte er zu dem vermittelten Sehgefühl Vertrauen. Davon ermutigt feilte er den Plan C zurecht, wie er am effektivsten den Cybord ausknocken könnte.

Allerdings berücksichtigte er, wie Lennard zuvor, einen Punkt nicht: In der Kukulle haften Pheromone eines Shumerer. Und der weckt den Cybord Selbsterhaltungstrieb. In Matise sah sie den Feind. Mit Speichel Salven wollte sie ihm auf Distanz halten, jedoch die schleimige Materie blätterte unverrichteter Dinge von der Kukulle.

Ihre Rückschläge beflügelten sein Selbstwertgefühl. Er schnappte sich von der Barrikade zu seiner linken einen metallischen Gegenstand und vermöbelte den Cybord.

Seine gezielten Angriffe begleiteten drohende Worte: »Wenn du mich willst, musst du mit mir Kämpfen.«

Sie nahm den Vorschlag an. Augenblicklich lieferte sich der Cybord mit Matise auf der Oberbrücke einen gnadenlosen Kampf. ...

~ ~

(Matise hatte, was nur wenige wussten, in der Freizeit zusammen mit Sorel regelmäßig Kampfkunst trainiert. Und jetzt hielt er mit Leichtigkeit den Cybord Klon mit allem, was er greifen konnte, auf Trab.

Dass sie womöglich nur mit ihm spielt, zog er nicht in Betracht. Insgeheim genoss sie, wie seine Kräfte mit jedem Hieb weiter schwanden.)

~ ~

Von beiden ungesehen erwachte Lennard aus der Starre. Instinktiv streckte er die Hände nach dem nur wenige Meter neben ihm liegenden Korpus seines Pogna cor. … Es schoss auf ihn zu, und als er die steifen Hände im Handschutz hatte, bekam er vom Korpus – dem lebendigen Halittar – eine Portion Lebensenergie.

Während er hinter einer zusammengestürzten Barrikade genährt wurde, verlagerte das kämpfende Knäuel – Matise und der Cybord – die ungleiche Auseinandersetzung auf den Steg, der hinunter zur Hauptbrücke führt.

Lennards Augenmerk schwenkte von den Kämpfenden zum Hauptdisplay. Der rote Punkt bewegte sich nicht einen Millimeter, und seine Größe hatte stark abgenommen. Das war also der echte Cybord Klon Stella. Und der Größenschwund bedeutet, sie nährt ihre Abbilder. Womit sie es tat, ahnte Lennard, als er zu der am Boden liegenden Cybord Brut schaute. Die Taue pulsierten! Auf dieser Art übertrug der Stella-Verschnitt Lebensenergie.

»Es dauert nicht lange und die Kampfunfähige Cybord Brut hat sich repariert«, flüsterte sich Lennard zu. In den Gedanken raunte es, er lauschte. ›Willst du die Cybord Bestie endgültig eliminieren, musst du die nährenden silbernen Taue mit dem Pogna cor durchtrennen‹, suggerierte seine Kalab.

Hitzig und ohne den Rest der Kalab Eingebung abzuwarten, hechtete Lennard todesmutig auf die silbrigen Taue zu. Sein Pogna cor durchtrennte das Tau und den Cybord in einem Rutsch. Die dabei freigesetzte Fremdenergie prallte ungefiltert auf ihn. Er schrie qualvoll. Der Rückstoß katapultierte ihn bis knapp unter die Decke. In einem Energieblitz gehüllt krachte er auf den Deckboden, er blieb regungslos liegen.

Das Rumpeln lenkte die kämpfenden in Lennards Richtung, und der Cybord feuerte jetzt stetig Speichel Salven auf ihn ab. Sie erreichten ihr Ziel noch nicht, allerdings mit jedem gesetzten Schritt nahm die Gefahr für Lennard zu. Das Eisenrohr eines Sessels in Matise Armen nahm Anlauf, und rums bretterte es auf den Cybord Oberschenkel, für einen flüchtigen Moment war sie Bewegungsunfähig. Matise sprang vor Lennard.

»Schütze deinen Meister«, raunte er der Kukulle zu.

Wie von Geisterhand stülpte sich das hintere Ende über Matise und Lennard. Das Kukullen Schutzschild schränkte Matise Bewegungsfreiheit erheblich ein, trotzdem setzte er unvermindert seinen Kampf mit den Fäusten fort. Beim nächsten Treffer brauchte der Cybord einige Sekunden, bevor sie ihm, einen Gegenschlag versetzen konnte. In Matise Augen sah es aus, als hätte er endlich den schwachen Punkt vom Cybord entdeckt. Um ganz sicherzugehen, versetzte er ihr nochmals einen Hieb zwischen Nase und Augen. Der Gegenschlag blieb aus. Matise sah sich schon als Sieger. Bevor er ihr den entscheidenden Hieb versetzte, schwenkten die Augen für einen Lidschlag auf die schmerzende Faust, als er wieder aufblickte, riss sie ihm die Kukullen Kapuze vom Kopf. Reflexhaft versetzte er ihr einen Hieb, sodass sie auf einer intakten Citraa-Konsole landete. Mit letzter Kraft schmiss sie ihm eine Speichelladung entgegen. Die Kukulle spaltete die Ladung. Ein Teil landete auf der intakten Citraa-Konsole. Der andere Teil überschwemmte den ungeschützten Kopf von Matise. Indessen sich die schleimige Materie wie ein Fangnetz über ihn ausbreitete, gab es in der getroffenen Citraa-Konsole einen Kurzschluss. Der sprang auf den daran anlehnenden, kraftlosen metallischen Cybord über. Bevor die Speichelladung Matise schachmatt setzte, sah er noch das die Augensensoren erloschen. Als er auf dem Deckboden aufschlug, flackerte das Brückenlicht. Eine Sekunde danach lag beklemmende Finsternis über der Brücke. Und auf dem Hauptdisplay leuchtete nur noch der rote Punkt, sein matter Schein sah wie ein untergehender Stern aus. Stille lag über dem Jagdgebiet.

~

Unter einem silbrigen Gespinst kämpfte sich ein schwaches Röcheln den Weg ins freie. Ein kräftiger Atemzug folgte. An der Oberseite bewegte sich das Gespinst. Fingernägel kratzten und zerrten daran. Angestrengtes Keuchen und im nächsten Moment riss das Gewebe der Länge nach auf und Sorel befreite sich daraus. Orientierungslos rappelte er sich auf und sortierte die Gedanken. Seine Mimik sagte: Ich fühle in der Nähe zwei intakte Menschen sowie zwei erloschene Lebensformen.

»Wo steckt der echte Klon?«, flüsterte er. Sein schwergängiger Blick wanderte aufs sterbende Hauptdisplay. Ein glimmender Punkt wurde angezeigt. »Bewegt er sich?« Die Antwort ging mit dem eben erloschenen Hauptdisplay unter. »Verdammt«, fluchte er ungehalten. Er lauschte in die schweigende Düsternis. … Außer den erschöpften Atemgeräuschen der beiden Captains war nichts zuhören.

Sorel wurde schwindelig. Ein schabendes Geräusch riss ihm aus der geistigen Dämmernis. Reflexhaft sprang er auf und suchte hinter der Barrikade zu seiner rechten Schutz. Er lauschte in sich hinein. Stella nahm er nur wie hinter dickem, milchigem Glas wahr.

»Sie spielt mit mir«, knurrte es über Sorels brennende Kehle. Seine spitzen Ohren tasteten wie Radarschirme die lichtlose Brücke ab. Für ihn – einem Empathen – ist die Düsternis kein Problem. Das lag vielmehr darin, er kann den Cybord Klon nicht genau orten. Sie musste folglich wieder in einer abschirmenden Röhre sein, und sie kann ihm und die leblosen Mitstreiter jederzeit angreifen.

Die auferlegte Ruhe vor dem Sturm nutzte er, um nach den beiden Verletzten Menschen zusehen. Neben Matise ging er in die Hocke. Wie er fühlte, fließt Matise Lebensschlag in den Adern zwar langsam dahin, aber sein Bauchgefühl sagte ihm: Lebensgefahr besteht nicht.

Einen Herzschlag später viel ihm was zur Kukulle ein: ›Solange der noch darin steckt, ist er in Gefahr. Mir jedoch bietet sie Schutz.

Sorel stülpte sie über.

Sie führte ihn, auf den kürzesten Weg, zu Lennard. Er beugte sich über den ohnmächtigen Freund. Auch seine Lebensenergie verharrt in der Starre. Er muss allein den Weg zurück ins Wachsein finden.

Sorel setzte sich neben Lennard und schmiedete einen Plan, wie er am effektivsten weiter vorgeht. Dazu brauchte er das Pogna cor, doch das steckte zusammen mit dem durchtrennten Tau im Deckboden. Beim herausziehen bekam er von der Kukulle mentale Unterstützung.

Mit geübten griff taxierte Sorel das Pogna cor. Es war um einiges schwerer als sein eigenes, der Handschutz war für seine Finger zu kurz, der Schaft zu breit. Kurzum damit umzugehen wird nicht leicht. Aber die Kommunikation zwischen ihm und den Lebewesen funktionierte. Und sie spendeten ihm sogar Lebensenergie.

Seine mentalen Empfindungen erstarkten, er hörte endlich die Gedanken der echten Cybord Klon Stella. Sie war auf den Weg zur Brücke. Aus taktischen Gründen blockierte er alle mentalen Empfindungen. Augenblicklich hielt ihm eine trügerische Finsternis fest in den Händen.

Die Kukullen Gemeinschaft bot ihre Hilfe an. Er nahm an, und sie führten ihn – ohne das er sich an Trümmerteilen stieß – zu der hüfthohen Luke, die zur Rettungskapsel führt. Rechts daneben blieb er stehen. Der Atem floss ruhig, bis ihm unvermittelt die Kukulle im Geist ansprach: ›Streife uns Lebewesen ab und werfe uns als Köder in die Verbindungsröhre der Rettungskapsel, damit dein pon le Duft zunächst unentdeckt bleibt.

Als er den Vorschlag nachkam, drückte es ihm das Herz in die Kehle. Ein hitziger Schauer stürzte über ihn hinweg, es fühlte sich wie freudige Erwartung an, die mit jeder weiteren verstrichenen Sekunde seine Wut auf den Cybord Klon Stella erhöhte. Und gerade als er sich in Gedanken ausmalte, wie er sie eliminiert, schabte es in der Röhre.

»Die Kukulle!«, frohlockte er in Gedanken. Er nahm hinter der offenstehenden Luke die Kampfposition ein.

Geräusche rollten auf ihn zu, sie schoss heraus und landete bauchseitig vor Sorels Füße. Seine Atemfrequenz sackte ins Bodenlose, in der Schrecksekunde war er unfähig sich zu bewegen.

Sie erhob sich geschmeidig, der Rücken zeigte zu Sorel. Er holte Schwung, und noch bevor sie das kaum wahrnehmbare Geräusch als zerschnittene Luft einordnen konnte, bretterte das Pogna cor in sie. Der exzellent geschliffene Stein glitt durch den metallischen Cybord Rumpf wie durch weiche Butter. Ihr oberer Rumpf haftete auf dem Pogna cor und indessen es sie damit quer über die Brücke katapultierte, drehte sie den Kopf in Sorels Richtung. Aus den Cybord Pupillenschlitzen lösten sich Energiestrahlen, sie schossen auf Sorel zu. Synchron mit dem Eintreffen riss ihn die Wucht des nicht ausbalancierten Hiebes nach hinten weg. Er landete unsanft auf einen harten und spitzen Gegenstand. Der Schmerz war überwältigend. –

~

Das Finale, den ungebremsten Cybord Rumpf Einschlag in der Wand, neben dem Steg, zeichnete der von der echten Sicherheit geschickte, eben aus der Luke fliegende I P S auf. –

Sekunden später fuhr auf der Oberbrücke die Lifttür ächzend auf. Gleichlaufend sprengte es Unmengen Fleischfetzen vom halbierten Cybord Klon, sie waren mit einer bräunlich grünen Flüssigkeit durchdrängt. Als sie rings um die Pogna cor Einschlagstelle aufschlugen, betraten ein Arzt, zwei Valpas sowie der Captain der Sicherheit Arun Potts die Oberbrücke.

In der Luft lag ein unangenehmer Gestank von verschmortem Fleisch und ausgelaufenem kybernetischen Öl.

»Visiere runter. Phaser entsichern und Ausschwärmen!«, befahl Arun mit emotionsgeladener Stimme.

Gleichlaufend durchschnitt aufgeregtes, rostiges Zwitschern die gespenstige Finsternis. Das muntere Geplapper entsprang ihren Stiefeln, das Material bestand aus Lebewesen, die zur Gattung Edos gehörten. Mit ihren zwitschern zeigten sie an: Hier gibt’s etwas das Lebt!

Sie verteilten sich über die gut erhaltene Oberbrücke.

»Unten, sucht unten«, forderte Doc Sergej.

Im Schein der Stirnleuchten offenbarte sich ihnen ein mit bräunlich-grüner Flüssigkeit verspritztes Schlachtfeld.

»Mütterchen Russland, was ist hier geschehen?«, polterte Doc Sergejs derbe und Respekt einflößende Stimme in alt Sumer mit stark russischem Akzent. »Und habt ihr was für mich.«

Der vorderste, Arun antwortete: »Ja Sir, auf sieben Uhr. Trägt einen Cybord Marker.«

Ein anderer verkündete: »Auf drei Uhr, ist markiert.«

In der Reihenfolge, wie die geborgenen Captains lagen, wurden sie zur Krankenstation portiert. Während sich Matise Atome in Portierstrahlen davonmachten, fragte Doc Sergej erneut: »Habt ihr noch einen fur mich.«

Arun, der inzwischen am anderen Ende der Hauptbrücke angelangte, rief mit überschlagender Stimme: »Ja Hier. Es ist Sire Gwen. Er blutet. Markiert.«

Im Laufschritt sprintete der Doc zu Sorel.

* *

Lennard und Matise erwachten alsbald aus der Ohnmacht. Ihre Scans ergaben: Außer starken Prellungen sowie Schnittwunden war alles in Ordnung. Sie konnten ohne Vorbehalt die Krankenstation verlassen. Und nachdem Kerun Peshk mit den Captains ein Gespräch führte, und sie nichts mehr für den dritten Mitstreiter tun konnten, portierten sie mit Cara auf Lennards Heimatplaneten Advenu.

Und Sorel? – Offiziell kursierte unter der echten Crew das Gerücht: Keruns Sohn kämpft im Heilschlaf ums Überleben.

* * *

BEYOND – Eine andere Wirklichkeit

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