Читать книгу In Love with an Outlaw - Talina Leandro - Страница 10

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1. Kapitel

Eliza

Wenige Monate zuvor.

Pavia, Norditalien, Februar 1994

Gelangweilt, ja beinahe hypnotisiert starre ich auf den Sekundenzeiger meiner Armbanduhr. Im Hörsaal ist es still. Nur das Gemurmel von Laura und Amalia in der hintersten Reihe ist zu hören.

Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Das Konzert am heutigen Abend spukt mir die ganze Zeit über durch den Kopf. Meine beste Freundin Paulina und ich haben die Karten für den Nirvana-Gig im Palatrussardi in Mailand vor einer Woche spontan von meiner Cousine Camilla abkaufen können, da sie sich beim Sport ein Bein gebrochen hat.

Paulina war gleich Feuer und Flamme. Sie steht total auf Krist Novoselic.

Ich für meinen Teil kann mich nicht entscheiden, ob ich Kurt Cobain oder Dave Grohl heißer finde, schließlich haben beide lange Haare – und das ist für mich das Nonplusultra.

Noch zwanzig Minuten bis zum Schluss. Paulina wartet bestimmt schon vor der Uni, um mich abzuholen. Ab und zu fahren wir zusammen nach Hause. Mit dem Bus dauert die Fahrt bis nach San Martino Siccomario nur eine knappe Viertelstunde. Früher sind wir die Strecke jeden Tag zusammen gefahren. Heute nur noch selten. Leider war Paulina so dumm, ihr Studium zu schmeißen … Sie wollte lieber schon Geld verdienen, um bald bei ihren Eltern auszuziehen. Seit ein paar Wochen kellnert sie nun in einem kleinen Bistro, weil es mit einem Ausbildungsplatz auf die Schnelle nicht geklappt hat. Aber das habe ich ihr ja schon vorher gesagt. Wer nicht hören will, muss eben fühlen. Doch Paulina steckt das gut weg. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass sie mit einer voreiligen Entscheidung auf die Schnauze fliegt.

Zum Glück bin ich da anders, bedachter, überlegter. Ich treffe keine Bauchentscheidungen. Bei mir siegt stets der Verstand – zumindest, wenn es um wichtige Dinge geht. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich mit 22 noch Jungfrau bin und der Männerwelt bisher die kalte Schulter gezeigt habe. Nicht, dass es keine Interessenten gegeben hätte. Paulina behauptet ja immer, ich wäre die nächste Cindy Crawford, weil ich in eine Kleidergröße 34 passe und mein Gesicht ganz nett anzusehen ist. Aber trotzdem sind mir die Liebesbriefe von irgendwelchen verpickelten Teenies aus der Unterklasse, die beinahe jede Woche im Schlitz meines Spinds hängen, lästig. Ich habe keinen Bock auf Männer, schon mal gar nicht auf Typen, die noch grün hinter den Ohren sind und ihre Schwänze mit einem Lineal vermessen, um herauszufinden, wer das rechtmäßige Alphatier der Uni-Gang ist. Auf unserem Campus tummeln sich verschiedene Gruppierungen: Die Nerds, die Punks, die Rapper, die Barbies, die unscheinbaren Normalos und Leute wie Toni und ich – die, die in keine Schublade passen. Böse Zungen nennen uns auch Außenseiter, weil Toni und ich undefinierbar sind. Kaum einer scheint mich hier zu verstehen. Dabei bin ich überhaupt nicht kompliziert. Ich will einfach nur studieren und eine gute Ärztin werden. Ich will weder cool sein, noch einer der Gangs angehören.

Für meinen Traum lerne ich ziemlich viel in meiner Freizeit. Sogar mein gesetzlicher Vormund, Paulinas Eltern, bezeichnen mich als Streberin. Meine eigentlichen Erzeuger? … Ein heikles Thema. Von Paulinas Eltern, die die beiden kannten, weiß ich nur so viel: Ich komme wohl aus ärmlichen Verhältnissen. Meine Eltern haben knapp hinter der italienischen Grenze in Frankreich gelebt, weswegen ich nicht Elisa, sondern Elizá heiße. Meine Mutter starb, als ich noch klein war und mein Vater soll sich totgesoffen haben. Aber da gibt es verschiedene Geschichten zu … Keine Ahnung … Vergessen wir es einfach. Ich habe keine Eltern. Ende.

Seit einigen Jahren wohne ich bei Paulina und ihren Eltern. Ich bin mit ihnen nach Italien gezogen, weil Paulinas Mama aus Mailand kommt und zurück in ihre Heimat wollte. Aber auch, wenn sie mich quasi großgezogen haben, sehe ich Gianni und Maria nicht als meine Eltern, sondern als freundschaftliche Lebensabschnittsbegleiter mit viel Erfahrung und einem stets offenen Ohr für mich an.

Mein Studium finanziere ich mir mit diversen Fotoaufträgen, bei denen ich modele. Paulina hat vor zwei Jahren einfach eine Bewerbung mit Bildern von mir an eine Agentur geschickt, ohne dass ich davon wusste. Zuerst war ich deswegen ziemlich sauer auf sie. Doch als der erste Auftrag über 250 Lire kam, war ich ihr dankbar. Seitdem ziehe ich regelmäßig Aufträge an Land, um mir mein Leben und das Studium zu finanzieren und Maria und Gianni nicht ständig auf der Tasche zu liegen. In der Uni sieht man allerdings nicht die Spur von meinen Modelqualitäten. Da bin ich einfach ich. Ganz leger und ich versuche nicht aufzufallen.

Der Professor schlägt sein Buch zu. Schon Schluss? Die letzten zwanzig Minuten muss ich wohl geträumt haben. Na, sei es drum. Schnell packe ich meine Sachen zusammen und schnappe mir meine Jacke. Ich kann es kaum erwarten von hier zu verschwinden.

Das Gemurmel im Hörsaal wird lauter, als alle ihre Taschen packen, sich von ihren Plätzen erheben und in Richtung Ausgang drängeln.

Hinter mir geht Caterina, eine hochnäsige Ziege, die ich vom ersten Tag an schon nicht leiden konnte, weil sie sich für etwas Besseres hält und mich für meinen Kleidungsstil kritisiert.

»Guckt mal, wie die heute wieder rumläuft«, kichert sie eingebildet. Sie hält sich wohl für etwas Besonderes, weil sie in der neusten Mailänder-Mode rumläuft. Zu welcher Gang sie gehört, wusste ich schon, bevor sie mir vorgestellt wurde.

Wahrscheinlich schleichen ihre Freundinnen, die Zwillinge Christina und Chiara wieder um sie herum und bestätigen sie in ihrem Barbie-Dasein. Optisch sieht sie ja ganz gut aus, doch ihr Charakter ist hässlich wie die Nacht. Daran kann auch der Haufen Schminke nichts ändern, den sie sich täglich ins Gesicht klatscht.

Wenn ich schon ihre Stimme höre, verdrehe ich reflexartig die Augen. Ja, ich trage gern lässige Jeans, Tops und Häkelpullis, na und? So bin ich halt. Ich hasse pink, trage einen Rucksack anstatt einer Tasche, trinke Pepsi anstelle von Champagner und poge lieber zu Grunge, als auf Popmusik zu tanzen. Wer damit ein Problem hat, soll mich einfach in Ruhe lassen. Leben und leben lassen. Die einzige Ausnahme sind Shootings: Da lasse ich für Geld dann auch gern mal die Barbie raushängen. Doch das ist eine Scheinwelt. Im echten Leben bin ich ganz anders. Es ist 1994 – Zeit der Veränderung, der Persönlichkeitsfindung und die der Rebellen. Nicht umsonst ist Cobain die Stimme unserer Generation – zumindest die Meiner.

Ich schenke Caterina und ihrem verblödeten Schnepfengefolge keine Beachtung. Die sind sowieso nur hier, weil sich das als Kinder einflussreicher Eltern so gehört. Da muss man eben irgendetwas studieren, egal ob es sie ernsthaft interessiert. Beim Rausgehen kuschle ich mich an Toni, meinen schwulen, besten Freund. Mit seinen Doc Martens, den Levi´s Jeans und dem verwaschenen, rot-schwarzen Holzfällerhemd ist er unverkennbar. Toni geht vor mir und zuckt zusammen, als ich von hinten meine Arme um ihn lege und ihm seinen Namen ins Ohr hauche.

»Na, meine Schöne. Heute gehts zum Gig, was?«, fragt Toni und legt seine Hand auf meine, die sich an seine Brust drückt. Er weiß immer, was in meinem Leben Aufregendes passiert. Manchmal ist Paulina ziemlich eifersüchtig auf ihn, obwohl ich ihr schon hunderte Male gesagt habe, dass nur sie meine allerbeste Freundin ist.

»Ja, ich freu mich schon total.« Ich hake mich nun seitlich bei Toni ein und lege meinen Kopf auf seiner breiten Schulter ab. Er ist ein kleines Moppelchen. Aber nur ein bisschen.

»Und, wie läufts mit deinem Simon?«, flüstere ich, um Toni nicht in Verlegenheit zu bringen. Kaum einer hier weiß, dass er schwul ist und das sollte bei dem intoleranten Haufen hier auch besser so bleiben.

Ein verlegenes Lächeln huscht über seine Lippen und Röte schießt ihm prompt ins Gesicht. Er muss gar nicht mehr antworten, denn seine Mimik verrät mir alles, was ich wissen will.

»Freut mich«, sage ich grinsend.

Nachdem wir uns durch die Tür des Hörsaals gequetscht haben, werfe ich einen Blick auf meine Uhr. »Mist. Ich muss los. Paulina wartet.« Ich drücke Toni einen Kuss auf die Wange.

»Viel Spaß heute Abend.«

»Den werde ich haben«, antworte ich zwinkernd und dränge mich dann durch die Menge vor mir.

Als ich über den Campus laufe, weht mir der kalte Februarwind um die Nase. Sofort ziehe ich mir den Jackenkragen hoch bis unter die Nase und halte schnellen Schrittes auf die Straße zu. Suchend blicke ich mich um, denn ich kann Paulina nirgends entdecken. Normalerweise steht sie immer auf der anderen Seite der Straße und winkt mir schon von weitem zu. Doch der Bordstein gegenüber der Uni ist wie leergefegt.

Nur eine Gruppe junger Männer steht am Straßenrand. Es sind düstere Typen, mit denen ich zum Glück nichts zu tun habe. Ich mustere sie kurz aus dem Augenwinkel.

Einer von ihnen sticht besonders heraus. Im Gegensatz zu den anderen, typisch südländisch anmutenden Kerlen, hat dieser langes, dunkelblondes Haar. Ein paar Strähnen sind etwas heller. Eher ungewöhnlich für einen Italiener. Ich vermute, dass er nicht von hier ist. Er trägt ein dunkelbraunes Shirt mit V-Ausschnitt und eine Kette.

Im ersten Augenblick denke ich, Cobain persönlich steht dort. Doch beim zweiten Hinsehen wird mir klar, dass ich träume. Ich bin mit meinen Gedanken schon viel zu sehr beim Konzert.

Der junge Blonde sieht mich an und die anderen beiden Männer neben ihm tun es ihm gleich. Er geht ein paar Schritte auf mich zu und sieht mich fragend an. »Bist du Elizá?«, Das kaugummikauende Cobaindouble streicht sich eine Strähne seiner Haare hinter das Ohr und scheint auf eine Antwort zu warten.

»Wer will das wissen?«, frage ich kritisch und kneife geblendet von der Sonne, die in diesem Moment hinter den Wolken hervorkommt, die Augen zusammen.

»Dein Date für heute Abend«, gibt er kess zurück.

Was hat er da gesagt? Perplex muss ich lachen und schüttle den Kopf. »Du träumst wohl.« Was für eine Frechheit. Für wen hält der sich? Mein Lächeln erstirbt. »Okay, jetzt mal im Ernst. Wer bist du und woher kennst du meinen Namen?«

»Paulina schickt mich«, antwortet er, wenn auch nicht auf meine Frage.

»Paulina?« Ich stemme die Arme in die Hüfte und hebe skeptisch eine Augenbraue. »Soll das ein Witz sein?«

Der Blonde lacht unsicher. »Nein. Sie hat mich geschickt, weil ich sie vertreten soll. Irgendwas mit Froschsalat soll ich dir sagen.« Er zuckt unwissend mit den Schultern.

Sofort schalte ich. Froschsalat ist unser Codewort. Wir haben da so ein Kuppelspiel. Jede darf versuchen, die andere zu verkuppeln. Ich habe Paulina gesagt, dass das bei mir sowieso keinen Zweck hat, da ich nicht interessiert bin und draußen sowieso nur Idioten rumlaufen. Da kann ich auch gleich Froschsalat essen. Das würde besser schmecken als ein Kuss von irgendeinem dahergelaufenen Typen.

»Tja, da hast du dir aber was eingebrockt«, antworte ich und setze meinen Flirtblick auf, für den ich mich eine Sekunde später schon wieder verfluche. Warum zur Hölle mache ich das? Ich meine, ja, er ist sexy, optisch der geborene Rebell, aber hallo? Ich bin Medizinstudentin. Die ab und zu mal die Sau rauslässt, höre ich Paulina in meinen Gedanken.

»Warum?«, fragt er und sieht mich irritiert an.

»Schon gut«, sage ich, und will den Typ eigentlich abwimmeln, doch irgendetwas hält mich davon ab. Ob es seine dreist-charmante Art ist, die mich aus dem Konzept bringt?

»Also?« Der Kerl guckt mich wie ein Auto an, als er auf meine Antwort wartet.

Provokativ hebe ich die Arme als hätte ich keine Ahnung, was er von mir will.

»Also, was?«, blaffe ich ihn an. »Ich kenne nicht einmal deinen Namen. Besitzt du eigentlich gar keinen Anstand, dich mal vorzustellen?« Verärgert verziehe ich das Gesicht.

Perplex guckt der Blonde mich an.

Die zwei Typen neben ihm, von dem einer groß wie ein Bär ist und eine Glatze trägt, reißen die Augen auf und lachen, als sei es das erste Mal, dass dem Blonden jemand Konter gibt.

»Ich bin Pierre?«, sagt er fragend und kneift die Augen zusammen, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei, dass man ihn kennt.

»Aha. Nett.« Ich rümpfe die Nase, so wie es Caterina immer macht, und verschränke die Arme vor der Brust. In was hat Paulina mich da bloß hineingezogen? Wenn ich die erwische.

»Jean Pierre Tiago«, ergänzt der überhebliche Blonde.

»Oh.« Fettnapf, komm her, ich bade heute in dir. Peinlich berührt sehe ich auf den Boden, denn der Name ist mir sehr wohl geläufig – nur hatte ich bisher kein Gesicht dazu auf dem Schirm. Der Tiago-Clan ist im Moment in aller Munde. Zumindest in denen unserer männlichen Studenten. Jeder von ihnen will so cool sein wie die Tiagos. Die großen Tiagos, die sich mit illegalen Geschäften eine goldene Nase verdienen, ausgelassene Partys feiern, teure Autos fahren und den Norden Italiens beherrschen. Ursprünglich kommt dieser Pierre wohl aus Castellar in Frankreich, aber seit Jahren sollen die Tiagos in Calandri leben, weswegen er unsere Sprache fließend spricht. Allerdings sollen sich die Tiagos oft in Mailand aufhalten. Auch ich bin zweisprachig aufgewachsen. Italienisch und Französisch – wie Pierre.

Niemand wagt es, sich mit den Tiagos anzulegen. Nicht einmal die örtliche Polizei, die wahrscheinlich gut von Pierre und Co geschmiert wird, so habe ich es jedenfalls irgendwo aufgeschnappt. Hast du mit einem Stress, hast du gleich mit allen Stress. Da kannst du direkt ein Dauer-Ticket für die Hölle buchen.

»Ist das jetzt ein Ja für heute Abend?«, fragt Pierre und bringt meine Gedanken wieder ins Hier und Jetzt zurück.

»Guck mal, bei wem die Versagerin da steht. Das gibt es doch nicht«, höre ich hinter mir die schrille Barbie-Stimme von Caterina erstaunt faseln.

Zeit, der Gans eins reinzuwürgen. Ich trete vor Pierre und sehe ihm in die hellblauen Augen. »Es wäre mir ein Vergnügen.« Ich küsse ihn auf die Wange und höre hinter mir aufgeregtes Schnattern. Sofort muss ich vor Schadenfreude in mich hineingrinsen. »Hol mich um sechs ab. Wo ich wohne, hat Paulina dir wahrscheinlich sowieso schon gesagt.«

Pierre nickt und grinst smart, während ich mich immer noch frage, was meine beste Freundin mit den Tiagos zu schaffen hat. Ob ihr neuer Freund mit ihnen zu tun hat?

Lächelnd trete ich einen Schritt von Pierre zurück, streiche mir eine Strähne meiner braunen Haare hinter das Ohr und umgreife fest die Gurte meines Rucksacks auf meinen Schultern. »Dann bis später.«

»Bis später«, gibt er zurück und zwinkert mir zu.

Innerlich total aufgeregt, doch äußerlich unbeeindruckt cool, lasse ich ihn, die Kerle und die dumme Gans Caterina hinter mir zurück und mache mich auf den Weg nach Hause.

Ich, brave Medizinstudentin, habe ein Date mit dem gefährlichsten und zugleich sexiesten Typen Norditaliens … Oh Mann, Paulina …

In Love with an Outlaw

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