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4.1.2. Induktiv und deduktiv, entdeckendes Lernen

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Induktive und deduktive Verfahren bei der Grammatikvermittlung stehen im Mittelpunkt vieler didaktischer Diskussionen. Dabei werden Versuche unternommen, die Frage aus verschiedenen Perspektiven ‒ sowohl der Lernenden (Raabe 2007b), als auch der Lehrenden (vgl. z. B. Koenig 20011; Pessutti Nascimento 20142) ‒ zu betrachten.

Schmidt (1990: 160-161) fasst die wesentlichen Merkmale von Lernergrammatiken zusammen und betont, dass eine solche Grammatik auf „Verstehbarkeit, Behaltbarkeit und Anwendbarkeit“ beruhen sollte. Dabei sei der induktive Weg vorzuziehen, da Lernende vom leichter Verstehbaren zum schwerer Verstehbaren, also vom Konkreten zum Abstrakten, vorgehen würden. Die Selbstständigkeit bei der Erkenntnisgewinnung sollte „zu besserem Verstehen und leichterem Behalten“ führen. Darüber hinaus müssen sich Lernende selbst Regelmäßigkeiten erschließen, was Schmidt ebenfalls für vorteilhaft hält, jedoch mit der Anmerkung, dass hierbei auch mit fehlerhaften Generalisierungen zu rechnen ist (vgl. ebd.: 161).

In Anbetracht vieler Argumente zu Vorteilen des induktiven Lernens stellt sich jedoch die Frage, warum Grammatik in vielen Teilen der Welt explizit erklärt wird (vgl. Rösler 2015: 92). Induktives Grammatiklernen mag effektiver wirken, im Hinblick auf Alter, Lerntraditionen und Lerngewohnheiten kann aber durchaus die deduktive Vorgehensweise wirkungsvoller sein.3 Während im Präsenzunterricht die Entscheidung über die Vermittlungsweise von einer Lehrperson übernommen oder durch die Darstellung im Lehrwerk bestimmt wird, können bzw. müssen sich die Selbstlernenden eigenständig für eine Vorgehensweise entscheiden, vorausgesetzt, dass im digitalen Lernmaterial eine derartige Option vorprogrammiert ist. Entweder wird der Modus, in dem Grammatik gelernt wird, zu Beginn gewählt, oder es besteht eine Möglichkeit, jederzeit zwischen den Modi deduktiv oder induktiv zu wechseln.

Mehlhorn betont, dass Lernende beim Lernen einer zweiten und weiteren Fremdsprache(n) in der Lage sind, ihr Vorwissen bereits im Anfängerunterricht zur Erschließung grammatischer Regelhaftigkeiten der Zielsprache einzubeziehen. Als hilfreich bezeichnet sie das Vergleichen mit bereits gelernten Sprachen und „induktive Vorgehensweisen“ (Mehlhorn 2012: 126). Die induktive Vorgehensweise wird in didaktischen Diskussionen mit dem Prinzip des entdeckenden Lernens verbunden (vgl. Koenig 2001: 298). Liebig schreibt dem entdeckenden Lernen als Unterrichtsprinzip im schulischen Kontext das Potenzial zur Förderung selbstständigen, individuellen und aktiven Lernens sowie der Motivation zu (vgl. Liebig 2012: 7). „Die Lernenden entwickeln ihre eigenen Erklärungen für ein Phänomen ebenso wie neue Denkwege und neue Lösungswege, denn nicht die Lösung der Aufgabe, sondern der Weg steht im Vordergrund“ (ebd.: 1).

Die Darstellung grammatischer Inhalte wird beim entdeckenden Lernen so aufgebaut, dass Lernende selbst die Regelmäßigkeiten anhand von Beispielen erschließen und Regeln formulieren, anstatt sie fertig präsentiert zu bekommen (vgl. Spannhake und Bogacz-Groß 2008: 257; Rösler 2012: 182). Mittlerweile bieten die meisten Lernmaterialien eine entdeckende Vorgehensweise nach dem S-O-S-Prinzip (Sammeln ‒ Ordnen ‒ Systematisieren) bei der Grammatikdarstellung an, indem sie Lernenden ermöglichen, „neue Strukturen durch genaues Wahrnehmen und Vergleichen sprachlicher Muster zu entdecken, zu vergleichen und mit unterschiedlich umfangreicher Hilfestellung zu einer eigenen Regelformulierung zu gelangen“ (Koenig 2001: 298). Entdeckendes Lernen kann der Anregung der Kreativität und der Steigerung der Lernmotivation und somit der Förderung von besserem Verstehen und Behalten dienen (vgl. ebd.; Funk und Koenig 1991a; Chudak 2008: 130). Aufgaben und Übungen beim entdeckenden Lernen „beinhalten Tätigkeiten mit vergleichender Dimension wie Ordnen, Unterscheiden, Vergleichen, Identifizieren, Analysieren, Kontrastieren, Analogien bilden, merkmalgestütztes Erraten, Reflektieren“ (Mehlhorn 2012: 122).4

Jedoch kann entdeckendes Lernen zeitaufwendiger sein. Der hohe Zeitaufwand kann Lehrende vom Einsatz des entdeckenden Lernens im Unterricht abschrecken (vgl. Liebig 2012, 8). Im Kontext des selbstständigen Lernens außerhalb des Unterrichts tritt dieser Aspekt in den Hintergrund. Es lässt sich jedoch vermuten, dass im Fall einer längeren Beschäftigung mit grammatischen Inhalten, indem die gebildeten Hypothesen über die jeweilige Struktur nach mehreren Versuchen nicht bestätigt werden, zu einem Abbruch des Lernens führen kann. Darüber hinaus sind fehlerhafte Schlussfolgerungen beim Entdecken grammatischer Regeln nicht auszuschließen. Deswegen ist bei der Konzeption und Entwicklung von Lernmaterialien für entdeckendes Lernen zu beachten, ob und welche fehlerhaften Schlussfolgerungen gezogen werden könnten, wie Lernende zur „richtigen“ Regel gelenkt werden und die Informationen über die jeweiligen grammatischen Strukturen gesichert werden könnten. Im Unterricht können Lehrende beim Entdecken durch das Lenken unterstützen, bei selbstständigen Entdeckungsprozessen sind unterschiedliche Lernhilfen nötig, die bspw. in digitalen Lernprogrammen durch Vorzeigefunktionen oder abrufbare Hilfestellungen realisierbar sind.

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