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4.2. Der Imperativ in wissenschaftlichen Grammatiken

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Wie sich wissenschaftliche und didaktische Grammatiken voneinander unterscheiden, kann anhand eines grammatischen Phänomens illustriert werden. Da der Imperativ bzw. das Selbstlernen des Imperativs im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht, ist eine Darstellung der grammatischen Struktur sowohl aus linguistischen als auch didaktischen Perspektiven vonnöten.

Wie bereits in 4.1.3 erwähnt, wird von einer wissenschaftlichen Grammatik eine Präzision in der Beschreibung grammatischer Strukturen erwartet (vgl. Rösler 2012: 177). Ein Blick in wissenschaftliche Grammatikbücher bestätigt die Tatsache, dass im Hinblick auf die Definition des Imperativs die erwartete Präzision vorhanden ist. Werden die vorhandenen linguistischen Beschreibungen verglichen, sind unterschiedliche Positionen in der linguistischen Diskussion erkennbar. Der Imperativ lässt sich sowohl dem Modus als auch dem Satztyp1 einordnen, abhängig davon, von welchen Kriterien — morphologischen, semantisch-pragmatischen oder syntaktischen — man ausgeht (vgl. Heinold 2015: 141 ff.). Die Forschungsarbeiten zum Imperativ beinhalten häufig eine kontrastive Analyse des grammatischen Phänomens in anderen Sprachen.2 Da die vorliegende Arbeit keine kontrastive Analyse bezweckt, wird der deutsche Imperativ in einsprachigen linguistischen und didaktischen Diskussionen dargestellt.

Abbildung 4-1 stellt das verbale Paradigma mit fünf Kategorisierungen nach Eisenberg (1986: 105) dar, die weitere interne Unterkategorien beinhalten. Nach dieser schematischen Zusammenfassung wird die Kategorie des Imperativs dem Modus zugeordnet. Jedoch weist der Autor (wie oben Heinold 2015) auf eine uneinheitliche Behandlung des Imperativs hin. Ausgehend von der Semantik sei er den Modi zuzuordnen. Dass der Imperativ nicht hinsichtlich einer Person flektiert werde, stelle diese Zuordnung in Frage (vgl. Eisenberg 1986: 105).

Abb. 4-1:

Kategorien des verbalen Paradigmas im Deutschen (Eisenberg 1986: 105)

Das Fehlen der Flexion erklärt Weinrich mit dem Argument, dass der Imperativ im Singular „ein Null-Flexiv“ hat (Weinrich 2007: 267).3 Laut Sommerfeldt und Starke sei der Imperativ von den drei Modi am stärksten „an eine bestimmte Situation gebunden“, in der eine Aufforderung an eine oder mehrere Personen gerichtet wird (Sommerfeldt und Starke 1988: 93). Dabei wird vom Gesprächspartner erwartet, dass diese Aufforderung ausgeführt wird. Somit ist der Imperativ in der Regel zukunftsbezogen (vgl. Sommerfeldt und Starke 1988: 92-93). Flämig weist darauf hin, dass der Zeitpunkt der Verwirklichung ebenfalls durch konkrete Angaben4 präzisiert werden könnte (vgl. Flämig 1991: 412). So steht eher die pragmatische Ebene der Aufforderungshandlungen bzw. des Imperativs im Fokus der linguistischen Grammatiken.

Den Imperativ verbindet man in seiner Funktion in erster Linie mit neutralen Aufforderungssätzen. Jedoch sind weitere Funktionen wie Anleitungen, Apelle, Anweisungen, Bitten, Ratschläge, Verbote und Warnungen bzw. Ermahnungen zu nennen. Durch Partikeln oder verstärkte Druckbetonung übernimmt der Imperativ die eine oder andere Funktion in Gesprächssituationen. Grafisch begleitet das Ausrufezeichen am Satzende oft den Imperativ (vgl. Helbig und Buscha 2001). Imperativsätze ohne Modalpartikeln könnten auf Gesprächspartner unfreundlich oder ungeduldig wirken (vgl. Hentschel und Weydt 1994: 116). Die Negation in Aufforderungsätzen wird zur Zurückweisung der Handlung verwendet und je nach dem Kontext können die Aufforderungen Funktionen wie Abraten, Warnungen oder Verbote übernehmen. „Verbote mit nicht werden nur dann mit dem Imperativ gebildet, wenn ein erkennbarer Adressat da ist […]“ (Weinrich 2007: 869).

In wissenschaftlichen Grammatiken wird ebenfalls der morphologische Aspekt des Imperativs thematisiert. Der Imperativ wird in der 2. Person Singular und Plural gebildet, wobei er in manchen linguistischen Grammatiken auch in der Imperativform der 1. Person Plural zu findet ist (vgl. z. B. Engel 2009; Flämig 1991). Auch die Bezeichnung der Formen ist nicht einheitlich, wenn in Helbig und Buscha (2001) zwischen Vertraulichkeits- (du- und ihr-) und Höflichkeitsformen (Sie-Form) unterschieden wird, heißen die jeweiligen Formen bei Engel (2009) vertrauliche und Distanzformen des Imperativs. Bei den ersten beiden Formen fallen die Personalpronomina aus, bei der Sie-Form steht das Pronomen nach dem Verb. Wenn die ihr- und Sie-Formen des Imperativs mit den jeweiligen Indikativformen identisch sind, kann die du-Form sprachliche Schwierigkeiten bereiten (Duden 2012). Diese Schwierigkeiten betreffen in erster Linie die Verwendung des Endungs-e bei den meisten regelmäßigen Verben in der 2. Person Singular, wobei diese Form häufig ohne -e „aus rhythmischen Gründen“ verwendet wird (Sommerfeldt und Starke 1988: 93). Fälle, in denen das Endungs-e obligatorisch ist, werden in linguistischen Grammatiken ausführlich beschrieben (vgl. Zifonun et al. 1997: 1755; Weinrich 2007: 267). Eine weitere Schwierigkeit kann der Wechsel des Vokals im Verbstamm starker Verben bereiten. Während der Umlaut von Verben wie laufen (du läufst, aber lauf) bei der Imperativbildung entfällt, wird der Vokalwechsel von e zu i bei einigen Verben (du liest - lies) beibehalten.

Die meisten linguistischen Grammatiken lassen den Verwendungskontext grammatischer Phänomen außer Acht oder skizzieren ihn sehr kurz. Mit den Informationen, in welchen Kontexten welche Form des Imperativs zu verwenden ist, beschäftigt sich Weinrich in seiner Grammatik (vgl. Weinrich 2007: 102 ff.). Allerdings beziehen sich die Informationen in erster Linie auf die Pronomina. Trotzdem werden sie im Kapitel zu pronominalen Höflichkeitsformen im Zusammenhang mit den Imperativformen dargestellt. So ist laut Weinrich die Anredeform mit Sie im Deutschen bei erwachsenen Gesprächspartnern üblich, „wenn kein spezifisches Sozialverhältnis besteht, das Vertrautheit rechtfertigt“ (Weinrich 2007: 104). Alle unbekannten Erwachsenen werden gesiezt. Will ein sozialer Abstand beibehalten werden, wird die Sie-Form auch unter Kollegen, Bekannten etc. verwendet. Das Duzen ist unter Personen verschiedenen Verwandtheitsgrades sowie Kindern und Jugendlichen gängig. Unter erwachsenen (nicht miteinander verwandten) Personen kann auch geduzt werden, wenn es sich um ein Zeichen der Klassensolidarität handelt. Darüber hinaus werden die Anredeformen zwischen Kindern und Erwachsenen sowie der Übergang vom Sie zum Du thematisiert (vgl. ebd.: 104-105). Auch wenn der Höflichkeitsaspekt vom Siezen und Duzen im Kapitel zur Pronomina dargelegt wird, steht er in einer direkten Verbindung zum Imperativ. In allen anderen linguistischen Grammatiken wird der Höflichkeitsaspekt des deutschen Imperativs nicht aus der Perspektive der Anredeformen, sondern nur am Rande anhand der Wirkung der Aufforderungssätze mit und ohne Modalpartikeln erwähnt (s. o. Hentschel und Weydt 1994).

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