Читать книгу Schluss mit Muss - Tanja Mairhofer - Страница 12

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DER ERKLÄRBÄR


„Ich bin so klug, ich bin so klug! K-L-U-K ! “
– Homer Simpson

Ich komme jetzt mal mit einem ganz neuen Wort ums Eck. Gibt’s erst seit 2015 im deutschen Sprachraum. Steckt quasi noch in der Luftpolsterfolie und kann von uns nun ausgepackt werden. Die Situation, die das Wort beschreibt, ist aber so alt wie die Menschheit selbst. Na, gespannt?! Geht so?! Na gut: Mansplaining. Das Wort setzt sich zusammen aus Man (will ich euch jetzt nicht übersetzen) und splaining (Kurzform von „explaining“, also „erklären“). Auf gut Deutsch: Herrklären. Dieses Herrklären/Mansplaining passiert immer dann, wenn ein Mensch (oft ein Mann) einem anderen Menschen (oft einer Frau) die Welt erklärt und davon ausgeht, dass das weibliche Gegenüber grundsätzlich weniger Ahnung hat, obwohl es in Wirklichkeit vielleicht sogar andersrum ist. Kurzum, stinknormales Montagsmeeting in vielen deutschen Firmen. Wer hat das noch nie erlebt, mitten im Satz ausgebremst und belehrt zu werden, und das ausgerechnet von einer leicht runtergedimmten Leuchte? Die Amerikaner haben das Phänomen mit dem Wort „Mansplaining“ dingfest gemacht und beschäftigen sich schon seit ein paar Jahren damit.

Natürlich muss man sich Dinge auch mal erklären lassen, weil man sonst ganz schön blöd sterben muss. Nur lasse ich mir nur ungern meine Lebenszeit stehlen, indem mir Menschen Dinge erklären, die ich schon längst begriffen habe. Eine weitere unangenehme Komponente des sinnlosen Gelabers ist, dass sich das Gegenüber durch seine ach so schlauen Belehrungsversuche geistig überlegen fühlt.

Es klingt vielleicht so, als würde ich die gesamte „Mensworld“ in einen Topf schmeißen. Mach ich aber gar nicht. Ich mag Männer. Ich habe in meinem Leben schon großartige Exemplare getroffen, die mich unterstützt und an mich geglaubt haben, die mir zugehört haben, von denen ich einiges lernen durfte und die mich Tränen lachen ließen. Einige der besten Menschen, die wir so haben auf dieser Erde. Nur damit das klar ist, sei das an dieser Stelle gesagt.

Es gibt aber eben auch andere und das sollte man nicht unter den Tisch kehren. Klugscheißer, Besserwisser und Wichtigtuer. Darunter auch viel harmloses Kleinvieh, das schnell Ruhe gibt, wenn es einen verbalen Schubser bekommt. Hardcore-Mansplainer hingegen kannst du noch so zurücktreten, die spüren gar nichts. Sie fühlen sich ihren Gesprächspartnern derart überlegen, dass sie meinen, ihre vermeintliche Genialität immer wieder zum Ausdruck bringen zu müssen.

Gibt’s auch in weiblicher Form, natürlich. Ich selbst habe mich auch schon ein paar Mal dabei erwischt, wie ich vor anderen ganz schlau schwadroniert habe. So was in der Art hat wohl jeder schon mal abgeliefert. Solange es aber nicht zum persönlichen Standardprogramm gehört und man „’tschuldigung!“ sagen kann, ist alles okay. Kritisch wird’s nur, wenn man permanent meint, man sei geistig ganz obenauf.

In meinem früheren Kommilitonenkreis gab’s auch so einen, der wusste wirklich alles. Das Thema konnte noch so weit von seinem Wissensspektrum entfernt sein, er nutzte jede ihm sich bietende Gelegenheit, ungefragt sein gesammeltes Halbwissen auszubreiten. Faszinierend, dieses Selbstbewusstsein. Ich hatte persönlich die große Ehre, einmal einem exklusiven Yogareferat von ihm beizuwohnen, obwohl er selbst noch nie auf einer Matte gelegen hatte. Zu Wort gekommen bin ich dabei kaum. Meine wenigen Halbsätze wurden gleich zunichtegemacht, weil er es ja besser wusste. Austausch = 0. Wissenstransfer = 0. Redezeit im Verhältnis 97:3. Ihr merkt, das kann langweilen.

Wie bereits erwähnt, gibt’s aber auch Damen, die das ganz gut draufhaben, sogenannte Mansplainerinnen. So kreuzte zum Beispiel einmal eine meinen Weg, deren Selbstvertrauen in keinem Verhältnis zu ihrem Wissen stand. Ihr Auftreten war stets bewundernswert. Der Spruch „Less is more“ ging da voll auf. Es war durchaus inspirierend zu sehen, wie weit man mit so einfachen Mitteln kommen kann. Ich hätte die Dame dafür feiern wollen, wäre da nicht die unangenehme Tatsache gewesen, dass sie ständig versucht hat, mir die Welt zu erklären. Obwohl ich ihr immer wieder gegen das Schienbein getreten habe, konnte sie es nicht sein lassen.

Was Mansplainer und Mainsplainerinnen nicht wahrhaben wollen: Das Gegenüber ist nicht so blöd, wie sie annehmen.

Jeder weiß irgendwas besser, hat irgendetwas eher begriffen. Der Landwirt weiß mehr über Natur, Ackerbau und Tiere, die Putzfrau mehr über Ordnung, Sauberkeit und körperlich harte Arbeit. Ein Kind weiß, wie man unvoreingenommen auf Leute zugehen kann, ein Teenager, wie Snapchat funktioniert. Jeder lebt sein Leben und macht in seiner kleinen Welt seine eigenen Erfahrungen, daher darf man nie davon ausgehen, dass das Gegenüber ein Vollpfosten ist.

Nur im Austausch können wir voneinander profitieren, alles andere macht doof.

Zudem glaube ich, je mehr man weiß, desto mehr weiß man, wie wenig man weiß. Daher muss man schon ziemlich wenig wissen, um zu meinen, man würde mehr wissen als der Rest. Ihr wisst schon …

Als junge Frau habe ich mir oft die Welt erklären lassen. Viele gingen davon aus, jung + hübsch + blond = krass doof. Da ich ein selbstkritischer Zeitgenosse bin, war ich eine leichte Beute für diverse Klugscheißer. Hinzu kam, dass ich mich im Bereich der simplen Unterhaltung aufgehalten habe, und dort muss man kein Nanowissenschaftler sein, um sich zurechtzufinden. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das Denken einem da eher ziemlich im Weg stehen kann und es besser ist, manche Sachen unhinterfragt mitzumachen. Als ich mit Anfang 30 in einer Livesendung einen Zwölfjährigen ernsthaft übers Knutschen ausfragen musste, war auch für mich klar: Da bin ich jetzt rausgewachsen. Noch so eine dumme Frage und ich krieg einen Gehirnschlag.

Danach ging’s für mich zurück an die Uni. Massive Bildungslücken waren zu füllen, die sich durch die geistig Dürre beim Unterhaltungsfernsehen aufgetan hatten. Weil ich die Welt ein bisschen besser verstehen wollte, habe ich internationale Beziehungen studiert mit dem Ergebnis, dass ich erkennen musste, dass die Welt nicht so einfach zu erklären ist, ich aber genauso das Recht habe wie alle anderen, den Mund zu irgendwelchen politischen Themen aufzumachen. Welterklärungsversuche kommen hingegen nicht mehr so gut an bei mir. Dialog geht immer.

Mal ehrlich: Sind wir nicht alle Riesenfachidioten? Allein könnte ich gar nichts. Wir funktionieren alle nur im Kollektiv. Das Internet wurde von eine großen Gruppe Menschen erdacht und entwickelt. Der Einzelne macht ein paar Tweets und verschickt Einhorn-Emojis, kann aber nie und nimmer das Netz in seinem heutigen Umfang verstehen, geschweige denn nachbauen.


Unserer Beschränktheit würden wir uns schnell bewusst werden, wenn wir allein in der Wildnis wären. Der Entwicklungsbiologe Gerald Crabtree von der Stanford University schrieb im Fachblatt „Trends in Genetics“, dass der Mensch als Jäger und Sammler weit mehr auf dem Kasten hatte als die heutige Version 2.0. Als die Menschheit anfing, Ackerbau zu betreiben und in größeren Gruppen zusammenzuleben, ging geistig einiges den Lokus runter. Der Einzelne musste intellektuell nicht mehr so viel leisten.1 Die Aufgaben wurden aufgeteilt, man kümmerte sich nur mehr um seinen Bereich. Sag ich ja die ganze Zeit, alles Fachidioten! Daher vermeide ich Mansplainer und lass mir die Welt nur noch von Tarzan erklären.

Mansplainer macht man übrigens ganz schnell ausfindig. Einfach mal auf Facebook eine x-beliebige Infografik posten und schon kommen sie aus ihren Löchern gekrochen.

Haben den ganzen Tag nichts zu melden, aber da werden sie dann zum Alleinherrscher ihrer Timeline und erklären allen, wie’s läuft. Backgroundwissen muss man nicht haben, starke Meinungen sind gefragt! Hängen sowieso nonstop auf Facebook rum, da kriegen sie ja mit, was geht. Reicht völlig aus, um Oberstudienrat vom ganzen Internetz zu werden.

Hatte vor ein paar Tagen gleich zwei Mansplainer an einem FB-Posting dranhängen. So ein Glück aber auch! Mein Fehler: Ich habe eine Statistik geteilt, die zeigte, dass amerikanische Wähler unter 25 in einem Verhältnis von 504:23 demokratisch wählen würden. Das fand ich, neben all den schlechten Nachrichten, die man so liest, mal richtig erfreulich. Keine fünf Minuten später wurde ich von einem mir gänzlich unbekannten Herrn als naiv und ahnungslos bezeichnet. In einem 37 Zentimeter langen Posting wollte er mir danach mit recht limitierten geistigen Mitteln die Welt erklären. Hab’s leider nicht zu Ende gelesen, denn darunter lächelte mir ein allzu niedliches Katzenvideo entgegen.

Die amerikanische Journalistin und Autorin Rebecca Solnit hat sich 2008 schon mit dem Erklärbär-Phänomen auseinandergesetzt und den Begriff Mansplaining zwar nicht erfunden, aber mitgeprägt. In ihrem Essay „Men Explain Things to Me – Facts Didn’t Get in Their Way“ erzählte sie eine Anekdote: Ein älterer Mann berichtete ihr von einem Buch, das er offensichtlich nicht einmal gelesen hatte. Ihre Freundin, die bei dem Gespräch danebenstand, wies diesen Herrn immer wieder darauf hin, dass Frau Solnit dieses Buch höchstpersönlich geschrieben hatte, doch der Mann referierte unbeirrt weiter und ging auf das Gesagte nicht ein. Süß, gell?! Das Alphamännchen wollte Wissensmacht demonstrieren, ging in diesem Fall halt voll in die Hose.

Rebecca Solnit geht in ihren Essays so weit zu sagen: „Das geschilderte Gesprächsverhalten ist eine Methode, im höflichen Diskurs Macht auszuüben – die gleiche Macht, mit der auch im unhöflichen Diskurs und durch Akte körperlicher Einschüchterung und Gewalt Frauen zum Schweigen gebracht, ausgelöscht, vernichtet werden – als Gleichwertige, als Partizipierende, als Menschen mit Rechten und viel zu oft schlicht als Lebende.“ Ja, die Aussage kann man mal für ein paar Minuten auf sich wirken lassen bzw. im Sozialpädagogen-Sprech: Ich lass das jetzt mal so stehen und ihr schaut selbst, wie es euch damit geht.

Auch wenn wir diesen Zustand so schnell nicht ändern können, so sollten wir aber heute schon mal damit anfangen, dem Erklärbären den Wind aus den Segeln zu nehmen. Am besten, indem man ihn nicht so ernst nimmt, das mag der nämlich am allerwenigsten.

Hier neun Lösungsvorschläge für den täglichen Umgang mit Mansplainern:

1. So verrückte Sachen sagen wie „Stopp, ich möchte das nicht!“ oder „Schnauze!“.

2. Während des Vortrags den Dr. Alban machen, „Sing Hallelujah“ performen.

3. Dank aussprechen, denn ohne seine/ihre Mithilfe wäre man mit dem Kopf gegen die nächste Schrankwand geknallt.

4. Pupsgeräusche während des Vortrags von sich geben. Aus Achselhöhlen, Händen, mit der Zunge oder in echt.

5. Davonlaufen, um Hilfe schreien.

6. Nach dem Vortrag klatschen, eine Welle machen, Schulter klopfen, Ghettofaust anbieten. Alles auf einmal!

7. Verbal gegen das Schienbein treten. Fest.

8. Den Vollpfosten spielen, saublöd nachfragen und dabei aus dem Mund sabbern.

9. Dem Erklärbären eine Urkunde überreichen.

{ 1 } http://www.independent.co.uk/news/science/human-intelligence-peakedthousands-of-years-ago-and-weve-been-on-an-intellectual-and-emotional8307101.html

Schluss mit Muss

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