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DER GELASSENE UMGANG MIT ­KALKFLECKEN


Ein perfekter Haushalt ist ein Zeichen für ein verschwendetes Leben.

Klamotten und Menschen, die faltig sind, sind völlig in Ordnung. Ich freue mich auch über trockenen Kuchen, sehe über Rechtschreibfehler hinweg, habe nichts gegen verbeulte Autos und mag Sturmfrisuren. Beim anderen Perfektionismus zu erwarten, liegt mir fern, weil ich es selbst nie hinkriegen würde. Jedoch rühmen sich viele Menschen damit, perfektionistisch zu sein – bis zum Burn­-out. Gerade am Arbeitsplatz tun manche so, als wäre Perfektionismus eine Tugend. Für Berufsgruppen wie Herzchirurgen, Architekten und Piloten ist das auch wunderbar, aber sonst habe ich für diesen Schlag Mensch noch nie so richtig viel übriggehabt.

Der amerikanische Psychologieprofessor Randy O. Frost hat in den 90ern ein Modell entworfen, das die Persönlichkeitsmerkmale von Perfektionisten zusammenfasst. Demnach sind das Menschen, die hohe persönliche Standards haben, sehr gut organisiert sind, sensibel auf Fehler reagieren und die eigenen und fremden Leistungen ständig anzweifeln.1 Nicht so schön. Das heißt, dass sie mit ihrer unguten Art nicht nur sich selbst im Weg stehen, sondern auch den anderen. Oft waren sie in ihrer Kindheit sehr hohen Erwartungen ausgesetzt und wurden regelmäßig kritisiert. Daher wissen wir auch, für wen Perfektionisten bügeln, falten, kritisieren, korrigieren und alles besser machen wollen. Nicht für uns. Leider noch für Mama und Papa.

Die Angelsachsen haben für diesen pedantischen, pingeligen Menschenschlag ein Eigenschaftswort: Er oder sie ist dann „anal“. Der Begriff stammt aus der freudschen Psychoanalyse. Laut Freud macht es kleinen Babys sehr viel Freude, in die Hose zu machen. Pedantische Menschen sind dabei allerdings oft geschimpft und ihr Kacka in Verbindung mit Ekel gebracht worden. Von der Schimpferei ist dann im Kopf alles etwas durcheinandergekommen und am Ende des Tages haben jene Gesellen eine schlimme innere Abneigung gegen alles Ungeordnete und Schmutzige entwickelt. Daher sollte man sich über Pedanten und Perfektionisten nicht ärgern. Man kann ihnen psychoanalytisch entgegenkommen, indem man ihnen verdeutlicht: „Hosenkacka ist gar nicht so schlimm.“

Angsteinflößend finde ich nicht nur die übersteigerten Ansprüche, die Perfektionisten an sich und ihre Umwelt stellen, sondern auch das Ergebnis davon in deren Wohnstätten. Jeder kennt so jemanden: Die Wohnung ist blitzeblank und gerne mal zugekachelt. Die Schuhe werden am Eingang ausgezogen, dafür ist der Boden dann schön kalt und vielleicht auch noch nass, weil ja gerade gewischt wurde. Wenig Nippes, und der Handstaubsauger ist immer griffbereit. Mich befällt in solchen Wohnungen immer das Gefühl, dass ich mit meiner Anwesenheit alles tierisch durcheinanderbringe und verfussle. Gerne fallen mir ausgerechnet dann beim Essen Sachen aus dem Mund oder ich stoße ein Weinglas um. Seit ich Mama bin, bin ich der Schreck aller Pedanten. Irgendwo an mir kleben nämlich neuerdings immer Sabber, Sand oder Speisereste. Ich kriege das meist gar nicht so mit. Bevor aber jetzt einer sagt „Igitt, ist die eklig!“, guckt doch selbst mal an euch runter! Auf und in jedem von uns leben rund zwei Kilogramm Bakterien. Klingt erst mal gruselig, ist aber wunderbar. Das sind unsere Freunde, die uns helfen, gesund zu bleiben, und ohne die wir sterben würden! Ja und warum sollte ich die jetzt nicht in der Wohnung haben wollen?

Auch wenn’s mich nicht betrifft, aber tragischerweise werden Frauen wesentlich häufiger vom Perfektionismus befallen als Männer. Vor allem wenn’s darum geht, die eigenen Kompetenzen und Leistungen infrage zu stellen. Dr. Jacqueline Mitchelson von der Auburn University in Alabama befragte 288 Erwachsene, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeitsleistung sind. Demnach sind 38 Prozent aller Frauen mit sich selbst unzufrieden und 24 Prozent aller Männer. In Sachen Haushalt sieht’s nicht anders aus: 30 Prozent aller Frauen bemängeln ihre Leistung zu Hause, aber nur 17 Prozent aller Männer.2 Das ist mitunter darauf zurückzuführen, dass Frauen im neuen Jahrtausend immer noch das Gefühl haben, allein fürs Nest zuständig zu sein. Sollte man dringend überdenken. Nur so eine Idee …

Mir machten schon als kleines Mädchen Frauen Angst, die ihre Hausfrauenkompetenzen viel zu hochgehalten und sich darüber definiert haben, wie toll alles glänzt; Frauen, bei denen die Geschirrtücher gebügelt wurden, es zweimal am Tag Fleisch mit Beilage gab und die Frisur trotzdem irgendwie saß. Ich habe damals gehofft, dass diese Anforderungen ans weibliche Geschlecht mit der Generation Teppichklopfer aussterben. Aber leider gibt’s die noch immer, sogar in jung. In der Vorstadt reden sie viel über Markisen, Multifunktions-Küchenmaschine und Thujen. Und abends putzen sie die Kalkflecken von den Kacheln im Bad. Wer weiß, vielleicht die eine oder andere sogar mit einer Zahnbürste, als müsste sie für etwas büßen.


Seit 16 Jahren führe ich meinen eigenen Haushalt und ich bin noch nie auf die wahnwitzige Idee gekommen, Kalk von den Fliesen zu wischen oder meine Fenster zu putzen. Bisher bin ich deshalb auch noch nicht eingesperrt worden. Wozu auch Fenster putzen? Ich rate sogar ab davon, denn es hat durchaus eine praktische Komponente, wenn man das schleifen lässt, weil man über kurz oder lang einen prima Sichtschutz hat. Und jetzt mal ehrlich: Wir alle haben Besseres zu tun, als Fenster und Kacheln zu putzen, zum Beispiel ein gutes Buch zu lesen. Damit diese garstigen Forderungen an die „anständige“ Hausfrau aussterben, scheinen noch einige BHs verbrannt werden zu müssen. Man kann der Evolution aber einen Schritt entgegenkommen, indem man regelmäßig das Mantra wiederholt:

Ein perfekter Haushalt ist ein Zeichen für ein verschwendetes Leben.

Im nächsten Schritt sollte man sich im Schneidersitz vors ungeputzte Fenster setzen und die Flecken auf sich wirken lassen, es kann sich dadurch eine wunderbar meditative Atmosphäre entfalten.

In Zukunft sollte man Kalkflecken und dreckige Fenster nicht mehr als Bedrohung sehen, denn sie können uns daran erinnern, dass es Wichtigeres im Leben zu tun gibt.

{ 1 } http://www.nytimes.com/2011/03/12/your-money/12shortcuts.html

{ 2 } http://cla-au.auburn.edu/tigertalesarchives/detail.cfm?newsarticleid=258

Schluss mit Muss

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