Читать книгу Schluss mit Muss - Tanja Mairhofer - Страница 8
Оглавление„There’s people who don’t want to see bodies like mine or bodies like their own bodies.“
– Lena Dunham
Ups, jetzt habt ihr mich gerade beim Barbiefüttern erwischt. Die sah so schlecht aus, da musste ich etwas unternehmen. Mir tut sie fast ein bisschen leid, viel zu mager und so einen miesen Ruf, wer will das schon? Damals in meiner Kindheit war das mit ihr schon eine Katastrophe, umso größer die Überraschung, als ich eine Generation später festgestellt habe, dass sie noch immer das Lieblingsspielzeug vieler Mädchen ist und sie sich über die Jahrzehnte kaum verändert hat. Ein utopisches Schönheitsideal, das seit den 50er-Jahren die Kinderzimmer terrorisiert.
Hierzulande hat die Marke Barbie einen Bekanntheitsgrad von 100 Prozent. Jedes Mädchen besitzt im Schnitt sieben Stück davon.1 Superberühmt, aber in Wirklichkeit eine äußerst bemitleidenswerte Kreatur, weil völlig lebensunfähig. Wissenschaftler haben errechnet, dass ein standardisiertes lebensgroßes Modell der Puppe bis zu 2,26 Meter groß sein würde.2 Der dünne Hals könnte das Gewicht der Riesenbirne nicht tragen. Mit dem Vorbau und den verhältnismäßig winzigen Füßen würde Barbie vornüberkippen und die lebenswichtigen Organe hätten nicht genug Platz in ihrem Körper. Na bravo, Mattel, was soll denn der Schmarrn? Barbie ist zudem zu nichts zu gebrauchen, den einzigen Auftrag, den sie auf Erden hat, ist hübsche Kleider aus- und anzuziehen. Was lernen die Kinder dabei? Nix.
Frage: Warum wollen junge Frauen seit Generationen so aussehen wie Barbie, wenn’s doch eigentlich gar nicht geht? Eine haarsträubende Studie von Forscherinnen der University of Sussex und der University of the West of England zeigte, welchen schlimmen Einfluss ein Stück Plastik auf das Selbstvertrauen unserer Kinder ausüben kann. Bei der Untersuchung wurden Mädchen zwischen fünf und acht Jahren in Gruppen aufgeteilt, einige Teilnehmerinnen bekamen Bilder von Barbies zu sehen, andere Bilder von Emme Dolls, den realistischen Puppen-Pendants, einer Frau mit Konfektionsgröße 44 nachempfunden. Danach fragte man die Mäuse, inwieweit sie mit ihrem eigenen Körper zufrieden wären. Diejenigen unter euch, die nah am Wasser gebaut sind, können jetzt schon mal die Taschentücher holen. Bei den Mädchen in der Barbie-Gruppe zeigte sich, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper wesentlich höher war und diese Kinder einen stärkeren Wunsch nach einem dünneren Körper hatten als die anderen. Wir sprechen hier wie gesagt von fünf- bis achtjährigen Mädels. Quasi Babys, grad mal aus den Windeln raus, die sich mit Barbie vergleichen und davon ein geringeres Selbstwertgefühl bekommen.3
Es ist ja nicht nur Barbie, die uns alle irremacht. Unerreichbare Schönheitsideale werden allen vorgesetzt, egal ob Knirps oder Oma. Irgendwann legen die Mädchen vielleicht den Plastikzombie beiseite, gucken dann aber Germany’s Next Topmodel, hören Taylor Swift und finden die gephotoshoppte Gigi Hadid klasse. Dann werden Filme und Fernsehsendungen mit ranken und schlanken Schönheiten geguckt und am Schluss fühlen sich alle schlecht.
In den Medien sieht man meist nur schlanke Menschen, als hätten es die anderen nicht verdient, gezeigt zu werden. Ich will aber alle sehen und damit bin ich bestimmt nicht allein.
Dicke, dünne, junge, alte. Weil wir coole, kluge, lebensfrohe Vorbilder brauchen von allen Typen, die’s gibt. Dazu bräuchte es aber von allen mehr Toleranz. Dass es an der fehlt, hat mir Facebook unlängst mal wieder gezeigt. Die meisten Facebook-Diskussionen gehen an mir vorüber, weil mir meist die Muße fehlt, mich irgendwo reinzuhängen. Außerdem möchte ich mich nicht mit jedem Kleingärtner duellieren, da das soziale Miteinander in den sozialen Netzwerken oft fehlt. Mein Onlineaktionismus beschränkt sich daher darauf, lustige Schwachsinnigkeiten zu teilen, die die Menschheit meist nicht weiterbringen.
Unlängst habe ich mich aber in eine Diskussion reingefressen wie ein auf Krawall gebürsteter Wadenbeißer. Es ging dabei um die Politikerin Claudia Roth. Obwohl ich bisher mit der Bundestags-Vize nicht so viel am Hut hatte, stand ich auf einmal hinter ihr wie die Cosa Nostra hinter Tony Soprano. Ich wusste über sie nur, dass sie nicht ganz so steif war wie der Rest, dass sie sich für die Integration von Migranten stark gemacht hat, grün ist und auch mal emotional sein kann. Das macht sie in meinen Augen sympathisch, weil ich sowieso nie verstanden habe, warum die bei all den Intrigen und Angriffen im Bundestag nicht ständig heulen oder um sich schlagen.
Claudia Roth trug beim Bundespresseball ein rotes Kleid, das ihr, wie ich fand, gut stand. Das Model Franziska Knuppe trug ein Kleid aus dem gleichen Stoff. Anderer Schnitt, andere Konfektionsgröße, anderer Mensch, anderes Alter, andere Berufsgruppe, andere Prioritäten im Leben. Ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtensender machte auf seiner Facebook-Seite ein Posting, in dem er die beiden Damen nebeneinanderstellte und drüber schrieb: „Worst-Case-Szenario beim Bundespresseball“.
Ernsthaft?! Trump, die Erderwärmung, Syrien, der IS und das ist der Worst Case? Wahrscheinlich gab’s an dem Abend 30 Männer im gleichen Hugo-Boss-Anzug und den Reportern ging’s links am Arsch vorbei. Dieses Posting wollte auch nicht auf den Ojemine-da-haben-wir-das-Gleiche-an-ups-Case hinweisen, sondern sich darüber lustig machen, wie das Kleid an der beleibteren Frau Roth aussah. Ich weiß, wir haben schon von gröberen Gemeinheiten gehört, nur wurde diese sexistische Quälerei von unseren Gebührengeldern finanziert. Von der Bild-Zeitung erwarte ich mir genau diese Art von Berichterstattung, die natürlich mit auf den Zug aufgesprungen ist, aber nicht von einem halbwegs seriösen Nachrichtenportal. Was die Trolle4 im Internet daraus gemacht haben, hat mich noch viel sauererererer gemacht. Ich muss nicht erwähnen, dass es nicht die Schönsten und Klügsten waren, die über Frau Roth hergefallen sind. Keiner von denen sah aus wie Franziska Knuppe, denn Leute wie sie haben so etwas gar nicht nötig. Was viele Internet-Trolle bei ihrer Hetze immer ausblenden: Man sieht deren eigenen Profilbilder und das ist auf mehreren Ebenen nicht so vorteilhaft für sie. Ich konnte nicht anders, als die Roth zu verteidigen, habe aber schnell gemerkt, dass die Welt davon auch nicht besser geworden ist und Facebook manchmal ziemlich doof sein kann.
Eine meiner attraktivsten Bekannten ist eine sehr erfolgreiche TV-Moderatorin und macht zurzeit so ziemlich alles, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so läuft. Neid, aber sie darf das. Ich gönn es ihr. Ein bisschen. Sie ist schlagfertig, klug und hat abartig schöne Haare. Die Venus sieht daneben aus wie Charlie Brown. Als sie mit einem neuen Wissensformat auf Sendung ging, gab’s für diese Wahnsinnsbraut einen Mini-Shitstorm wegen ihres Aussehens. Initiiert von irgendwelchen Trudis und Hildes, die ein Problem mit den vollen Haaren hatten und den durchschnittlich großen Brüsten. Excusa, aber seit wann ist das schlecht? Auch hier wieder: Man konnte die Troll-Frauen sehen. Nicht gut! Optisch war die Beauty-Jury irgendwo zwischen Ma Flodder und Karl Dall angesiedelt. Mein Rat an all die Trolle weltweit wäre daher: Spiegel kaufen und die anderen in Ruhe lassen!
Was ich mit diesem kleinen Exkurs sagen möchte, weiß ich jetzt auch nicht mehr, außer dass das Internet manchmal ein Riesenarsch sein kann. Aber ständig bewertet zu werden, erlebe ich leider auch offline. Ich weiß nicht, wie oft ich mir schon hab sagen lassen müssen, was an mir nicht stimmt. Nase zu groß, Busen zu klein, zu viel Hüftgold, Doppelkinn, zu alt. Obwohl ich schlank bin, habe ich mir im Laufe meines Lebens schon ein paarmal angehört, dass das nicht so sei. Es gab Regisseure, die mir während der Dreharbeiten ins Ohr geflüstert haben: „Bauch einziehen und nicht nach unten schauen, da hast du ein Doppelkinn. Sieht nicht gut aus.“ In meinen Zwanzigern hab ich’s noch bedröppelt hingenommen, meinen kleinen Wohlstandsranzen eingezogen, versucht nicht mehr nach unten zu gucken und mich dabei infrage gestellt. Irgendwann habe ich angefangen, solche Flüsterkommentare laut vorm ganzen Team zu wiederholen. „Ich habe dich gerade nicht so gut verstanden, ich soll wegen dem Doppelkinn nicht nach unten schauen und gleichzeitig den Bauch einziehen?! Danke für den Hinweis, aber das lassen wir jetzt mal so. So sehen Menschen nun mal aus, die Sachen essen. Das darf der Zuschauer ruhig mitkriegen“. Freunde habe ich mir mit dieser Art keine gemacht, aber mein Bauch findet es klasse und ich ihn auch.
Ich habe nicht den Anspruch, wie ein Victoria’s-Secret-Engel auszusehen, der gerade drei Tage vor der Show noch ein Baby zur Welt gebracht hat und die Pfunde mit drei Spinatblättern und zehn Liter Evian wieder weggekriegt hat. Ich lebe gesund und mache auch immer wieder Sport, weil’s gut ist, aber wenn sich mein Körper außerhalb dieser überschaubaren Anstrengungen verformt, so möge die Macht mit ihm sein. Hauptsache g’sund. Ich habe auch keine Lust mehr, meine Makel zu verstecken, schon allein deshalb nicht, weil ich mit meiner Kindersendung eine Verantwortung trage. Die Kids dürfen ruhig wissen, dass es okay ist, wenn man so ist, wie man ist. Vielleicht rührt dieses Selbstverständnis aber auch daher, dass ich in einer Zeit groß geworden bin, in der die Ansprüche noch nicht so unerreichbar waren. Die Schönheitsideale meiner Kindheit waren Nena, Cyndi Lauper, die frühe Madonna. Da konnte man noch mithalten, Achselhaare und Sturmfrisuren hatten noch nicht so einen schlechten Ruf. Es menschelte.
Mit den heutigen Ansprüchen kommen die Kids immer weniger klar. 2006 fühlten sich noch 70 Prozent der Mädchen wohl in ihrer Haut, 2012 sind es laut WHO nur noch 43 Prozent. Die Schönheitsideale werden immer unerreichbarer, die Ansprüche an junge Mädchen immer höher.
Was ich sehr schade finde, ist, dass Frauen sich auch gar nicht mehr gefallen dürfen. Wenn man zugeben würde, dass man das mag, was man im Spiegel sieht, würde man Gefahr laufen, als selbstverliebt abgestempelt zu werden. Lieber rumjammern, wie fett und hässlich man ist, so lange, bis man es selbst glaubt. Ich höre so selten Frauen sagen, dass sie sich zur Abwechslung auch mal schön finden oder dass sie irgendetwas an sich mögen.
In meiner alten Mädels-WG hatten wir tatsächlich eine Hausordnung, bestehend aus nur einer Regel: Es war strikt verboten, schlecht über sich selbst und sein Äußeres zu sprechen. Wir haben uns gegenseitig immer wieder Komplimente gemacht. Kam eine aufgebrezelt aus dem Bad, gab’s schon mal Standing Ovations, gefolgt von einem „Werte Frau Mitbewohnerin, heute sind wir wieder einmal zum Niederknien schön“. Wir hatten unseren Spaß damit und angefühlt hat sich’s auch gut. Genau die Hausordnung gibt’s bei mir und meiner Tochter jetzt auch. Sollte jeder einführen.
Ich möchte mich nicht schlecht fühlen, weil ich ein Mensch bin, der so aussieht, wie er aussieht. Keine Lust dazu. Trotz der ganzen Deckelungsversuche, die ich in 20 Jahren Medienzirkus so miterlebt habe, mag ich das, was ich im Spiegel sehe. Ich mag meine Nase, denn hätte ich die Standardversion, wäre mein Gesicht l-a-n-g-w-e-i-l-i-g. Ich mag meinen Wohlstandsbauch, weil er mich dran erinnert, dass er meine wundervolle Tochter beherbergt hat, und mir auch gezeigt hat, wozu mein Körper imstande ist.
Schluss damit, dass wir ständig daran arbeiten, wie irgendjemand anderes auszusehen. Aus einem Mops kann man keinen Windhund machen. Jeder hat das Recht darauf, zufrieden mit seinem Aussehen zu sein – wie kleine Kinder, die die größte Freude damit haben, wenn sie sich im Spiegel sehen, und noch nichts von dem wissen, was da auf sie zukommt.
{ 1 } Quelle: VOX, Süddeutsche TV
{ 2 } http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/koerper106.html
{ 3 } http://willettsurvey.org/TMSTN/Gender/DoesBarbieMakeGirlsWantToBeThin.pdf
{ 4 } Der Troll ist laut Duden ein „Substantiv, maskulin, jemand, der [fortgesetzt] beleidigende und diskriminierende Kommentare ins Internet stellt“. Eine ernst zu nehmende Plage, die mittlerweile durch alle Foren und Kanäle mobbt.