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4.1 Verbflexion

SiehtVerbflexion man von anspruchsvollen Verbformen (z. B. Passiv oder Konjunktiv), für deren sicheren Gebrauch auch deutschsprachige Kinder bis weit ins Schulalter hinein brauchen, einmal ab, scheint die Verbalflexion im Vergleich zur NominalflexionNominalflexion den Lernenden insgesamt weniger Schwierigkeiten zu bereiten. Dies mag zum einen an der wortfinalen Position der merkmalsrelevanten Flexive liegen, aber sicher auch an der satzfinalen Position finiter Verben in Nebensätzen. Wort- und satzfinale Positionen gelten für den Spracherwerbsprozess im Allgemeinen als vorteilhaft, weil sie salienter (auffälliger), also leichter wahrnehmbar sind und somit eher im Sprachverarbeitungsprozess Berücksichtigung finden.

Die folgenden Äußerungen zweier Kinder sollen zum einen illustrieren, welche Aspekte der Verbalflexion dennoch gewisse Hürden darstellen, und zum anderen für den Lerngegenstand der NominalflexionNominalflexion sensibilisieren, auf den im Anschluss genauer eingegangen werden soll.

Bildung des Perfekts

Beide Kinder sind im Alter von ca. 3 Jahren in eine deutschsprachige Kita gekommen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung waren sie ca. 6 Jahre alt. Die Erstsprache (L1) des ersten Kindes, das im Gespräch mit einer Erwachsenen, ausgehend von einem gemeinsam beobachteten Ereignis, von Selbsterlebtem berichtet, ist Russisch. Die L1 des zweiten Kindes, das eine Bildergeschichte erzählt, ist Türkisch.

Gesprächsauszug mit nicht-zielsprachlichen Partizipbildungen und Auxiliaren

K: […] und da hat er runtergeplumpst. (Zwei Protagonisten zogen an einem Stück Stoff, bis einer losließ.)
E: Warum ist er da runtergeplumpst?
K: Weil er gezieht hat.
E: Ist dir sowas auch schon mal passiert? Hast du dir auch schon mal weh getan.
K: Paarmal. Einmal hab ich mich hier angestoßen. (Kind zeigt auf Knie.)
E: An was denn?
K: An Boden (.) hab ich runtergefallt (.) zwei mal.
E: Hm_hm und warum? Wie kam_s dazu?
K: Ich hab gerennt einfach.
E: Bist du gerannt? Und dann?
K: Hab ich gestolpert.
E: Bist du gestolpert.
K: Ja / so runtergefallt .

Auszug einer Bildergeschichte mit nicht-zielsprachlichen Partizipbildungen und Artikeln

Da will der Hund den Honig. […] Der Kind hat wieder darein geruft und der Hund hat den Bienenhaus kaputt gemacht. Und Eichhörnchen guckt den Kind an.
Jetzt klettert der da hoch – der Kind und der Eule kommt ihn nach. […] Jetzt hat der Rentier den Kopf genehmt und hat den runtergeschmeisst .

Abb. 4.2:

Bildsequenz (nach Mayer 1969)

Bei der PerfektbildungPerfektbildung der Kinder fällt auf, dass sie beim Partizip II nahezu konsequent dem Muster der schwachen Verben folgen: *gezieht, *runtergefallt, *gerennt, *runtergefallt, *geruft, *genehmt, *runtergeschmeisst. Sie haben das PräfixPräfix ge- und das SuffixSuffix -t als formbildend identifiziert und nutzen diese Markierung nun beharrlich für alle Verben. Das ist nur allzu verständlich, denn die Lernenden – auf der Suche nach transparenten Form-Funktions-Zusammenhängen – entdecken die regelhafte Partizipbildung der schwachen Verben recht schnell, während sich die Bildungsweisen der starken und der unregelmäßigen Verben deutlich schwerer erschließen, wobei das Suffix -en, das sich am Partizip II aller starken Verben findet, dem Lernenden wiederum leichter zugänglich ist als die verschiedenen VokalwechselVokalwechsel (schreibengeschrieben, singengesungen, treffengetroffen).

In der ersten Erzählung fällt eine weitere zielsprachliche Abweichung bei der PerfektbildungPerfektbildung auf – ebenfalls sehr typisch für den ungesteuerten Deutscherwerb: Das Kind verwendet als Hilfsverb ausschließlich eine Form von haben (z. B. hat er runtergeplumpst, hab ich runtergefallt). Die Distribution von haben und sein hat sich das Kind bislang noch nicht erschließen können. Laut DUDEN „Die Grammatik“ (2016: 473) ist die Perfektbildung mit haben aber auch der Normalfall und die Perfektbildung mit sein der Sonderfall. Nach Fandrych & Thurmair (2018: 36) wird sein verwendet bei:

 Verben, die eine Orts- oder Positionsveränderung bezeichnen (Bewegungsverben): gehen, fahren, klettern, fallen, ankommen, umziehen, …

 Verben, die eine Zustandsänderung bezeichnen: aufwachsen, einschlafen, erblühen, verblühen, sterben, wachsen, …

 den Verben sein, werden, bleiben (ich bin gewesen, er war gewesen, sie sind geblieben)

Bezogen auf den ausgewählten Bereich der Verbalflexion sei an dieser Stelle festgehalten, dass die Lernenden die Hauptregeln der PerfektbildungPerfektbildung entdecken und diese dann zunächst übergeneralisieren. Wie verhält es sich mit der NominalflexionNominalflexion? Die Bildergeschichte des zweiten Kindes, in der verschiedene Nomen Verwendung finden, ist hier besonders aufschlussreich. Wie am Artikelgebrauch zu erkennen, scheinen nicht alle grammatischen Kategorien Beachtung zu finden und dennoch lässt sich eine gewisse Systematik feststellen. Der nächste Abschnitt gibt Aufschluss darüber, wie sich Lernende das System der Nominalflexion erschließen.

Aufgaben

 1.* Vor welchen Herausforderungen bzw. Umstellungen stehen Deutschlernende, deren Herkunftssprache zum agglutinierenden Typ gehört?

 2.** „Ich habe auf der Couch gelegen“ oder „Ich bin auf der Couch gelegen“? Welche der beiden Perfektbildungen bevorzugen Sie? Es handelt sich hier um regionale Varianten, die beide als richtig anzusehen sind.1 Wie würden Sie mit diesen Varianten im Deutschkurs umgehen?

Partner- oder Gruppenaufgabe

 3.** Nachfolgend sehen Sie Auszüge zweier DaF/DaZ-Lehrwerke zur PerfektbildungPerfektbildung. Wie beurteilen Sie (aus der Lernendenperspektive) die Heranführung an die haben/sein-Distribution? Welche Aspekte der Übungen würden Sie als gelungen bezeichnen (bitte begründen) und wo sehen Sie Optimierungsbedarf? Tauschen Sie zu zweit und/oder in der Gruppe Ihre Meinungen aus.Abb. 4.3:Auszug aus: Prima ankommen. Deutsch. Arbeitsbuch DaZ 5-7, S. 26 © Cornelsen/ Gregor MecklenburgAbb. 4.4:Auszug aus: DaF kompakt A1-B1, Kursbuch, S. 40 © Ernst Klett Sprachen

Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit

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