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4.2.3 Numerus

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Das Deutsche verfügt mit Singular und PluralPlural über zwei NumeruskategorienNumeruskategorien, von denen nur letztere durch bestimmte Flexive angezeigt wird (Wegener 1995a: 10) und daher im Fokus dieses Kapitels stehen soll. Die Kennzeichnung erfolgt über drei verschiedene Markierungstypen: additiv durch Suffixe, modifikatorisch durch Umlaut und durch den Artikel bzw. Nullartikel bei Indefinitheit (siehe Tab. 4.7). Diese Pluralmarker treten einzeln, vgl. (a), oder in Kombination auf, vgl. (b).

Singular Plural
(a) z.B. nur Artikel ein Lehrer der Lehrer Lehrer die Lehrer
(b) Artikel + SuffixSuffix Artikel + Umlaut Artikel + SuffixSuffix + Umlaut der Hund der Vater das Haus die Hund e die V ä ter die H ä us er

Tab. 4.7:

Pluralmarkierungstypen (nach Wegener 1995a: 12)

Eine gewisse Erleichterung mag es den Lernenden bringen, dass bei den Artikeln im Plural Genus nicht unterschieden wird, siehe Tab. 4.8. Im Vergleich zum Singular ist beim Artikelgebrauch im Plural also „lediglich“ die Kasusinformation zu beachten und da für die beiden am meisten gebrauchten Fälle Nominativ und Akkusativ die gleiche Form zu verwenden ist, stellt das Artikelsystem im Plural keine allzu große Herausforderung für die Deutschlernenden dar. Diese liegt eher in der Pluralmarkierung am Nomen selbst – konkret in der sogenannten PolymorphiePolymorphie oder auch Allomorphie genannt: Eine bestimmte grammatische Bedeutung (hier Plural) wird nicht nur durch eine Form ausgedrückt, sondern durch mehrere, vgl. (Abb. 4.9). Diese werden auch als Varianten des zu repräsentierenden Morphems bezeichnet bzw. (um die Fachbegriffe zu gebrauchen) als Polymorphe oder Allomorphe.

M N F Plural
Nominativ der das die die
Akkusativ den das die die
Dativ dem dem die den
Genitiv des des der der

Tab. 4.8:

Definite Artikel im Singular und Plural, Aufhebung der Genusdistinktion im Plural (nach Wegener 1995a: 100)

Die Lesenden seien noch einmal erinnert an den in Kapitel 4.2 eingeführten Begriff der Polyfunktionalität (eine Form – mehrere grammatische Bedeutungen). Bei der Polymorphie ist das Verhältnis umgedreht: eine grammatische Bedeutung – mehrere Formen. Beide Phänomene wirken sich erwerbserschwerend aus, sind sie doch weit entfernt vom erwerbsbegünstigenden Ideal: eine Form – eine Bedeutung / eine Funktion.

Während in agglutinierenden Sprachen wie Türkisch und in morphemarmen Sprachen wie Englisch und Französisch jeweils nur ein Pluralmarker mit phonologisch bedingten Allomorphen zu erlernen ist (Wegener 1995a: 11), müssen Deutschlernende „nicht weniger als 9 verschiedene Pluralflexive erkennen“ (ebd. 12), vgl:

Abb. 4.9:

Pluralflexive des Deutschen (nach Wegener 1995a: 12)

Wie mag es sich für Lernende auf A1-Niveau anfühlen mit einer solchen Varianz an Pluralmarkern konfrontiert zu werden – oftmals begleitet von dem gut gemeinten Tipp: Singular- und Pluralform (z. B. Tag – Tage, Woche –Wochen) am besten immer zusammenzulernen (siehe Aufgabe 5 zur Pluralbehandlung in Lehrwerken). Lassen sich in der deutschen Pluralbildung nicht auch Regelhaftigkeiten finden, sodass sich das Auswendiglernen auf Ausnahmen reduzieren ließe? Bereits aus den 1970ern stammen Vorschläge, das zentrale Pluralsystem mit nur wenigen Regeln zu beschreiben. So formuliert Augst (1979) die drei in (31) aufgeführten Regeln. Die selten vorkommenden Plurale -er und -s sowie die Umlautung werden von ihm nicht berücksichtigt.

(31) 1. Maskulina und Neutra bilden den Plural auf -e, Feminina auf -en.
2. Maskulina und Neutra auf -el, -er, -en, -lein bilden den Plural mit -ø.
3. Substantive auf -e bilden den Plural auch im Maskulinum auf -en.
ebd. 224

Allein mit diesen drei Regeln lässt sich die Pluralbildung des Grundwortschatzes und in Bezug auf Derivationen sogar darüber hinaus mehrheitlich erfassen. Wie Eisenberg (2013: 158) anerkennend ausführt, gehorchen abgeleitete Nomen (z. B. der Lehrer die Lehrer, die Lösung die Lösungen) diesen Regeln nahezu immer, Nomen mit Schwa-Silben (e, er, el, en) zu 98 % (2929 von 2976 Nomen) und alle übrigen zu 84 % (1524 von 1819).

Tab. 4.9:

Die Bildung der Pluralformen (in wesentlichen Auszügen), in Anlehnung an DUDEN (2005)

Für (uns) an der Sprachvermittlung Interessierte greift diese Reduktion sicherlich zu kurz – nicht zuletzt auch deswegen, weil der InputInput der Lernenden gerade am Anfang Substantive in hoher Frequenz enthält, die von den genannten Regeln nicht erfasst werden (z. B. Kinder, Bücher, Häuser, Autos, Hände). Wir orientieren uns daher im Folgenden an der DUDEN-Grammatik (2005: 182-187) und übernehmen die Unterscheidung in Regeln und Sonderfälle. Letztere sind nicht herleitbar und müssen auf jeden Fall gelernt werden. Bei den Regeln ist es sinnvoll, noch einmal zu differenzieren zwischen Grundregeln (GR), die einen großen Teil des Wortschatzes abdecken und Zusatzregeln (ZR), die sich auf nur wenige Substantive beziehen. Beispielsweise hat die GR2 einen Skopus (= Wirkungsbereich) von 35,9 %, hingegen erfasst die ZR2 lediglich 2 % des Grundwortschatzes (Wegener 1995a: 32).

In Tab. 4.9 sind die für die ersten Sprachniveaustufen relevanten Regeln und Sonderfälle aufgeführt. Für weitere Ausführungen zu Sonder- und Einzelfällen (u.a. auch den Bildungswortschatz und Fremdwörter betreffend), zu Eigennamen, Kurzwörtern sowie zu regionalen Schwankungen siehe DUDEN (2016: 186-194).

Die Deutschlernenden müssen sich also nicht nur mit verschiedenen Pluralmarkern auseinandersetzen sondern auch mit verschiedenen Regeln, die unterschiedliche Wirkungsbereiche beanspruchen und zudem mit einer Reihe von Sonderfällen.

Wie aus Tabelle 4.9 ersichtlich wird, ist (mit Ausnahme von ZR2) die Pluralmarkierung aufs Engste mit den Genusklassen verwoben. Da gerade die Genuskategorie für Deutschlernende als eine der größten Schwierigkeiten gilt (siehe hierzu auch Kapitel 4.2.1 und 10), stellt sich natürlich die Frage, ob und wie man die hier präsentierten Regularitäten überhaupt für den Pluralerwerb nutzen kann. Ein mögliches, dem System gerechtwerdendes didaktisches Vorgehen könnte so aussehen, dass Genus und Plural zusammen in den Blick genommen werden, um die Grundregeln der Pluralbildung zu etablieren. Beispielsweise könnte ein Wortschatzspiel, ein Text oder eine Liste Nomen in der Singular- und Pluralform enthalten, die der Einsilber-Regel (Einsilber → M) und der Schwa-Regel (-e → F) folgen. Man könnte die Formen auffinden, markieren oder herausschreiben lassen und Überlegungen anstoßen, wie der Plural für maskuline und feminine Nomen gebildet wird, vgl. Tab. 4.10. Es sollten sich verschiedene Übungen anschließen, um hinreichend Gelegenheit zu geben, die zwei Grundregeln anzuwenden. Im Rahmen einer explorativen Übung ließe sich die GR1 um Neutra (z. B. das Jahr – die Jahre, das Tor – die Tore, das Boot – die Boote, das Brot – die Brote) erweitern.

maskuline Substantive feminine Substantive
ein / der Tag ein / der Tisch ein / der Stuhl ein / der Stift – – – – die Tage zwei Tische die Stühle viele Stifte eine /die Woche eine / die Uhr eine / die Tasche eine / die Schere – – – – die Wochen die Uhren die Taschen zwei Scheren
Regel 1: Maskuline Substantive bilden den Plural auf -e. Regel 2: Feminine Substantive bilden den Plural auf -(e)n.

Tab. 4.10:

Erarbeitungsbeispiel für GR1 und GR2

Für die GR3 würde man in ähnlicher Weise verfahren und Feminina mit n-Plural kontrastieren mit Nicht-Feminina, die auf -er, -el oder -en enden und einen endungslosen Plural bilden (vgl. Tab. 4.11). Für einige Lernende mag es hilfreich sein, die erarbeiteten Pluralformen mit Unterstützung der vorlesenden Lehrkraft auch hinsichtlich ihrer SilbenstrukturSilbenstruktur zu reflektieren und zu erkennen, dass sie allesamt zweisilbig sind und dem trochäischen Betonungsmuster (betont-unbetont) folgen – eine morphoprosodische Bedingung der deutschen Pluralbildung bei einfachen, nicht abgeleiteten Wörtern (den sogenannten Simplizia) (Eisenberg 2013: 160).

maskuline und neutrale Substantive feminine Substantive
ein / das Mädchen ein / der Teller ein / das Muster ein / der Löffel ein / das Messer – – – – – zwei Mädchen vier Teller die Muster die Löffel vier Messer eine / die Frau eine / die Tasse eine / die Schüssel eine / die Kanne eine / die Gabel – – – – – zwei Frauen vier Tassen die Schüsseln zwei Kannen nur drei Gabeln
Regel 3: Maskuline und neutrale Substantive auf -er, -el und -en bilden den Plural endungslos. Regel 2: BESTÄTIGT ! → SIEHE OBEN

Tab. 4.11:

Erarbeitungsbeispiel für GR3 und Bestätigung für GR2

Mit den drei Grundregeln sind ca. 70 % des Grundwortschatzes erfasst. Besonders verlässlich ist die Pluralregel für Feminina, weil sie von diesen 91 % abdeckt (Wegener 1995a: 32) und auch auf Nominalisierungen mit -ung, -heit, -keit (die Meinung-en, die Besonderheit-en) anwendbar ist. Diese Verlässlichkeit des femininen Plurals könnte sich durchaus positiv auf den Genuserwerb auswirken – zumindest aber auf die Herausbildung der Opposition feminin vs. nicht-feminin. (Eine solche Unterstützungsfunktion kann vom Plural natürlich nur dann ausgehen, wenn die Lernenden nicht in der naheliegenden auslautbezogenen Hypothese, alle Substantive auf -e bilden den Plural mit -n, bestärkt werden. Diese Auslautregel ist kurzfristig zwar eine sichere Bank, versperrt aber den Blick auf die genusdeterminierte Systematizität im Pluralsystem.) Bei Feminina herrscht im Plural ein starker Markierungsdruck. Dadurch, dass einerseits die Artikel im Singular und Plural formidentisch (die die) sind und andererseits die meisten femininen Simplizia (ca. 1400) im Singular auf dem Schwa-LautSchwa-Laut enden, kann nur mit dem n-Plural die kategoriale Erkennung gewährleistet werden (Augst 1979: 224). Selbst bei den wenigen Feminina „ohne charakteristischen Wortausgang“ mit dem Sonderfall der e-Pluralbildung (z. B. Hände, Nüsse, Mäuse) wird durch die obligatorische Umlautung eine regelhafte Kennzeichnung vorgenommen (ebd. 224). Wir sehen in diesen Regelhaftigkeiten der Pluralbildung durchaus Potenziale, die feminine Genuskategorie im Erwerbsprozess zu unterstützen (siehe oben). Im Kontrast zur femininen Kategorie lassen die beiden nicht-femininen Kategorien deutlich mehr Unregelmäßigkeiten zu. Beispielsweise werden von den maskulinen Einsilbern mit umlautfähigen Vokalen nur etwa die Hälfte umgelautet (der Hutdie Hüte, der Tagdie Tage) – jedoch ohne erkennbare Regel (Eisenberg 2013: 159). Laut Köpcke (1993) lässt sich aber bei Einsilbern, die Lebewesen bezeichnen, eine deutliche Tendenz feststellen, den Plural mit Umlaut zu bilden (der Koch – die Köche, der Floh – die Flöhe, der Fuchs – die Füchse; Ausnahme: der Hund – die Hunde).

Eine Frage, die sich in Bezug auf die in Tab. 4.9 genannten Zusatzregeln und Sonderfälle stellt, ist, ob, wann und wie diese zum expliziten Vermittlungsgegenstand werden sollten. Eine Option wäre, die Deutschlernenden im Zuge der Vermittlung von GR1, GR2 und GR3 bereits darauf vorzubereiten, dass es über die Grundregeln hinaus noch zwei Zusatzregeln gibt, die aber auf nur sehr wenige Nomen zutreffen, sowie einige auswendig zu lernende Sonderfälle. Wenn dann im Unterricht entsprechende Vertreter vorkommen, können die Lernenden oder die Lehrkraft diese mit Singular- und Pluralform auf (für Zusatzregeln und Sonderfälle) vorbereitete, im Klassenzimmer längerfristig hängende Plakate notieren. Auf diese Weise wäre eine Sensibilisierung für die Komplexität und partielle Unregelmäßigkeit des Pluralsystems gewährleistet ohne jedoch die Lernenden zu überfordern und ohne die etablierten Grundregeln zu erschüttern. Die unregelmäßigen Formen können so nebenbei gelernt werden, was bei einigen Lexemen (z. B. Junge – Jungen, Mensch – Menschen, Kind – Kinder, Haus – Häuser, Buch – Bücher, Hand – Hände) aufgrund der hohen Tokenfrequenz im InputInput der Lernenden ohnehin passiert. Sobald die gemeinsam geführten, für alle sichtbaren Sonderfall-Listen mehrere Einträge aufweisen, könnte man zusammen nach Mustern Ausschau halten (z. B. das Kind – die Kinder / das Rind – die Rinder; das Buch – die Bücher / das Tuch – die Tücher; die Maus – die Mäuse / die Laus – die Läuse; die Nuss – die Nüsse / der Kuss – die Küsse), um im Erwerbsprozess (neben der Regelanwendung) auch die Potenziale der Analogiebildung auszuschöpfen.

Aufgaben

 1.* Worin bestehen die potenziellen Schwierigkeiten beim Pluralerwerb des Deutschen?

 2.** Ordnen Sie die folgenden Nomen einer Pluralregel oder einem der Sonderfälle zu.die Hose – die Hosen, der Hunddie Hunde, das Plakat – die Plakate, die Tür – die Türen, der Mann – die Männer, der Traum – die Träume, das Heft – die Hefte, der Füller – die Füller, das Sofa – die Sofas, der LKW – die LKWs, das Zeichen – die Zeichen, die Mauer – die Mauern, die Bewerbung – die Bewerbungen, die Kunst – die Künste, der Pädagoge – die Pädagogen, der Vogel – die Vögel, der Abgeordnete – die Abgeordneten, der Besucher – die Besucher, das Ziel – die Ziele, die Landschaft – die Landschaften, das Dorf – die Dörfer, die Stadt – die Städte, das Land – die Länder

 3.*** In verschiedenen L1- und L2-Studien zum Pluralerwerb des Deutschen hat sich wiederholt „eine ganz offensichtliche Vorliebe für die Pluralbildung mit -(e)n“ gezeigt (Diehl et al. 2000: 210), festzumachen an häufigen Übergeneralisierungen wie z. B. *Handen (Hände), *Fruschten (Früchte), *Freunden, *Fischen (ebd. 215).Überlegen Sie einmal, was -(e)n gegenüber den anderen Pluralmarkern so attraktiv macht? Vergleichen Sie Ihre Überlegungen mit den Ausführungen in Kapitel 11 zum Erwerb des Plurals.

Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit

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