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4.2.2 Kasus

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Die Hauptfunktion der Kasus besteht darin, die grammatischen Relationen Subjekt (SU), direktes Objekt (DO), indirektes Objekt (IO) und Attribut (ATT) zu unterscheiden (Wegener 1995a: 120).

(13) [Der Junge]SU streichelt [den Hund]DO [des Nachbarn]ATT.
(14) [Der Junge]SU gibt [dem Hund]IO [des Nachbarn]ATT [einen Knochen]DO.

In den Beispielen (13) und (14) markiert der Nominativ das Subjekt, der Akkusativ das direkte Objekt, der Dativ das indirekte Objekt und der Genitiv das Attribut. Während der Genitiv ein adnominaler (vom Nomen abhängiger) Kasus ist, sind Nominativ, Akkusativ und Dativ adverbale Kasus – sie sind vom Verb regiert. Das Verb, als zentrale Instanz im Satz, verlangt einerseits seine Leerstellen mit grammatischen Relationen bzw. syntaktischen Funktionen (SU, DO, IO) zu füllen und andererseits deren Belegung mit semantischen Rollen (Agens, Patiens, Rezipient). Man bezeichnet daher die Argumentstruktur oder Argumentforderung des Verbs auch als Schnittstelle zwischen Syntax und Semantik. Nach allgemeiner Auffassung sind sowohl die semantischen Rollen als auch die grammatischen Relationen und die Kasusformen hierarchisch geordnet, vgl. Abb. 4.7, und im Normalfall wie folgt miteinander in Beziehung zu setzen: Die ranghöchste semantische Rolle (Agens) wird auf die ranghöchste syntaktische Funktion (Subjekt) abgebildet und diese wird mit dem ranghöchsten Kasus realisiert (Wegener 1995a: 122, nach Wunderlich 1985).

Agens > Patiens > Rezipient
(die Handlung verursachend, kontrollierend) (von Handlung betroffen) (Empfänger bei Besitzwechselverben, Adressat bei Mitteilungsverben)
Subjekt > direktes Objekt > indirektes Objekt
Nominativ > Akkusativ > Dativ

Abb. 4.7:

Semantische RollenSemantische Rollen, syntaktische Funktionen, Kasus: Hierarchien und Verknüpfung (Linking)

Aus diesen Regularitäten ergeben sich Unterstützungspotenziale für den Spracherwerb und die Sprachförderung: Da semantische Rollen den Lernenden (insbesondere den jüngeren) leichter zugänglich sind als syntaktische Relationen, bietet es sich an, die adverbalen Kasus über die semantischen Rollen zu vermitteln – beginnend mit einstelligen Handlungsverben1 (XNom schwimmt / tanzt / angelt / …), um mit den Formen des Nominativs (z. B. der ____ /er; die ____ /sie) vetraut zu werden, gefolgt von zweistelligen Handlungsverben, um nun für die Patiensrolle den Akkusativ einzuführen. Das Patiens (Y) kann belebt (XNom küsst YAkk, XNom umarmt YAkk, …) oder unbelebt (XNom liest YAkk, XNom trinkt YAkk, …) sein. Sind die Lernenden mit den Formen für Nominativ und Akkusativ vertraut, können dreistellige Verben des Besitzwechsels (XNom schenkt / gibt / bringt ZDat YAkk) zum Lerngegenstand werden – inhaltlich vielleicht eingebettet in eine Lektion über ein Geburtstagsfest oder eine andere Festivität, bei der Geschenke übergeben werden. Im Fokus steht nun die semantische Rolle des Rezipienten (Z), die mit einer belebten Entität zu besetzen und mit dem Dativ zu markieren ist.

Aufgrund der Kasusmarkierung erlaubt das Deutsche eine variable Anordnung der Aktanten, vgl. (15) und (16). Dies sollte den Lernenden frühzeitig vermittelt werden, um zu vermeiden, dass sich bei ihnen die Hypothese verfestigt, dass das Erstelement immer Subjekt bzw. Agens sei.

(15) a. Der Junge / das Mädchen umarmte den Vater / die Mutter.
b. Den Vater / die Mutter umarmte der Junge / das Mädchen.
(16) a. Die Mutter / der Vater schenkte der Lehrerin / dem Lehrer einen Blumenstrauß.
b. Der Lehrerin / dem Lehrer schenkte die Mutter / der Vater einen Blumenstraß.
c. Einen Blumenstrauß schenkte die Mutter / der Vater schenkte der Lehrerin / dem Lehrer.

Selbstverständlich muss eine vom Normalfall abweichende Reihenfolge entsprechend motiviert werden, um in Bezug auf die Anordnung relevanter Informationen eine gewisse Natürlichkeit im Sprachgebrauch zu simulieren. Abb. 4.8 enthält Anregungen, wie man hierbei vorgehen könnte.

Mit den in Abb. 4.7 dargestellten Regularitäten lassen sich „prototypenhaft die Standardfälle“ der HandlungsverbenHandlungsverben (Wegener 1995a: 123) erfassen. Darüber hinaus gibt es für alle vier Kasus weitere Verwendungskontexte, die im Folgenden lediglich kurz aufgelistet werden sollen, um danach einzelne Aspekte, die den Lernenden besondere Schwierigkeiten bereiten, noch einmal herauszugreifen.

Übung mit Vorgabe der Zielstruktur (Rezipient als Erstelement)

Am Abend wollen Lisas Eltern noch etwas lesen. Lisa holt für sie eine Zeitung und ein Buch.
Wem bringt Lisa die Zeitung und wem bringt sie das Buch? Was meinst du? Wem bringt Lisa was? Schau dir nun die Bilder an und vervollständige die Sätze.
Dem Vater bringt sie ___ _______ . Der Mutter bringt sie ___ ________ .

Übung zum Einsetzen der Zielstruktur (Rezipient als Erstelement)

Die Großeltern sind heute zu Besuch. Tom holt einen Tee und eine Cola aus der Küche.
Wem bringt Tom die Cola und wem bringt er den Tee? Was meinst du? Wem bringt Tom was? Schau dir nun die Bilder an und vervollständige die Sätze.
___ Oma bringt er ___ _______ . ___ _____ bringt er ___ _______ .

Abb. 4.8:

Auszüge einer Übung zur Objektvoranstellung bei Besitzwechselverben (© Bryant/Erhard)

Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit

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