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Charlotte

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Nichts fühlt sich wirklich an. Nicht, als wir meine Sachen in sämtliche verfügbare Koffer und Taschen packen und auch nicht, während der Fahrt von Newcastle nach Edinburgh. Die Häuser hier unterscheiden sich nicht großartig von denen bei uns, dennoch bin ich entschlossen, alles zu hassen.

„Es ist spießig hier.“ Ich betrachte die georgianischen Gebäude, die Seite an Seite die Brunstane Road säumen und verspüre keinen Drang, das Auto zu verlassen.

„Es ist eben ein altes Haus. Und nicht weit vom Strand.“ Mum sieht mich erwartungsvoll, als müsse ich jetzt in Freude ausbrechen, während sie sich abschnallt.

„Ich habe nicht viel für den Strand übrig“, gebe ich zurück.

Als Antwort darauf knallt Dad seine Autotür von außen zu, als wäre er der unglaubliche Hulk. Ich denke, er ist ziemlich erleichtert, wenn er endlich ohne mich nach Hause fahren darf.

Nach meinem Besuch bei Lewis habe ich meinen Eltern sofort mitgeteilt, dass ich doch nach Edinburgh gehe. Beide waren erleichtert, doch während mein Vater die ganze Woche über geradezu verboten gut drauf war, war meine Mum auch häufig traurig und wenn sie glaubte, keiner würde es bemerken, wischte sie sich verstohlen ein paar Tränen weg.

„Bist du auch sicher, dass du alles eingepackt hast?“ Mum fragt das zum hundertsten Mal. Zum hundertsten Mal antworte ich nicht darauf, woraufhin sie einfach weiterplappert. „Naja, ich habe dir ja beim Kofferpacken geholfen, es wird schon alles da sein.“

„Und selbst wenn nicht, wohnen wir nicht gerade Lichtjahre entfernt, Liz.“

Mittlerweile sind wir ausgestiegen. Dad betrachtet Mum genervt über das Autodach hinweg. Es ist der typische Dad-Mum-Blick. Bevor ich mir das weiter antue, hole ich lieber meine Sachen aus dem Kofferraum.

„Liiiiiz! Huhu!“

Ich vergrabe mich hinter dem Kofferraumdeckel, als ich Tante Jeans laute, etwas schrille Stimme höre, die von der Haustür zu uns herüber dringt. Dad tut es mir gleich und taucht ebenfalls tief in den Kofferraum ein, um in der hintersten Ecke eine Tasche von mir zu suchen.

„Die solltest du nicht vergessen“, sagt er, als wäre das enorm wichtig. Dabei hat er auf Tante Jean einfach so viel Lust wie auf eine Vasektomie.

Allerdings hilft das Versteckspiel nicht viel, denn die Koffer und Taschen sind schnell aus dem Auto geholt. Steif stehe ich da, während Tante Jean in einer Wolke aus rosa Chiffon auf uns zueilt, um erst Mum ein Küsschen links und rechts auf die Wange zu drücken und es dann bei Dad und mir gleichzutun. Hinter ihr her tapert Sherlock, der asthmatisch keucht, gefolgt von Onkel Allan, der uns allen nur steif die Hand gibt. Er ist, im Gegensatz zu Tante Jean, nicht so sehr für Körperkontakt, was ihn mir sehr sympathisch macht.

„Da seid ihr ja endlich!“ Der Traum in Rosa breitet die Arme aus und zeigt auf das Reihenhäuschen vor uns. Es sieht ein wenig heruntergekommen aus im Gegensatz zu seinen Nachbarn links und rechts, die anscheinend kürzlich renoviert worden sind. Die Fassade ist schmuddelig, an manchen Stellen bröckelt sie schon.

„Es gab einen Stau kurz vor Edinburgh“, verteidigt sich Mum, obwohl niemand sie angegriffen hat.

„Das Übliche, wenn man Freitagnachmittag irgendwohin fährt“, ergänzt Dad.

„Zum Glück sind Allan und ich schon heute Morgen hergekommen, da war noch alles ruhig.“

„Brian musste noch bis Mittag in der Praxis arbeiten.“ Mum wirft Dad einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich bücke mich zu Sherlock hinunter, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, damit niemand sieht wie genervt ich bin.

Als ich wieder hochkomme, entdecke ich sie. Lauren. Sie steht im Rahmen ihrer Haustür und sieht zu uns hinüber, macht aber keinerlei Anstalten uns zu begrüßen. Eigentlich wirkt sie so, als würde sie gar nicht hierher gehören, obwohl es doch ihr Haus ist.

„Kommt rein“, fordert uns Tante Jean auf und eilt voraus. Über die Schulter ruft sie noch: „Allan, hilf Brian doch bitte mit dem Gepäck.“

Als Dad und Onkel Allan wie zwei Esel bepackt mit meinen Koffern und Taschen ins Haus gehen und Mum folgen, die schon längst Tante Jean hinterher gehastet ist und nun ihre Cousine begrüßt, bleibe ich neben dem Auto stehen. Vom Meer weht eine kühle Brise die Straße hinauf, die einen salzigen Duft mit sich trägt, der ferne Erinnerungen an Strandurlaube in Spanien mit sich bringt. Das war, bevor Mum und Dad sich gleichgültig wurden und fortan getrennt in Urlaub fuhren – Dad meist mit mir auf irgendeinen Städtetrip und Mum mit ihren Mädels in diverse Wellnesshotels.

„Charlotte?“ Mum sieht mich von der Haustür aus auffordernd an. Ich seufze missmutig. Mein Blick wandert das kleine Reihenhäuschen auf und ab, das ab sofort auf unbestimmte Zeit mein Zuhause sein wird, dann setze ich mich in Bewegung.

Drinnen gibt es den unvermeidlichen Tee. Tee scheint für Erwachsene in jeder Lebenslage die richtige Lösung zu sein, was für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Immer und überall gibt es ihn. Wenn eine schwierige Situation zu meistern ist, wird zunächst eine Tasse Tee aufgebrüht und während einer Diskussion ist der Lieblingssatz aller Erwachsenen meines Erachtens: „Lasst uns doch bei einer schönen Tasse Tee darüber reden.“ Als hätte die schon jemals irgendeine Lösung gebracht. Ich habe noch nie davon gehört, aber trotzdem schwören alle darauf.

Ich setze mich an den klobigen Esstisch aus dunklem Holz, der in dem kleinen Erker fast überdimensioniert wirkt und sehe mich um. Alles in diesem Haus scheint alt und reichlich ramponiert zu sein. Fast erwarte ich, dass auf dem durchgesessenen Sofa zehn Katzen liegen, denn alles wirkt genauso, wie ich mir das Heim einer alten, schrulligen, alleinstehenden Lehrerin mit tausend Katzen vorstelle.

„Hi, ich bin Lauren.“

Gut, sie ist keine alte Lehrerin. Aber definitiv alleinstehend und vielleicht auch schrullig.

„Hast du Katzen?“

„Äh… Nein. Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht ist mir in den letzten zehn Minuten eine zugelaufen, da war ich abgelenkt, aber falls dem nicht so sein sollte, dann habe ich keine.“

Sie lächelt dabei nicht, sondern runzelt nur zerstreut die Stirn. Dennoch finde ich Lauren gegen meinen Willen ein bisschen witzig.

„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragt sie, dabei ist es doch ihr Haus und ihr Esstisch.

„Tu dir keinen Zwang an.“

„Charlotte!“, ermahnt mich Mum streng. „Sei etwas höflicher zu Lauren.“

„Schon gut.“ Lauren lässt sich auf den freien Platz neben mir sinken. Als sie die Hand nach der Teekanne ausstreckt, bemerke ich, dass sie zittert.

„Ich mache das schon.“ Tante Jean schnappt so schnell nach der Kanne wie ein Piranha nach einem Happen Fleisch. Sie steht, während alle anderen sitzen, bedient einen nach dem anderen, als wäre sie die Gastgeberin. „Es ist so schön, euch alle mal hier zu haben. Lauren, Liz, ihr habt euch sicher schon ewig nicht mehr gesehen.“

„Seit deinem 50. Geburtstag nicht mehr, Mum, das weißt du doch.“

„Ach stimmt, du erwähntest so etwas.“

Endlich setzt sich auch Tante Jean, ihr Stuhl ächzt und wackelt, obwohl sie wirklich alles andere als dick ist.

„Das ist der Stuhl, der schon ziemlich kaputt ist, Mum.“ Lauren springt auf. „Wir können tauschen, wenn du willst.“

„Nein, nein.“ Tante Jean fuchtelt abwehrend mit der Hand. „Mir macht das gar nichts aus, auf diesem Stuhl zu sitzen.“

Dabei wirft sie Lauren einen solch anklagenden Blick zu, dass allen hier Versammelten klar ist, dass dem nicht so ist. Langsam bilden sich rote Flecken auf dem Dekolleté von Mums Cousine, sodass ihr Hautton sich ihrem hummerfarbenen Shirt anpasst, das sich ohnehin fürchterlich mit ihrer Haarfarbe beißt. Das hier verspricht richtig interessant zu werden.

„Ich bin dir so dankbar für das, was du für uns tust.“ Mum ergreift Laurens Hand, woraufhin diese noch mehr Hektikflecken bekommt. Gut, vielleicht steht sie genauso wenig auf Körperkontakt wie ich. Dann werden wir uns wenigstens in der Hinsicht gut verstehen.

„Das ist schon in Ordnung“, murmelt sie bloß.

„Du hast Charlotte sicher bereits in deiner Schule eingeschrieben, sodass sie gleich am Montag mit dir mitgehen kann“, mischt sich nun wieder Tante Jean ein.

„Ich… äh…“ Lauren stockt, dann räuspert sie sich. „Ich dachte, dass es sich doch gar nicht lohnt, für zwei Wochen noch in die Schule zu gehen. Das Schuljahr endet bereits am 28. Juni. Und Charlotte findet sicher leichter in die Klasse, wenn sie Mitte August startet und wir einfach sagen, sie ist über die Ferien zugezogen. Es gibt weniger peinliche Fragen.“

„Oh.“ Ich sehe Tante Jean an, dass ihr das nicht ganz passt, aber sie kann sich der Logik nicht entziehen.

Auch Mum und Dad wechseln einen raschen, unsicheren Blick, nicken dann aber zustimmend.

„Das ist aus pädagogischer Sicht vermutlich richtig“, meint Dad, dabei reibt er unsicher über sein Kinn.

„Das klingt sehr vernünftig, Lauren“, bestätigt auch Mum. „Auch wenn es sicher trotzdem Fragen geben wird, warum ein junges Mädchen zu einer entfernten Verwandten zieht. Und die Schulleitung wird doch sicherlich von dem Schulverweis der Gosforth Academy wissen.“

„Sicher, aber das regele ich schon mit der Direktorin, sodass die Mitschüler nichts davon erfahren müssen.“ Lauren lächelt. Ein nettes, freundliches Lächeln, das Mum sofort beruhigt. Aber ihre Augen flackern unruhig.

Auch Dad seufzt erleichtert, dabei hätte ich wetten mögen, dass es ihm egal ist, wie es mir auf der neuen Schule geht. Und auch mich durchströmt eine gewisse Erleichterung, dass ich mir um die Schule die nächsten zwei Monate keine Gedanken machen muss. Vor allem nicht über irgendwelche nervigen Mitschüler.

„Vielleicht kann sie ja ein paar Sommerkurse besuchen“, schlägt Tante Jean munter vor. Sie strahlt über das ganze Gesicht ob ihrer guten Idee.

Herrgott, kann sie nicht endlich den Mund halten? Wer ist sie eigentlich, dass sie sich dauernd in unsere Familie einmischt?

„Sommerkurse gibt es an der Portobello High School nicht“, beeilt sich Lauren zu sagen, als sie meinen Blick auffängt. „So etwas machen nur Universitäten, Mum.“

„Wirklich? Ich meine, davon schon gehört zu haben.“ Etwas verwirrt schüttelt sie die blondgefärbten Haare, die fast denselben Ton haben wie Mums.

„Vermutlich in einem dieser amerikanischen Highschool-Filme, die du seit neuestem auf Netflix anschaust“, wirft Onkel Allan ein. Seinem Tonfall ist deutlich anzuhören, was er davon hält, nämlich gar nichts.

Oh Gott, sie ist wirklich ein Klon von Mum. Oder eher umgekehrt angesichts des Alters. Die guckt sich diesen Schrott nämlich auch regelmäßig an und will dann immer, dass ich mir die Filme auch ansehe. Als wenn mich die Pubertätsprobleme anderer interessieren würde. Ich habe genug eigene.

„Ich liebe diese Filme auch“, meldet sich Mum natürlich prompt zu Wort und schon ist sie mit Tante Jean in eine Diskussion darüber verwickelt, welchen sie am besten finden. Es ist, als wollten sie unbedingt die Fassade eines netten Familientreffens aufrecht erhalten.

„Diese Eigenproduktionen von Netflix finde ich ja nicht so gut.“

„Da stimme ich dir vollkommen zu. Es wirkt alles ein wenig steif und konstruiert.“

Als wäre das nicht immer so bei dieser Art von Filmen. Ich meine, wie realistisch ist dieser ganze Blödsinn eigentlich, in dem die Heldin immer ein graues Mäuschen ist, dabei aber natürlich wahnsinnig schlau und auf irgendeine Art und Weise es am Ende schafft, den beliebtesten Typen der Schule zu bekommen? Dabei fällt mir siedend heiß wieder die Situation im Creams mit Damon Roberts ein und alleine bei der Erinnerung daran winde ich mich innerlich.

„Hast du denn schon Girlsclub gesehen?“, fragt Mum gerade.

„Fuck!“, entfährt es mir unwillkürlich. „Merkt ihr eigentlich, was für einen Mist ihr da anschaut? Das ist nicht das wirkliche Leben.“ Auch wenn die Szene im Creams haargenau in einen dieser Teeniefilme gepasst hätte.

Fast gleichzeitig schlagen Mum und Tante Jean die Hand vor den Mund. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie Klone sein müssen. Dad zieht die Luft scharf ein und Onkel Allan stellt geräuschvoll seine Teetasse ab. Alle Augen sind nun auf mich gerichtet.

Nur nicht die von Lauren, wie mir auffällt. Die grinst unauffällig in ihren Schoß. Aber ihre Haut ist immer noch ziemlich rotfleckig und ihr Brustkorb hebt und senkt sich hektisch.

„Vielleicht sollten wir noch ein paar Formalitäten regeln“, meint sie schließlich, schiebt ihren Stuhl zurück und steht auf. „Liz, Brian, ich habe einige Vollmachten vorbereitet. Kommt ihr mit in mein Arbeitszimmer?“

Sichtlich erleichtert über die Unterbrechung stehen meine Eltern ebenfalls vom Tisch auf. Onkel Allan murmelt etwas von „Sherlock spazierenführen“ und Tante Jean macht sich geschäftig daran, das Geschirr in die Küche zu tragen. Ich bleibe alleine zurück, was mir nicht ungelegen kommt. Endlich kann ich mein Handy aus der Hosentasche ziehen, auch wenn ich nicht wüsste, wer mir geschrieben haben soll.

Mein Whatsapp zeigt lediglich ein paar neue Nachrichten von Lewis an, die ich ignoriere. Lewis Seymour kann mich mal!

Herzstolpern

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