Читать книгу Herzstolpern - Tara McKay - Страница 15
Charlotte
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Es ist Montagmorgen und obwohl ich nicht in die Schule muss, breitet sich ein unangenehmes Gefühl in mir aus. Dieses Kribbeln im Körper, das ich immer vor dem Unterricht habe. Aber heute kann ich mich in aller Ruhe nochmal strecken und in meinem neuen Zimmer umsehen. Alles ist fremd und fühlt sich seltsam an, obwohl ich mittlerweile jeden Zentimeter mit meinen Sachen belegt habe.
Mit Lauren habe ich die letzten zwei Tage kaum gesprochen und sie schien sich nicht weiter daran zu stören, dass ich mein Zimmer nur zum Essen verlassen habe. Eine große Köchin ist sie nicht, es gibt immer nur irgendein Fertiggericht. Das macht aber nichts, ich kann dieses ganze Diätzeug, das Mum ständig kocht, sowieso nicht leiden. Sie achtet auf ihre Linie. Dass Dad und ich dabei zwangsläufig mitmachen müssen, ist ihr völlig egal.
Unten höre ich, wie Lauren mit dem Geschirr hantiert und werfe einen erstaunten Blick auf die Uhr. Es ist fast neun und ich denke, um diese Zeit sollte Lauren schon längst in der Schule sein. Also wenn das nicht gerade die Putzfrau ist (hat Lauren überhaupt eine?), dann frage ich mich, wer gerade in der Küche das Geschirr spült. Vorsichtig tapse ich zur Treppe und schiele hinunter, aber von hier aus kann man die Küche nicht einsehen, deswegen wage ich mich langsam, Stufe für Stufe bis ins Erdgeschoss.
„Guten Morgen!“, begrüßt mich Lauren, die sich gerade vom Spülbecken wegdreht, um die sauberen Teller aufzuräumen.
„Bist du krank?“, frage ich verwundert. Sie sieht wirklich nicht besonders gut aus, aber das tut sie eigentlich nie, seit wir am Freitag vom Strand wiedergekommen sind.
Von ihrem Bürofenster aus habe ich beobachtet, wie sie sich von Kieran verabschiedet hat. Eigentlich wollte ich nur sehen, ob sie sich küssen oder sowas. Es erschien mir gar nicht so abwegig, denn dieser Kieran machte mir schon den Eindruck, als wäre er an Lauren interessiert. Er hatte sogar den Arm um sie gelegt. Aber dann ist Lauren wie von der Tarantel gestochen ins Haus gestürmt und seither ist sie noch komischer, als sie ohnehin schon war. Ich glaube, wir kommen wunderbar miteinander aus, wenn wir uns aus dem Weg gehen. Irgendwie scheint das bei mir mit jedem so zu sein.
„Wieso sollte ich krank sein?“ Lauren schaut ehrlich verwirrt, schüttelt nachdenklich den Kopf und dreht sich seelenruhig wieder zum Küchenschrank.
„Weil du nicht in der Schule bist?“, frage ich zurück.
Ich habe Angst, dass Lauren gleich die Teller fallen lässt, so ruckartig dreht sie sich zu mir und guckt erschrocken drein. Sie reißt ihre hellgrünen Augen auf, der Mund öffnet sich, als wolle sie mir antworten, aber es kommt erstmal kein Ton heraus.
„Ich… Oh je..“, stammelt sie schließlich. Hektisch schiebt sie die Teller so heftig in den Küchenschrank, dass ich ein bisschen Bedenken habe, dass sie alle zu Bruch gehen. Dann stürmt sie an mir vorbei die Treppe hoch, die Badezimmertür schlägt hinter ihr zu.
Mich beschleicht immer mehr das Gefühl, dass mich Mum und Dad zu einer Verrückten geschickt haben. Ich sehe mich nochmal um, ob nicht doch zehn Katzen durch das Haus schleichen, aber immer noch ist keine zu sehen. Stattdessen höre ich oben das Wasser rauschen, der Boiler springt lautstark an. Ich habe bereits gelernt, dass er zwar rumpelnd so tut, als würde er arbeiten, aber nicht immer hält was er verspricht. Alles an diesem Haus, inklusive der rosafarbenen Fliesen im Badezimmer mit dem altmodischen Rosenmuster, ist ebenso seltsam wie seine Besitzerin.
Ich überlege kurz, ob ich Mum eine WhatsApp schreiben und ihr von Laurens komischem Verhalten erzählen soll, aber dann überlege ich es mir anders. Vielleicht sollte ich erstmal nur beobachten. Außerdem schreibe ich meinen Eltern nicht. Gestern haben sie auf meinem Handy und bei Lauren auf dem Festnetz angerufen, aber ich wollte nicht mit ihnen reden und das werde ich auch weiterhin so halten. Ich spüre mein Handy in meiner Jeanstasche so deutlich, als würde es mir den Oberschenkel verbrennen. Ich habe ungefähr zwanzig Nachrichten von Lewis auf WhatsApp, aber ich lese sie nicht. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals verzeihen kann, was er zu mir gesagt hat – jetzt gerade kann ich es zumindest nicht.
Sich die wilden Locken zu einem Dutt bindend, kommt Lauren die Treppe hinunter gestürmt, die Stufen knarzen gefährlich. Sie hat sich umgezogen und trägt jetzt eine schwarze Hose und ein beiges Twinset, das in all seiner Biederkeit so gar nicht zu ihr passt, aber ich verkneife mir eine Bemerkung.
„Ich nehme mal an, dass du mich heute noch nicht anmeldest?“
Eigentlich ist es gar keine Frage, sondern eine Feststellung. Deswegen erwarte ich auch keine Antwort.
„Heute?“ Sie sieht aus, als würde sie darüber nachgrübeln. „Nein, heute noch nicht. Wir haben dafür bis Schuljahresende noch genügend Zeit.“
„Okay.“ Ich bin schon damit beschäftigt, aus dem Kühlschrank die Milch für mein Frühstück zu holen.
„Ich… ähm… Ich muss jetzt los“, meint Lauren schließlich zögerlich, macht aber irgendwie keine Anstalten das Haus zu verlassen.
„Ich komme zurecht, keine Sorge. Und ich werde auch nicht das Haus abfackeln so lange du weg bist“, verspreche ich und verdrehe genervt die Augen. Garantiert denkt sie, eine Schulschwänzerin ist eine Kleinkriminelle, der alles zuzutrauen ist. Deswegen setze ich noch hinzu: „Es gibt ja auch keine Katze, der ich den Schwanz anzünden könnte oder sowas.“
„Ich weiß nicht, was du mit deiner Katze hast, aber ich werde mir nicht extra wegen dir eine anschaffen“, antwortet sie, dann schnappt sie sich ihre Handtasche und ist auch schon verschwunden.
Kopfschüttelnd stelle ich mich auf die Zehenspitzen und angele mir Weetabix vom Regalbrett. Es ist eigentlich unmöglich, dass jemand noch seltsamer ist als ich, aber Lauren ist eine ziemlich gute Anwärterin dafür.
Bevor ich von meiner Schule geworfen wurde, wusste ich nicht, wie furchtbar lang und öde ein Tag sein kann. Mir ist das schon zu Hause aufgefallen, aber hier in Portobello empfinde ich diesen Montag, an dem alle anderen Kinder in der Schule sind, als unendlich. Nach dem Frühstück schaue ich zwei Folgen ‚Vampire Diaries‘, aber so richtig Lust habe ich nicht dazu. Ich sehe meine Sachen durch, ob ich vielleicht irgendwas total Wichtiges daheim vergessen habe, was mir Mum dann bringen muss. Es wäre mir eine Genugtuung, wenn sie wegen einer Kleinigkeit hundertfünfzig Meilen fahren müsste. Da mir spontan aber nichts einfällt (ich war beim Packen wirklich sehr gründlich), beginne ich durch das Haus zu wandern und die Räume zu inspizieren.
Die Küche und das Wohnzimmer mit der Essecke kenne ich hinreichend, deswegen bleibe ich gleich im ersten Stock, wo es außer dem Bad und meinem Zimmer noch Laurens Schlafzimmer und so etwas wie ihr Büro gibt. Das Schlafzimmer ist der einzige Raum, der nicht einen gewissen Retro-Charme versprüht (wobei das Wort ‚Retro‘ in dem Fall viel zu schmeichelhaft klingt, das Haus ist eher ein buntes Sammelsurium uralter Möbel und gemusterter Tapeten aus längst vergangener Zeit).
Das Schlafzimmer aber ist in einem dezenten Grau gestrichen, ein weißes Boxspringbett nimmt einen großen Teil des Raumes ein und an den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotografien verschiedener Bauwerke, wobei ich nicht sagen kann, um welche Stadt es sich dabei handelt. Womöglich sind es auch verschiedene Städte. Auf den beiden Nachttischen stehen silberne Lampen, von deren Gestell Kristalle dicht aneinandergereiht herabhängen. Auf einem Nachttisch entdecke ich eine Fotografie von Lauren, Arm in Arm mit einer weißhaarigen, alten Dame. Sie sieht gelöst und glücklich aus, anders, als ich sie kenne. Die ältere Frau hat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr.
An einer Wand steht noch ein weißer Schrank mit Schiebetüren. Ich bin versucht hineinzuschauen, aber ich scheue davor zurück, zu sehr in Laurens Privatsphäre einzudringen. Dieser Raum ist mit viel Liebe renoviert worden, im Gegensatz zu dem Rest des Hauses, das wirkt, als würde es jeden Moment auseinanderfallen.
Ganz anders als der Neubau, in dem wir wohnen und den Mum immer so sauber hält, als wäre er Dads Zahnarztpraxis, wo alles steril sein muss. Ich wünschte mir manchmal, Mum wäre ein wenig nachlässiger mit ihrer ewigen Putzerei. Sie geht mir damit ganz schön auf die Nerven. Aber ich muss gestehen, dass mir diese altmodischen, muffigen Möbel, die Lauren überall hat, und die verblichenen Tapeten, überhaupt nicht gefallen und ich mir unsere moderne Einrichtung herbeisehne.
Als nächstes schlendere ich in Laurens Arbeitszimmer. Es ist ein wenig, als würde man eine Zeitreise machen und fast erwarte ich, auf ihrem Schreibtisch eine Schreibmaschine vorzufinden, wie sie mein Dad im Keller zwischen vielem alten Krimskrams hat, den er seit dem Tod von Grandpa Bothwell bei uns hortet. Laurens Tisch sieht massiv aus und ist aus einem sehr dunklen Holz. In derselben Farbe gibt es außerdem noch ein paar Regale in dem winzigen Raum mit den hellgrünen Tapeten, auf denen riesige braune Kreise sind. Wenn ich sie länger anstarre, dreht sich alles um mich herum. Ich trete ans Fenster, von dem aus ich gestern Lauren und Kieran beobachtet habe.
Auf dem Schreibtisch liegen ein paar Papiere, einige Worte sind mit rotem Stift angestrichen oder ganze Passagen umrandet. Neugierig beuge ich mich darüber, in der Erwartung, einen Aufsatz vorzufinden, den Lauren noch nicht fertig korrigiert hat.
Seine Hand griff automatisch nach der ihren, als sie sein Kopfkissen aufschütteln wollte.
„Ich kann das selbst“, knurrte er unwirsch, fühlte ihre zarte Haut an seinen schwieligen Händen.
„Das gehört zu meinem Job“, antwortete sie ihm freundlich, aber bestimmt. „Und nun gehen Sie beiseite, Lieutenant Frakes.“
Er ließ ihre Hand nur widerwillig los und trat einen Schritt zurück, um sie ihre Arbeit tun zu lassen.
„Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand meine Kissen aufschüttelt“, bekannte Will. „Bei der Royal Navy gibt es niemanden, der das für mich macht.“
Danach ist ein ganzer Absatz durchgestrichen und ich lese nicht weiter. Mir ist klar, dass ich keinen Aufsatz über die Vor- und Nachteile des britischen Gesundheitssystems vor mir habe, aber was genau ich gelesen habe, weiß ich nicht. Ich habe so ein unangenehmes Gefühl, als würde ich meine Nase in Dinge stecken, die mich nichts angehen, also verlasse ich das Arbeitszimmer schnell wieder. Ich schnüffele nicht gerne in den Sachen anderer herum, denn man findet viel zu leicht etwas, was man nie finden wollte, wie ich sehr wohl weiß.
Weil das blöde Gefühl, etwas entdeckt zu haben, das nicht für mich bestimmt war, nicht weggeht, will ich jetzt nur noch hier raus, deswegen renne ich fast die Treppen hinunter und schlüpfe in meine Sneakers. Dann schnappe ich mir den Schlüssel, den mir Lauren gegeben habe und verlasse das Haus so eilig, als wäre ein Vampir hinter mir her. Nur leider nicht Stefan Salvatore, sondern sein böser Bruder Damon.