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Kapitel 1

Was Genetik ist und warum man sich damit auskennen sollte

IN DIESEM KAPITEL

 Wird die Genetik vorgestellt

 Beginnen wir mit der klassischen Genetik von Mendel

 Erklären wir, was Molekulargenetik ist

Willkommen in der vielschichtigen und faszinierenden Welt der Genetik! Genetik ist die Lehre der physischen Merkmale und des DNA-Codes für die Baupläne eines jeden Lebewesens. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über das gesamte Gebiet und vermittelt Ihnen einen ersten Eindruck von den Details, die in den anderen Kapiteln dieses Buches vertiefend beschrieben werden.

Genetik ist die Wissenschaft, die die Weitergabe von Merkmalen von einer Generation zur nächsten untersucht. Die Gene eines Organismus, also kurze Abschnitte auf der DNA, sind die grundlegenden Einheiten der Vererbung. Gene bestimmen das Aussehen, das Verhalten und die Vermehrung aller Organismen. Daher ist das Verständnis der Genetik für alle Lebenswissenschaften einschließlich der Landwirtschaft und der Medizin von entscheidender Bedeutung.

Historisch betrachtet ist die Genetik noch eine junge Wissenschaft. Die Prinzipien der Vererbung von einer Generation zur nächsten wurden vor 150 Jahren zum ersten Mal beschrieben (und gingen daraufhin prompt wieder verloren). Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Gesetze der Vererbung wiederentdeckt und veränderten die Biologie für immer. Damals aber war der eigentliche Star der Genetik-Show, die DNA, noch gar nicht erforscht – dies geschah erst in den 1950ern.

Die Genetik wird in vier größere Gebiete eingeteilt:

 Klassische oder Mendel’sche Genetik: Diese Disziplin beschreibt, wie physische Charakteristika (Merkmale) von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden.

 Molekulargenetik: Die Lehre vom chemischen und physikalischen Aufbau der DNA, ihrer engen Cousine, der RNA, und von den Proteinen. Molekulargenetik beschäftigt sich ebenfalls damit, wie Gene arbeiten.

 Populationsgenetik: Ein Bereich der Genetik, der sich mit der genetischen Ausstattung großer Gruppen befasst.

 Quantitative Genetik: Ein hochmathematisches Arbeitsfeld, das sich mit den statistischen Zusammenhängen zwischen Genen und den Merkmalen, die sie verschlüsseln, befasst.

Klassische Genetik: Die Weitergabe von Merkmalen von Generation zu Generation

Im Grunde genommen ist die klassische Genetik die Genetik der Individuen und ihrer Familien. Sie konzentriert sich meistens auf die Erforschung physischer Merkmale oder Phänotypen, die von bestimmten Genen bedingt werden.

Gregor Mendel, ein einfacher Mönch und Teilzeit-Wissenschaftler, begründete die Wissenschaft der Genetik. Er war ein Gärtner, dessen unstillbare Neugier sich mit einem grünen Daumen paarte. Seine Beobachtungen mögen einfach gewesen sein, aber seine Rückschlüsse waren verblüffend elegant. Der Mann hatte weder Zugang zu Computern noch kannte er die Biologie einer Zelle, Chromosomen oder DNA – und trotzdem fand er sehr genau heraus, wie die Vererbung funktioniert.

Klassische Genetik wird manchmal auch bezeichnet als:

 Mendel’sche Genetik: Wenn man eine wissenschaftliche Disziplin gründet, wird sie nach einem benannt – nur fair!

 Transmissionsgenetik: Dieser Ausdruck bezieht sich darauf, dass in der klassischen Genetik die Weitergabe (Transmission) von Merkmalen von den Eltern an ihre Nachkommen beschrieben wird.

Geschlecht und Reproduktion sind ebenfalls Bestandteile der klassischen Genetik. Verschiedene Kombinationen von Genen und Chromosomen (DNA-Strängen) bestimmen das Geschlecht, also ob ein Lebewesen männlich oder weiblich ist. Aber das Thema wird noch spannender: Bei einigen Lebewesen wie Krokodilen und Schildkröten spielt die Umwelt bei der Festlegung des Geschlechts eine wichtige Rolle. Andere Tiere wechseln das Geschlecht genauso wie ihren Wohnort. Die klassische Genetik bietet auch das Rahmenwerk für viele weitere Unterdisziplinen. Das Wissen über chromosomale Defekte wie das Downsyndrom baut auf dem Wissen über Zellbiologie und dem Verständnis des Geschehens während der Zellteilung auf. Bei forensischen Analysen wird ebenfalls die Mendel’sche Genetik verwendet, zum Beispiel bei Vaterschaftstests oder zur Identifizierung von Personen.

Molekulargenetik: DNA und die Chemie der Gene

Während sich die klassische Genetik mit den äußerlich sichtbaren Auswirkungen beschäftigt, fällt die Untersuchung der Gene selbst unter die Bezeichnung Molekulargenetik. Das Blickfeld der Molekulargenetiker liegt dabei auf den chemischen und physikalischen Strukturen der Doppelhelix, der DNA. Die Baupläne für Ihr Aussehen und alles andere an und in Ihrem Körper – von der Funktion der Muskeln über das Augenblinzeln bis hin zur Blutgruppe und zu Ihrer Empfänglichkeit für bestimmte Krankheiten, einfach für alles und jedes – sind als Information in Ihrer DNA (Ihren Genen) enthalten.

Die Genexpression (das An- und Ausschalten von Genen) und der Aufbau des genetischen Codes in der DNA und RNA werden als Teilbereiche der Molekulargenetik betrachtet. Die Molekulargenetik untersucht auch die kleinen Veränderungen, die auf chemischer Ebene in der DNA stattfinden (Mutationen) und die zu Erbkrankheiten führen können.

Populationsgenetik: Die Genetik einer Gruppe

Die Genetik ist, zum Schrecken vieler Studenten, insgesamt erstaunlich mathematisch. Ein Gebiet, in dem nach der quantitativen Genetik (siehe nächster Abschnitt) besonders viel Mathematik zur Beschreibung genetischer Vorgänge benutzt wird, ist die Populationsgenetik.

Wenn man mithilfe der Mendel’schen Genetik die Vererbungsmuster vieler Individuen untersucht, die zum Beispiel alle in einem bestimmten Gebiet leben, dann ist das Populationsgenetik. Populationsgenetik ist die Lehre über die genetische Zusammensetzung der Lebewesen einer bestimmten Gruppe, die von Wanderungsvorgängen, einer eventuellen Isolation vom Rest der Population, den Paarungsmöglichkeiten, der Geografie und dem Verhalten abhängt.

Mithilfe der Populationsgenetik können Wissenschaftler verstehen, wie die Verteilung der Gene in einer Population beispielsweise die Gesundheit der Individuen innerhalb dieser Population beeinflusst. Nehmen Sie etwa die Geparde: Diese eher schmächtige Katze ist die Königin der Geschwindigkeitsrekorde in Afrika. Populationsgenetiker haben herausgefunden, dass sich alle Geparde genetisch sehr, sehr ähnlich sind, und zwar so ähnlich, dass Hauttransplantationen von einem Gepard zum anderen problemlos funktionieren. Die genetische Vielfalt der Geparde ist so gering, dass Artenschützer befürchten, dass alle Tiere von einer einzigen Krankheit dahingerafft werden könnten.

Quantitative Genetik: Die Vererbung in den Griff kriegen

Die quantitative Genetik untersucht Merkmale, die geringfügig variieren, und bringt diese Merkmale mit der dem Organismus zugrunde liegenden Genetik in Beziehung. Eine Kombination eines ganzen Gefolges von Genen und Umwelteinflüssen bestimmt über die Merkmalsausprägung, wie zum Beispiel über die Fähigkeit von Hunden zum Apportieren, die Größe oder Anzahl der Eier bei Vögeln und die Laufgeschwindigkeit von Menschen. Über einen komplexen statistischen Ansatz kann die quantitative Genetik auch bestimmen, inwiefern die Variation eines Merkmals genetisch oder von der Umwelt bestimmt ist.

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