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Blatt 507: Hallo, Sie

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Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank

Auszug 35 159 23 5, Blatt 507

Aktueller Kontostand: eine alte Buszielwand, ein offenes Kuvert mit dem Kontoauszug Blatt 510, ein Brief aus dem Lembelhaus, ein Setzkasten

Gutschrift: eine bekritzelte Flatterserviette

Geisterhand Hallo, Sie! Ja, Sie – genau Sie mein ich, Sie mit den Auszügen vor der Nase! Und Entschuldigung, dass ich nochmals störe, völlig unerwartet, denn wer außer uns könnte sich lebhafter vorstellen, wie sehr Ihre Zeit dank den Auszügen nun ausgefüllt ist, die Klebestifte nicht zu vergessen, wobei wir am wenigsten hierfür einzuwenden hätten.

Ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil, dennoch möchte ich ein wirklich allerletztes Mal um Ihre werte Aufmerksamkeit bitten. Für eine möglichst kurze Zeit natürlich nur und natürlich mit dem notwendigen Respekt vor den noch vorhandenen Hunderten von leeren Seiten – oder sind sie inzwischen weiter gediehen damit? Wie vermutet, sogar fertig mit allem, mit all dem Einkleben?

Nichts für ungut, und auch nicht sich von irgendwas wirklich abbringen lassen, es haben sich lediglich noch ein paar klitzekleine Kleinigkeiten hinzugesellt. Zu ihren Auszügen natürlich, mutmaßlich nicht wirklich von großer Bedeutung, doch können wir das eigentlich nicht bewerten. Beziehungsweise ich, unterm Strich wohlgemerkt, der Ordnung zuliebe habe ich es noch auf dem Konto gebügelt. Die Vollständigkeit nicht zu vergessen, tja, ja, und vielleicht bereitet ihnen das zugebenermaßen unerwartet Eingetrudelte sogar noch ein Zusatzpläsir. In so einem Fall wäre der Aufwand hierfür nicht völlig umsonst, ach, Wanderer, oh Wanderer, frei nach dem Motto „frei nach dem Motto“.

Hallo, Sie – Sie sind doch noch da? Ach, wie schön, im Anbetracht Ihrer eventuell doch noch vorhandenen Klebeaktivitäten. Für das Ihnen Verständnis pur entgegen strömt, hundertprozentig, das ist so sicher wie ein Amen im Wäschekorb. Leider verkauft sich aber nicht immer alles so wie man möchte, obwohl gerade meine Manipulationskünste nicht mal die Schlechtesten sind, glauben Sie mir ruhig, glauben Sie mir; dennoch geraten bestimmte Dinge manchmal außer Kontrolle. Oder manches geschieht dort, wo man es nicht vermuten würde. Nie und nimmer, selbst auf einem todsicheren Konto.

Nach meinem urpersönlichen Empfinden müsste ich eigentlich längst schon schlummern, stattdessen flog das nächste Ungemach ein: eine bekritzelte Flatterserviette; mehrfach zerknautscht, um es mal höflich zu umschreiben, ich sag‘ s ja, und vielleicht ist doch nicht alles unbedingt ein Pläsir – ach, ich sag‘ s ja, ich sag‘ s ja.

Beileibe, der blaue Kugelschreiberzug in bedenklicher Krakelschrift hält nämlich folgende Worte parat, sofern es den Knautschzonen der Flatterserviette zu entnehmen ist: „ihre Sache haben“ – aha! Was damit anzufangen ist, letztlich Ihre Angelegenheit, nein, niemand könnte Ihnen reinreden, niemand möchte Ihnen reinreden. Wiedergeben könnte ich lediglich meine Meinung, und eigentlich auch nur dann, wenn Sie‘ s gestatten.

Natürlich, selbstverständlich, handelt es sich am Ende schließlich um nichts weiter wie um eine Flatterserviette? Und würde sich der materielle Verlust bei einer etwaigen Entsorgung nicht eher in Grenzen halten? In arge gar, mehr oder minder, vom ideellen gänzlich zu schweigen: „ihre Sache haben“.

Na, Hand aufs Herz – aber haben Sie vielleicht doch schon eine Idee, was Sie damit anfangen könnten? Sicherlich, ganz bestimmt, ganz gewiss, schließlich ist‘ s nun ihre Flatterserviette, bekritzelt hin, kugelblau her. Ihre Sache haben – eine Ahnung hätte ich ja. Glaub ich zumindest, in den grauen Hinterstübchen meines bescheidenen Erinnerungsvermögens aufflatternd.

Tja ja, es war nämlich mal ein Kriminalfilm, vor etlicher Zeit bereits, im abwechslungsreichen, erholsamen Fernsehabendprogramm – erholsam und abwechslungsreich in einem Abwasch, frei nach dem Motto „wer das je für möglich gehalten hätte“. Mitnichten ist es so, dass der Film in der Tat etwas sonderlich Weltbewegendes gewesen war, eigentlich ist mir nicht mal irgendein Titel haften geblieben. Ehrlich betrachtet, oder noch anders formuliert, habe ihn vergessen.

Schlichtweg, wohl oder übel, nur so viel: während des Abspulens unterhielten sich in eine der vielen vielschichtigen Szenen zwei blutjunge Frauen im Waschbeckenbereich einer Damentoilette von so einem hyperfeudalen Feinschmeckerrestaurant über Kinderkriegen im Allgemeinen. Ein waschechtes Frauenthema, wenn man so will, beziehungsweise wollte, vom Dramaturgischen selten einen passenderen lokalen Rahmen gefunden. Nein wirklich, ohne mit der Wimper zu zucken, in der Fassung eines einschläfernden Sonntagskrimis. mit oder ohne Salzstangen, von Paprikachips ganz zu schweigen, an preisgünstigen Discounter – Rotwein möchte ich lieber erst gar nicht anfangen zu denken, ach, und was wann wie überhaupt je eine Rolle gespielt hat.

Ja, aber hierbei glaube ich dieses „ihre Sache haben“ schon einmal vernommen zu haben, soweit blass gewordene Erinnerungen an den trockenen Fernsehschinken vielleicht dann doch noch heranreichen. Ja, ja, denn irgendwann wurde in dem Dialog deutlich, dass über eine Dritte gesprochen wurde: „Warum sagst du so etwas, dass die keine kriegen kann.“, meinte eine der Beiden Worauf die andere antwortete: „So oder so, die hat gerade ihre Sache“. Zweifelsfrei und nüchtern sachlich, ohne Frage, und hübsch anzuschauen in nicht einmal für die fortgeschrittene, abendliche Sendezeit zu kurz geratenen Miniröcken. Mitten im lokalen Innenbereich eines lokalen Feinschmeckerlokals, ein blütenreiner Geheimtipp, fürwahr, fürwahr, bestimmt, ganz gewiss.

Tja ja, eine Phrase aus dem ewigen Diesseits der Fernsehunterhaltung, es ist aber auch wirklich das einzige, was ich zu dem Bandspruch auf Ihrer Flatterserviette in die Waagschale einwerfen kann. Na ja, besser wie gar nichts könnte man geneigt zu sein zu meinen.

Nun ganz ehrlich mal, „ihre Sache haben“, haben Sie selbst so was wirklich schon einmal gehört? Ihre Sache haben – du meine Güte, was das bedeuten soll, ihre Sache haben, ja. was könnte es bedeuten? Ihre Sache haben – mutmaßen sie das Gleiche wie ich? Unter Umständen? Möglicherweise? Der Begriff? Zwischen den Knautschzonen Ihrer Flatterserviette? Oder ist‘ s am Ende dann doch nur ein Ausdruck? Zum Beispiel für dies und das? Hin und wieder? Ihre Sache haben – nun gut, wer weiß es aber denn nun wirklich schon? Oder gibt‘ s hierfür vielleicht sogar verschiedene Möglichkeiten? Zum Interpretieren? Ihrer Sache haben, Wanderer, Wanderer, ach du meine Güte

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Tja ja, jedem das Seine fällt dazu nur noch ein. Am Ende, fürwahr, fürwahr, und das Reinreden in Flatterservietten ist sowieso alles andere wie ein Pläsir, beileibe nicht, nur eine einzige Bemerkung vielleicht dann doch noch: wie könnte man den Ausdruck wirklich noch deuten – ach ja.

Hm - darüber hinaus möchte ich Sie allerdings nicht weiterhin beanspruchen, beziehungsweise über Gebühr, ist nicht ohnehin noch zur Genüge zu tun? Mit den Auszügen? Und dem Einkleben, jedoch möchte ich Sie bitten, noch nicht abzuschalten. Zumindest nicht hundertprozentig, denn einen habe ich noch für Sie, einen Allerletzten, wenn man so will. Bevor ich mich dann tatsächlich zurückziehe.

Neuer Kontostand eine alte Buszielwand, ein offenes Kuvert mit dem Kontoauszug Blatt 510, ein Brief aus dem Lembelhaus, ein Setzkasten

Hugo Bauklotz - Ein Zaun

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