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Blatt 5: Dreißig Jahre
ОглавлениеDas Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 5
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
D.m.d.D.m.k.W. Dreißig Jahre? Sind tatsächlich dreißig Jahre vergangen? Seitdem ich ein letztes Mal hier verweilte? Wehmütige Erinnerungen; Schönes, Altes, macht schon ganz schön sentimental, selbst einen wie mich. Einen abgebrühten Dauertürken sozusagen, die alte Linde zum Gedenken, sie raschelt noch immer, immer noch am selben Ort, an selber Stelle, so als ob nie was Anderes gewesen wäre. Ja, denn war es nicht auf diesem Schulhof, wo mich die Jungen gejagt? Zum Beispiel? Mich – ein eigentlich ganz normales Gastarbeiterkind? Mit damals schon respektablen Hakennäschen? Die Mädchen nicht zu vergessen, über so manchen Stock, während die Lehrer hinter vorgehaltenen Händen tuschelten; und von Steinen ganz zu schweigen, es sei denn, sie waren eigens für mich zu innovativen Wurfgeschossen umfunktioniert worden.
Ach, schwere Kindheit, war einmal, schöne Kindheit, kehrt nie wieder. Kann man nichts machen, ist nun einmal so, im allgemeinen Sprachgebrauch mit einem Begriff wie „Lauf der Dinge“ abgetan, doch ein klein wenig möchte ich doch noch schwelgen. Im Nostalgischen, das romantische Schulhaus ehedem, doch dann werde ich rüber marschieren, zur Bank, um den Scheck einzulösen. Von diesem Trottel, allerdings ist zu befürchten, auch hierbei werden meine Knie butterweich werden. Sobald sie betreten wird, wann ich das letzte Mal dort drin war. Ja, wie lang alles zurückliegt.
Gut, denn das soll‘ s dann aber auch gewesen sein, mit dem Schwelgen, mit dem Vergangenen, ganz im Gegenteil, ganz im, Gegenteil. Hinterher wird auf Zukunft gemacht, denn heißt es für uns nicht einfach nur Urlaub? Einfach nur Urlaub, zum ersten Mal in meinem türkischen Deutschlandleben, ach, wer das je für möglich gehalten hätte!
Werde nur noch meine Göttergattin benachrichtigen, per mobiles Telefon, wie es heutzutage so schön heißt, und welches ich in einem Billigsupermarkt habe mitgehen lassen. Mit Sicherheit, ich nicht umsonst Ausländer, ich nicht umsonst schwarzes Fuß, wäre es außerdem nicht jammerschade, wenn auch nur ein einziges Mal nichts bedient werden würde? Und schließlich bin ich ja auch nicht gänzlich umsonst Kulturbeisitzer unseres lokalen Ausländervereins zur Bewahrung und Pflege von Vorurteilen und Klischeehaftigkeiten. Tja, von nichts kommt nichts, ist nun mal so.
Zurück zu meiner anvertrauten Angetrauten, denn erahnt sie überhaupt schon etwas von unserem unerwarteten Urlaubsglück? Doch ablegen soll sie fortan das Zwiebelmesserchen, selten mehr abgewetzt es war, die typische Türkenschürze nicht zu vergessen; zu einem Striptease der feudaleren Art und Weise wird sie zu meinem ganz persönlichen Bedauern allerdings kaum noch Gelegenheit haben, einschließlich Kopftuch und schlabbrigen Jogginganzug, aber irgendjemand muss ja auch noch die Koffer packen. Ganz zu schweigen von den Plastiktüten, um sich am Ende mit unserer vierzehnköpfigen Kinderschar zur Bushaltestelle zu begeben. Tja, eine wie aus dem Bilderbuch maßgeschneiderte Kopftuchglucke mit den wie auf einer Perle gezogenen Orgelpfeifen, und dann heißt‘ s nur noch:
„Mach hoch die Tür, das Tor mach‘ weit,
Es kommt der Bus nach Istanbul.“
Zu meiner durchaus liebenswürdigen Schwiegermutter. Durchaus, durchaus, na, und wenn das nichts ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Immerhin werden die Kleinen in ihrem deutschen Türkenleben endlich ihre türkische Großmutter kennenlernen. Viele, viele Jahre, am Fenster, wenn die Sonne scheint, traurig, wenn der Regen klopft, ach, schön wird es, so schön wie nie zuvor.
Und vierzehn sind es, bis vor kurzem bin ich eigentlich auch ziemlich sicher gewesen. Aber in den letzten Wochen war mein sprachschwaches Weib noch wortkarger geworden. In der Tat, ach, wenn‘ s doch wenigstens zum ersten Mal gewesen wäre. Nein, zu auffällig dies. bis ich einmal nachts aus unserem Schlafgemach schlich, runter in den Waschkeller, wo die penetrant nach türkischen Zwiebeln duftende Schürzensammlung von mir durchwühlt wurde. Freilich, was sonst auch, schummrig das Kellerlicht, bis endlich aus einer der Schürzen ein Teststreifen aus der Apotheke purzelte. Zurück im ehelichen Türkengemach war die Gute aber - aufrecht sitzend - in „Der zerbrochene Krug“ vertieft. Gesprochen wurde nichts, natürlich nicht, so dass mein Verdacht nicht gerade entkräftet wurde.
Nein, nein, ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil, auf der anderen Seite kann‘ s nicht auch schnuppe sein? Für uns, ganz ehrlich betrachtet, oder reicht die üppige Summe auf dem Scheck nicht auch noch für die Anschaffung von noch mindestens ein paar weiteren Urlaubskindern? Testlicht hin, Kellerstreifen her, von diesem Trottel, wie noch gleich sein Name war? Völlig unverändert, aber auch nicht einen Zentimeter, ach, kann‘ s uns aber auch nicht recht sein? Recht und billig, geradezu in unsere Karten gespielt, und das für den ganzen Elektrokrempel, mitnichten die Hälfte wert. Von dem, was der auf den Scheck gekritzelt. Ach, Trottel bleibt Trottel, ich sag‘ s ja, und war es schließlich nicht sowieso nur ein Schmuggelpräsent? Von meinem Onkel? In Izmir? Tja, ja, unsere Bambinis protestierten zwar beim Abtransportieren, nur was sollen sie auf Dauer mit Moorhühner und Co? Dafür ihre Istanbuler Oma, im Gegenzug sozusagen, die traurigen Regentropfen am Fenster, die Küchenstube erfüllt mit dem Duft ihres Gemüseeintopfs; das Wiegen in ihren Armen, das Erzählen von wundersamen Märchen aus tausend und einer Nacht nicht zu vergessen.
Drum mach ich jetzt voran, an der Bushaltestelle wartet man auf mich, meine Kopftuchglucki mit den Koffern, die Kleinen nicht zu vergessen, ganz zu schweigen von den Plastiktüten. Ja, ja, Kopftuchglucki, so nenn ich sie, seit Jahr und Tag, die mich dafür Bürsti.
Hier, unterm unseren alten Lindenbaum, das kuschelige Schulhaus, ach, wie schön es doch ist, in Altem zu schwelgen. Tut einfach mal gut, selbst einem so schwarzen Klischeetürken. Ich Ausländer, ich nix Deutsche, ich glaube, ich rauche noch eine oder zwei, bevor ich rübergehe. Oder drei oder vier.
ßilberling Mann, qualmt der vielleicht ein Zeug zusammen.
RLG Der Ali, der Ali!
ßilberling Du und dein Ali.
RLG Oh weh!
ßilberling Weißt du was? Ich mach noch einmal einen Schnitt; na, was sagt‘ s du?
RLG Oh weh, oh weh!
D.m.d.D.m.k.W. Die Tore macht weit, es kommt der Bus zu meiner durchaus liebenswürdigen Schwiegermutter. Oder stammen die Geräte von meiner Cousine? Aus Ankara?
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende