Читать книгу Hugo Bauklotz - Ein Zaun - Tarius Toxditis - Страница 64
Blatt 25: Auf dem Heimweg beeilte er sich
ОглавлениеDas Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 25
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
RLG Auf dem Heimweg beeilte er sich! Die Pensionstreppen hinaufgestürzt. Bis ins Zimmer freilich, kramte Radius Lehr so dann, was das Zeug hielt, in eine Schublade der Kommode, hastig war kein Ausdruck, bis er auf den Grund stieß. Ein alter Schreibblock wurde ebenso vorgefunden, ein paar Stifte, ein Spitzer sowie ein halber Radiergummi. Am Tisch zitterte Radius Lehrs Hand anfangs noch zu sehr über dem – eigentlich - viel zu unschuldigen Papier, was dem Unglück nicht davon abhielt, einen weiteren Lauf zu nehmen. Beziehungsweise Verlauf.
Beileibe nicht, draußen war bald schon wieder die Dämmerung angebrochen, zwischen der Lücke, die sich neben dem freien Gelände des Schulhofs auftat, war am weiten Horizont die Silhouette eines Turms zu erkennen, auf der anderen Seite der Stadt, unbewohnt und zu kaufen. Ja, und es waren schon viele, viele Jahre vergangen, seit er klammheimlich davon träumte, den in Besitz nehmen zu können, und umso mehr der volle Mond am Aufgehen war, so sehr fühlte er ihn zum Greifen nah. So nah wie noch nie, immerhin erschien ihm es mit den von Herr Lembel in Aussicht gestellten Verdiensten nicht mehr wie ein Klacks zu sein. Und was interessierte jetzt schon noch irgendeine am Arsch der Welt zu renovierenden Bank, einzig was ihm auf dem Weg zur Finanzierung des Turmes noch fehlte, war etwas Vorzuweisendes, so dass Radius sich ans Werk machte. Beziehungsweise stürzte. Und nachdem er in die Hände gespuckt, brachte er Folgendes zu Papier:
Tapeziert der Tapezierer mit der Hand,
Hängt die Tapete an der tapezierten Wand.
Na, gar nicht mal so schlecht für den Anfang - oder etwa doch? Der damit gemacht worden war; klar, am Detail sollte vielleicht noch etwas gefeilt werden, deutete es aber nicht im Wesentlichen schon auf dem von Herr Lembel in die Waagschale geworfenen Tapetenepos, die Zehn pro Stück nicht zu vergessen? Und immerhin waren es bereits nach ein paar Sekunden dreizehn – dreizehn Stück. Beziehungsweise Wörter, nicht auszumalen, wie laut die Kasse noch rasseln wird, lauter und schriller wie je zuvor, die Eroberung des Turms schien sich in der Tat jetzt nur noch als ein Kinderspiel zu entpuppen. Versehentlich war der Radiergummi unter dem zerfledderten Grammatikbuch gerutscht, so dass Radius Lehr unwillkürlich Annes Gedicht entdeckte. Welches inzwischen ja seines, doch was war eigentlich Besonderes daran, so dass sogar einer wie der Lembel Interesse bekundet hatte:
Elf Elfchen
Farbenfröhlich
Blütenzarte Bande
Ein verträumter Zaun
Lila ist die Sonnenwelt
Achtsamkeit
Elf Elfchen? Von Anne? Farbenfröhlich? Blütenzart? Ja, nett irgendwie, doch, doch, schön irgendwie, aber wo waren all die kindlichen Talente? Von welchen sogar der Lembel schwärmte? Verborgen? Versteckt? Und wo die Phantasie, die kindliche, nein, konnte man dem Gedicht überhaupt was abgewinnen? Außer nichts, aber auch rein gar nichts, und war die Anne nicht jetzt umso besser zu verstehen, warum die es nicht rausrücken wollte? Denn war das literarische Eis, auf welches sie sich gewagt hatte, sowieso nicht viel zu dünn? Für sie? Schlichtweg, bei allen Kindertalenten, die Radius Lehr ihr in keiner Weise in Abrede stellen wollte, keineswegs, keineswegs, doch die Gefahr sich auf dem literarischen Niveau eines kleinen Mädchens herab zu lassen, um sich am Ende auch noch in der Öffentlichkeit zu blamieren, sah er in der Tat zu sehr als eine gegebene an.
Radius Lehr schob das zerfledderte Buch mit dem Gedicht beiseite, nach wie vor war er zu allem bereit. Zumal das Bücherschreiben nach seinem Ermessen nicht komplett neu erfunden werden hätte müssen, nur wollte er eigene Pfade beschreiten, und auch hierbei wäre Annes Gedicht mehr wie ein zu schlechter Berater gewesen, beziehungsweise eine echte, wirksame Hilfestellung, ganz im Gegenteil, und war er eigentlich nicht völlig umsonst ein erfahrener Tapezierer gewesen? Ex – Tapezierer natürlich, von einem Ex - Streicher und Ex - Lackierer ganz zu schweigen? Radius Lehr radierte und radierte, bis die Bühne des weißen Papiers wieder frei war:
Der Tapezierer klebt die Tapete
An die Wand.
Und bleibt sie kleben
Klebt sie ein Leben lang.
Ganz bestimmt, ganz gewiss war dem so, was von Qualität zeugt. Doch, doch, ganz eindeutig war dem so. Und natürlich käme es auch immer auf die Festigkeit des Leimes an, das richtige Umrühren nicht zu vergessen. Radius Lehr sah sich in der Tat auf einem sehr, sehr guten Weg, war er dem angestrebten Tapetenepos nicht entschieden näher gerückt? Im wahrsten aller Sinnsinne, nur was wäre eigentlich, wenn Lembel bei der Stückzahl gar nicht die einzelnen Wörter gemeint hatte? Sondern jeden einzelnen Buchstaben – ach, du meine Güte! Als er von diesen komischen Tantiemen faselte? Zehn pro Stück, wären das nicht nach Adam Riese zehn pro Stück mal achtundsiebzig? Und befand er sich nicht eigentlich nicht noch immer in den sogenannten Startlöchern? Denn war nicht so ein geschriebenes Buch normalerweise schon einigermaßen dick? Mordsmäßig dick, so dass es förmlich vor Buchstaben überquoll, und ob solche Zahlen überhaupt noch mit einem hundsgewöhnlichen Stundenlohn verglichen werden hätte können? Nein, ganz bestimmt nicht, nie und nimmer, was für Aussichten sich vor ihm auftaten – unglaublich. ´Ja, unfassbar, etwas, was für einen wie Radius Lehr bis vor kurzem unvorstellbar gewesen wäre? Und bei einem wie dem Wieschensriether, der sich seinen Hungerlohn endgültig sonst wohin schmieren konnte, erst recht nicht, nie und nimmer. Und dabei waren es wirklich schon siebenhundertachtzig für den Turm seiner Träume, und galt es lediglich nicht, noch ein paar Häufchen dieser Buchstaben dazu zu pinseln? Fein säuberlich wohlgemerkt? Doch in einem der nächsten eigentlich für ihn viel zu knapp bemessenen Momenten klopfte es an der Tür. Frau Fiel war es, natürlich, wer sonst, doch sie erschien diesmal nicht allein. Nein, in ihrem Schlepptau ein jüngerer Mann, etwas klein geraten, leicht untersetzt, rundlich das Gesicht, ein riesengroßer, kunterbunter Karton bis unterm Kinn geklemmt, hinter welcher er beinahe zu verschwinden schien. Kunterbunt auch die Aufschrift auf der Packung: „Die kunterbunte Lorenbahn.“
Federica Fiel Ach, Radius, immerhin bist du ja schon mal aufgestanden. Wenn das nicht ein gutes Zeichen ist, und sicherlich kannst du morgen auch wieder arbeiten gehen.
Radius Lehr Arbeiten - ach so ja, so kann man es natürlich auch nennen.
Federica Fiel Sogar die Schüssel hast du aufgegessen. Ach, wie mich das freut!
RLG Radius Lehr erhoffte sich ein baldiges Verschwinden von Frau Fiel, die ihrerseits die ausgeleckte Schüssel auf der Kommode gegen eine mit Wasser gefüllte austauschte. Zum einen wollte er den begonnenen Tapeten- Epos weiterschreiben, zum anderen war Radius Lehr jener Typ, der an der Tür stehen geblieben war, nicht hundertprozentig geheuer. Irgendwie, von Sympathie ganz zu schweigen.
Federica Fiel Ach, Radius, du glaubst ja gar nicht, was ich heute schon wieder durchgemacht habe. Unten in der Stadt war ich, um ein paar Schachbretter zu kaufen. Und ein paar Schachuhren, und weißt du, was dann war?
Radius Lehr Sie werden es mir mit Sicherheit gleich erzählen.
RLG Der seltsam anmutende Fremde war am Prusten.
Federica Fiel Was glaubst du, was ich in Abrahams Schaufenster gesehen habe – du glaubst es nicht. Als ich aus dem Bus gestiegen bin.
Radius Lehr Keine Ahnung. Ich war heute nicht drüben, ich bin heute einfach nicht dazu gekommen.
Federica Fiel Schachbretter! Schachbretter und Schachuhren – und wir schleppen uns mit voll bepackten Einkaufstüten ab! Bis über beide Ohren!
Fremder an der Tür Dazu noch eine Kuckucksuhr. Die hat er jetzt auch noch.
Radius Lehr Wie - Abraham verkauft jetzt auch noch Kuckucksuhren?
Federica Fiel Stimmt alles, was der Bernti sagt, im Schaufenster, ach Radius, den habe ich ja beinahe vergessen. Um Haaresbreite, habe ihn nämlich heute getroffen. Unten in der Stadt, ach, wie lange alles zurückliegt. Ihr ward ja noch Buben, und er hat mir auch geholfen, die Einkaufstüten in den Bus zu zerren.
Radius Lehr Von dem riesigen Karton ganz zu schweigen – nicht wahr?
Federica Fiel Ach, Radius, du kannst dich doch bestimmt noch erinnern. Als ihr Buben ward. der alte Vater von ihm hat doch den Getränkehandel gehabt.
Radius Lehr Getränkehandel – welchen Getränkehandel? Tut mir leid, keine Ahnung.
Federica Fiel Da wo jetzt der Tunkel ist. Kummer hieß er doch, der alte Getränkehändler Kummer, aber sicher kennst du den noch, das war doch der Getränkehändler. Der immer mit Getränken gehandelt hat.
Radius Lehr Ich glaub, ich kann mich jetzt doch noch erinnern. Aber allerhöchstens ein bisschen.
Federica Fiel Samstags hat er den alten Vater Herr Kummer immer geholfen. Auf dem Getränkewagen. Ach, Radius, wie lange das alles zurückliegt.
RLG Dann herrschte absolutes Stillschweigen. Im Zimmer, für eine kurze Zeit freilich nur,
Federica Fiel Und du glaubst ja auch nicht, wie froh ich war, als ich ihn getroffen habe. Unten in der Stadt, nach so langer Zeit, ohne ihn wäre ich mit der Schlepperei ganz schön aufgeschmissen gewesen. Schließlich ist man auch ja nicht mehr die Allerjüngste.
RLG Wiederum Stillschweigen, nur das Prusten des Fremden hielt an, unvermindert wohlgemerkt.
Federica Fiel Ach so, Radius, du kannst ja morgen gar nicht kommen.
Radius Lehr Natürlich nicht, Sie kennen mich doch.
Federica Fiel Wo du doch wieder arbeiten gehst.
Radius Lehr Arbeiten – ach so!
Federica Fiel Wegen unserem Schachturnier.
Radius Lehr Das kommt darauf an, wann ich Feierabend machen kann.
Federica Fiel Was schön wäre.
Radius Lehr Ich denke, das wird schon irgendwie klappen, aber wenn Sie es schon erwähnt haben: wem haben Sie eigentlich sonst noch eingeladen?
Federica Fiel Oh, mehr wie genug, die Anne natürlich, den Erich nicht zu vergessen, dazu noch Leonid und selbstverständlich sind Amalie und Dimitri auch noch dabei.
Radius Lehr Was – und den Alonso nicht?
Federica Fiel Doch, den natürlich auch noch.
Radius Lehr Acht auf einen Streich.
Federica Fiel Sogar neun, aber der Bernti traut sich einfach nicht.
Bernti Kummer Natürlich nicht – für Schach bin ich einfach nicht geeignet.
Radius Lehr Ach, was macht‘ s, wenn einer wie du nicht dabei ist. Wir sind ja auch so genug, nicht wahr, Frau Fiel?
Federica Fiel Wenigstens hat er beim Schleppen geholfen, ach, man ist ja nicht mehr die Allerflotteste.
RLG Radius Lehrs Blicke waren starr auf Frau Fiels Bewegungen fixiert, doch war sie nicht am Verschwinden samt der unsympathischen Begleitung? Eine spürbare Erleichterung, ohne Zweifel, und um nicht noch mehr unnötige Zeit zu verlieren, machte er sich sofort auf die Suche nach dem Radiergummi, der sich wie aus einem heiteren Nichts auf jene noch immer mit dem Kreuzworträtsel aufgeschlagene Fernsehzeitschrift verirrt zu haben schien, an welchem sich zur Mittagszeit die Anne versucht hatte:
L | ||||||
Z | O | O | ||||
U | B | |||||
H | A | N | G | |||
U | ||||||
K | ||||||
T | ||||||
I | ||||||
B | O | E | ||||
N |
Nun radierte er das bisher Erarbeitete des Tapetenepos wieder aus, und schrieb sämtliche Buchstaben der erratenen Wörter aus, um sie in immer neuen Reihenfolgen zu formieren. Beziehungsweise Zusammensetzungen, es wurde geschrieben und radiert, was das Zeug zu halten imstande war, geschrieben und radiert, eine Stunde nach der anderen, geschrieben, radiert, draußen war bereits die Morgendämmerung heran gebrochen, als er sich endlich zurücklehnte. Sowohl vom Radiergummi wie auch vom Stift war so gut wie gar nichts übriggeblieben, und mit einer gewissen Befriedigung betrachtete er das Hervorgebrachte:
„Hugo Bauklotz – Ein Zaun“
Unglaublich, und wenn das der Lembel jetzt gesehen hätte! Radius Lehr wollte gar nicht aufhören sich zu freuen. Klar, es fehlte noch was, vielleicht die eine oder andere weitere Zeile, gerade in Bezug auf diesen Hugo Bauklotz, vor allem, wer das eigentlich hätte sein sollen. Aber dies herauszuarbeiten sollte nun auch keine sonderlichen Schwierigkeiten mehr bereiten, den Zaun nicht zu vergessen, natürlich, und was es mit ihm auf sich hat, selbstverständlich, kurzum entschloss Radius sich, Lembel einen zweiten Besuch abzustatten: ach, wie gründlich der seine Augen reiben wird.
Die Tür zum Bade wurde hingegen sofort wieder zugeknallt.
Radius Lehr Entschuldigung, ich habe nicht gewusst, dass jemand drin ist.
Stimme hinter der Holztür Macht nichts, nicht so schlimm.
Radius Lehr Du hast ja auch vergessen, den Riegel zu verriegeln.
Stimme hinter der Holztür Tatsächlich, als ob so etwas nicht schon mal vorgekommen ist.
Radius Lehr Und lass dir ruhig Zeit, wozu kann man schließlich warten.
Stimme hinter der Holztür Nein, bleib ruhig, vielleicht kannst du mir sogar helfen.
Radius Lehr Dir auch noch helfen – ich wüsste nicht wie.
Stimme hinter der Holztür Ich habe kein Rasierzeug.
Radius Lehr Ach so, wenn‘ s weiter nichts ist. Auf der Ablage. Vom Waschbecken, eine fast noch komplette Zwölferpackung. Mit Rasierklingeln.
Stimme hinter der Holztür Aber das nützt mir ja gar nichts. Ich meine, ohne Rasierschaum.
Radius Lehr In der großen Sprühdose findest du genug davon.
Stimme hinter der Holztür Dass du mir das borgst.
Radius Lehr Nix für ungut, der Herr braucht sich ja bloß zu bedienen.
Stimmer hinter der Holztür Keine Sorge, bin schon mittendrin. Es würde mir sogar noch mehr helfen, wenn du ein Pflaster hättest.
Radius Lehr Im Zimmer liegen noch ein Haufen alter Zeitungen.
Stimme hinter der Holztür Bin ich dafür nicht viel zu zart?
Radius Lehr Tja, wenn du‘ s nicht anders willst, dann wirst du dich zum Schränkchen hoch bequemen müssen.
Stimme hinter der Holztür Ach, Radius.
Radius Lehr Nein, das mach ich nicht auch noch.
Stimme hinter der Holztür Wird schon nicht so schlimm werden.
Radius Lehr Für einen kleinen Mann.
Stimme hinter der Holztür Und wieso nicht?
Radius Lehr Darum nicht!
Stimme hinter der Holztür Du stellst dich vielleicht aber auch an.
Radius Lehr Na gut, von mir aus, aber nur auf deine Verantwortung.
RLG Die Holztür aufgeschoben betrat er das Innere des Bades, nicht um auch dieses Mal nicht über den grünen Plastikeimer zu stolpern, frei dem Motto „wäre es nicht ein Wunder, wenn dies wenigstens einmal nicht geschehen würde.“ Aus dem Schränkchen holte er dann ein Päckchen mit Streifenpflaster hervor.
Bernti Kummer Eines genügt mir eigentlich.
RLG Eine kleine Schnittwunde am oberen Kinn, mehr war es wirklich nicht.
Bernti Kummer Ich fürchte nur, ich bin noch nicht in Form. So früh am Morgen.
Radius Lehr Oh je, einfach den Klebestreifen wegziehen.
Bernti Kummer Ja, schon gut, aber ich glaube, dass krieg sogar ich noch hin.
RLG Radius Lehr starrte zur Tür, nicht, dass er mit dem jetzt auch noch eingesperrt war. Oder doch nicht, denn war es nicht eigentlich so, dass von außen überhaupt nicht verriegelt werden konnte? Der Fremdling stand vor dem Waschbecken im weißen Unterhemd, die Hosenträger zur Seite hinunter gestreift.
Bernti Kummer Aber ich möchte mich bei dir bedanken; ich meine, wenn du schon mal hier bist.
Radius Lehr Nicht nötig.
Bernti Kummer Manche Dinge sind einfach wichtig, oder findest du etwa nicht?
Radius Lehr So – und was hast du mit Frau Fiel am Hut?
Bernti Kummer Wie? Was - was soll ich mit Frau Fiel am Hut haben?
Radius Lehr Ja, was schon.
Bernti Kummer Oh, Radius, das meinst du doch nicht im Ernst.
Radius Lehr Also, ich würde das, was du treibst, ein Einschleichen nennen. Und das auch noch mitten in unserer Pension.
Bernti Kummer Ach so, mir scheint, jetzt ist wenigstens zu erahnen, wohin der Hase läuft. Ja, natürlich schleiche ich mich ein, ich habe ja den lieben langen Tag auch nichts Besseres zu tun.
Radius Lehr Was das bei einem wie dir wohl heißt.
Bernti Kummer Ach Radius, auf was du alles kommst.
Radius Lehr Wieso nicht, oder bist du etwa noch immer auf der Bierkutsche?
Bernti Kummer Gott bewahre, schon lang nicht mehr, dieser alte Karren, der hätte mir gerade noch gefehlt.
Radius Lehr Wieso kommst du eigentlich nie zur Sache?
Bernti Kummer Hä?
Radius Lehr Tja, deine Arbeit, was du tatsächlich machst.
Bernti Kummer Ach so – aber also gut, meinetwegen, wenn‘ s dich glücklicher macht, aber könntest du mir nicht vorher was anbieten?
Radius Lehr Was, anbieten, das auch noch?
Bernti Kummer Ich fürchte, ich hab nichts.
Radius Lehr Kein Wunder, so ganz ohne alten Bierkarren.
Bernti Kummer Mann, Radius, ich brauch ein frisches Hemd.
Radius Lehr Ein Hemd? Um Himmelswillen, kannst du haben.
Bernti Kummer Das über die Badewanne?
Radius Lehr Meinetwegen.
Bernti Kummer Wirklich?
Radius Lehr Kannst den ganzen Kleiderbügel leerräumen. Wenn‘ s unbedingt sein muss.
Bernti Kummer Abräumen – heißt es eigentlich nicht abräumen?
Radius Lehr Und Frau Fiel ist sicherlich froh, wenn das hängende Zeug über der Wanne weg ist. Zieh es an, schließlich hat sie es extra glattgebügelt.
RLG Bernti Kummer nahm das Hemd vom Kleiderbügel und zog es an.
Bernti Kummer Und gefällt‘ s?
Radius Lehr Na ja - muss sich noch anschmiegen. Irgendwie.
Bernti Kummer Frau Fiel sei Dank, also ein Geschenk des Himmels ist sie schon.
Radius Lehr Es braucht noch etwas Zeit.
Bernti Kummer Und sie hat ja auch gleich an dich gedacht.
Radius Lehr Ha, was einem wie dir ein Dorn im Auge ist. Ganz bestimmt.
Bernti Kummer Ich meine, beim Stichwort Schach.
Radius Lehr Ein Substantiv, nicht wahr?
Bernti Kummer Sogar eines mit sechs Buchstaben, du Schlaumeier.
Radius Lehr Und es ist ja eigentlich auch schon heute – heute an ihrem Geburtstag.
Bernti Kummer Genau, und wir wissen ja, wie das ist, wenn Frau Fiel sich was in den Kopf gesetzt hat.
Radius Lehr Na klar, und wie – dann ist sie nicht mehr abzubringen. Das brauchst du aber nicht extra erwähnen, so etwas weiß ich selber. Und wenn du willst, kann ich‘ s dir sogar schriftlich geben.
Bernti Kummer Ja, ja, schon gut. Andererseits glaube ich, ich selbst bin gut beraten. Wenn ich dem Ganzen nicht allzu viel beimesse.
Radius Lehr Dem Schach meinst du?
Bernti Kummer Alles andere wie einfach, zu stark das Gefälle meines Könnens.
Radius Lehr Dann kannst du ja gar nicht mitspielen, selbst wenn du wolltest.
Bernti Kummer Gott verschone mich.
Radius Lehr Und Frau Fiel, wie hast du sie jetzt herumgekriegt?
Bernti Kummer Mit Packeselei - das Schienenfahrzeug.
Radius Lehr Eseln – das Eseln.
Bernti Kummer Wer‘ s glaubt, wird selig, sogar mit einem ‚l“ an vierter Stelle.
Radius Lehr Und der Zug in der Packung.
Bernti Kummer Gar nicht mal so schlecht, und weißt du auch, was ein Lehramtsanwärter ist?
Radius Lehr Als ob das im Leben nicht schon oft genug vorgekommen ist.
Bernti Kummer Ja, ja, und zwar nicht nur im Kreuzworträtsel.
Radius Lehr Ach so, dann – dann machst du einen auf Pauker?
Bernti Kummer Studieren – der Student.
Radius Lehr Ach, und sag mal, wo ist eigentlich die Papierrolle von gestern?
Bernti Kummer Verbraucht würde ich sagen – am Verbrauchtesten.
Radius Lehr Die war doch für die Anne. Als ob die das verdient hat.
Bernti Kummer Frau Fiels frisch gepresster Dreifruchtsaft, in eine Karaffe, verschüttet in meinem Zimmerchen.
Radius Lehr Armes Kuschelpapier.
Bernti Kummer Durch versehentliches Umstoßen auf den Boden geklirrt. Was für eine Sauerei, ach, Radius, einfach hoffnungslos.
Radius Lehr Sinnlos vernichtet nenn ich‘ s.
Bernti Kummer Das kann man wohl laut sagen. Wohl oder übel, gerade mal einen Schluck habe ich probiert.
Radius Lehr Frei nach dem Motto „probieren – das Probieren“. Oh je!
Bernti Kummer Hm - mir dünkt irgendwie, als ob du auch einen auf Pauker machen würdest.
Radius Lehr Ganz im Gegenteil.
Bernti Kummer Dann also doch das Malerhandwerk?
Radius Lehr So ein Quatsch, wie kommst du denn darauf?
Bernti Kummer Ach Radius, wie schon?
Radius Lehr Nichts da, so ein Quatsch aber auch. Nein, ich bin Bücherschreiber.
Bernti Kummer Wie - also, ich weiß nicht. Und ob ich dir das jemals zugetraut hätte?
Radius Lehr Allein den unvorstellbaren Verdiensten zuliebe.
Bernti Kummer Und über was schreibst du, wenn man mal so ganz unverblümt fragen darf.
Radius Lehr Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich das ausgerechnet dir auf die Nase binde.
Bernti Kummer Okay, dann formulier ich‘ s anders, nämlich in welche literarische Richtung deine Künste schweifen.
Radius Lehr Keine Richtung, auf meinen Turm zieht es mich. Was im Nu geschehen wird.
Bernti Kummer Du schreibst über einen Turm?
Radius Lehr So ein Blödsinn!
Bernti Kummer Wieso denn eigentlich nicht, wär doch zumindest mal was anderes, so ein kleiner Turmepos.
Radius Lehr Das schreib ich aber nicht. Sondern etwas über Hugo Bauklotz.
Bernti Kummer Was! Wie bitte?
Radius Lehr Ja, staune nur.
Bernti Kummer Sag das noch einmal.
Radius Lehr Hugo Bauklotz, du hast schon ganz richtig zugehört.
Bernti Kummer Nein, das gibt es doch einfach nicht! Ausgerechnet über den!
Radius Lehr Über den und über einen Zaun auch noch was.
Bernti Kummer Also, da hast du dir ja einiges vorgenommen.
RLG Etwas traurig starrte Radius Lehr auf die leere Papierhülse in der Halterung an der Wand, die geweißelte Holztür klackte, und Bernti Kummer war verschwunden. Aus dem Badezimmer, Radius schaute in sämtlichen Zimmern der Etage nach, doch Bernti blieb wie ein vom Erdboden Verschluckter. Zurück auf dem Korridor surrte auf dem Boden zwischen seinem Zimmer und dem Bad die Modell- Lorenbahn im Kreis, mit zwölf kunterbunten Loren, Radius Lehr jedoch fiel auf die Knie
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende