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Blatt 10: Fräulein Müller

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Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank

Auszug 35 159 23 5, Blatt 10

Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende

RLG Fräulein Müller! Die gerstenschlanke, blutjunge Klassenlehrerin. Mit der ewig währenden Nickelbrille und dem superkurzen Minirock erwischte Radius kurz bevor er beinahe hundertprozentig und mit Haut und Haar im Abfallbehälter war, mit einem liebevollen Klaps schickte sie ihn dann auf dem Heimweg.

Die Verspätung von der Schule war der stets weiße Strümpfe strickenden Mutter nicht entgangen. Beileibe, für eine Ausrede nicht verlegen, keineswegs, wäre die Schule zu schön, um von ihr loszukommen. Anstrengend und schön, in einem Abwasch sozusagen, nach einem kurzen, unruhigen Nickerchen schlich er sich wieder aus der Wohnung. Wieder einmal, weit über ihn zog jemand seine Kreise, irgendein Raubvogel, auf dem Schulhof stürzte sich Radius erneut auf den Abfallbehälter, in besser gesagt, in den Behälter, und nicht lange dauerte es nun, bis er ihn ratzekahl geleert hatte: Butterbrotpapiere zuhauf, zusammengeknüllt, fast leere Milchtüten, Apfelbutzen und Obstschalen, Lindenlaub, ein halber Döner, eine weiße Strumpfhose, ehemals weiß natürlich, eine kaputte Fahrradpumpe und die braune Kordel einer Kapuzinerkutte.

Gleichsam wie ein sterbender Schwan kauerte er vor dem Behälter vor der Linde, die dumme Krähe über ihn, dass die nie Ruhe geben konnte. Mit dem Anbruch der Dämmerung schlich er heim, zur Freude von Mutter und Vater entwickelte sich der Junge in den darauffolgenden Jahren zu einem überragenden Grundschüler. Stets wurden Bestnoten nach Hause gebracht, vor allem der väterliche Stolz kannte keine Grenzen, wahrlich, wahrlich, und nie hatte er auch nur den leisesten Hauch eines Zweifels.

Kurzerhand meldete er Radius, als es endlich soweit gewesen war, am Gymnasium an. Dies befand sich allerdings unten in der Stadt, hinterher suchte er noch mit dem Spross an der Hand den Stammtisch im Ratskeller auf. Dort war er kein Unbekannter, beileibe nicht, nebst einigen honorigen Ratsherren waren außerdem anwesend der Amtsrichter Knöll, zur besten Tageszeit wohlgemerkt, der Schafbauer Fried, der es sich nie nehmen ließ, nach seinen Herden zu riechen, der ambitionierte Kleinbürgermeister Klein sowie der Stadtpfarrer Kühnert mit der scheinbar ewig währenden Kapuzinerkapuze.

Der eigentlich knausrige Lehr war in bester Geberlaune, keine Frage, mehr wie ein paar Mal ließ er vom korpulenten Schankwirt Viereck eine Runde Himbeergeist auftragen, eine nach der anderen, und umso fortgeschrittener die Stunden, desto lockerer und ausgelassener wurde die Stimmung am Stammtisch. Vater Lehr ließ kaum eine Gelegenheit aus, um in allerhöchsten Tönen von seinem Sohn, welcher an einem leicht verschrammten Holztisch in einer spärlich beleuchtenden Ecke an einer schummrig flackernden Kerzenflamme spielte, zu prahlen.

Vater Lehr Das Genie par excellence ist geboren, heute fängt die Zukunft an. Mein Junge ein Naturtalent, ein Wunderkind, etwas ganz Großes wird aus ihm. Das steht fest, einer, den die Welt noch nicht gesehen hat, es ist nur noch eine Frage von Zeit, bis alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt wird.

RLG Draußen hatte es längst angefangen zu dämmern, was einem wie dem alten Lehr keinesfalls von überhaupt irgendwas abhalten konnte, ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil, im Eifer des Gefechts hätte er beinahe sogar den Kleinbürgermeister Klein bespuckt.

Vater Lehr Wer schon ist denn Goethe – wer schon! Sagen Sie es mir, sagen Sie es mir doch. Oder ein Schiller, ein Lessing oder Kleist, selbst einer wie der Schopenhauer. Alles nichts weiter wie Scheißdreck! Im Vergleich, oder Hegel! Voltaire! Beethoven, Newton, Michelangelo, Da Vinci, nein, einfach nichts.

RLG Na ja, dass man sich unter Umständen leicht hätte verbrennen können, stand an jenem Abend wohl auf einem anderen Blatt; oder etwa nicht? Trotz des höhnischen Gelächters am Stammtisch übte sich der Lehr mit jedem Bier und mit jedem Himbeergeist mehr in mehr in ellenlange Monologe, die an Monotonie nichts zu wünschen übrigließen. Aber auch rein gar nichts, Pfarrer Kühnert hingegen sorgte mit dem Einstreuen von Witzen für eine gewisse Auflockerung und Entspannung des Ganzen.

ßilberling Witze?

RLG Ja, gewiss doch, zwischendurch.

ßilberling Erzählst du mir einen?

RLG Aber ßilberling, wo ich doch lieber den normalen Kontext fortfahren möchte.

ßilberling Ach bitte, bitte, nur einen einzigen.

RLG Außerdem weiß ich doch auch keinen mehr. Wie lange all das zurückliegt.

ßilberling Hach!

Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende

Hugo Bauklotz - Ein Zaun

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