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Blatt 16: Vorgestern also

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Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank

Auszug 35 159 23 5, Blatt 16

Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende

RLG Vorgestern also! Ein völlig normaler Arbeitstag eigentlich, bei näherer Betrachtung. Ach, wenn es nur dabeigeblieben wäre. Nein, einen Lauf hat es genommen, ein Unglück nach dem anderen.

ßilberling Selbst wenn man nicht so gewollt hätte?

RLG Hach, mein ßilberling, hach. Nicht weit von der Werkstatt waren sie nämlich gerade beim Renovieren einer schmucken Altbauwohnung gewesen, am frühen Morgen war Radius Lehr mit einem quietschenden Leiterwagen vorgefahren, oder war es nicht so, dass eigentlich nur noch letzte Aufräumarbeiten vorzunehmen waren? Doch, doch, immerhin, zunächst Pinsel und Eimer eingesammelt und runtergetragen, Tapetenrollen, oder besser gesagt, was davon übriggeblieben, das Zuklappen der Tische nicht zu vergessen, und die zusammengekehrten Schnipsel und Abfälle blauen Müllsäcken zugefügt. Nach dem Verscharren auf dem Leiterwagen hatte dann nur noch der Boden der Wohnung geschrubbt zu werden, blitzblank wohlgemerkt, von einen jeglichen Farben – und Leimresten freigemacht. Kurz vor Mittag so gut wie fertig mit allem, unterwegs schnell noch das eingesammelte Leergut beim Tankwart Tunkel abgegeben. Gegen ein ordentliches Pfandgeld, denn war während dem Aufenthalt nicht immerhin ordentlich was zusammen gekommen; in der Werkstatt schließlich die Münzen in eine auf einem Regal zwischen einen hundertprozentig hoffnungslos verkratzten Erste – Hilfe – Kasten und einem völlig vergilbten Leitfaden für das Ausüben des Malerhandwerks rankende Blechdose zugefügt, worauf auf einem verdreckten Heftpflaster ein mit hellblauer Kugelschreibermine gekrakeltes Wort gekrakelt worden war, welches bei gutem Willen als „Kaffee“ entzifferbar. Kein Zweifel, und gekrakelt kein Ausdruck, beileibe nicht, ja, ist dem Ganzen nicht so gewesen?

Vor der Mittagspause wollte Radius schnell noch die Pinsel und Bürsten über das kleine, hoffnungslos vergilbte, von Kalkflecken übersäte Waschbecken der Werkstatt reinigen. Den Hahn aufgedreht, überprüfte er mit einem Finger zunächst noch die Temperatur des glucksenden Wassers, nebenbei ein Scheppern und Klappern, aus der Vorratskammer wohlgemerkt, und das todsichere Zeichen für die Anwesenheit von Heribert von Klinkhoven. Die neben Wieschensriether und Radius Lehr einzige vollwertige Arbeitskraft des Werkstattbetriebes, und wohlweislich ungefähr zum gefühlten hunderttausendsten Mal dabei, die Farb- und Lacktöpfe zu zählen. Damit man auch immer genau wusste, wie viele es zum einen noch waren, und zum anderen, ob überhaupt noch alle vorhanden.

Radius war nun am ersten Pinsel unter dem fließenden Wasser halten, als aus dem winzigen Meisterbüro Wieschensriether am Hervortreten. So wie der leibte, so wie der lebte.

Otto Wieschensriether Welch Werk du tust.

RLG Nicht aufhalten wollte sich Radius keineswegs, von nie und niemanden, ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Die unmittelbar bevorstehende Mittagspause, so dass Eile geboten war, durchaus, durchaus, und immerhin hatte Frau Fiel frische Brote zugesteckt. Am frühen Morgen, mit Mailänder Salami wohlgemerkt.

Otto Wieschensriether Getan sei es nun. So lasse ab, mein Sohn, künden will ich der Verheißung kühne Worte. Denn der Künste unser, der Zeiten schlecht, der Bücher Leere, kundtun will ich nun.

RLG Das Wasser – doch zu heiß?

Otto Wieschensriether Nimmer darben ihr sollt, mein Sohn, nicht hungern, nicht dürsten nimmer dar, nun lasset mich künden, der Zeiten Leere, der Bücher schlecht.

RLG Oder zu kalt?

Otto Wieschensriether Mit dieser Stund, der Lohn, welch euer gewiss, nicht darben nimmer, allzeit wir uns einen. Drum will entrichten neu ich euch, so gebt Acht, denn ach-t will ich euch geben.

RLG Hatte sich Radius Lehr verbrannt oder verkühlt – was denn nun? Und wie war das gleich noch – acht? Zu vernehmen? Aus dem viel zu breiten Maul des kolossalen Meisters? Bisher hatte Radius Lehr einen Zehner erhalten, pro Stunde wohlgemerkt, was nach allen möglichen beziehungsweise unmöglichen Abzügen etwas mehr wie einen Tausender pro Monat ergab, mit dem er unter dem Strich auszukommen hatte. Und auskam, jedoch mit einer Reduzierung in der Höhe, von welchem der Dicke am Waschbecken lauthals schwafelte, hätte er die Miete für Frau Fiel nach wie vor aufbringen können. Keine Frage, mühelos, die Besuche bei Amalie und Dimitri in der eckigen Eckkneipe hätte er sich allerdings abschminken können. Zum Beispiel, mehr oder minder, war es außerdem doch nicht viel zu heiß gewesen? Oder doch zu kalt, ach, was denn nun?

Radius Lehr Acht – das ist mit mir nicht zu machen.

Otto Wieschensriether Mein Sohn, mehr wie acht kann ich dir nicht geben, Oh, wie es mir dünkt, acht pro Stück. In der Seele

Radius Lehr Endlich mittelwarm – acht pro Stück?

Otto Wieschensriether Acht mein Sohn, allzeit wir uns einen, acht pro Stück.

RLG Wie widerspenstig die Leimreste, aber seine Ohren, die waren doch gewaschen. Oder etwa nicht?

Radius Lehr Acht?

Otto Wieschensriether Acht sprach ich, acht mein Geben, acht mein Streben, so schlaget ein.

RLG Acht pro Stück – klingelte es also doch langsam? In Radius Lehrs Oberstübchen, deutete auch dies in Rätseln Gestammelte, wessen dem er ihm am Liebsten an die Gurgel gesprungen wäre, mehr wie einmal wohlgemerkt, in all den Jahren, so wulstig die auch gewesen sein mochte, auf eine Erhöhung gar? Des bisher Verdienten? Aber was würde das für einen Sinn machen? Im Angesicht von schlechten Zeiten? Radius wusste eigentlich weder hin, noch her, um es mal vorsichtig auszudrücken?

Radius Lehr Acht pro Stück, okay, ich bin dabei. Ach, Meisterlein, wenn ich Sie nicht hätte.

Otto Wieschensriether Am Gelingen unser Einen, nimmer am Darben.

RLG Acht pro Stück, längst in die innere Rechenmaschine abgedriftet, denn hatte ein zu renovierendes Zimmer nicht bekanntermaßen vier Wände? Zumindest zumeist, zumindest, was locker und leicht an einem einzigen Arbeitstag zu bewältigen wäre. Je nach Größe wären pro Wand bis zu sechs Tapetenbahnen vonnöten, also vier Wände mal sechs Rollen mal acht, was nach aller Multiplikationskunst dieser Welt einhundertzweiundneunzig ergeben hätte. Mal ungefähr mindestens zwanzig Arbeitstage pro Monat, unglaublich, was für ein Wahnsinn!

Dass beim Alten ein Rad ab gewesen, war nicht nur ihm mehr wie bewusst gewesen, ja, auch über den verschrobenen Hinterhof hinaus. Beileibe, dazu das Gerede über die leeren Bücher, Radius begriff in jenen Momenten so gut wie gar nichts mehr. Vor dem vergilbten Waschbecken, aber auch rein gar nichts, so oft, wie er den Wieschensriether zum Teufel gewünscht hatte. Oder war es der Dank? Auf der anderen Seite? Schlichtweg? Für die entgegenbrachte Loyalität? Seit nun schon mehr wie zwanzig Jahren? Für das Knochen hingehalten haben? Von morgens bis abends, und über dem Strich betrachtet, konnten Radius die seither merkwürdigen Verhaltensmuster des Meisters nicht schnuppe sein? Unter dem Strich betrachtet, jawohl, und das waren sie auch; Radius Lehr strahlte wie ein frisch gepuderter Gugelhupf.

Radius Lehr Also acht pro Stück!“

Otto Wieschensriether Am Gelingen, unser Darben, nimmer Hunger, mein Sohn.

Radius Lehr Na klar, und endlich kann ich mir den Turm meiner Träume leisten. Sogar Frau Fiel wird die Kündigung verschmerzen können. Nach all den Jahren.

Otto Wieschensriether Wie des Turmes?

Radius Lehr Aber Meisterlein, rechnen kann ich schließlich auch, immerhin bin ich auch mal zur Schule gegangen. Auch wenn‘ s ein Weilchen zurückliegt, und bei einem Monatsgehalt von viertausend ist die Finanzierung eines Turms ein Kinderspiel.

Otto Wieschensriether Viertausend – ach, du meine Güte, viertausend, wie kommst du darauf? Viertausend – viel zu viel das ist.

Radius Lehr Was heißt zu viel? Genau das sagten sie doch, acht pro Stück.

Otto Wieschensriether Ja, acht pro Stück, acht pro Wand, ach, wie verhöhnet Ihr mich.

RLG Acht pro was, Radius verbrühte sich die Finger jetzt doch noch. Acht pro Wand, dies hätte ja nicht einmal für den berühmten hohlen Zahn ausgereicht. Mindestens, wütend fuchtelte er mit dem immer noch nicht gesäuberten Pinsel vor des Meisters Nase.

Radius Lehr Acht pro Wand – viel zu wenig.

Otto Wieschensriether Acht pro Wand, mehr kann ich Euch nicht geben, Acht pro Wand, der letzten Worte gesprochen.

Radius Lehr Ach, wissen Sie was, dann eben nicht. Ich hab die Nase sowieso gestrichen voll.

Otto Wieschensriether Mein Sohn – der Worte derb,

Radius Lehr Genauso wie Sie es verdient haben. Nach all den Jahren.

Otto Wieschensriether Der Worte derb, des Einen Gelingen.

Radius Lehr Nichts Gelingen, stecken Sie sich Ihre verflixte Acht gefälligst in den Arsch! Oder sonst wohin!

Otto Wieschensriether Der Busen Schmerz, Der Seelen Pein, wie Ihr mit mir redet, mein Sohn. Der Worte garstig, der Bürzel Tiefe, Der Abgrund Ferne nimmer dar.

RLG War es nicht einmal ein ihm zur Verfügung stehender Moment gewesen? Mit einem der nächsten Augenblicke stülpte Radius Lehr den eigentlich immer noch zu reinigenden Leimpinsel ihm ins Gesicht.

Otto Wieschensriether Zu Hülf, mein Sohn, zu Hülf, entstellt habt ihr mich, entstellt.

RLG Nicht zuletzt durch die lauter gewordenen Stimmen dürfte der aus der Eimerkammer hervorgetretene von Klinkhoven aufmerksam geworden sein.

Heribert von Klinkhoven Radius – was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?

Radius Lehr Als ob dich das was anginge.

Otto Wieschensriether Zu Hülf, ich erstücke, zu Hülf.

RLG Von Klinkhoven versuchte nun, das Antlitz des Meisters vom Pinsel zu befreien, was ihm tatsächlich auch gelingen sollte, einige Borsten blieben zum Leidwesen hängen, an manchen Stellen sickerte etwas Blut hervor.

Otto Wieschensriether Entstellt – ich bin entstellt. Der Antlitz Pein, der Seele Busen, entstellt.

Heribert von Klinkhoven Aber Radius, so geht man doch nicht mit seinen Meister um.

Radius Lehr Und warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Du dummes Arschloch!

Heribert von Klinkhoven Bei allem Respekt – aber irgendwann reicht es dann auch wieder!

Radius Lehr Arschloch, Arschloch – du bist und bleibst ein saudummes Eimerarschloch!

Heribert von Klinkhoven Sag mal, kann es sein, dass dir jemand den Verstand geklaut hat?

RLG Radius hatte sich inzwischen zur Tür begeben.

Otto Wieschensriether Der Einen Gelingen. Am Ende, mein Sohn.

Radius Lehr Nichts da, nichts gelingt - ich kündige.

Heribert von Klinkhoven Wenn‘ s denn nur der Verstand wäre.

Otto Wieschensriether Von dannen ziehen ihr wollt? Mein Sohn, und wo wollt ihr denn hin?

Radius Lehr Was geht dich das an, du Oberarschloch!

RLG Und die Tür der altehrwürdigen Werkstatt wurde zugeknallt. Von außen wohlgemerkt.

Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende

Hugo Bauklotz - Ein Zaun

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