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Blatt 19: Anne zwischen Tür und Angel

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Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank

Auszug 35 159 23 5, Blatt 19

Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende

RLG Anne zwischen Tür und Angel! Synthetisch hin, synthetisch her - und eh Radius Lehr auch nur einen Zentimeter weiterdenken konnte, stand Anne Hoch in seinem Zimmer. So wie sie leibte, wie sie lebte, in ihrer knallschwarzen Montur wohlgemerkt.

Radius Lehr Gut, dass du endlich da bist, Anne, ich hab dir nämlich was zu sagen.

Anne Hoch Hm - Pudding?

Radius Lehr Was ganz Wichtiges!

Anne Hoch Bestimmt von Oma Federica! Nicht wahr?

Radius Lehr Sehr wichtig sogar.

Anne Hoch Ganz bestimmt Pudding - hm!

Radius Lehr Was du nur mit dem Pudding hast.

Anne Hoch Aber hallo - wie wäre es zum Beispiel essen?

Radius Lehr Essen? Wie? Natürlich.

Anne Hoch Oder hast du keinen Hunger?

Radius Lehr Wie? Hunger?

Anne Hoch Ach, Radius, auf den Pudding.

Radius Lehr Gott bewahre, das klebrige Zeug hat mir gerade noch gefehlt.

Anne Hoch Mann!

Radius Lehr Wenn das alles ist, dann können wir ja endlich zur Sache kommen.

Anne Hoch Hä!

Radius Lehr Ja, das was ich dir zu sagen habe.

Anne Hoch Meinetwegen, wenn es unbedingt sein muss, aber kannst du mir nicht zuerst was anbieten?

Radius Lehr Anbieten?“

Anne Hoch Ach Radius, och Mann, ich hab Hunger.

Radius Lehr Das tut mir leid, aber ich fürchte, ich habe nichts für dich.

Anne Hoch Den Karamellpudding.

Radius Lehr Den Kara, den, den – ach so, natürlich. Von mir aus kannst du die ganze Schüssel essen.

Anne Hoch Leer essen, Radius, leer essen heißt es.“

Radius Lehr Hauptsache ich werde das Zeug los.

Anne Hoch Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass wir mal wieder üben.

RLG Unmittelbar nachdem Radius für Anne die Schüssel auf den Tisch gesetzt hatte, verließ er das Zimmerchen, im Spiegel seines Gegenüberbades leuchteten winzige Glitzersterne. Mit dem Mund unter dem Leitungshahn ließ er eiskaltes Wasser in den verdorrten Schlund laufen, was aber auch nur eine geringfügige Linderung einbrachte. Aber immerhin, es war zumindest endlich mal eine, zurück im Zimmer war Anne Hoch bereits am Auslecken der Schüssel, während auf dem Tisch ein zerfleddertes Grammatikbuch lag.

Anne Hoch Schau es dir ruhig an; der Direktor Langhorn hat unsere Schulbibliothek ausgemistet. Dabei hat er mir dieses Buch geschenkt.

RLG Anne Hoch trug die leere Schüssel auf die Kommode zurück, und schnappte sich eine von Frau Fiels stets herumliegenden Fernsehzeitschriften.

Anne Hoch Na, wie gefällt es dir?

Radius Lehr Ach, Anne, nun gib mir doch wenigstens etwas Zeit.

Anne Hoch Dafür habe ich gleich was für dich: eine Versteigerung.

Radius Lehr Substantivierte Verben?

Anne Hoch Mit sechs Buchstaben.

Radius Lehr Eine Auktion, Anne, eine Aktion.

Anne Hoch Bist du dir sicher?

Radius Lehr Schreib‘ s hin, es wird schon stimmen; man hängt dem Verb ein Artikel an, und schon ist‘ s ein Substantiv – aha!

Anne Hoch Wirklich ganz leicht, findest du nicht, ein abfallendes Gelände mit vier Buchstaben, das „A“ habe ich schon.

RLG Radius zeichnete auf einem im zerfledderten Grammatikbuch entdecktes kariertes Blatt eine zweispaltige Tabelle: eine für die Verben, eine für die daraus gebildeten Substantive – na klar, für was denn sonst auch.

Radius Lehr Ach, Anne, merkst du eigentlich nicht, dass ich beschäftigt bin?

Anne Hoch Ich glaube, du weißt es nicht?

Radius Lehr Ein Hang, du Nervensäge.

Anne Hoch Sehr gut, und jetzt ein Schienenfahrzeug.

Radius Lehr Lachen – das Lachen.

Anne Hoch Ganz leicht, habe ich‘ s nicht gesagt, ach ja, an dritter Stelle ein „G“.

Radius Lehr Ein Zug glaub ich, man könnte auch „weinen“ nehmen: weinen – das Weinen.

Anne Hoch Gar nicht so schlecht, aber weißt du auch, was ein Tiergarten ist?

Radius Lehr Ach, Anne, wie oft das vorgekommen ist in unseren Rätseln, manchmal ist es wirklich zum Kichern mit dir. Hm, kichern – das Kichern.

Anne Hoch Na gut, wenn du nicht mehr willst, ich schreib dann solang mal den Zoo hin. Das Gegenteil von Tadel?

Radius Lehr Lob – das Lob! Etwas, was du heut offenbar nicht verdient hast.

Anne Hoch Drei Buchstaben, stimmt.

Radius Lehr Loben – das Lob.

Anne Hoch Jetzt fehlt noch eine Abkürzung. Für „Bank of England.

Radius Lehr Das man dir alle aber auch wirklich alles aus der Nase kitzeln muss.

Anne Hoch B – O - E – ist doch ganz einfach. Mann, Radius!

Radius Lehr Kitzeln – das Kitzeln.

RLG Die Zeitschrift weggelegt, begab Anne Hoch sich an Radius Lehrs Seite.

Anne Hoch Das machst du wirklich sehr gut, für dein letztes Verb gibt es aber vielleicht noch ein anderes Substantiv.

Radius Lehr Du meinst zwei Substantive? Aus nur einem Verb?

Anne Hoch Aber ja doch

Radius Lehr Nein das geht nicht, im Buch steht nichts von zwei Substantiven.

RLG Anne Hoch entriss ihm den Stift und kritzelte was in Radius Lehrs karierte Tabelle. Er aber traute seinen Augen nicht, Anne hielt den Stift vor Radius Nase.

Anne Hoch Ein Verb, zwei Substantive. Wie ich es dir gesagt habe.

RLG Die Anne – was um aller Welt war nur in sie gefahren? Nicht, dass es am Ende eine Seite an ihr war, die er bisher noch nicht kannte.

Radius Lehr Nein, Anne, das geht nicht.

Anne Hoch Du siehst doch, dass es geht. Oder habe ich es etwa umsonst hingeschrieben?

Radius Lehr So etwas schreibt man aber nicht hin.

Anne Hoch Aber wieso denn nicht?

Radius Lehr Weil davon nichts steht, also gibt es das auch nicht – basta!

Anne Hoch Und wie es das gibt. Und es ist etwas ganz Natürliches.

Radius Lehr Nein, ich weigere mich, so etwas anzunehmen.

Anne Hoch Ich weiß nicht, warum du dich wieder mal so anstellst. Außerdem werde ich ja noch wohl wissen, wovon ich spreche, schließlich habe ich auch einen. Oder hast du ihn vorhin im Bad nicht gesehen?

Radius Lehr N – n - natürlich nicht, oder glaubst du etwa, ich tu bei kleinen Mädchen einfach gucken? Was glaubst du eigentlich, wer ich bin?

Anne Hoch Na, vielleicht muss ich mir das noch gut überlegen.

RLG In einem der nächsten der gemeinsamen Momente setzte Anne Hoch sich auf Radius Lehrs Schoß, etwas, was nie zuvor stattgefunden hatte. Radius alkoholisiertes Herz pochte nun unentwegt, Am liebsten hätte er einfach mal auf den Tisch gehauen, ging aber nicht, zu sehr waren Bewegungsfreiheiten eingeschränkt. Ja, das Mädchen auf dem Schoß, in der Tat waren Anne Hoch und Radius Lehr sich noch nie so nahe gewesen, die Wirtstochter von Dimitri, einem wirklich guten Freund. Die Amalie nicht zu vergessen, nahezu regungslos die Anne Hoch, aufrecht die Haltung, mit nachdenklichen und leicht traurigen Zügen im schmalen, kindlichen Gesicht. Ja, das war doch schon eher was, was Radius Lehr kannte. An Anne Hoch, zu gut, denn so jung sie noch war, so sehr war sie ihm eine treue Begleiterin gewesen. Durch die Jahre, klug war sie, klug und gescheit, eine aufmerksame Zuhörerin, eine Gesprächspartnerin, die zu jedem was zu sagen wusste, die schwarze Schmetterlingsspange am dunkelblonden Pferdeschwanz, der Duft nach Erdbeerschaumbad, ja, sie war einfach so wie sie war, die Anne. Ach, die Anne Hoch, und war es nicht einfach ein schöner Glücksfall, dass Radius Lehr sie hatte? So dass – unterm Strich betrachtet - am Ende doch alles gut war? Ja, ja, die Anne, wie sie leibte, wie sie lebte, in ihrer scheinbar ewig schwarzen Montur.

Sicher auch bedingt durch das Stillschweigen zwischen den Beiden war das Knirschen der Kleidungsstücke zu hören, und wurde ihm zudem - nicht zuletzt durch die Nähe auf dem Schoß - der Vortag noch mehr wie bewusst? Bis unter die Gürtellinie, ja, ja, ihm dauerte das Ganze sehr, und er hätte Einiges dafür gegeben, um die verbalen Entgleisungen ungeschehen zu machen.

Radius Lehr Du, Anne, wegen gestern. Tut mir wirklich leid.

Anne Hoch Ich weiß.

RLG Ahnungslos, wie sie überhaupt darauf geraten war, zog Radius seine Hand von ihrem schwarzen Knie.

Radius Lehr Wie du weißt es?

Anne Hoch Ach Mann, Radius, na klar. Ich weiß doch, wie du bist.

Radius Lehr Ich finde, das ist kein Grund, was unter dem Teppich zu kehren.

Anne Hoch Na ja - Schönes hast du nun wirklich nicht gerade gesagt.

Radius Lehr Ja, ich weiß, schlimme Worte.

Anne Hoch Und ganz schön betrunken bist du gewesen.

Radius Lehr Was du wiederum auch nicht magst - nicht wahr?

Anne Hoch Wenigstens bist du es ja heut nicht mehr. Zum Glück.

Radius Lehr Also der Schädel brummt noch ganz schön - aber Anne.

Anne Hoch Ach, Radius, was ist denn noch?

Radius Lehr Na ja.

Anne Hoch Auf, Radius, raus mit der Sprache. Egal, was es ist.

Radius Lehr Ich meine, ob du mir verzeihen kannst.

Anne Hoch Na, da gibt es doch gar nichts zum Verzeihen.

Radius Lehr Also wenn das so ist, dann danke ich dir schön. Für das Leichtmachen.

Anne Hoch Meinetwegen, ich möchte dich aber auch um was bitten.

Radius Lehr Das wäre.

Anne Hoch Benutze bitte nie wieder solche Worte!

Radius Lehr Keine Sorge, danach steht mir sowieso nicht mehr der Sinn.

Anne Hoch Versprochen?

Radius Lehr Hoch und heilig.

RLG Anne Hoch kullerte jetzt sogar die Schmetterlingsspange an Radius Lehrs Brustbein, die Hand schon wieder auf dem schwarzen Knie,

Anne Hoch Sag mal, Radius!

Radius Lehr Alles in Lot.

Anne Hoch Hast du wirklich nichts gesehen? Vorhin im Bad?

Radius Lehr Ich hoffe, das meinst du nicht im Ernst.

Anne Hoch Und wie ich das im Ernst meine.

Radius Lehr Ach, Anne, natürlich nicht, aber habe ich dir das nicht bereits gesagt?

Anne Hoch Hm – oder findest du mich vielleicht nicht hübsch genug?

Radius Lehr Ach, Anne, das hat doch nichts damit zu tun, aber das macht man einfach nicht, bei kleinen Mädchen gucken.

Anne Hoch Dann bin ich vielleicht wirklich nicht hübsch genug.

Radius Lehr Ja, natürlich bist du hübsch. Sehr sogar, wenn‘ s dich beruhigt. Selbstverständlich, was sonst.

RLG Nun legte Anne zum schelmisch - verlegenes Grinsen auf.

Anne Hoch Kennst du eigentlich den Fritzi?

Radius Lehr Nein, nicht die Bohne.

Anne Hoch Er geht in meine Klasse. Und ist hinter mir her.

Radius Lehr Na, da haben wir es doch schon. Denn so hässlich kann niemand sein, wenn schon die Schürzenjäger hinter einem her sind.

Anne Hoch Mann, Radius, er hat mich sogar ins Kino eingeladen. Schweinchen Dick war es glaub ich, Schweinchen Dick oder Bugs Bunny, aber vor dem Kino ist er einfach nicht erschienen. Nach der Verabredung, mich einfach sitzen gelassen, aber am nächsten Morgen habe ich ihn zur Rede gestellt. Vor dem Unterricht im Klassenzimmer, und Fritzi sagte nur, dass er nicht mehr genügend Taschengeld gehabt hätte. Erst müsste er das Taxi vom Leonid schrubben, dann könnte es für das Kino reichen. Vielleicht sogar für eine Himbeerbrause.

Radius Lehr Bestimmt nicht der erste kleine Junge, dem das Geld ausgegangen ist. Aber er wird es nachholen, sobald er‘ s zusammen hat, oder hast du mir‘ s nicht gerade erzählt?

Anne Hoch Übrigens, du hast bei uns noch was stehen.

RLG Und nur wenige Minuten später sah man Anne Hoch und Radius Lehr die Straße entlanggehen, Hand in Hand wohlgemerkt.

Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende

Hugo Bauklotz - Ein Zaun

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