Читать книгу Hugo Bauklotz - Ein Zaun - Tarius Toxditis - Страница 53
Blatt 14: Radius flüchtete aus dem Ratskeller
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Auszug 35 159 23 5, Blatt 14
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
RLG Radius flüchtete aus dem Ratskeller. Die Kerze in der Ecke brannte dieses Mal ohne ihn nieder. Wenn man so wollte, und erst am darauffolgenden Morgen war es so, dass Vater und Sohn wieder aufeinandertrafen. In der Küche wohlgemerkt, und Vater Lehr hatte sich wohl einmal mehr einen fürchterlichen Nachdurst eingehandelt; höchstwahrscheinlich, um es vielleicht mal dann doch etwas vorsichtiger zu formulieren. Kaum eingetreten, nahm er eine Bierflasche aus dem Kühlschrank, und erst als er am Küchentisch Platz nahm, bemerkte er, dass neben Radius noch einer saß, den er partout nicht einzuordnen vermochte, nie und nimmer. Beziehungsweise nie zu Gesicht bekommen hatte, Zeit seines Lebens wohlgemerkt, der Junge indes rührte in einer Kaffeetasse, vorläufig war es ein hundertprozentiges Stillschweigen, was vorherrschte. Einige Minuten, Stillschweigen, drei am Küchentisch, bis es am Ende doch wieder der Alte war, der nach ein paar kräftigen Schlucken aus der Pulle das Wort erfasste, frei nach dem Motto „wer denn sonst auch“.
Vater Lehr Sage mal - wo ist Mutti eigentlich?
RLG Mit dem Rührlöffel deutete der Junge auf einen Zettel. Mitten auf dem Küchentisch: „bin auf den Aprikosen– und Pfirsichmarkt.
Vater Lehr Ach ja.
RLG Ein paar weitere Schlucke aus der Flasche erfolgten.
Vater Lehr Ach, dieser verflixte Kurz, was für ein Armleuchter! Nicht wahr, mein Sohn?
RLG Von den Fremden schien er weiterhin keine sonderliche Notiz zu nehmen, obwohl dies eigentlich nahezu unmöglich sein konnte, ihn zu übersehen, denn immerhin besaß der Typ die Ausmaße von mindestens eineinhalb Gewehrschränken. Mindestens, ja, breit und riesig war kein Ausdruck, beileibe nicht, einfach nur voluminös. Ein Koloss, ein einziges Muskelpaket, dessen weißes Maleroverall so gespannt war, einschließlich dem karierten Hemd darunter, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis all dies auseinander barst; schnell noch ein tiefer Schluck.
Vater Lehr Aber dieser Winter, das ist vielleicht einer. Bei dem gelingt der Abschluss spielend leicht, das wäre doch gelacht. Und das Abitur, mein Gott, das holen wir eben etwas später nach. Und alles ist wieder im Lot.
RLG Der Junge klimperte in der Kaffeetasse, der Muskelprotz gab weiterhin keinen Mucks von sich.
Vater Lehr Etwas vom Kurs abgekommen. Sind wir, aber wer ist das nicht, in jungen Jahren. Kommt sogar in den besten Familien vor, alles muss nur wieder eingerenkt werden. Und schon bald geleitet das ins Schlingern Geratene wieder in ruhigem Fahrwasser. Na, was sagst du, mein Sohn?
Radius Lehr Das ist Herr Wieschensriether.
Vater Lehr Und die Mädchen – wer schon braucht die Mädchen? Das hat doch nun wirklich noch Zeit. Bis wir ans trockene Ufer gesegelt.
Radius Lehr Herr Wieschensriether hat eine Werkstatt.
Vater Lehr Später könnte ich mir durchaus vorstellen, Großpapa zu sein. Sehr gut sogar, ja, warum denn auch nicht?
Radius Lehr Herr Wieschensriether will mich einstellen.
Vater Lehr W – was!“
RLG Fast schon wie im Stile eines Fußballtorwarts sprang er bis an den Kühlschrank. Eine frische Pulle auf den Tisch geknallt, schüttelte er schließlich den Kopf.
Vater Lehr Aber das geht doch gar nicht. Wo wir doch ganz andere Pläne haben.
RLG In einem der nächsten Momente warf sich der Koloss auf die Knie, neben dem Tisch, mit den Blicken zum Alten hoch, die Mütze runter.
Otto Wieschensriether Um Euer Fleisch ich Euch ersuch.
Ja, um Euer eigen Blut ich buhle.
RLG Mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit war es nun so, dass der alte Lehr in jenen ihm augenblicklich zur Verfügung stehenden Momenten wohl nicht mehr richtig wusste, wie ihm geschah. Ja, das war anzunehmen, davon war auszugehen.
Otto Wieschensriether Euer eigen Fleisch, Euer Blut,
Einlass er mir gewähret, In Euren schmucken Kammern.
Nun bitt ich euch, der Demut Tiefe,
Um seiner – oh wie edel seine Anmut. Dem Apollon gleichend.
RLG Vater Lehr hielt Ausschau. Nach einem Flaschenöffner auf dem Tisch.
Otto Wieschensriether Er kündet. Euer Eigenfleisch,
Euer Eigenblut, Euer Edelmut.
Der Verneigung, Demut nimmer dar,
Um Euer Fleisch, Um Euer Gunst,
Und um Euer Antlitz Freude.
RLG Ja, wo war er nur, dieser verflixte Flaschenöffner?
Otto Wieschensriether Mein Flehen, um Euer Gunst.
Euer Fleisch, ja so sehr ich des Flehens.
Dank Euer Gnade, Dank für Euer Edelmut,
Edel Eure Gunst, Eure Fresse.
RLG Das verflixte Ding, so ein Mist, es war nur ein Kugelschreiber, der Muskelklotz erhob sich. Endlich wäre man fast geneigt zu meinen, und aus dem Overall knüllte er ein Papier hervor. In der Tat ein Vordruck für einen Ausbildungsvertrag mit allem Drum und Dran, mit allen möglichen und unmöglichen vorgekauten Vorschriften.
Otto Wieschensriether Der Feder gezückt. Gezückt der Feder, wusste ich es doch.
Eure Gunst, Eure Gnade.
Radius Lehr Jetzt unterschreib doch schon.
Vater Lehr Na gut, meinetwegen – aber nur wenn es die Möglichkeit gibt, später das Abitur nachzuholen.
Otto Wieschensriether Oh ja, der Feder gezückt. Euer Eigen,ah, was für ein Fleischgesicht.
RLG Und so sollte es kommen; statt auf irgendwelchen Realschulen oder Gymnasien dieser Welt oder sonst wo zu landen, wurde Radius Malerlehrling in der Werkstatt von Wieschensriether.
ßilberling Immerhin – eine hübsche Geschichte.
RLG Keine Sorge, die nächste lässt nicht auf sich warten.
ßilberling Selbstverständlich.
RLG Natürlich.
ßilberling Na klar.
RLG Was denn sonst.
ßiberling Frei nach dem Motto – nicht wahr?
RLG Ach du.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende