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Blatt 22: Spürbar wohler
ОглавлениеDas Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 22
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
RLG Spürbar wohler. Fühlte sich Radius Lehr nach der Unterhaltung mit den beiden Hochs. Mit raschen Schritten marschierte er zurück zur Pension Fiel, hatte er nicht schließlich einen Plan? Für den restlichen Tag, vorrangig wollte er sich schließlich noch immer mit dem Meister in Verbindung setzen, telefonisch wohlgemerkt, um sich hinterher wieder ins Bett verkrümeln zu können. Denn galt es nicht, Kräfte zu sammeln, um für die zu renovierende Bank gerüstet zu sein? Vor der Haustür der Pension wurde mit dem Zücken des Schlüssels aus dem Latz des Overalls die versehentlich nicht zurückgegebene Visitenkarte mit rausgedrückt.
Meinard Lembel Verlag und Druck |
RLG Für ein paar Momente innegehalten, steckte er den Schlüssel wieder zurück und machte sich auf dem Weg. Hinfort vom heimischen Gefilde, um es mal so zu formulieren, eine halbe Stunde benötigte er, bis das Stadtzentrum erreicht wurde. Schwitzend, Vorbeiströmende, Entgegenströmende, an den mehrstöckigen Glaspalast, bis zu welchem das Adressat auf der Visitenkarte führte, konnte Radius Lehr sich beim besten Willen nicht erinnern. Oder war der ihm in früheren Zeiten einfach nicht aufgefallen, immerhin befand sich der Bau nur wenige Steinwürfe vom Rathaus entfernt. Wie lange Radius Lehr, dessen Leben sich nahezu komplett in unseren Viertel zwischen der Pension Fiel, der Werkstatt Wieschensriether und der Hochkneipe abgespielt hatte, nicht mehr hier unten war - zumindest ihm selbst kam es vor wie Ewigkeiten, eine kalte Windböe erfasste seinen Rücken.
Radius Lehr Ach, armer, armer, Papa!
RLG Auf einem sehr breiten Treppenaufgang aus purem Marmor erreichte er eine automatisch surrende Drehtür, durch welche man schnurstracks bis an die Empfangstheke des Hauses geriet. Ob nun gewollt, oder auch nicht, in den augenblicklich ihm zur Verfügung stehenden Momenten war Radius Lehr ja auch schon wieder am Bereuen, denn hätte er immerhin nicht längst schon zwischen gemütlichen Federn die Restbestände seines Alkoholpegels auskurieren können? Zum Beispiel? Die Frau hinter der Theke indes glänzte durch einen langweiligen Pagenschnitt, welcher sich farblich vom Grauton ihres Empfangskostüms so gut wie gar nicht unterschied. Mehr oder minder betrachtet, ihre Nickelbrille ließ sie noch strenger wirken, als sie offenbar sowieso schon erschien, ein Kugelschreiber in der Hand, offenkundig am Brüten über welche Dokumente oder Listen oder sonst was, nahm sie wohl erst dann von ihm Notiz, als Radius Lehr nähertrat, ein weißes Namensschild aus Porzellan auf der Theke verriet ihren Namen - in geschnörkelter Goldschrift wohlgemerkt.
Radius Lehr Ach – äh, guten Tag.
Molly Holly Ach herrje - was wollen Sie denn hier? Für Betriebshandwerker stehen eigentlich die hinteren Eingänge zur Verfügung; einmal ums Gebäude, es ist allerdings auch alles ausgeschildert.
Radius Lehr Nicht nötig, ich hab sowieso bloß eine Frage.
Molly Holly Am besten an den Hausmeister wenden. Auch um die Ecke.
RLG Der Kugelschreiber in ihrer Hand zerplatzte wie aus einem heiteren Nichts.
Radius Lehr Sie immer mit Ihrem um die Ecke, ich weiß ja nicht einmal, ob ich das überhaupt will.
RLG Sie schien Ihre Miene in eine der Plastikhülsen vergraben zu wollen.
Molly Holly Sagen Sie mal, merken Sie eigentlich nicht, dass ich zu tun habe.
Radius Lehr Ich will Sie auch gar nicht länger stören.
Molly Holly Verflixt - dann tun Sie‘ s gefälligst auch nicht!
Radius Lehr Sie brauchen mir ja auch bloß sagen, wo dieser, warten sie mal, ach. hier: wo dieser Mei – nard steckt. Meinard Lembel, genau, und schon verschwinde ich wieder. Na, was sagen Sie.
Molly Holly Was - Sie sind wohl nicht ganz bei Trost!
Radius Lehr Doch, wieso denn auch nicht, oder was glauben Sie, wieso ich überhaupt hier bin?“
Molly Holly Mann, Sie vergeuden meine Zeit, ach herrje – was für ein dummer Kugelschreiber das ist.
Radius Lehr Sie sind mich ja auch gleich los, oder habe ich‘ s nicht gerade gesagt? Sie müssen nur endlich mit der Sprache rausrücken.
Molly Holly Was erlauben Sie sich eigentlich! Und wie sprechen Sie mit mir überhaupt!
Radius Lehr Liegt doch voll und ganz an Ihnen - oder etwa nicht?
Molly Holly Und was glauben Sie eigentlich, wer sie sind?
Radius Lehr Wer ich bin? Aber das ist doch ganz einfach, ich bin der Radius Lehr, von oben komm ich her.
Molly Holly Unfassbar, mir – mir fehlen die Worte!
RLG Jetzt hielt sie in beiden Händen jeweils eine Plastikhülse.
Molly Holly Sie Unverfrorener, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass unser Herr Direktor jeden hergelaufenen Allerwelthandwerker empfängt!
Radius Lehr Na gut, dann eben nicht. Wenn Sie nicht wollen.
Molly Holly Oder haben Sie vielleicht einen Termin? Wohl eher nicht, so wie ich bei Ihnen mutmaße.
Radius Lehr Einen was?
Molly Holly Na sehen Sie, als ob ich‘ s nicht erahnt hätte. Und ohne Termin lässt sich ohnehin nichts machen.
Radius Lehr Nee, und jetzt habe ich sowieso keine Lust mehr!
Molly Holly Gott sei Dank, dann scheint bei Ihnen endlich ein Groschen gefallen zu sein. Und noch einmal, nur zum Mitschreiben: für Handwerker der hintere Eingang.
Radius Lehr Den brauch ich jetzt auch nicht mehr.
Molly Holly Hier befindet sich der Empfangsbereich, und es verkehren hier ausschließlich unsere Geschäftspartner; verdammt, wo nur die Feder geblieben ist. Und Sie - verschwinden Sie endlich!
Radius Lehr Ja, ja, schon gut, als ob ich nicht schon dabei bin!
RLG Was durchaus zutreffend war, doch, doch, nicht eine Sekunde länger wollte Radius Lehr sich der Aura der Empfangsdame aussetzen, zu sehr hielten sich Sympathien in arge Grenzen, um es mal so zu auszudrücken, in sehr arge wohlgemerkt. Doch nach den ersten Schritten hielt er auch schon wieder inne, ein in goldenem Rahmen gefasstes Portrait aus purem Öl, unmittelbar neben dem Aufzug aufgehängt. Ja, war es am Ende nicht gar ein eiskalter Schauer, welcher seine Glieder erfasste?
Radius Lehr Ist er das?
RLG Von wem Anne und Amalie gesprochen hatten – aber war bis dahin das Erinnerungsvermögen nicht blockiert? Mehr oder minder? Dafür fiel ihm nun die kurze Auseinandersetzung, bevor er von Alonso und Dimitri abgeführt worden war, mehr ins Gedächtnis zurück, wie ihn wohl je lieb gewesen wäre. Die mit dem grauen Pagenschnitt suchte derweil den kompletten Thekenbereich ab, mit Argusaugen wohlgemerkt.
Molly Holly Sie Idiot – wer soll was sein!“
RLG Graues, etwas lichtes Haar, schmale, feine Gesichtszüge mit einem feinen, schmalen Oberlippenbart, nein, zu hundert Prozent, nicht einen Zweifel gab es.
Radius Lehr Wer wohl – Ihr Lembel natürlich.
Molly Holly Also, das ist doch das Letzte, was erlauben Sie sich denn noch alles, das ist – natürlich ist das unser Herr Direktor Meinard Lembel.
Radius Lehr Na schön, von mir aus. Und nix für ungut, möchte keineswegs noch länger stören.
Molly Holly Reden Sie gefälligst nicht so blöde daher, sondern verschwinden Sie einfach nur!
Radius Lehr Mit dem allergrößten Vergnügen.
Molly Holly Diese verflixte Feder - als ob mir das noch gefehlt hätte.
Radius Lehr Tschüss.
RLG Im Rückwärtsgang warf er dem Portrait am Aufzug einen letzten Blick zu, an der Drehtür wurde er gerammt. Mit voller Wucht, von hinten freilich, angenehm war in jenen Momenten was Anderes. Die Drehtür brauchte noch ein Weilchen, bis sie wieder stillstand. Vor ihm ein Herr, dessen Gesicht dem vom Ölportrait wie ein Ei dem anderen glich. Ohne Frage, dies war auch haargenau der Herr, von dem Amalie vorhin noch sprach, die Anne nicht zu vergessen, und auf welchem er gestern noch in der Kneipe so unliebsam getroffen war.
Meinard Lembel Was - Sie schon wieder! Und dass auch noch hier? In meinem Haus!
Radius Lehr Nix für ungut!
Meinard Lembel Dass Sie sich auch noch hier her trauen - unglaublich!
Radius Lehr Nur nicht ärgern, außerdem bin ich eigentlich längst schon wieder am Weggehen!
Meinard Lembel Was ich Ihnen auch geraten haben möchte!
Radius Lehr Na klar, Sie brauchen mich ja bloß vorbeilassen, leid tut‘ s mir aber trotzdem.
Meinard Lembel Ach, leid tut ihnen auch noch was.
Radius Lehr Doch, doch, irgendwie schon, und eigentlich sehen Ihre Nadelstreifen gar nicht so schlimm aus.
Meinard Lembel Das wird ja immer schöner!
Radius Lehr Ja – richtig niedlich sogar!
Meinard Lembel Und um mir so etwas Idiotisches zu sagen, wagen Sie sich her!
Radius Lehr Ja! Nein!
Meinard Lembel Ein Ausbund an Entschlossenheit – das auch noch!
Radius Lehr Nein! Ja, ich hatte sowieso nur eine Frage.
Meinard Lembel So, eine Frage also. Und deshalb glauben Sie, meine Zeit stehlen zu können. Und auch noch, wie ihnen gerade beliebt, im Übrigen steht Ihnen für Fragen aller Art Fräulein Holly zur Verfügung. Und nun lassen Sie mich endlich vorbei!
Radius Lehr Sie werden lachen, das hab ich ja, aber bei der kriegt man ja nicht einmal einen Termin!
RLG Molly Holly war mittlerweile in niederen Hemisphären ihres Empfangs abgesunken, infolge des von Radius Lehr Ausgesprochenen schlug sie mit dem Hinterkopf etwas unsanft an die Unterkante ihrer Theke.
Molly Holly Aber Herr Direktor, das stand doch gar nicht zur Diskussion.
Meinard Lembel Was heißt hier Diskussion? Schließlich gehört auch dies zu Ihren Aufgab2en.
Molly Holly Aber, aber - der Herr hat doch überhaupt nicht nach einem Termin gefragt.
Meinard Lembel „Als ob Dinge wie Service und Rat und Tat heutzutage nicht mehr den guten Ruf eines Hauses ausmachen würden.
RLG Lembel wandte sich Radius Lehr zu.
Meinard Lembel Meine Mitarbeiterin wird sich jetzt um Sie bemühen. Und selbstverständlich erhalten Sie auch einen Termin, meinetwegen, insofern Sie noch darauf bestehen.
Molly Holly Aber Herr Direktor, Sie sind für Wochen ausgebucht. Ach was, für Monate, da brauch ich erst gar nicht nachzuschauen. Ihr Terminkalender ist randvoll, bis über beide Ohren.
Meinard Lembel Oh je, ich fürchte, mit Ihnen ist heute auch kein Staat mehr zu machen. Alles muss man selber machen - aber auch wirklich alles!
RLG Und zu Radius Lehr.
Meinard Lembel Wenn Sie mir bitte folgen würden.
Molly Holly Aber Herr Direktor, das können Sie nicht machen, das geht einfach nicht.
Meinard Lembel Oh, Fräulein Holly, und wie das geht.
Molly Holly Randvoll sind Sie.
Radius Lehr Ich versteh nur Bahnhof.
Molly Holly Und der nächste Termin ist schon in zweiundzwanzig Minuten fällig. Aber eigentlich müssten Sie das selber wissen.
Meinard Lembel Tja, mein liebes Fräulein, das hätte Ihnen eben etwas früher einfallen müssen.
RLG Fünf Minuten kann ich schon dazwischen klemmen. Irgendwie wird‘ s schon gehen, insofern Sie damit einverstanden sind.“
Radius Lehr Ich hatte doch sowieso bloß eine Frage. Und dafür sind selbst fünf Minuten eigentlich fast schon wieder zu viel.
Meinard Lembel Wenn Sie mir dennoch bitte folgen würden.
Molly Holly Das glaub ich jetzt einfach nicht. Ein Betriebshandwerker, nein, einfach nicht zu fassen.
ßilberling Ob Märchen oder Dramen, Prospekte und Romane.
RLG Der allerbeste Leseschmaus.
ßilberling Kommt aus dem Lembelhaus.
RLG Was – du willst doch nicht etwas sagen.
ßilberling Dass ich auch bei dem Kerl war?
RLG Wanderer!
ßilberling Oh, Wanderer.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende