Читать книгу PURPURUMHANG - Tartana Baqué - Страница 10

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Mit jeder Flugstunde, die sich der Airbus A320 Málaga nähert, wird mein Kopf-Kino leiser. Zwischendurch bin ich sogar eingenickt. Der Kapitän kündigt den Landeanflug an. Der Druck auf meine Ohren verstärkt sich, und ich presse die Luft in sie hinein, bis ich den Druckausgleich geschafft habe. Tut ein bisschen weh, aber ich kann wieder normal hören.

Ich bin noch nie in Málaga gewesen. So folge ich den Menschenmassen, die sich über die beiden Rolltreppen hinunter zur Gepäckausgabe bewegen. Band zweiunddreißig ist ausgeschildert.

So groß habe ich mir den Flughafen nicht vorgestellt.

Geduldig stehe ich mit den Fluggästen am Gepäckband und warte. Ich konnte einen Trolley ergattern, sodass ich mein sperriges Golfgepäck und meinen kleinen Koffer nicht durch den Flughafen ziehen muss.

Es herrscht hektisches Treiben. Bestimmt stehen hier unten tausend Menschen an den Bändern oder streben zum Ausgang beziehungsweise zum Car-Rental.

Ich frage eine deutsche Familie nach dem Weg. Sie weisen mich auf die Anzeige ‚Salida‘ hin, der ich nur zu folgen brauche.

Ich rolle mit dem Gepäckwagen an einem Golfgeschäft vorbei und gehe durch eine große Glastür, die sich automatisch öffnet. Von weitem sehe in der Vorhalle einen Fahrer mit beiger Uniform und einem großen Schild, auf dem mein Name steht.

„Frau Bergheimer?“, fragt er in exzellentem Deutsch. „Ich bin Antonio, Ihr Fahrer. Bitte folgen Sie mir. Der Wagen steht gleich im ersten Parkhaus.“ Er übernimmt den Trolley und lächelt mich aus tiefbraunen Augen an.

Ich bin angekommen und brauche mich um nichts mehr zu kümmern. Was für eine Wohltat. Heiße Luft schlägt mir entgegen, als ich aus dem Terminal trete. Erstaunt schaue ich auf die Uhr. Es ist 19: 00 Uhr.

„Wie viel Grad ist es?“, frage ich und ziehe meine blaue Strickjacke aus.

„Es sind achtundzwanzig Grad. Im Juli wird es noch heißer. Zur Mittagszeit haben wir dann um die vierzig bis fünfundvierzig Grad in der Sonne. Wir Spanier halten dann Siesta und gehen erst ab 18: 00 Uhr wieder auf die Straße. Nur die Touristen sind so leichtsinnig und legen sich am Strand in die pralle Sonne.“

Er hält mir die Wagentüre auf, und ich setze mich auf den bequemen Lederrücksitz der Mercedes-E-Limousine. Leise rollt der Wagen los. Die Klimaanlage kühlt die Innentemperatur angenehm herunter.

„Wir fahren über die Pay-Route“, erklärt er mir, „sie ist vor ca. fünfzehn Jahren als Entlastung der alten Küstenstraße A-7 gebaut worden. In den Sommermonaten sind die Autobahngebühren mit sieben Euro und achtzig Cent für die Bevölkerung der umliegenden Städte viel zu teuer. So ist das Verkehrsaufkommen mäßig, und wir können zügig nach Marbella durchfahren.“

Wie in einem Film nehme ich die bergige Landschaft mit den vielen, in allen Farben blühenden Oleander-Sträuchern wahr. Sie wachsen Kilometer lang auf dem Mittelstreifen oder am Rande der Autobahn. Von weitem sehe ich das dunkelblaue Meer. Verschiedene Urbanisationen, einzelne Villen, große und kleine Hotels. Langgezogene Golfanlagen zerteilen die braune und grüne Landschaft vom Meer bis hoch in die Berge.

Als wir am La Cañada, dem größten Einkaufszentrum von Marbella, vorbeifahren, wird der Verkehr dichter. Erstaunt stelle ich fest, dass sehr viele hochwertige Luxusautos an uns vorbeifahren. Es scheint zu stimmen, dass Marbella die Stadt der Reichen und Schönen ist.

„Wollen Sie noch etwas von Marbella sehen, oder soll ich auf der Pay-Route bleiben?“, fragt Antonio und schaut mich im Rückspiegel direkt an.

„Ach, ich möchte noch etwas von Marbella sehen“, antworte ich.

Sofort setzt er den Blinker und fährt rechts durch einen langen Tunnel, vorbei am Corte Inglés, einem der schönsten spanischen Kaufhäuser. Dann nimmt er die nächste Ausfahrt nach Nueva Andalucia. Er verlangsamt unsere Fahrt und folgt dem Hinweisschild zu den Golfclubs: Aloah, Las Brisas und Los Naranjos. Wunderschöne Villen säumen unsere Strecke.

„Können Sie etwas langsamer fahren?“, bitte ich Antonio. „Es blühen hier so viele Bäume und Sträucher, und die Häuser sind so pompös.“

Jetzt versteh ich, warum es Lisa hier so gut gefallen hat.

Nach einigen Kurven lenkt Antonio den Mercedes an einem hohen rotbraunen Torbogen mit der Beschriftung LOS ALMENDROS GOLF CLUB vorbei und hält direkt vor dem Eingang des Hotels.

„Madame, wir sind angekommen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

Ich ergreife seine ausgestreckte Hand.

„Danke, Antonio, für die angenehme Fahrt.“ Ich reiche ihm ein paar Euros.

„Nein danke, wir nehmen kein Trinkgeld“, weist er mich freundlich, aber bestimmt ab.

Eine angenehme Kühle umfängt mich, als ich die Empfangshallte betrete, die im maurischen Stil gestaltet ist. Der beige Marmorboden ist geometrisch durch weiße Marmorplatten unterteilt, sodass die Halle an Weite gewinnt. Die Decke besteht aus dicken dunkelbraunen Holzstämmen, die durch zusätzliche Schnitzereien unterbrochen ist. Ich bin erstaunt, denn alle Wände sind weiß, und kein Bild ist zu sehen.

Mir fällt ein, dass ich gelesen habe, dass ein Verbot von bildlichen Darstellungen von Menschen und Tieren im Islam besteht.

Andalusien befand sich von 1238 bis 1492 unter der muslimischen Herrschaft der Araber. Granada war damals der Hauptsitz, dem Sultanat, mit der weltberühmten Alhambra. Die Region ist noch heute durch diese fast dreihundertjährige Herrschaft geprägt.

Ich blicke mich um und suche die Rezeption. Der Page stellt mein Gepäck ab. Erst jetzt realisiere ich, dass ich mich am Empfang befinde. Man stelle sich eine geschwungene weiße, in vielen Wellen unterteilte, riesige Truhe vor, die man in drei gleiche Teile zerschneidet.

Mein Kleid klebt mir am Körper und ich bin froh, dass ich den leidigen Papierkram recht zügig erledigen kann. Mein Golfgepäck wird sofort zum Golf Club gebracht, und ich erhalte den Schlüssel für den Spind sechsundzwanzig.

In Begleitung des Hotelpagen erreiche ich mein Zimmer Nummer achtundsechzig im ersten Stock. Sobald er gegangen ist, öffne ich die Balkontüre weit, um frische Luft reinzulassen. Doch heiß strömt mir die Außenluft entgegen und nimmt mir fast den Atem. Schnell verschließe ich die Balkontür wieder.

Okay, ich mag zwar keine Klimaanlagen, aber es müssen auch Ausnahmen gelten. Ich drehe die Temperaturanzeige auf achtzehn Grad und ziehe mich aus.

Ich brauche unbedingt eine Dusche.

Das Bad wirkt schlicht mit den grauen Marmorplatten, aber die blauen Kachelleisten geben dem Raum eine gewisse Eleganz.

Meinen Körper schrubbe ich derart heftig ab, als wolle ich die Erinnerung an Köln, Deutschland und Peter abwaschen. Ich will frei sein. Von allem ganz frei sein.

Nur in ein weißes Badehandtuch gewickelt lasse ich mich auf mein Kingsize-Bett fallen und schlafe ein.

Das Knurren meines Magens weckt mich.

Ein Blick auf mein Handy: 21: 00 Uhr. Ob ich um diese Uhrzeit noch etwas zu Essen bekomme?

Meine paar Habseligkeiten habe ich mit zwei Griffen aus dem Koffer gepackt. Ich ziehe mein weißes Leinenkleid mit dem V-Ausschnitt an. Vor dem Spiegel im Bad prüfe ich den Sitz.

„Okay, geht so gerade“, murmle ich vor mich hin.

Dann drehe ich mich zur Seite. Es ist immer das Gleiche. Von vorne sehe ich passabel aus, aber von der Seite wie eine Tonne.

Ich schlüpfe in die weißen Pumps und stecke mir die Haare hoch. Könnte jetzt so ein Meter achtzig sein. Größe streckt! Der erneute Blick im Spiegel beruhigt mich etwas. Eine ältere gepflegte vollschlanke Frau lächelt mich müde an.

Die Zimmertür fällt ins Schloss, und ich stecke die Magnetkarte in meine Handtasche.

Jetzt erst entdecke ich den weißen Umschlag von Lisa. Mit einem Zeigefinger reiße ich den Brief auf. Fünf Hundert-Euroscheine fallen auf den beigen Marmorboden. Den zusammengefalteten Zettel kann ich noch auffangen. Kurz und knapp ist ihre Nachricht: ‚Für meine beste Freundin. Mache Dir ein paar schöne Tage. In Liebe Deine Lisa.‘

Das ist typisch für sie. Denkt praktisch und an alles. Mit meinen zweihundert Euro wäre ich bestimmt nicht sehr weit gekommen. Ich hebe die Geldscheine auf und stecke sie in mein Portemonnaie.

„Danke, danke!“, tippe ich schnell eine Nachricht mit einem Herzchen an sie in mein Handy. „Bilder folgen.“

„Natürlich können Sie in unserem Restaurant noch dinieren“, beruhigt mich die Rezeptionistin freundlich, „nehmen Sie gleich hier die Treppe. Der Eingang zum Restaurant ist rechts unten vor der großen Außentüre zum Garten.“

Ganz schön steil, die zehn Meter breite Marmortreppe. Vorsichtig gehe ich die weißen Stufen hinunter. Ich bin fast unten angekommen, als ich plötzlich den Halt verliere. Kein Geländer in der Nähe, da ich mich in der Mitte der Treppe befinde.

Eine starke Hand packt mich unerwartet am rechten Arm und bewahrt mich vor dem unweigerlichen Sturz. Ich atme einen herben männlichen Duft ein. Für einen kleinen Moment lehne ich an einer breiten Brust und höre seinen ruhigen Herzschlag.

„Gracias“, stottere ich.

„De nada.“

Stahlblaue Augen durchbohren mich. Der Unbekannte lässt mich los und verschwindet durch die Gartentür.

Was war das denn?

Ich bleibe auf der unteren Stufe stehen und atme tief durch. Immer noch spüre ich seine Nähe und rieche seinen Duft. Diese sonore Stimme! Und diese faszinierenden blauen Augen.

Irgendwie auch arrogant, überlege ich. Doch jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich mit so etwas zu beschäftigen.

Die Restauranttüre vom Los Olivos steht weit offen. Lautes Stimmengewirr klingt mir entgegen. Ich meldete mich beim Empfang.

„Haben Sie reserviert?“, fragt mich der Kellner.

„Nein, ich bin gerade angekommen.“

„Welche Zimmernummer haben Sie?“

„Nummer achtundsechzig.“

„Warten Sie einen Augenblick. Ich schaue, ob ich noch ein Plätzchen für Sie finde.“

Ich brauche nicht lange zu warten. Er führt mich zu einem kleinen Tisch im hinteren Teil der Terrasse, wo ich sogar die beleuchtete Poollandschaft inmitten des weitläufigen Gartens sehen kann. Entspannt lehne ich mich in dem bequemen schwarzen Korbstuhl zurück. Für einen Moment schließe ich meine Augen. Genieße die angenehme kühle Luft. Zwischen den Palmen und anderen kleinen und größeren Sträuchern erhellen Lampen die Gartenwege. Vor dem dunklen Hintergrund der Landschaft erstrahlt der Swimmingpool intensiv in Himmelblau. Es ist hier so schön wie in meinen kühnsten Träumen. Ich bin in meiner Märchenwelt angekommen. Vor vier Tagen noch beherrschten mich Wut und Verzweiflung. Hatte sogar überlegt, meinem Leben ein Ende zu setzen – und heute? Heute sitze ich im Paradies. Kontrastreicher geht es nicht.

Eine elegant gekleidete Frau undefinierbaren Alters am Nebentisch bestellt gerade einen Salat Cesar. Eigentlich keine schlechte Idee, denn der liegt mir nicht so schwer im Magen.

Ich winke dem Kellner: „Que quieres comer?“

„También me gustaría una ensalada César”, antworte ich in meinem Schulspanisch.

„Está bien. Y qué quieres beber?“

Bevor ich antworten kann, sagt eine Nachbarin: „I always have a glass of champagne“, mit einem Lächeln, „may I invite you?“

„Thank you very much.“ Ich beuge mich zu ihr hinüber. „That’s very kind of you, and I like to have a glass of champagne too.“

Dem Kellner nicke ich zu, damit er die zwei Glas Champagner notiert.

„My name is Julia Bergheimer. I come from Cologne, Germany“, sage ich und reiche ihr zur Begrüßung die Hand.

„Welcome! My name is Sirina Meriska and I’m from Kabul, Afghanistan.“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten wir gemeinsam essen“, schlage ich meiner Tischnachbarin vor.

„Gern, ich habe auch keine Lust allein zu essen“, antwortet sie und bittet den Kellner, unsere Tische zusammenzustellen.

Während wir auf unseren Salat warten berichtet Sirina von ihrer Arbeit als Ärztin mit psychisch kranken Kindern. Sie ist im Auftrag der UNO unterwegs, um für die Gleichberechtigung der Frauen und Mädchen in ihrem Land zu werben. Ich erzähle von meiner Tätigkeit als Psychotherapeutin in Köln.

Nach einer Stunde habe ich meinen Salat immer noch nicht aufgegessen.

Sirina klagt die Männer in Afghanistan an, weil die nicht bereit sind, Frauen als gleichberechtigte Partner anzuerkennen. Sie hat sich deshalb vor zwei Jahren von ihrem Mann scheiden lassen.

„Glauben Sie nur nicht, dass in Deutschland die Verhältnisse besser sind. Auch da existiert die Gleichberechtigung nicht überall“, wettere ich mit hochrotem Kopf los.

Ich erzähle ihr von Peter, wie er mich ausgenutzt und betrogen hat. Auf einmal ist mir so leicht. Der Champagner tut seine Wirkung, und ich schütte ihr mein Herz aus. Verschweige nicht mein finanzielles Desaster, in das ich mich selbst hineingeritten habe.

Sirina hält meine Hand und tröstet mich.

„Haben Sie keine Angst, Julia. Wichtig ist, dass Sie Ihren Mut nicht verlieren. Lernen Sie aus Ihren Fehlern.“ Sie schaut mich mit ihren großen schwarzen Augen an. „Glauben Sie mir, ich bin auch durch die Hölle gegangen. Man hat mir nichts geschenkt. Und jetzt …“, sie lacht laut und klatscht in ihre Hände, „jetzt bin ich ein vollwertiges anerkanntes Mitglied der UNO und kann so viel bewirken und helfen, wie nie zu vor.“ Sie zwinkert mir mit einem Auge zu: „Vergessen Sie Ihren Peter! Er hat Sie nicht verdient!“

Plötzlich höre ich ein klackerndes Geräusch, und Sirina und ich drehen uns um. Ich rieche den herben Parfümduft. Im Halbdunkel des Kerzenlichtes erkenne ich den Mann von der Treppe, der seinen Stuhl festhält. Seine Augen wirken finster und schauen mich an.

Ich lächle ihm zu. Doch er nickt nur kurz und verschwindet im Schatten der Sträucher.

Es ist weit nach Mitternacht. Sirina winkt den Kellner heran. Sie besteht darauf, die Rechnung zu übernehmen. Zum Abschied umarmen wir uns herzlich und versprechen uns, dass wir weiterhin Kontakt halten wollen.

In meinem Apartment angekommen, schalte ich sofort die Klimaanlage aus. Weit öffne ich die Balkontüre und lasse die kühle Nachtluft ins Zimmer. Ohne mich zu waschen, falle ich ins Bett.

In den Morgenstunden höre ich Vogelgezwitscher. Die Stimmen der Gärtner dringen von unten herauf. Mit einem Ruck setze ich mich auf.

„Oh, so ein Mist“, schimpfe ich laut vor mich hin. „Was habe ich denn gestern alles erzählt. Wie peinlich!“

Nach dem Golftraining werde ich an die Rezeption gehen und nach Sirina fragen. Ich muss mich mit ihr auf alle Fälle noch einmal treffen, damit sie einen anderen Eindruck von mir bekommt.

PURPURUMHANG

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