Читать книгу PURPURUMHANG - Tartana Baqué - Страница 12

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Die Nacht habe ich mehr recht als schlecht überstanden. Ich finde es schrecklich, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet. Gut, dass ich mir die beiden neuen Kleider gekauft habe. Der Blick im Spiegel bestätigt mir, dass ich weitaus vorteilhafter aussehe als vorher. Mein neues schwarzes Seidenkleid ist leicht ausgestellt, und der tiefgezogene Wasserfallausschnitt kaschiert meinen Bauch. Meine frisch gewaschenen Haare habe ich glatt nach hinten zu einem dicken Knoten hochgesteckt. Vielleicht etwas zu streng, aber ich weiß ja nicht, auf was für einen illustren Kreis ich stoßen werde.

Mein Herz rast. Am liebsten würde ich absagen. Aber was dann?

Ehe ich mich vor dem Meeting drücken kann, klopft es an der Tür, und der Hotelpage holt mich pünktlich ab. Ich folge ihm in den obersten Stock. An einer großen dunkelbraunen Holztür bleibt er stehen. Zweimal lässt er den mittig in der Tür angebrachten goldenen Löwenkopf gegen das Holz fallen. Ein Diener in einer schwarzen Livré öffnet die Türe.

„Su invitación, por favor.“

Ich strecke ihm meine Einladungskarte entgegen.

Er wirft einen kurzen Blick auf die Karte: „Bienvenida Sra. Julia Bergheimer. Por favor entra.“

Ich blinzle mit den Augen, um mich an die Lichtverhältnisse anzupassen.

Ein überdimensional großer venezianischer Kristalllüster an der Decke spendet gedämpftes gelbliches Licht. In der Mitte des Zimmers befindet sich ein rechteckiger rosafarbener Marmortisch. Mehrere unterschiedlich bizarr gestaltete Metall-Stühle, deren Sitzflächen und Armlehnen mit schwarzem Leder bezogen sind, stehen um den Tisch.

Der Diener führt mich zu einer Sitzgelegenheit am Kopfende.

Obwohl mein Stuhl sperrig aussieht, merke ich, dass ich sehr bequem sitzen kann. Mir gegenüber befindet sich ein größerer Sessel mit einer aufgedruckten goldenen Maske in der Rückenlehne.

„Que quieres beber?“, fragt mich der Uniformierte.

„Un agua … con gas … y … cubitos de hielo … aparte“, stottere ich und ärgere mich über mich selbst.

Ich fühle mich nicht wohl in dieser seltsamen Umgebung. Meine Hände zittern ein wenig, als ich die Eiswürfel in mein Glas fallen lasse. Ich nippe an meinem Wasser und rutsche auf die Stuhlkante, fluchtbereit.

Endlich geht die Türe auf und sechs seltsam vermummte Personen nehmen am Tisch Platz. Sie tragen lange Umhänge, die bis zum Hals geschlossen sind. Ob es Frauen oder Männer sind, kann ich nicht erkennen. Je nachdem wie das Licht des Kronleuchters fällt, schimmert der seidige Stoff mal mehr rot, bläulich oder violett. Die gleichfarbigen Kapuzen haben sie tief in die Stirn gezogen, sodass ich ihre Gesichter nur teilweise sehen kann. Ich sehe bei der Person, die neben mir Platz nimmt, dass sie eine schwarze Gesichtsmaske aus feinem Leder trägt, die nur die Augen und den Mund freilässt. Die Hände stecken in langen schwarzen Lederhandschuhen, die bis über die Ellenbogen reichen. An den Füßen bemerke ich schwarze Lacklederschuhe.

Mein Magen macht sich unangenehm bemerkbar. Bin ich bei einer Sekte oder beim Ku-Klux-Klan gelandet?

Mir gegenüber hat sich eine große Person auf den Sessel gesetzt. Sie öffnet ihren Laptop. Die beiden Kronleuchter an der Decke verdunkeln sich langsam. Die passenden Kristalllampen an den Wänden verlöschen vollständig. Gleichzeitig leuchten an allen vier Seiten des Raumes große Bildschirme hell auf.

„Buenos dias“, erscheint auf den Schirmen, wie von Geisterhand geschrieben, „Miercoles, 12. de Junio 2019, CLUB ONE, Marbella”.

Im Halbdunkel erkenne ich, dass die Person, die mir gegenübersitzt, in ihren Computer tippt.

„Wir haben uns auf Englisch als Kommunikationssprache geeinigt. Jede Sprache wird ab sofort simultan ins Englische übersetzt.“

Das Licht des Laptops erhellt schwach ein kantiges Gesicht. Dunkle Augen richten sich auf mich.

„Ich möchte als Gast heute besonders herzlich Julia Bergheimer begrüßen. Sie kommt aus Deutschland und arbeitet in ihrer eigenen Praxis als Psychotherapeutin in Köln.“

Die maskierten Personen drehen ihren Kopf zu mir. Sie nicken mir ganz leicht zu.

Jetzt hebt der Sprecher seinen Kopf und spricht mich an – der Stimmenverzerrer macht es mir unmöglich, die Stimme Mann oder Frau zuzuordnen: „Wir haben Sie eingeladen, weil ich weiß, dass Sie sich in einer besonderen problematischen Situation befinden. Wir möchten Ihnen unsere Hilfe anbieten.“

Ich zucke zusammen.

Gehört Sirina vielleicht zu diesem Club?

Mir ist heiß.

Hat sie etwas von mir erzählt?

Am liebsten würde ich den Raum sofort verlassen.

Nervös nage ich an meiner Unterlippe. Krampfhaft halte ich mich an meinem Glas Wasser fest.

„Wir sind eine internationale Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen unkonventionell zu helfen“, fährt die unbekannte Stimme weiter fort. „Unsere Mitglieder stammen aus den höchsten Kreisen von Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Wir möchten anonym und unerkannt im Hintergrund bleiben.“

Mein Atem geht gleichmäßiger, und ich lehne mich im Stuhl zurück. Meine Neugierde ist geweckt.

Nun erscheint auf den Bildschirmen in schneller Folge der Text: „Frau Bergheimer ist eine erfahrene Psychotherapeutin, die eine lange Berufserfahrung vorweisen kann. Sie verfügt über die Therapietechnik der Verhaltenstherapie, der Hypnose und der Traumabehandlung insbesondere des EMDR. Ebenfalls hat sie medizinische Kenntnisse, die sie in der internistischen Praxis ihres Mannes speziell über Hormone und Ernährung gewonnen hat. Ihr integrativer Ansatz in Verbindung mit der Mind-Body-Medizin bis hin zur Hinterfragung des menschlichen Verhaltens auf neurologischer Basis, halte ich für die heutige Zeit unbedingt notwendig. Ich denke, dass Frau Bergheimer aufgrund ihrer vielseitigen Methodenanwendungen und ihrem breiten psychologischen und medizinischen Wissen flexibel genug ist, um unsere Problemfälle der unterschiedlichsten Art adäquat lösen zu können.“

Ich setzte mich aufrecht und blicke mein Gegenüber an. Das habe ich nicht erwartet! Man scheint tatsächlich beruflich an mir interessiert zu sein.

Die vermummte Gestalt mir gegenüber spricht mich direkt mit schnarrender Stimme an: „Sehr verehrte Frau Bergheimer, da unsere Mitglieder sehr bekannte Persönlichkeiten sind, können wir niemandem vertrauen. In der heutigen Zeit bleiben Geheimnisse nicht lange unentdeckt. Viel zu viele Menschen sind käuflich, und wir können es uns nicht leisten, dass auch nur das Geringste von dem, was uns persönlich betrifft, an die Öffentlichkeit gerät.“

Ich nicke. Seltsam hört sich diese sprachverzerrte Stimme an, aber ich kann sie trotzdem gut verstehen.

„Wir möchten Ihnen ein Angebot machen“, taucht wieder die Schrift auf. „Wir bieten Ihnen einen lebenslangen Vertrag an, als Psychotherapeutin für unseren Club zu arbeiten. Sie erhalten monatlich 50.000 Euro für ihre Arbeit.“

Ich hebe meinen Kopf und spanne die Muskeln in meinen Rücken. 50.000 Euro? So viel Geld? Ich kann es nicht glauben! Aber es steht an der Wand geschrieben.

Wo ist der Haken?

„Allerdings müssen Sie uns jederzeit zur Verfügung stehen, egal wann und wie. Zusätzlich dürfen sie mit niemanden über unsere Existenz und über unsere Probleme sprechen. Es besteht absolute Geheimhaltungspflicht. Sicherheitshalber werden sie ständig überwacht. Kontaktaufnahmen und Nachforschungen über die Mitglieder unseres Clubs sind strengstens verboten.

Von weither höre ich die Stimme: „Interessiert Sie unser Angebot?“

Mir schwirrt der Kopf. Ein Einkommen von jährlich 600.000 Euro … Da stimmt doch was nicht. Andererseits wäre das meine Rettung. Ich wäre auf einen Schlag alle meine Schwierigkeiten los.

„Frau Bergheimer! Sind Sie an unserem Angebot interessiert?“

Ich zucke zusammen und blicke in zwei große dunkle Augen.

„Wenn Sie kein Interesse an unserem Angebot haben, dann verlassen Sie umgehend diesen Raum.“

Ich falte meine Hände zusammen und atme tief ein. Meine Stimme will mir nicht gehorchen, als ich sage: „… I`m interested … in your … offer.“

„Thank you very much!“ Seine Stimme wird fordernder: „Ab jetzt dürfen Sie mit niemandem mehr über das, was hier geschieht, sprechen. Haben wir Ihre Zusage?“

„Yes, I confirm.“

Nun lese ich wieder auf dem Bildschirm mir gegenüber: „Folgende Bedingungen müssen Sie ab jetzt erfüllen: Bitte händigen Sie uns Ihr Handy aus. Sie erhalten auf Ihrem Zimmer ein iPhone mit Ihren Telefonnummern. Bitte beachten Sie, dass wir alle Telefonate mithören und unterbrechen, wenn Sie sich nicht an die Regeln der Schweigepflicht halten. Ihren Computer tauschen wir ebenfalls gegen ein neues Surface aus. Er wird ebenfalls durch uns kontrolliert und kann jederzeit abgeschaltet werden.

Da wir Sie noch nicht genügend kennen, dürfen Sie das Hotel für den jetzigen Arbeitszeitraum von circa acht Wochen nicht verlassen. Zur Kontrolle erhalten Sie eine Fußfessel mit einem GPS-Sender.

Sie ziehen sofort in die Präsidentensuite in den vierten Stock. Sie können alle Räume nutzen bis auf diesen Raum.

Sie dürfen mit niemandem darüber sprechen, welche Arbeit Sie machen.

Sie dürfen mit keinem Mitglied Kontakt aufnehmen. Ebenfalls dürfen Sie keine Nachforschungen anstellen, wer sich hinter den Masken verbirgt.

Alle Kosten, die für Sie jetzt anfallen, werden von uns automatisch übernommen inclusive Ihres Golftrainings, das Sie selbstverständlich weiter durchführen dürfen.

Sollten Sie sich nicht an unsere Abmachungen halten, erhalten Sie keine Bezahlung. Ihre Aufwendungen müssen Sie selbst übernehmen.

Sollten Sie während oder im Nachhinein irgendjemanden von Ihrem Aufenthalt und Ihrer Arbeit bei uns erzählen, werden wir Mittel und Wege finden, Sie zum Schweigen zu bringen.“

Ich halte den Atem an. Da … da ist der Haken!

Ich werde im Rücken ganz starr, so geschockt bin ich. Das ist ja eine Drohung! Die drohen mir, mich umzubringen, wenn ich mich nicht so verhalte, wie sie wollen. Mein Magen verkrampft sich. Meine Wangen glühen, und mein Herz rast. Plötzlich wirken die Menschen in ihren purpurnen Umhängen wie Monster. Ihre dunklen Augen blitzen mich aus ihren schwarzen Masken im Halbdunkel an.

„Nehmen Sie unser Angebot an?“

Mit schriller Stimme sage ich: „No, no, this is not acceptable. I am sorry, but your conditions are impossible.“

Die Gestalt mir gegenüber richtet sich auf. Sie erhebt ihre schwarz behandschuhten Hände, und ihre Stimme klingt eindringlich.

„Bitte überlegen Sie sich unser Angebot noch einmal in Ruhe.“

Dabei blickt sie mir direkt in meine Augen. Mir ist, als ob sie in meine Seele schaut.

„Wir stellen unsere Bedingungen nicht, weil wir Sie nicht schätzen, sondern weil wir uns selbst schützen müssen. Ich gebe Ihnen zwei Stunden Zeit für ihre endgültige Entscheidung. Paco, Ihr Butler, wird Sie auf Ihr Zimmer bringen und auf Ihre Antwort warten. Bitte befolgen Sie uneingeschränkt seine Anweisungen. Er wird ab sofort für Sie zuständig sein und Ihnen in jeder Lage behilflich sein.“

Die Bildschirme an den Wänden werden dunkel, und die Kronenleuchter leuchten hell auf. Die umhangvermummte Gestalt erhebt sich. Groß und mächtig zeichnet sich ihre Gestalt vor der weißen Wand ab. Schweigend verlassen alle den Raum, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Ich sacke in mich zusammen. Mein Kopf ist total heiß. Ich fühle mich wie durch die Mangel gedreht.

„Por favor, sígueme”, höre ich Paco.

Ohne Widerstand folge ich ihm in mein Zimmer. Dort übergebe ich ihm mein Handy und meinen Computer.

„Sie dürfen Ihr Zimmer nicht verlassen. Ich bin in zwei Stunden bei Ihnen, um Ihre Entscheidung abzuholen.“

Die Tür fällt ins Schloss.

Endlich allein. Wie ein Tiger im Käfig laufe ich durch mein Apartment. Ich bin doch nicht irre! Was denken die sich eigentlich, wer ich bin? Ich bleibe mitten im Raum stehen. Soll ich Lisa anrufen? Ich schaue zum Nachttisch. Kein Telefon! Die haben an alles gedacht. Ich suche den Raum ab. Vielleicht haben die auch noch eine Kamera installiert.

Langsam beruhige ich mich und setze mich an den Schreibtisch. Nehme ein Blatt aus der Hotelmappe und lege den hauseigenen grünen Kugelschreiber daneben. Wie immer, wenn ich eine schwere Entscheidung treffen muss, zeichne ich eine Plus-Minus-Tabelle auf das Papier. Ohne lange nachzudenken ordne ich meine Argumente der Minus- oder Plus-Seite zu. Es sind einige Punkte zusammengekommen. Doch nur leicht überwiegt mein Ja, dem Vertrag zuzustimmen.

„Was will ich also wirklich?“, frage ich mich laut und beginne wieder, durch das Zimmer zu tigern.

Will ich tatsächlich zurück in mein altes Leben? Nein.

Gibt es eine Alternative zu diesem verrückten Angebot? Nein.

Ich setze mich wieder an den Schreibtisch und notiere:

Ich bin meine gesamten Schulden los. Ich kann mir eine neue Existenz aufbauen.

Ich kann mich ohne Komplikationen von Peter trennen.

Ich wäre endlich frei und könnte tun und lassen, was ich will.

Aber um welchen Preis?

Vielleicht verfolgen die mich mein ganzes Leben? Und ich werde nie mehr richtig frei sein.

Ich schüttle meinen Kopf. Ist man überhaupt jemals ganz frei? Kann man alles tun, was man will?

Nach einer kleinen Weile gebe ich mir selbst die Antwort. Nein, man ist immer gebunden in einem sozialen System. Man ist nie vollständig frei. Ich befinde mich in einem sozialen Netzwerk und bin auf meine Mitmenschen angewiesen.

Ich gehe zum Fenster und schaue auf die Poollandschaft.

Was ist dem Club denn besonders wichtig?

Das Wichtigste ist, dass ich schweige. Und das ist etwas, was ich sehr gut kann. Die Schweigepflicht ist ein wichtiger Bestandteil meines Berufs. Also für mich kein Problem.

Also warum soll ich das Angebot nicht annehmen?

Mir fällt kein Gegenargument ein. Die Tatsache, dass man mir mit dem Tode gedroht hat, falls ich mich nicht an die Schweigepflicht halte, erscheint mir lachhaft.

Weitaus unangenehmer finde ich es allerdings, gegen meinen Willen acht Wochen in diesem Hotel eingesperrt zu sein. Beobachtet, bewacht und kontrolliert zu werden, Tag und Nacht. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch, mich wie gefangen zu fühlen, ist ein unzumutbarer Zustand.

Ich fühle, dass ich aggressiv werde.

„Es gibt schlimmere Bedingungen für solch einen Verdienst!“, rufe ich hingegen laut. „Jedes Jahr 600.000 Euro!!! Wahnsinnig viel Geld! Wann bekomme ich noch einmal solch eine Chance?“

Es sind fast zwei Stunden vergangen, als ich auf den Balkon hinausgehe. Ich recke meinen Körper, strecke meine Arme in die Höhe und atmete tief ein und aus.

Ich tue es!

Wenn ich nichts unternehme, habe ich wirklich verloren.

Kurzentschlossen öffne ich die Tür.

Paco steht direkt davor. Er hat wohl die ganze Zeit Wache gehalten. „Tengo mi decisión.“ Er überreicht mir zwei Briefumschläge: „Por favor, devolver su respuesta en uno de los sobres.“

Ich habe verstanden, dass ich meine Antwort ankreuzen und alles in den Briefumschlag stecken soll. Im Zimmer öffne ich beide Umschläge. Der rote große Umschlag ist leer, in dem goldenen sind mehrere Blätter. Die ausführliche Anweisung in Deutsch auf dem ersten Zettel lese ich aufmerksam durch. Dann fülle ich das zweite Blatt aus und kreuze meine Zustimmung bei jeder aufgeführten Regel an. Kurz halte ich noch einmal inne.

Ich weiß, wenn ich jetzt den Vertrag unterschreibe, gibt es kein Zurück mehr.

Mit fest zusammengepressten Lippen unterschreibe ich das Dokument. Alle Seiten falte ich zusammen, stecke sie in den roten Umschlag und klebe ihn zu. Der dritte Zettel ist für eine Ablehnung vorgesehen, den schiebe ich ebenfalls in den goldenen Umschlag.

Mit unbeweglicher Miene nimmt Paco meine Briefe entgegen. „Bitte warten Sie, bis ich mit weiteren Anweisungen zurückkomme“, sagt er und geht zum Aufzug.

Es ist vielleicht eine halbe Stunde vergangen, als Paco an der Tür klopft. Er ist in Begleitung einer Frau so um die vierzig, die mich mit ihren grauen Augen mustert.

„Ich bin Angelika Wegner. Ich stehe Ihnen für alle schriftlichen Arbeiten als Sekretärin zur Verfügung“, erklärt sie mir in perfektem Deutsch.

„Danke“, antworte ich. „Es freut mich, dass ich Ihre Unterstützung habe, denn mein Englisch und Spanisch sind nicht perfekt.“

„Bitte folgen Sie mir. Ich bringe Sie in Ihre neuen Räume. Ihre Kleidung und privaten Utensilien bringt Paco später in Ihre Suite.“

Gemeinsam fahren wir in den obersten Stock des Nebenflügels. Am Ende des Flurs öffnet sie mit einem verzierten goldenen Zimmerschlüssel, mit der Nummer einhundert eine verschnörkelte Holztüre. Auf dem runden Tisch im Empfangssalon steht ein Blumengesteck mit gelben Rosen. Ihr Duft erfüllt den gesamten Raum. Daneben sehe ich auf einem goldenen Tablett eine Flasche Champagner mit zwei Gläsern und … ein Lächeln huscht über mein Gesicht … ein Eiskübel voller Eiswürfel. Ja, so kann man leben.

Frau Wegner öffnet eine Türe, die wohl zum Arbeitszimmer gehört, denn auf einem schwarzen Schreibtisch stehen verschiedene technische Geräte. Mit einem Blick erkenne ich, dass alles, was ich brauche, vorhanden ist. Mit kurzen Worten weist mich Frau Wegener ein. Probeweise schreibe ich auf meinen neuen Computer einige Sätze und drucke die Seite aus. Auch das WI-FI, wie man in Spanien das WLAN nennt, funktioniert.

„Ihr Surface bringen Sie bitte zu jeder Sitzung mit. Ich stehe Ihnen für alle Übersetzungen oder Vervielfältigungen zur Verfügung. Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie mich brauchen“, informiert sie mich, und ihr Mund lächelt mich an. Doch ihre grauen Augen starren an mir vorbei. Ihre Lippen sind blass und schmal.

Ich mag sie nicht, und ich glaube, sie mich auch nicht.

„Haben Sie noch weitere Fragen?“, will sie wissen und dreht sich, ohne meine Antwort abzuwarten, zur Tür. Verlässt den Raum.

In diesem Moment kommt Paco, mein farbiger Butler. Er strahlt mich mit breitem Lächeln an, sodass seine weißen Zähne blitzen und seine Haut noch dunkler erscheint. Er sieht perfekt gestylt aus in seinem schwarzen Anzug, dem weißen Oberhemd und der blauen Krawatte. Mit den deutlich definierten Muskeln könnte er jeden Preis im Bodybuilding gewinnen. Er stellt meinen Koffer im Schlafzimmer ab und wendet sich an mich: „Bitte folgen Sie mir. Die Clubmitglieder erwarten Sie schon.“ Und er nimmt mein Surface an sich.

„Vielen Dank“, antworte ich kurz, denn zu mehr bin ich im Moment nicht in der Lage. Zu viele fremde Eindrücke stürmen auf mich ein. Wahrscheinlich werde ich meine Sekretärin öfter um Hilfe bitten müssen, als mir lieb ist. Mit festem Schritt folge ich ihm zur Tür.

Diesen First-Class-Aufenthalt in Marbella habe ich mir nach den traumatischen Erlebnissen in Köln verdient. Punktum, Ende.

Voller Neugierde spüre ich, wie eine Menge des neurochemischen Transmitters Dopamin in meinem Gehirn ausgeschüttet wird. Angstimpulse, die vorhin in meiner Amygdala im limbischen System initiiert wurden, sind verschwunden. Mein Nucleus accumbens giert schon nach den vielen Euros und einem Leben in Luxus. Ich verziehe meine Mundwinkel zu einem Lächeln. Wie mein Professor Roth in den Vorlesungen stets sagte: „Unser Gehirn bestimmt unsere Gefühle und damit unser Verhalten.“

Der dicke Flurteppich verschluckt unsere Schritte. Jetzt erst realisiere ich, dass die Wände mit goldenem Seidenstoff bezogen sind, und die Kristalllüster im Gang stammen sicher von der venezianischen Insel Murano.

Wir gehen nur ein paar Schritte um die Ecke des Ganges, und dort sehe ich die doppeltürige braune Holztür mit dem goldenen Löwenkopf. Der Versammlungsraum befindet sich also direkt neben meiner Suite.

Paco öffnet die Tür und schiebt mir den Stuhl zurecht.

Der Saal ist nicht voll besetzt. Auch diesmal sitze ich einer vermummten Person gegenüber, die wohl den Vorsitz hat. Ob es eine Frau oder Mann ist, kann ich durch die Vermummung immer noch nicht feststellen. Sie scheint aufgrund ihrer Größe, die gleiche Person wie heute Vormittag zu sein. Das Licht geht langsam aus, und auf den Bildschirmen kann ich nun lesen:

„Wir danken Ihnen sehr herzlich, dass Sie den Mut gefunden haben, unser Angebot anzunehmen. Bitte unterschreiben Sie den vor Ihnen liegenden Vertrag. Die Mitglieder werden ihn danach gegenzeichnen. Die Urkunde wird bis zu Ihrem Ableben in unserem Safe aufbewahrt. Nachdem Sie Ihren Auftrag in Marbella erledigt haben, erhalten Sie Ihr Honorar. In den nächsten Jahren sind weitere Meetings geplant, zu denen Sie gesondert einladen werden. Ihr monatliches Geld wird Ihnen ab sofort auf Ihr Konto eingezahlt. Ihr Vertrag gilt lebenslang.“

Mir ist kalt. Leicht ziehe ich meine Schultern hoch. Worauf lasse ich mich da ein? Was ist damit gemeint: „… bis zu meinem Ableben“?

Im gleichen Tempo tauchen weitere Worte auf den Bildschirmen auf: „Mit unserer Genehmigung können Sie auch andere Arbeiten zusätzlich annehmen.“

Ich verschränke die Arme vor meiner Brust. Ich kann mich des unangenehmen Eindrucks nicht erwehren, dass ich einen Pakt mit dem Teufel abschließe.

Paco gibt mir ein Blatt Papier, auf dem nur ein Satz steht. „I confirm!“

Ich blicke auf.

Ohne dass ich eine Frage gestellt habe, sagt mein Gegenüber mit schnarrender Stimme: „Wir lesen jetzt die Vertragspunkte im Einzeln nochmals vor. Es ist unser Kodex, dass wir uns an das gesprochene Wort halten. Deshalb bedarf es keiner weiteren schriftlichen Form.“

Klar, eine Mordandrohung sollte man nicht schriftlich festhalten. Ich denke mir meinen Teil und lehne mich matt zurück. Ich kann jetzt sowieso nichts mehr ändern.

Die Regeln des Clubs werden noch einmal hintereinander weg vorgelesen.

Bei Punkt 6 beginnt mein Magen erneut zu schmerzen, denn ich stimme der totalen Überwachung und Kontrolle meiner Person zu. Ich weiß, dass ich ab sofort Eigentum des Clubs bin und keinen Ortswechsel ohne Erlaubnis vornehmen darf. Ich falte meine Hände, um mein Zittern zu verbergen.

Noch einmal werde ich darauf hingewiesen, dass ich keinen Kontakt zu den Clubmitgliedern aufnehmen darf. Ebenso ist es verboten, Nachforschungen hinsichtlich ihrer Identität vorzunehmen. Diese Forderungen leuchten mir ein. Ich habe sowieso kein Interesse an diesen Mitgliedern. Außerdem habe ich es immer so gehalten: Patientenkontakte privater Natur sind ein absolutes Tabu für mich.

„Bitte bestätigen Sie besonders Punkt 10“, wendet sich der oder die Vorsitzende persönlich an mich. „Bei Nichteinhaltung der Regeln des Clubs müssen wir Sanktionen aussprechen. Die Bestrafung liegt im Ermessen der Mitglieder. Sie kann von der einfachen Rückzahlung einer genannten Summe bis hin zur völligen Vernichtung Ihrer Existenz bzw. Person reichen.“

Ein spitzer Schmerz zieht durch meine Brust. Mir ist schwindlig. Meine Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf. Panik breitet sich in mir aus. Ich versuche, meinen Atem zu kontrollieren.

Mit eisernem Willen durchbreche ich meine Angst, denn ich will diesen Vertrag mit dem CLUB ONE. Auf mein Surface tippe ich: I kon… Ich lösche das K … setze erneut an: „I confirm.“

Die Bildschirme erlöschen, und der Kronleuchter erhellt den Raum.

„Bitte unterschreiben Sie hier.“ Paco zeigt auf das leere Blatt vor mir und reicht mir einen Montblanc Füller mit goldener Feder.

Mein Vater hatte mal so einen, schießt es mir durch den Kopf. Einen kurzen Moment halte ich inne. Du kannst noch nein sagen!

Doch schon führt meine Hand den Füllfederhalter über das glatte Papier. Letztendlich passiert hier nichts anderes als das, was Banken bei Kreditverträgen machen. Nur werden wir nicht so deutlich auf die negativen Ausmaße hingewiesen. Wenn wir nicht zahlen, nehmen uns die Geldinstitute alles, in letzter Konsequenz indirekt auch unser Leben.

Also, was soll’s? Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich stoße meinen Atem leicht hörbar aus und vollende meine Unterschrift.

„I confirm“, Julia Bergheimer, Marbella 12. Junio 2019. Alea iacta est. Die Würfel sind gefallen.

Paco schraubt den Füller zu. Er streut etwas feinen Sand auf meine feuchte Unterschrift und reicht das Dokument an das nächste Clubmitglied. Von einem goldenen Tablett, das ich jetzt erst auf dem Tisch realisiere, nimmt er eine rote Siegellackstange. Mit einem Cartier-Feuerzeug entzündet er eine dicke schwarze Kerze und hält die Stange in die Flammen.

Stille herrscht im Raum. Ein beißender Geruch nach Verbranntem breitet sich aus.

Paco tropft den Siegellack auf das Dokument. Schweigend drückt mein vermummter Nachbar seinen Siegelring in den weichen Lack. Nacheinander setzen vier der anwesenden Mitglieder ihren Ring auf das Papier. Zum Schluss ist die vermummte Gestalt mir gegenüber an der Reihe. Sie hebt ihren Blick. Schaut mir direkt in meine Augen …

Mir stockt für eine Sekunde der Atem: Hilfe! Solche stahlblauen Augen. Ich kann mich ihnen nicht mehr entziehen.

Wie hypnotisiert beobachte ich, wie die Person mit dem purpurnen Umhang ihren Ring hochhebt, ihn hart in den roten Lack auf das Papier drückt.

Instinktiv schüttle ich meine rechte Hand, die mir auf einmal schmerzt.

Paco rollt das Blatt zu einer dünnen Rolle zusammen, die er mit einem tiefroten Samtband umwickelt und mit dem Lack versiegelt.

„Der Vertrag zwischen Frau Julia Bergheimer und den Mitgliedern des CLUB ONE mit den Nummern 1, 9, 14, 20, 22 wurde heute verlesen, verstanden und von allen anwesenden Personen mit ihrer Unterschrift akzeptiert“, verkündigt er laut und übergibt das Dokument dem Vorsitzenden.

Das Licht des Kornleuchters verdunkelt sich und auf den Bildschirmen erscheint: „Vielen Dank, Frau Julia Bergheimer. Wir freuen uns auf unsere Zusammenarbeit. Und danken Ihnen für Ihre Hilfe. Unsere nächste Zusammenkunft ist am Mittwoch um 11: 00 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.“

Schweigend verlassen die Mitglieder nacheinander den Raum.

Erst jetzt sehe ich den runden roten Kreis auf meiner rechten Hand.

PURPURUMHANG

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