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7. KAPITEL

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Zwei Monate später waren diese ersten Tage so gut wie vergessen. In der Stadt war inzwischen fast der Normalzustand eingekehrt, und wo die Bausubstanz erhalten geblieben war, entstanden bereits wieder Häuser. Noch wichtiger aber war, daß sich die Karteikartensammlung mit den Namen gesuchter Männer, die sie während der ersten drei untätigen Wochen angelegt hatten, allmählich bezahlt machte. Sie hatten so gute Arbeit geleistet, daß ihm das 30. Corps zusätzliche Leute gegeben hatte, so daß jetzt auch die Abteilungen in Peine, Göttingen, Holzminden und Osterode im Harz seinem Kommando unterstanden.

Seine Einheit machte Überstunden, aber sie konnte Ergebnisse vorweisen, und niemand beschwerte sich. Es gab keine rechtlichen Formalitäten, die man bei der Festnahme eines Verdächtigen beachten mußte. Wenn sie einen aufgespürt hatten, brachten sie ihn einfach ins Hauptquartier, verhörten ihn und prüften nach, ob er der Mann auf der Liste war. Dann wurde er ins örtliche Gefängnis gesteckt, bis das 30. Corps oder die 21. Army Group einen Bus vorbeischickten, mit dem der Mann zum weiteren Verhör in ein Lager gebracht wurde.

Die Militärregierung setzte eine rudimentäre deutsche Stadtverwaltung ein, damit die Leute Arbeit fanden und die Grundversorgung wiederhergestellt werden konnte. Für die Einheit bedeutete dies eine zusätzliche Belastung. Sie mußte die Unbedenklichkeitserklärungen für die in Frage kommenden deutschen Beamten ausstellen.

Drei Monate später standen die Field-Security-Einheiten entlang der Demarkationslinien zur sowjetischen Besatzungszone vor einer neuen Aufgabe. Auf der Konferenz von Jalta war Deutschland in einzelne Besatzungszonen aufgeteilt worden, aber nach der Kapitulation standen die alliierten Truppen tief in dem Gebiet, das den Russen zugesprochen worden war. Mancherorts mußten sich die Amerikaner über 250 Kilometer weit zurückziehen und dabei Städte wie Leipzig, Chemnitz und Weimar preisgeben. Die Briten wiederum mußten kleinere Gebiete südöstlich von Hamburg und einen breiten Landstrich westlich von Magdeburg räumen. Inzwischen war das Verhalten der sowjetischen Besatzungstruppen bekannt, und obwohl der Abzug der Alliierten geheimgehalten wurde, gerieten die Deutschen in Panik und flohen in die westlichen Zonen. Aus lauter Furcht ließen sie ihre Häuser und ihre Habe zurück und strömten zu Zehntausenden über die Grenzen. Eine Bürde, mit der die neue einheimische Verwaltung nicht fertigwurde.

Die 21. Army Group gab Anweisungen heraus, wonach die Flüchtlinge überprüft werden sollten, bevor man sie passieren ließ. Und in einer strenggeheimen Nachricht wurde davor gewarnt, daß die Russen möglicherweise den Flüchtlingsstrom dazu benutzen könnten, NKWD-Agenten in die westlichen Zonen einzuschleusen. Carter hatte ein eigenes Team aufgestellt, dessen Mitglieder sowohl Russisch als auch Deutsch sprachen und diejenigen verhören sollten, die von dem Überprüfungsteam als verdächtig eingestuft worden waren.

Sämtliche Verhörräume waren klein, weil die Schalldämpfung soviel Platz einnahm.

In diesem hier stand ein kleiner Holztisch, dessen Beine mit Winkeleisen im Betonboden verankert waren. Sergeant Harper saß gegenüber dem Mann, der verhört werden sollte, und Carter hatte am Ende des Tisches Platz genommen, gleich neben der Tür. Er hörte zu, während der Sergeant die Fragen stellte.

»Wie heißen Sie?«

»Lübke. Ernst Heinrich Lübke.«

»Geburtsdatum?«

»Erster Januar neunzehn-zwölf.«

»Geburtsort?«

»Berlin.«

»Wann sind Sie in die Partei eingetreten?«

»Neunzehn-dreiunddreißig.«

Der Sergeant blickte von seinem Notizblock auf. Bis 1937 mußte man der Partei beigetreten sein, wenn man seine Arbeit behalten wollte. Aber wenn jemand bereits 1933 beigetreten war, mußte er schon früh überzeugter Nazi gewesen sein.

»Andere Parteiverbindungen?«

»Ich war Mitglied des NSKK.«

Das NSKK war eine Unterorganisation der Partei, der die Lastwagenfahrer angehörten.

»Was sind Sie von Beruf?«

»Fernfahrer.«

»Kriegsdienst?«

»Wehrmacht. Panzerbrigade.«

»Wo haben Sie gedient?«

»In Holland, in Belgien, an der Ostfront.«

»Wurden Sie an der Ostfront gefangengenommen?«

»Ja. Ich war bei der Heeresgruppe von General von Paulus.«

»Von Paulus und seine Männer sind noch in russischer Gefangenschaft. Wieso sind Sie hier?«

»Ich wurde nach Polen geschickt, um Panzer für die Rote Armee zu reparieren.«

»Nur zu.«

»Sie haben mich mitgenommen, als sie auf Berlin vorrückten. Ich habe mich abgesetzt und bin entkommen.«

»Wohin?«

»Ich habe einen Zug nach Hannover erwischt. Ich glaube, es war der letzte, der Berlin verlassen hat.«

»Und dann?«

»Habe ich eine Mitfahrgelegenheit nach Magdeburg bekommen.«

»Warum nach Magdeburg?«

»Ich hatte dort Verwandte.«

»Wie heißen sie?«

»Westphal. Arnold Westphal.«

»Adresse?«

»Er hat einen Bauernhof, am Stadtrand.«

»Wie heißt der Hof?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Wie haben Sie ihn dann gefunden?«

»Ich wußte ungefähr, wo er liegt, und habe mich durchgefragt.«

»Was für Tiere gibt es auf dem Hof?«

Der Mann zögerte. »Rinder und Schweine.«

»Wie lange waren Sie da?«

»Drei Monate.«

»Haben Sie auf dem Hof gearbeitet?«

»Ja.«

»Was für Rinder waren das?«

»Milchkühe.«

»Ich meine, welche Rasse?«

»Das weiß ich nicht. Ich glaube, er hat gesagt, es wären friesische.«

»Welche Farbe hatten sie?«

»Alles mögliche, aber die meisten waren braun.«

Carter wich dem Blick des Sergeants aus. Selbst er wußte, daß friesische Rinder schwarzweiß gescheckt waren.

Der Sergeant schlug eine Landkarte auf und schaute den Mann an.

»Zeigen Sie mir auf der Landkarte, wo der Hof liegt.«

Der Mann blickte auf die Landkarte und zuckte dann mit der Schulter. »Ich kann keine Karten lesen.«

»Sie wollen behaupten, Sie waren in einer Panzerbrigade, aber Sie können keine Karten lesen?«

Wieder zuckte der Mann die Achseln, aber er erwiderte nichts.

»Bei welcher Einheit der Roten Armee waren Sie?«

»Habe ich Ihnen doch gesagt – bei einer Panzerbrigade.«

»Bei welcher?«

»Weiß ich nicht. Ich kann kein Russisch.«

»Und wie haben die Ihnen dann klargemacht, was Sie tun sollen?«

Der Mann zitterte, und Carter sagte ruhig: »Wovor fürchten Sie sich?«

»Die haben gesagt, Sie bringen mich um, wenn Sie mir auf die Schliche kommen.«

Carter übernahm. »Was hat man Ihnen aufgetragen?«

»Sie wollten über die britischen Truppen entlang der Grenze Bescheid wissen. Was für Abzeichen sie auf ihren Jacken und auf den Fahrzeugen haben.«

»Wie wollten sie sich mit Ihnen in Verbindung setzen?«

»Sie haben Leute hier drüben. Sie haben gesagt, jemand setzt sich mit mir in Verbindung.«

»Haben Sie ein Losungswort?«

»Ja.«

»Wie lautet es?«

»Der Mann von ihnen sagt: ›Wo sind die Blumen?‹, und ich antworte: ›Drei rote Rosen‹.«

»Drei rote Rosen« war ein beliebter deutscher Filmschlager.

Carter wandte sich an den Sergeant und sagte: »Besorgen Sie ihm etwas zu essen, und schicken Sie ihn dann zur 21. Army Group. Ich sage Bescheid, daß er kommt.«

Nach dem Essen saß Carter in seinem Zimmer und las seine Post. Eine seiner Freundinnen hatte ihm geschrieben, um ihm mitzuteilen, daß sie einen Leutnant der US Army heiraten werde. Ein anderer stammte von einem Mädchen namens Trixie, das wissen wollte, wann er Heimaturlaub bekäme und ob er etwas bräuchte, das sie ihm schicken könne. Die Boots-Bücherei in Winchester schrieb ihm einen pampigen Brief wegen eines überfälligen Buches, verbunden mit der Aufforderung, er solle einen Shilling Strafgebühr bezahlen und das Buch umgehend zurückgeben. Es handelte sich um einen Roman von P. G. Wodehouse, aber der Titel sagte ihm nichts.

Seine Mutter teilte ihm in einem langen Brief den neusten Klatsch aus Familie und Freundeskreis mit, und sein Vater hatte handschriftlich ein paar Zeilen hinzugefügt, in denen er ihn vor Lasterhaftigkeit und der unvermeidlichen Strafe warnte. Coutts Bank hatte ihm einen Kontoauszug gesandt, in dem seine letzte Soldzahlung und sein Guthaben aufgeführt waren – 197.10,6 Pfund Sterling. Mehr, als er jemals zuvor besessen hatte. Er legte den Auszug in sein Tagebuch und zerriß die Briefe. Sie kamen aus einer Welt, an die er sich kaum erinnern konnte und die nichts mehr mit der harten Wirklichkeit seines jetzigen Lebens zu tun hatte. Für die Menschen zu Hause waren die Soldaten der Roten Armee noch immer Helden, doch hier waren sie als Trunkenbolde und Vergewaltiger gefürchtet; sie hatten die Arme voller Armbanduhren, die sie verängstigten Deutschen abgenommen hatten, und man sagte ihnen nach, daß sie Toilettenschüsseln herausrissen und nach Hause schickten. Hier benahmen sie sich nicht mehr wie Alliierte, sondern wie Feinde, sie legten es darauf an, Unruhe in den westlichen Zonen zu stiften, und verstießen offen gegen sämtliche während des Krieges geschlossenen Vereinbarungen. Sie waren feindselig und zu keiner Zusammenarbeit bereit. Ihrer Ansicht nach hatten sie den Krieg allein gewonnen, während die Briten und Amerikaner auf seiten der deutschen Aggressoren gestanden hatten.

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