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4. KAPITEL
ОглавлениеDer Eingang zum Crossfire Club lag an einer schmalen Seitengasse der Firth Street. Im vorderen Teil des Hauses befand sich eine Personalvermittlungsagentur für Partyservice, und der dahinter liegende Club nahm zwei Stockwerke und das Kellergeschoß ein. Der Stadtrat von Westminster hatte ihm eine Lizenz als Privatclub erteilt und den Ausschank von Getränken bis drei Uhr morgens gestattet, sonntags ausgenommen. Die beiden Inhaber hatten das Gebäude gekauft, als der Stadtrat hart gegen die gewerbliche Unzucht durchgegriffen hatte, worauf die Miet- und Immobilienpreise innerhalb einer Woche ins Bodenlose gefallen waren. Einer der Besitzer war ein erfolgreicher Börsenmakler, und der andere war Mitinhaber etlicher anderer, ähnlich einträglicher Clubs, in denen Touristen und einheimische Trottel von Hostessen mit maßlos überteuerten Getränken geneppt wurden. Nach dem behördlichen Durchgreifen schlossen Clubbesitzer und Stadtrat einen Waffenstillstand: weniger Aufsehen von der einen Seite und dafür nur geringfügige Belästigung von der anderen. Die Partner schätzten, daß sie, als die Mieten schließlich wieder auf das alte Niveau und höher stiegen, in zwölf Wochen knapp über 1,4 Millionen Pfund verdient hatten.
Neben dem Eingang des Clubs lag ein unordentlicher Haufen schwarzer Müllsäcke. Die Betreiber des Crossfire Clubs hatten sich geweigert, die ungeheuren Schmiergelder für die städtische Müllabfuhr zu bezahlen, und Louis hatte einen weitschweifigen Beschwerdebrief an die Stadtreinigung geschrieben. Louis und Tony Fratelli, die den Club für ein Syndikat führten, bekamen einen prozentualen Anteil. Nicht vom Umsatz, sondern vom Gewinn. Sie mußten spuren, weil selbst ein nicht besonders schlauer Buchhalter dafür sorgen konnte, daß keinerlei Gewinn übrigblieb, wenn man ihn nicht bei Laune hielt. Glücklicherweise war der »abgebrühte Arthur«, der sich um die Bücher kümmerte, nicht nur schlau, sondern er hatte auch eine Vorliebe für hübsche Mädchen, so daß er leicht zufriedenzustellen war.
Der Rausschmeißer, ein ehemaliger Marineinfanterist, salutierte lässig, als er Mallory die Tür aufhielt. »Viel Vergnügen, Käpt’n.«
Mallory lächelte. »Ihnen auch, Sandy. Wie geht’s Ihrer Gemahlin?«
»Gut beisammen, Käpt’n. Hat sich gestern die Zähne machen lassen.«
Der Innenraum war in gedämpftes rosa Licht getaucht. Rosa Glühbirnen über der Bar und rosa Lampenschirme an den Tischen. Er stellte sich mit seinem Whisky aus der unter dem Tresen verwahrten Flasche an die Bar und blickte sich um. Die meisten Tische waren besetzt, und er entdeckte Debbie, die mit zwei Männern an einem der Nischentische plauderte und sich offenbar gut amüsierte. Dann sah sie ihn, stand auf und kam zu ihm.
»Hi. Was machst du denn hier?«
»Ich nehme den Nachtzug nach Glasgow. Deshalb wollte ich kurz vorbeischauen und mich überzeugen, ob bei dir alles okay ist.«
»Ich habe heute beim Pferderennen in Lingfield fünfzig Piepen gewonnen.«
»Wer sind die zwei Typen an deinem Tisch?«
»Die sind wegen einer Vertreterkonferenz in der Stadt. Es sind Konzessionäre einer Fast-food-Kette.«
»Da fällt mir ein, ich habe den Kühlschrank mit Lebensmitteln vollgepackt, falls du dich in der Wohnung aufhalten willst.«
»Wie lange bist du weg?«
»Zwei Tage. Vielleicht drei. Du solltest lieber an deinen Tisch zurückgehen, Schatz.«
»Die können warten.« Aber sie drehte sich um und winkte lächelnd den beiden Männern zu, die ihrerseits zurückwinkten. Dann schaute sie wieder Mallory an. »Bist du einverstanden, wenn ich bei dir schlafe?«
»Selbstverständlich.«
Er holte seinen Schlüsselbund heraus, nahm den Schlüssel für das Sicherheitsschloß an der Tür ab und reichte ihn ihr. »Wenn ich vor Freitag zurückkomme, könnten wir übers Wochenende aufs Land fahren.«
Er sah, wie ihr Gesicht vor Freude strahlte. »Gern. Könnten wir wieder dahin fahren, wo wir das letzte Mal waren?«
»Meinst du das Hotel in Bath?«
»Ja. Genau dorthin.« Sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund.
Dann brachte sie ihn zur Tür, blieb in der Gasse stehen und sah ihm nach, als er wegging. Sie war etwas enttäuscht, daß er nicht zurückblickte.
Am Bahnhof angekommen, begab sich Mallory zum Schlafwagen der Ersten Klasse. Die Nachtfahrt mit dem Schlafwagen Erster Klasse nach Glasgow war eine der letzten Arten kultivierten Reisens, die es noch gab, und er schlief fest bis um sechs am nächsten Morgen, als ihm ein Schaffner eine halbe Stunde vor der Ankunft am Glasgower Hauptbahnhof eine Tasse Tee und ein Biskuit brachte.
Er verbrachte drei fruchtlose Tage in Glasgow und Edinburgh. Nirgendwo fand er eine Spur von einem Mann namens Dettmer. Er schlug in Telefonbüchern und Wahllisten nach, überprüfte Steuerdateien, Schufa-Unterlagen und die Karteien der Sozialämter, aber es gab keinen Dettmer. Das hieß, daß er sich auf die Suche nach den alten Akten sämtlicher Field-Security-Einheiten begeben mußte, die mit grenzüberschreitenden Operationen befaßt gewesen waren.
Als sie auf der M4 in Richtung Bath fuhren, deutete sie auf ein Hinweisschild nach Chippenham.
»Dort wohnt meine Familie.«
»Sollen wir die Ausfahrt nehmen und sie besuchen?«
»Meine Güte, bloß nicht! Sie wären entsetzt, wenn ich auftauche, ohne mich eine Woche vorher anzukündigen.«
Er lachte. »Du machst Witze, was?«
»O nein, Charlie. Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Sie stellen mich meinen Schwestern immer als Beispiel hin, was aus ihnen wird, wenn sie nicht spuren.«
»Ich habe für uns im ›Francis‹ reserviert, dem gleichen Hotel, in dem wir letztes Mal gewohnt haben.«
»Ich mag es. Alle waren so freundlich und altmodisch.«
Sie sah zu, wie am Nebentisch etwas flambiert wurde, drehte sich dann zu Mallory um und lächelte. »Warum sind die Leute, die ihre Sachen flambieren lassen, bloß immer solche Widerlinge?« flüsterte sie.
»Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Ist aber so. Ich habe es schon oft bemerkt.«
»Erzähl mir etwas über deine Familie.«
Sie lachte. »So was nennt man treffender formulieren – apropos Widerlinge, erzähl mir was über deine Familie.«
Er lächelte. »So habe ich das nicht gemeint. Muß eine Freudsche Fehlleistung gewesen sein oder so was Ähnliches.«
Sie zuckte die Achseln. »Mein Vater ist Finanzier. Er war früher bei einer Handelsbank in London und hat soviel Geld verdient, daß er sich selbständig machen konnte.«
»Und was macht ein Finanzier?«
»Ich weiß nur, was er macht. Er besorgt kleinen, aufstrebenden Firmen Kapital. Verdient dabei ebenfalls eine Menge Kohle.«
»Woher weiß er, daß sie Erfolg haben werden?«
»Sein Buchhalter geht ihre Bücher durch. Überprüft sie, und dann unterhält sich Daddy mit den Machern. Wenn sie ihm gefallen, beteiligt er sich an ihrem Unternehmen.«
»Wonach entscheidet er, ob sie ihm gefallen?«
»Anhand ihres ›Stils‹, wie er es nennt.« Sie lachte. »Daß sie zum Beispiel keine braunen Schuhe zu blauen Anzügen tragen. Und bestimmt keine Nuttentreter, wie du sie trägst.«
»Das sind Wüstenboots, meine Liebe.«
Sie schaute ihn einen Augenblick lang an und sagte dann leise: »Ich mag es, wenn du mich deine Liebe nennst. Selbst wenn du es nicht so meinst.«
»Du hast doch bestimmt schon ganz andere Schmeicheleien gehört als ›meine Liebe‹.«
»Es kommt darauf an, wer es sagt. Und wie es gesagt wird. Und wenn ich angezogen bin, zählt es doppelt.«
»Was für ein Mann ist er? Dein Vater.«
»Groß. Schnurrbart. Aufgeblasen. Selbstgefällig – habe mich selber durchbeißen müssen, ohne die Ausgangsposition, die ihr Mädels habt.«
»Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der ›Mädels‹ sagt.«
»Stehe jederzeit zur Verfügung – ein Wort genügt.«
»Was ist nach der Klosterschule passiert?«
»Interessanter ist das, was auf der Klosterschule passiert ist.«
»Erzähl’s mir.«
»Das Übliche – Jungs.«
»Und dann?«
»Sie haben mich rausgeschmissen, und ich mußte als Tippse bei einem Immobilienmakler arbeiten, einem Freund von meinem alten Herrn.«
»Und?«
»Er hat mich angemacht, und ich mochte ihn nicht.«
»Warum nicht?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Er war ein richtiges Arschloch.«
»Daher bist du gegangen.«
»Daher hat er mich gefeuert und Daddy erzählt, ich würde die Klienten anmachen.«
»Was dann?«
»Ich habe meinem alten Herrn hundertfünfzig Piepen aus der Portokasse geklaut und bin nach London gefahren.«
»Wie bist du im Crossfire gelandet?«
»Man könnte sagen, es war eine Entdeckungsreise.«
»Was hast du entdeckt?«
»Daß die einzigen Voraussetzungen, die ich mitbringe, ein hübsches Gesicht, große Möpse und das Talent sind, die Männer zu amüsieren, die in Läden wie das Crossfire gehen.«
»Und was wärst du gern, wenn du die entsprechenden Voraussetzungen mitbrächtest?«
Stirnrunzelnd dachte sie nach. »Manchmal wäre ich gern Schauspielerin, manchmal auch Nonne.«
»Was für eine Schauspielerin?«
»Am Theater. Eine richtige Schauspielerin.«
»Du bist noch jung. Geh auf die Schauspielschule oder übernimm einen Job als Regieassistentin und arbeite dich hoch.«
Sie lächelte. »Vielleicht überrasche ich eines Tages noch alle und mache etwas Vernünftiges.«
Beim Verteidigungsministerium verlangte man ein schriftliches Gesuch, bevor man irgendwelche Auskünfte über nachrichtendienstliche Einheiten herausrückte, die während der Besatzungszeit in Deutschland stationiert gewesen waren, und so fuhr Mallory zum Stützpunkt des Intelligence Corps in Ashford und verbrachte einen Tag im dortigen Museum.
Zu seiner Ausbeute gehörten die Namen von sechs Standorten sowie Einzelheiten über Field-Security-Einheiten, die entlang den Zonengrenzen im Einsatz gewesen waren. Darüber hinaus hatte er Namen, Dienstränge und Gruppenfotos. Der wertvollste Fund war seiner Ansicht nach jedoch die derzeitige Anschrift des Offiziers, der die für den Grenzübergang Helmstedt zuständige FS-Einheit befehligt hatte. Er schlug in der Liste des Kriegsministeriums nach und stellte fest, daß der Mann, ein Captain namens Carter, zum Major befördert worden war, als man ihn ins Hauptquartier des 30. Corps nach Bad Niendorf versetzt hatte. Der mittlerweile pensionierte Major Carter wohnte jetzt in Chichester.
Es war eines der wunderschönen Häuser in South Pallant; die Tür lag direkt an der Straße. Echt georgianisch mit Steinmetzarbeiten an den Schlußsteinen über den Fenstern. Würdevoll, aber nicht überladen. Auf dem Fenstersims stand ein Blumenkasten mit Primeln, die ungestört ihre ganze Pracht entfalten konnten. In London wären sie innerhalb weniger Stunden verwüstet worden.
Als er den Messingklopfer mit dem Löwenkopf betätigte, hörte er den Widerhall trotz der wuchtigen Tür durch das ganze Haus schallen. Dann ertönte das Klacken von hohen Absätzen auf Kacheln, bevor die Tür geöffnet wurde. Sie war um die Fünfzig, aber die Augen, der Mund und die Gesichtszüge garantierten, daß sie auch mit hundert noch gut aussehen würde, falls sie so lange lebte.
Sie lächelte, als sie sagte: »Sie sind bestimmt vom Kirchenbauverein. Ich bin ja so froh, daß Sie kommen. Unsere beiden Sammelbüchsen sind randvoll.«
Mallory erwiderte das Lächeln. »Tut mir leid, daß ich Sie enttäuschen muß. Eigentlich wollte ich fragen, ob Ihr Mann wohl ein paar Minuten für mich erübrigen könnte.«
Sie lächelte wie eine Frau, die daran gewöhnt war, Eindringlinge abzuwimmeln, die ihrem Mann die Zeit stehlen wollten. »Weshalb möchten Sie ihn bitte sprechen?«
»Wegen seiner Militärzeit.«
»Sind Sie beim Militär?«
Er lächelte. »Sozusagen. Ich war es, und in gewisser Weise bin ich noch immer dabei.«
»Wie interessant«, sagte sie. »Sie sollten lieber hereinkommen. Ich bringe Sie zu ihm. Er ist draußen im Garten und setzt die Zuckererbsenstecklinge. Kann nur hoffen, daß es keinen Frost mehr gibt.«
Der Garten war klein. Ein mit einer Mauer aus einheimischen Ziegeln umgebener Garten, der ebensogut angelegt und geschnitten war wie das Haus. Der Mann, der mit einer Pflanzkelle in der Hand am Boden kniete, wandte den Kopf, sah seine Frau und Mallory und stand langsam auf.
»Der junge Mann hier möchte dich sprechen, Eddie. Es geht ums Militär.« Sie lächelte Mallory an. »Ich lasse Sie beide damit allein.« Sie ging zum Haus zurück.
»Ich habe Ihren Namen nicht verstanden«, sagte Carter.
»Mallory. Charles Mallory.« Er griff in seine Jackentasche und reichte Carter seinen SIS-Ausweis, die grüne Mitgliedskarte der Intelligence Corps Association und die Mitgliedskarte des Special Forces Club.
Carter musterte jede genau und gab sie ihm dann zurück.
»Was kann ich für Sie tun? Auf der Terrasse stehen Stühle, und ein bißchen Limonade ist auch noch da.« Er lächelte. »Echte Limonade. Trixies Spezialität.«
Nachdem der Major ihnen beiden ein Glas eingeschenkt hatte, setzte er sich hin und schaute Mallory fragend an.
»Ich wollte mit Ihnen über einen Mann namens Dettmer reden.«
»Wer ist das?«
»Ich dachte, Sie erinnern sich vielleicht an ihn. Er hat, glaube ich, in Deutschland für Sie gearbeitet, nach der Kapitulation.«
Carter lächelte. »Ich bezweifle, daß ich mehr als ein oder zwei Leute meiner Einheit mit Namen nennen könnte. Es ist lange her.« Er schwieg kurz. »Wie sah er aus?«
»Keine Ahnung.«
»Und warum sind Sie zu mir gekommen?«
»Weil die Unterlagen darauf hindeuten, daß er für grenzüberschreitende Operationen in der sowjetischen Besatzungszone eingesetzt wurde. Und laut Akte war er vorher bei der Gestapo in Magdeburg, so daß er offenbar in dieser Gegend für uns gearbeitet hat. Ihre Field-Security-Einheit lag mehr oder weniger gegenüber von Magdeburg.«
Mallory sah, wie sich Carters Miene veränderte. Er war sich sicher, daß der Mann jetzt wußte, von wem er redete.
»Erzählen Sie mir mehr«, sagte Carter ruhig.
»Seine Mutter war Schottin, und vor dem Krieg war er bei der Kriminalpolizei. Für die Gestapo war er in Prag und Warschau.«
»Woher haben Sie Dettmers Namen?«
»Es ist einer von drei Namen, die ich erhielt. Und dazu einige Anmerkungen zu jedem von ihnen.«
»Wenn er derjenige ist, der ich glaube, dann hat er niemals Dettmer geheißen. Er hat ihn manchmal vielleicht als Deckname benutzt, aber geheißen hat er bestimmt nicht so. Warum interessieren Sie sich für ihn?«
»Wir glauben, daß er ein Kriegsverbrecher gewesen sein könnte.«
Carter hob die Hand. »Und jetzt habt ihr alle Schiß vor dem Schrott, der neulich in dem Schundblatt stand. Der britische Geheimdienst habe ehemalige Nazis eingesetzt und ähnlicher Mist.«
»Schiß nicht.« Er lächelte. »Wir ergreifen nur Vorsichtsmaßnahmen und überprüfen die Fakten.« Er hielt inne. »Lebt Ihr Mann noch?«
»Er ist quicklebendig.«
»Kann ich mit ihm reden?«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Wer waren die anderen auf Ihrer Liste?«
»Ein gewisser Stefan Wolff. Er ist tot. Und ein Mann namens Keller. Erich Keller.«
»Wer hat Ihnen die Namen und die Unterlagen gegeben?«
»Mein Vorgesetzter im Century House.«
»Und die glauben, daß ich Leute den Bach runtergehen lasse, die für mich und britische Interessen gearbeitet haben, nur weil die Revolverblätter im Augenblick keinem Minister einen Sexskandal anhängen können?«
Carters blasses Gesicht war vor Empörung rot angelaufen.
»Ich sehe nicht ein, weshalb Sie Ihrer Meinung nach den Mann den Bach runtergehen lassen, nur weil ich mit ihm reden möchte.«
»Das sehen Sie nicht ein, was? Wie lange sind Sie schon beim SIS?«
»Zwölf Jahre.«
»Dann sollten Sie wissen, daß man einen alten Haudegen wie mich nicht so leicht verarschen kann.« Angriffslustig beugte er sich vor. »Worüber wollen Sie mit den Männern reden?«
»Ich möchte feststellen, ob sie tatsächlich Kriegsverbrechen begangen haben und wie und warum wir sie eingesetzt haben.«
»Und was kommt dann?«
»Das haben andere zu entscheiden.«
»Um Himmels willen, Mallory, was glauben Sie denn, was die sogenannten ›anderen‹ tun werden?« Er wartete einen Moment auf Mallorys Antwort, und als dieser weiter schwieg, schrie Carter: »Verschwinden würde er. Ein Leichnam mehr, den man aus irgendeinem Kanal zieht, weil die sich nicht trauen, ihn am Leben zu lassen.« Er lehnte sich zurück, war mit einem Mal wieder ganz ruhig. »Sie sollten lieber darüber nachdenken, mein Junge. So was hat nämlich zweierlei Auswirkungen.«
»Was soll das heißen?«
»Es heißt, daß Sie ebenfalls verschwinden könnten.«
»Wollen Sie mir drohen, Major?«
»Darauf können Sie Ihre Stiefel verwetten. Aber vor mir brauchen Sie keinen Schiß zu haben.«
»Schämen Sie sich dessen, was Sie getan haben?«
»Auf keinen Fall.«
»Warum können wir dann nicht darüber reden?«
»Weil Sie es nicht verstehen würden.«
»Warum nicht?«
»Es ist über vierzig Jahre her. Sie waren damals wahrscheinlich noch gar nicht auf der Welt. Wie sollten Sie das verstehen?«
»Sie könnten mir erzählen, wie es zu all dem gekommen ist.«
»Das würde zu lange dauern.«
»Ich hab’s nicht eilig.«
Carter schien zu zögern. Dann sagte er: »Wie lauteten Ihre Befehle?«
»Herausfinden, ob die drei Männer noch leben, und feststellen, was damals geschehen ist.«
»Warum?«
»Weil der SIS den Schwarzen Peter bekommen wird, wenn irgendwelche Außenstehende herausfinden, daß etwas Illegales gelaufen ist, was immer das auch gewesen sein mag. Und der SIS hat schon genug Probleme, auch ohne daß man die Geister der Vergangenheit wieder aufscheucht.« Er hielt kurz inne und fuhr dann ruhig fort: »Wie wollen wir es also mit diesem Dettmer halten?«
»Vergessen Sie ihn, weil Sie ihn ohne mich niemals finden werden. Ebensowenig wie Keller.«
»Anhand der Unterlagen, die man mir gab, scheint es, als wäre Keller beim 30. Corps gelandet. Und Sie sind ebenfalls dort gelandet. Wurden Sie versetzt, weil Keller Ihr Mann war?«
»Mehr oder weniger.«
»Dettmer, oder wie immer er auch hieß, wurde von Keller geführt, ja?«
»Mehr oder weniger.«
»Wußten Sie, daß diese Leute Kriegsverbrechen begangen hatten?«
»Ja, in groben Umrissen.«
»Und Sie fanden nicht, daß es eine Rolle spielte?«
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt. Sie verstehen das nicht. Diese Männer haben Woche für Woche ihr Leben riskiert, um Informationen zu beschaffen, die wir dringend gebraucht haben. Für mich war das in etwa genauso, wie wenn die Polizei Kriminelle benutzt, um Verbrechen zu verhindern oder wenigstens diejenigen zu ermitteln, die dafür verantwortlich sind.« Er schwieg kurz. »Sie machen doch im Moment genau dasselbe. Sie glauben, ich hätte etwas Illegales oder zumindest Anrüchiges getan, aber Sie wollen mich dennoch benutzen, um an die gewünschten Informationen zu kommen.«
Mallory lächelte. »Touché.« Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er: »Wäre es vielleicht möglich, daß ich inoffiziell mit Dettmer und Keller rede?«
»Zu welchem Zweck?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber vielleicht könnte ich die Sache dann realistischer sehen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Durch Sie.«
»Das müssen Sie mir erklären.«
»Gut. Sie waren Offizier der britischen Armee, und Sie glauben, daß das, was Sie getan haben, richtig war. Meiner Ansicht nach sind Sie ein ziemlich aufrechter Mensch. Vielleicht haben Sie ja recht, wenn Sie glauben, das, was seinerzeit geschah, sei gerechtfertigt gewesen. Und wenn sich alles rechtfertigen läßt, brauchen wir nichts gegen diese Männer zu unternehmen. Und wenn die Medien die Sache trotzdem weiterverfolgen und alles herauskommt, dann haben wir sämtliche Fakten und können nachweisen, daß unser Verhalten gerechtfertigt war.«
»Würden sich Ihre Vorgesetzten dieser Haltung anschließen?«
»Im Augenblick nicht, weil sie an die Vorurteile der Öffentlichkeit denken. Aber die Öffentlichkeit hat sich auch damit abgefunden, daß deutsche Wissenschaftler, die an den Raketen mitarbeiteten, durch die viele unserer Leute getötet wurden, von uns und den Amerikanern weiterbeschäftigt wurden.«
»Fahren Sie heute abend nach London zurück?«
»Nein. Ich habe im ›Ship‹ reserviert.«
»Müssen Sie täglich Bericht erstatten?«
»Nein. Wöchentlich.«
»Sie müssen also nicht sofort über das heutige Gespräch berichten?«
»Nein.«
Carter stand langsam auf. »Lassen Sie mich die Sache überschlafen, und dann können wir uns morgen zusammensetzen und noch mal darüber reden. Einverstanden?« Bevor Mallory antworten konnte, fuhr Carter fort: »Es wäre in vielerlei Hinsicht nützlich, wenn uns etwas einfiele, wie wir dieses Problem lösen können.« Er lächelte kurz, während er ihm die Hand reichte. »Wollen mal sehen, was wir tun können.«
Mallory ging zu Fuß zum Hotel zurück und fragte sich, ob er hereingelegt worden war. Der alte Mann hatte schon grenzüberschreitende Operationen gegen die Sowjets geleitet, als er noch nicht einmal auf der Welt war. Trotz seiner unschuldigen Miene, der hellblauen Augen und der bei Rothaarigen üblichen Sommersprossen war der alte Knabe auch jetzt noch mit allen Wassern gewaschen. Carter wußte nur zu genau, wie das Räderwerk beim SIS funktionierte, und es gab noch andere, Colonels und Brigadekommandeure der 21. Army Group, die bereits verdeckte Einsätze hinter dem Eisernen Vorhang durchgeführt hatten, bevor Winston Churchill den Begriff überhaupt geprägt hatte. Sie wußten, wie sie sich und andere, die für sie gearbeitet hatten, schützen konnten. Jemand an höchster Stelle mußte sein Einverständnis zum Einsatz dieser Deutschen gegeben oder zumindest beide Augen zugedrückt haben. Bei den Ehrentagen im Stützpunkt des Intelligence Corps hatte er Männer dieser Altersgruppe kennengelernt. Männer, die wie alt gewordene Schuljungen aussahen, schallend über Schuljungenwitze lachten und Spitznamen wie Jumbo, Tiny und Lofty hatten. Aber diese Männer trugen hohe Orden und Auszeichnungen, und ein paar von ihnen waren sogar in den Adelsstand erhoben worden. Das waren keine Dummköpfe, weder damals noch jetzt. Sie waren Patrioten und von sich überzeugt, bereit, alles zu tun, was man von ihnen verlangte. Und die Aussicht, daß sie ihr Leben in einer Zelle des NKWD in der sowjetischen Besatzungszone verlieren könnten, war ihre geringste Sorge gewesen.
Vom Hotel aus rief er Debbie an, aber weder in seiner Wohnung noch bei ihr nahm jemand ab. Er aß allein. Dann fuhr er nach Birdham und sah sich im Schaukasten vor dem Maklerbüro neben der Jachtwerft die Fotos von Booten an, die zum Verkauf standen. Unter anderem wurde eine zehn Meter lange Jacht angeboten, und wie um Carters Worte zu unterstreichen, stand in der Beschreibung, sie sei eines der Boote gewesen, die bei der Evakuierung des britischen Expeditionscorps aus Dünkirchen eingesetzt worden waren. Das Foto zeigte ein robustes, beinahe häßliches Boot, doch es wurde als »sehr zuverlässig« beschrieben. Für jemanden wie Carter wären diese beiden Worte und der Verweis auf Dünkirchen ausschlaggebend. Mallory hatte es zuvor nie so betrachtet, doch die Männer, die im Krieg gekämpft hatten, bildeten eine Art Club. Einen abgeschotteten Zirkel. Man brauchte kein Wort zu sagen. Man war im Krieg gewesen, also gehörte man dazu. Wie es in der Rede Heinrichs V anläßlich der Schlacht von Azincourt hieß – »Und Edelleut in England, jetzt im Bett, verfluchen einst, daß sie nicht hiergewesen ...«
Als er nach Chichester zurückfuhr und die Hauptstraße nach Portsmouth überquerte, sah er ein Hinweisschild nach Tangmere, dem Flugplatz, von dem die Spitfires zur Luftschlacht um England gestartet waren. Über diesen sattgrünen Feldern waren die Kämpfe ausgetragen worden. Vielleicht war es ein Zeichen, daß er darauf achten sollte, was Carter zu sagen hatte.