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2. KAPITEL

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Mallory fuhr mit seinem Healey 3000 von Hythe aus über die kurvigen Straßen von Kent nach Ashford, nahm dort die Hauptstraße nach Maidstone und bog schließlich in einen unauffälligen Weg ein, der, wie es schien, zu mehreren Sozialbauten führte. Vor dem Wachraum der Templer-Kaserne, dem Hauptquartier des Intelligence Corps, hielt er an. Er trug Zivilkleidung, und deshalb überprüften die Posten sorgfältig seinen Ausweis. Danach durchsuchten sie den Healey, öffneten die Motorhaube und schauten in den Kofferraum. Nachdem sie den Inhalt seiner Reisetasche kontrolliert hatten, wiesen sie ihm einen Parkplatz auf dem Exerzierplatz zu. Er schloß den Wagen ab, ging zur Offiziersmesse, trug sich in die Anwesenheitsliste ein und begab sich dann zur Bar. Er bestellte einen Tomatensaft und schaute sich um. Die anderen Gäste, etwa ein Dutzend Männer, trugen alle Uniform. Die Sterne und Kronen auf den grünen Schulterstreifen verrieten, daß es sich um Offiziere des militärischen Nachrichtendienstes handelte.

Als Mallory sein Glas in Empfang nahm, kam ein Captain mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Hallo, Charlie, was machst du denn hier?«

Mallory lächelte. »Wollte nur mal sehen, was ihr Jungs so treibt.« Er hielt inne. »Ich war in Hythe und habe gelernt, wie man mit Uzis und AK-47 rumspielt. Dachte mir, ich schaue auf dem Heimweg kurz auf einen Happen vorbei.«

Man fragte Offizierskameraden nicht, was sie machten. Das verstieße nicht nur gegen die Sicherheitsvorschriften, es wäre auch schlechtes Benehmen, und außerdem würde einem ein gut geschulter Offizier sowieso nicht die Wahrheit sagen. Aber Mallory war Offizier außer Dienst, ein Zivilist. Das Intelligence Corps war ein Tummelplatz für Spezialisten, aus dem sich der SIS und andere Nachrichtendienste häufig ihre Leute aussuchten. Doch diejenigen, die sich abwerben ließen, blieben für gewöhnlich mit der alten Truppe in Verbindung.

Captain Mason lächelte. »Dann gehen wir doch hinein und essen etwas. Es ist Freitag – Curry-Tag.«

Nach dem Essen saßen sie beim Kaffee. »Bist du froh, daß man dich hier herausgeholt hat?« fragte Mason beiläufig.

Mallory zuckte mit der Schulter. »Schwer zu sagen, Joe. Es ist eine vollkommen andere Welt.« Er lächelte. »Ein bißchen so wie damals, als wir in Berlin waren. Politischer. Niemand garantiert dir, daß deine Kollegen auf deiner Seite stehen. Ich vermisse die Kameradschaft, die wir hier hatten. Aber vermutlich paßt das zu mir.«

»Themenwechsel – bist du noch mit dem Mädchen zusammen, das du am Tag der offenen Tür mitgebracht hast?«

»Ja.«

»Die ist wirklich was Besonderes. Alle haben nach ihr gefragt.« Er lächelte. »Bist du schon bei ihr eingezogen?«

Mallory lachte leise. »Nein. Sie ist bei mir eingezogen.«

»Du Glückspilz, du verdammter. Hat sie vor, dich zu heiraten?«

»Wer weiß? Abwarten und Tee trinken.«

Mallory stand auf.

»Bis bald, Joe. Halt die Ohren steif.«

Als Mallory nach London weiterfuhr, fragte er sich, was Joe Mason wohl denken würde, wenn er über seine Beziehung mit Debbie Harper genauer Bescheid wüßte. Debbie war zwanzig und stammte aus dem West Country, aus guter Familie. Sie war unglaublich hübsch, eine ehemalige Klosterschülerin und sowohl amoralisch als auch unmoralisch. Wenn sie die Wahl treffen müßte, würde sie sich ohne zu zögern für letzteres entscheiden. Sie sagte, sie verstünde nicht, was amoralisch bedeute, und außerdem mache es ihr Spaß, unmoralisch zu sein. Na gut, vielleicht nicht immer, aber irgendwie müsse ein Mädchen schließlich sein Geld verdienen, nicht wahr? Wenn sie wissen wollte, warum er sie auch für amoralisch halte, fragte er sie wiederum, weshalb sie so gut wie immer lüge. Darauf lachte sie und behauptete achselzuckend, das sei ein Schutzmechanismus. Wenn man lüge, könne man seine Meinung ändern und alles umkrempeln. Sage man aber die Wahrheit, dann sei man daran gebunden. Man stecke fest. Aber seine Analyse war nicht fair, und das wußte er auch. Sie war liebevoll, großherzig und lebhaft. Außerdem machte sie viele Menschen glücklich. In den zwanziger Jahren wäre sie vermutlich eine Lebedame gewesen, in den Sechzigern der erste Swinger. Einmal hatte sie ihn dazu gebracht zuzugeben, daß ihre Art von Unmoral niemanden unglücklich mache. Was war so schlimm daran, mit jemandem zu schmusen? Damals hatten sie beide nackt auf seinem Bett gelegen, und wenn Debbie Harper nackt war, zerbrach sich kein Mann den Kopf über eine genaue Definition moralischer Standpunkte. Aber Mallory konnte aufrichtig sagen, daß es nicht nur um Sex ging. Er mochte sie, ihre herzliche, lebendige, optimistische und extrovertierte Art, und ihre Verletzlichkeit rührte ihn. Eine Verletzlichkeit, deren sie sich nicht einmal bewußt war.

Es fing an zu nieseln, als Mallory die Battersea Bridge erreichte. Er hielt an und klappte das Verdeck hoch. Als er wieder einstieg, nahm er ein Handtuch und legte es auf den Beifahrersitz. Sollte es richtig regnen, müßte er es über seinen Schoß breiten, damit seine Kleidung nicht naß wurde. Doch als er in Chelsea ankam, schien schon wieder die Sonne.

Er parkte den Wagen in der Nähe der Sloane Street, holte seine Reisetasche heraus und ging zu seiner Wohnung an der King’s Road. Sie lag über einem der wenigen alteingesessenen kleinen Läden, die die Mietpreisexplosion in Chelsea überstanden hatten. Dank der Gefälligkeit eines Mandanten seines Vaters wohnte er dort seit vier Jahren zu einer einigermaßen annehmbaren Miete.

Auf dem Anrufbeantworter waren zwei Nachrichten. Die erste war vom Diensthabenden im Century House. Mallory hatte am nächsten Morgen um elf Uhr einen Termin bei Daley. Die zweite Nachricht stammte von Debbie. Sie sei im Club zu erreichen, falls er sie sehen wollte.

Mallory fragte sich, warum Mike Daley ihn so dringend sprechen wollte. Bei Daley war immer alles dringend.

Er packte langsam aus, warf seine schmutzige Wäsche auf einen Haufen, stellte sein Rasierzeug und die Zahnbürste auf das Badezimmerregal und holte schließlich seine Notizbücher und den Kassettenrecorder heraus und legte sie auf den kleinen Schreibtisch am Erkerfenster. Dann ging er zum Telefon und wählte die Nummer des Crossfire Clubs. Ein Mann nahm ab. »Wer ist dran?« fragte er, als Mallory Debbie verlangte.

»Sagen Sie ihr, es ist Charlie.«

»Sie hat zu tun. Ich richte ihr aus, daß Sie angerufen haben.«

»Richten Sie es ihr gleich aus, und lassen Sie die Mätzchen.«

»Oder was?«

»Machen Sie keinen Scheiß, Louis. Sagen Sie ihr, daß ich sie gleich sprechen möchte.«

»Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Weil ich schon in diesen Club gekommen bin, als Sie noch Ersatzfahrer für Hymies Bande waren.«

»Ah, ja. Jetzt erkenne ich Ihre Stimme. Charlie, nicht wahr? Charlie Mallory.« Er lachte. »Der ehrenwerte Charlie Mallory. Sie ist vor einer Stunde weggegangen. Zum Friseur.«

»Wann kommt sie zurück?«

»Meine Güte, in zwei, drei Stunden – wer weiß?«

»Sagen Sie ihr, ich komme gegen neun vorbei.«

»Okay, Euer Hochwohlgeboren.«

Mallory legte auf. Was für Idioten! Die glaubten doch tatsächlich, die Leute hielten sie wegen eines italienischen Namens für Mafiosi. Bei den gutbürgerlichen Geschäftsleuten, die den Club der Mädchen wegen aufsuchten, wirkte das auch einigermaßen. Die bezahlten hemmungslos überhöhte Preise für miese Drinks, während die Mädchen ihnen für ein weiteres Glas Champagner alles versprachen, was sie wollten. Und wenn Louis und Tony am Tisch auftauchten, beglichen sie anstandslos ihre Rechnung. Bot man den beiden aber die Stirn, schrumpelten sie zusammen wie angestochene Luftballons. Sie nannten ihn »den Ehrenwerten«, weil er keinen Cockney-Akzent hatte und sie immer noch nicht genau wußten, ob er mit Debbie schlief oder nicht.

Er schaute auf seine Uhr. Er hatte keine Zeit mehr, sich mit seinem Vater zu treffen, bevor er zum Club ging. Das Gespräch mit ihm würde länger dauern, auch wenn er ihm nicht viel erzählen konnte. Aber es würde guttun, einfach mit ihm zu reden.

Erst in den letzten zwei Jahren war ihm wirklich klargeworden, wieviel er dem großen, liebenswürdigen Mann schuldete. Er hatte soviel Zeit, Mühe und Verständnis für den fünfzehnjährigen Jungen aufgebracht, der völlig schockiert gewesen war, als seine Mutter die Familie verlassen hatte, um in Kalifornien mit einem anderen Mann ein neues Leben anzufangen. Geduldig hatte ihm sein Vater erklärt, daß Menschen manchmal von Kräften getrieben würden, auf die sie keinen Einfluß hätten. Nie hatte er ein Wort der Kritik über die hübsche Frau verloren, die sie beide auf ihre Art geliebt hatten. Heute fragte sich Mallory, ob sein Vater deshalb so geduldig und verständnisvoll gewesen war, weil er als Anwalt auf Scheidungs- und Familienrecht spezialisiert war. Auch er mußte manchmal einsam und unglücklich gewesen sein, aber er hatte es sich nie anmerken lassen, sondern immer gelächelt und lustige Begebenheiten aus dem Gerichtssaal erzählt.

Sein Vater war enttäuscht gewesen, als Mallory die Universität nach nur einem Jahr verlassen und sich zum Militär gemeldet hatte, aber über seine Beförderung zum Offizier und die Versetzung zum militärischen Nachrichtendienst hatte er sich gefreut. Allerdings war er schockiert gewesen, als er ihm später mitteilte, daß er sich dem SIS angeschlossen habe. Offenbar hatte sein Vater einmal einen ehemaligen SIS-Agenten verteidigt, der mit der Gesellschaft in Konflikt geraten war. Seit damals hielt sein Vater den SIS sowohl für unaufrichtig als auch für vollkommen unzuverlässig. Mallory hatte seinem Vater erklärt, wie vielschichtig der SIS sei und daß sein Mandant vermutlich nur das bekommen habe, was er verdiente. Doch sein Vater wollte das nicht gelten lassen und wetterte seitdem gegen den SIS, wann immer die Rede darauf kam. Und er riet seinem Sohn, den Leuten vom Geheimdienst niemals zu trauen, ganz gleich, was sie sagten.

Seltsamerweise war sein Vater vom ersten Moment an von Debbie eingenommen gewesen. Sie war es gewohnt, die Phantasie der Männer anzuregen, und wußte, wie man Richter für sich einnahm, von Anwälten ganz zu schweigen. Eine flüchtige Erwähnung des Ursulinen-Konvents und ein sittsames Senken der langen Wimpern hatten gereicht, und als sie gingen, sorgte sie dafür, daß sein Vater hören konnte, wie sie zu Mallory sagte: »Dein Vater ist ein richtiger Schatz.« Der alte Herr hatte sie sogar nach Ascot mitgenommen und war von seinen Altersgenossen glühend beneidet worden. Vier von ihnen hatten sie wiedererkannt und sich tunlichst bemüht, ihrem Blick auszuweichen, während sie verstohlen ihre Begleiterinnen musterten.

Drecksarbeit

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