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8. KAPITEL

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Carter wollte gerade zu seinem Mercedes gehen, als ein BMW in die geschwungene Auffahrt vor dem Haus einbog. Er blieb stehen, schirmte die Augen vor der Sonne ab und wartete, wer der Besucher war. Der Mann, der aus dem Wagen stieg, war Tony Hughes, ein Major der 21. Army Group. Er kam lächelnd auf ihn zu und streckte die Hand aus.

»Haben Sie meine Nachricht bekommen?«

»Nein.«

»Oh, na ja, im Moment geht es in der 21. AG ein bißchen drunter und drüber. Wo können wir reden?«

»Gehen wir ins Haus. Möchten Sie einen Kaffee oder ein Sandwich?«

Hughes lächelte. »Beides, wenn möglich.«

Als sie in Carters Büro saßen, hatte es Hughes anscheinend nicht eilig, auf den Grund seines Besuchs zu sprechen zu kommen.

»Wie läuft es hier so?«

»Wir kommen klar – gerade eben.«

»Was würde Ihnen am meisten helfen?«

»Mehr Leute, und vielleicht eine bessere Aufgabenverteilung.«

»Was für Aufgaben?«

»Im Augenblick sind wir für das gesamte Entnazifizierungsprogramm verantwortlich, wir müssen die Flüchtlinge überprüfen, die Beschäftigten bei der Militärregierung und die für die örtliche Verwaltung vorgesehenen Deutschen, und wir müssen über die Moral und die Einstellung der Zivilbevölkerung Bericht erstatten. Ein Großteil davon sollte eigentlich unter die Zuständigkeit der Militärregierung fallen. Einer unserer Männer dort könnte denen beim Überprüfen ihrer eigenen Leute und der für die örtliche Verwaltung vorgesehenen Deutschen beistehen.«

»Eine großartige Idee. Ich schlage vor, wir machen es so. So. Und nun zu Ihren anderen Pflichten. Was kostet Sie die meiste Zeit?«

»Unser ursprünglicher Auftrag war die Entnazifizierung. Wir haben der 21. AG und dem 30. Corps über tausend Verdächtige geschickt. Das hat uns eine Menge Überstunden gekostet.« Er hielt inne. »Vielleicht sollte man darauf hinweisen, daß die Mehrzahl unserer Festnahmen aus offensichtlichen Gründen mitten in der Nacht stattfindet. Und jetzt geht fast die Hälfte unserer Zeit für die Überprüfung der Grenzgänger drauf. Folglich kommen wir mit der Entnazifizierung nur noch langsam voran. Bei der 21. AG hat man deswegen schon Bauchschmerzen. Außerdem haben sie Bauchschmerzen, weil die Grenzkontrolle so zeitaufwendig ist. Und sie beschweren sich über die geringe Anzahl mutmaßlicher Agenten, die wir enttarnen.«

Major Hughes lächelte. »Die 21. AG und das 30. Corps stehen unter demselben Druck wie Sie. Und überdies stecken auch noch die Politiker ihre Nase hinein.« Er schwieg kurz. »Wir möchten Sie abziehen. Wir brauchen Sie für etwas Wichtigeres.«

»Als da wäre?«

»Wir möchten, daß Sie eine grenzüberschreitende Operation in der sowjetischen Besatzungszone leiten. Alles in allem sind es vier Teams. Sie sollen den Raum Magdeburg übernehmen.«

»Warum ich?«

»Weil Sie bei der Infiltration der zurückgebliebenen italienischen Verbände in Afrika gute Arbeit geleistet haben.«

»Meine Güte, im Vergleich mit den Russen war der Einsatz gegen die Spaghettis ein Kinderspiel.«

»Möglich, aber wir müssen unbedingt erfahren, was sie vorhaben. Die Sache gefällt uns im Augenblick ganz und gar nicht. Aber wir können uns nur auf Gerüchte stützen, und die stammen auch noch von Leuten, die einen Panzer nicht von einem Mannschaftswagen unterscheiden können.«

»Wann soll ich anfangen?«

»Wir haben bereits einen Ersatzmann für Sie ausgeguckt – so schnell wie möglich also. Es wird eine Weile dauern, bis Sie ein Team zusammengestellt und ausgebildet haben.«

»Woher, zum Teufel, soll ich die Leute nehmen?«

»Wir haben etwa zwanzig Kandidaten, unter denen Sie Ihre Leute aussuchen können. Wir schlagen ein Netz mit nicht mehr als einem halben Dutzend Männern vor. Erst einmal abwarten, wie es läuft.« Er hielt inne. »Es ist ein freiwilliges Kommando. Keinerlei Auswirkungen auf Ihre Beförderungschancen, falls Sie ablehnen sollten.«

»Stehen die anderen Netze schon?«

»Nein. Wir wollten es erst mit Ihnen probieren.« Er lächelte. »Möchten Sie ein paar Tage Bedenkzeit?«

»Nein.« Carter zuckte mit der Schulter. »Wenn ich drüber nachdenke, mache ich vielleicht einen Rückzieher.«

»Es bedeutet, daß sich Ihre Entlassung um mindestens sechs Monate verschiebt, vielleicht sogar ein Jahr.«

»Ich habe mir noch keine Pläne fürs Zivilleben gemacht«, erwiderte Carter achselzuckend.

»Der SIS würde Sie mit Kußhand übernehmen, wenn Sie wollen.«

»Warten wir erst mal ab, wie sich die Sache hier entwickelt.«

Major Hughes blieb zum Dinner, und hinterher wollte er die Stadt gezeigt bekommen. Carter führte ihn zum Fluß, und als sie am Ufer entlanggingen, fragte ihn Hughes: »Wie sind die Einheimischen so?«

Carter lächelte. »Sie bezeichnen uns als die britische Gestapo. Eine wirklich erbärmliche Bande. Frauen denunzieren ihre Ehemänner. Anonyme Briefe, in denen man die Nachbarn verpfeift, weil man sich Hoffnung auf deren zwei Zimmer macht. Sie suchen nach wie vor nach allem, was eßbar ist. Dazu der übliche Schwarzmarkt, hauptsächlich Kaffee und Zigaretten.«

»Wie verhalten sich die örtlichen Truppen?«

»Etwas durchwachsen.«

»Wie funktioniert das Fraternisierungsverbot?«

Carter lachte. »Das hat nie funktioniert. Es war eine Schnapsidee.«

»Warum?«

»Nun ja, wir wollten damit zeigen, daß wir die Krauts viel zu sehr verachten, um auch nur ein Wort mit ihnen zu wechseln. Aber die haben ganz andere Sorgen, als sich an so etwas zu stoßen. Folglich lassen sich einige unserer Jungs mit den Einheimischen ein, um mal in andere Gesellschaft zu kommen, und sei es nur, damit einem jemand die Socken stopft. Andere vögeln wie verrückt herum, weil man für eine Schachtel Zigaretten alles bekommt, was das Herz begehrt.

Ich bitte Sie. Unsere Bande lernt schnell dazu, und die begreifen auch ohne die Schulung beim Army Education Corps, daß es keinen großen Unterschied zwischen den Einheimischen und ihren Leuten daheim in Liverpool und Birmingham gibt.«

»Trotz der Konzentrationslager?«

»Viel zu schrecklich, so daß es die meisten gar nicht fassen können. So ähnlich, wie wenn man von einem furchtbaren Erdbeben irgendwo in Südamerika hört. Psychologisch betrachtet, meine ich, die wollen es einfach verdrängen, weil sie einen Krieg überlebt haben und jetzt etwas erleben wollen.«

»Unternimmt die Militärregierung etwas, um der Bevölkerung die Sache mit den Konzentrationslagern klarzumachen?«

Carter blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüfte und starrte Major Hughes an.

»Hören Sie. Gott sei davor, daß ich jemals ein anerkennendes Wort für diese Schleimer bei der Militärregierung verliere.« Er holte tief Luft. »Wissen Sie, was die in diesem Kaff versuchen? Die versuchen, das Abwassersystem soweit in Ordnung zu bringen, daß kein Typhus ausbricht. Die versuchen, dafür zu sorgen, daß es nachts wenigstens zwei Stunden lang Strom gibt. Sie versuchen, die polnischen Flüchtlinge daran zu hindern, unschuldige Krauts wegen eines Laibes Brot umzubringen und aus Jux und Tollerei einfach ihre Frauen und Töchter zu vergewaltigen. Sie versuchen, Baracken für Obdachlose zu errichten. Sie versuchen, für die Leute, die in Löchern zwischen Schutthaufen hausen, Arbeit zu besorgen.« Er warf einen Blick zu seinem Vorgesetzten. »Und bei der 21. AG hat man keine anderen Sorgen, als sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man den Einheimischen die ganze Scheiße unter die Nase reiben kann, die ein paar verfluchte Psychopathen angerichtet haben. Ihre Leute sollten mal ein paar Wochen herkommen und sich anschauen, wie es hier aussieht. Hier holen sie immer noch die Leichen von Kindern aus den Ruinen zerbombter Häuser. Warum schaffen wir nicht die Bomberpiloten hierher oder in andere deutsche Städte, damit sie sehen, was sie angerichtet haben?«

»Sie haben auf Befehl gehandelt.«

»Wissen Sie, wir haben zig SS-Männer und -Frauen hopsgenommen, die als Wachpersonal in Auschwitz, Bergen-Belsen und Treblinka waren – und genau das haben sie auch alle gesagt: ›Ich war gezwungen. Befehl ist Befehl.‹ Ich habe es satt, mir diesen Quatsch anzuhören.«

»Wann waren Sie das letzte Mal auf Heimaturlaub?«

»Labern Sie mich nicht voll. Darauf kann ich verzichten. Ihr hockt in Bad Oeynhausen und führt ein angenehmes Leben. Ihr kümmert euch um die Probleme auf höchster Ebene. Um Demokratisierung und all das. Die Leute von der Field Security versuchen sich nur in der Scheiße zurechtzufinden, die übrigbleibt, wenn jemand einen Krieg verliert.« Er lachte kurz auf. »Tut mir leid. Bevor Sie den Deckel vom Topf genommen haben, wußte ich nicht einmal, daß mich diese Gedanken bewegen. Erzählen Sie mir lieber was von Willaby. Was ist mit ihm passiert?«

»Man hat ihn in die Kaserne zurückgeschickt. Unehrenhafte Entlassung, aber mit einem einigermaßen guten Zeugnis, damit er Arbeit bekommt.«

»Was hat er eigentlich getan?«

»Was haben Sie gehört?«

»Er soll irgendeinem Kraut ein Musikinstrument gestohlen haben.«

»Das Musikinstrument war ein Bechstein-Flügel, und er hat einen Piloten der Royal Air Force überredet, ihn mit einer Transportmaschine nach Großbritannien zu fliegen. Und zufällig war der Kraut, bei dem er ihn geklaut hat, ein Verwandter der holländischen Königsfamilie.«

Carter lachte leise. »Tja nun. Wie man uns schon in der Kaserne beigebracht hat: Die Zeit, die man zur Erkundung aufwendet, ist selten vergeudet.« Er hielt kurz inne. »Wir sollten lieber zurückgehen, sonst müssen Sie im Dunkeln fahren. Manchmal spannen sie hier in der Gegend Drähte zwischen den Bäumen. Gerade so hoch, daß einem Kradmelder der Kopf abgerissen wird, wenn er dagegen fährt. Und sie können auch eine Windschutzscheibe zertrümmern.«

»Nette Leute.«

»Das ist die Hitlerjugend. Und die ganzen Parteibonzen. Lauter alte Knacker um die Sechzig. Haben Schuldgefühle, weil sie nicht bei der Wehrmacht oder der Luftwaffe waren.«

»Allmächtiger Gott. Diese Kerle müssen wirklich krank sein.«

Sie gingen zum Haus zurück. Als sie in die Auffahrt einbogen, deutete Hughes mit dem Kopf auf einige Blütenpflanzen. »Hübsche Rhododendren haben Sie da.«

»Sind das welche? Sind mir noch nie aufgefallen. Normalerweise ist es dunkel, wenn wir von einer Razzia zurückkommen.«

»Halten Sie es immer noch für effektiver, sie mitten in der Nacht aufzugreifen?«

Carter grinste. »Und ob. Wenn man schlaftrunken und im Nachthemd einem hellwachen Uniformierten gegenübersteht, ist man schneller bereit zu plaudern. Was wir bei diesem ersten Verhör nicht rauskriegen, kriegen wir vermutlich überhaupt nicht raus.«

Als sie neben dem BMW standen, fragte Hughes: »Und Sie möchten es sich nicht noch anders überlegen?«

»Nein. Sie etwa?«

Hughes schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein. Ich bin froh, daß ich Sie habe. Sie sind genau der Richtige.«

In den folgenden Wochen hatte Carter wenig Zeit, über seinen neuen Auftrag nachzudenken, während sie weiterhin scharenweise Kriegsverbrecher aufspürten, festnahmen, sie verhörten und dann an die 21. Army Group überstellten. Noch schlimmer wurde es, als man in London beschloß, im September Zehntausende von deutschen Kriegsgefangenen freizulassen, nachdem sich die Militärregierung beklagt hatte, es gebe nicht genügend deutsche Männer, um die Ernte einzubringen, was wiederum hieße, daß trotz allgemeiner Hungersnot das Korn auf den Feldern faulen werde. Für die Field-Security-Einheiten bedeutete diese »Operation Barleycorn« noch mehr Arbeit.

Als die verschlüsselte Nachricht eintraf, er solle sich bei der 21. Army Group melden, gab es weder eine Feier noch eine Erklärung, nicht einmal eine offizielle Amtsübergabe an seinen Nachfolger. Er brach in den frühen Morgenstunden auf, als seine Leute noch die Verdächtigen verhörten, die sie über Nacht aufgegriffen hatten. In Hameln unterbrach er seine Fahrt für zehn Minuten und sprach kurz mit seinem Nachfolger. Als er in Bad Oeynhausen ankam, war es immer noch dunkel.

Der diensttuende Offizier brachte ihn zu einem gemütlichen Zimmer in einem der etwas abgelegeneren Häuser. Nachdem er zwei Stunden lang unruhig geschlafen hatte, sah ihn der Messekorporal auf dem Gelände herumlaufen und bot ihm ein Frühstück an.

Hughes holte ihn kurz nach neun ab und fuhr mit ihm zu einem großen Haus außerhalb der Stadt.

»Kennen Sie Colonel Stafford?«

»Nur dem Namen nach.«

»Er wird den ganzen Tag bei uns bleiben. Er leitet alle vier Operationen, und er wird Sie einweisen. Er versteht sein Geschäft, und er bleibt am Boden – keinerlei Bockmist.«

»So was hört man gern.«

»Er ist ausgesprochen ruhig und gesetzt, aber unterschätzen Sie ihn nicht. Er wurde für besondere Verdienste ausgezeichnet.«

Drecksarbeit

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