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3. KAPITEL
ОглавлениеDaley bedeutete Mallory, er möge sich setzen, während er weiter telefonierte. Suchend blickte er auf seinem mit Papieren übersäten Schreibtisch herum, schob schließlich mit einem Finger die Seite aus dem betreffenden Boulevardblatt zu Mallory und drehte sie so, daß dieser sie lesen konnte. Der Artikel war mit einem orangen Textmarker hervorgehoben, und Mallory, der mitbekam, wie Daley beim Telefonieren zunehmend ungehaltener wurde, las ihn. Schließlich knallte Daley den Hörer auf die Gabel.
»Das war Berlin. Kaum zu glauben. Die haben letzte Nacht am Savignyplatz zwei Typen aufgegriffen. Der eine war ein Dealer, und sie haben ihn mitsamt einem dicken Päckchen Heroin der Kripo übergeben. Sie haben die Polizei gebeten, den anderen als Komplizen festzuhalten, während sie seine Identität überprüfen wollten. Als sie wieder zur Kripo kommen, haben die ihn doch tatsächlich laufenlassen. Er war derjenige, den wir wollten. Eindeutig KGB. Diese Krauts glauben mehr an die Perestroika als die Russen.« Er schniefte. »Haben Sie das gelesen, ja?«
»Ja.«
»Nun, diesmal habe ich einen richtig beschissenen Auftrag für Sie, Charlie.«
»Danke.« Er lächelte. »Worum geht es?«
»Um diesen Zeitungsartikel über Exnazis, die ungeschoren herumlaufen. Könnte für den SIS problematisch werden. Nur im äußersten Fall, aber möglich wäre es.« Daley lehnte sich zurück. »Als die Deutschen kapitulierten, herrschte totales Chaos. Für unsere Jungs ebenso wie für die. Unsere Leute sollten Angehörige der Gestapo, des Sicherheitsdienstes, der Abwehr und die Parteibonzen dingfest machen, und darüber hinaus mußten sie auch noch die Entnazifizierung in unserer Besatzungszone durchführen.« Er zuckte mit der Schulter. »Folglich mußten unsere Leute Abstriche machen und, weil das die beste Methode war, ein paar der Böcke als Gärtner einsetzen.«
»Was soll das heißen?«
»Nazis benutzen, um Nazis zu fangen.«
»Und was ist daran falsch? Solange sie etwas liefern.«
»Nun, einige von ihnen waren möglicherweise Kriegsverbrecher. SS-Typen. Leute, die Tausende von Menschen in Konzentrationslager geschickt haben. Gott weiß, was die alles verbrochen haben. Es wurde unter den Teppich gekehrt. Aber jetzt, wo es längst vorbei ist, bekommen wir die Quittung dafür. Man will uns anklagen, weil wir Kriegsverbrecher geschützt haben. Sie davonkommen ließen, so daß sie nach Südamerika abhauen konnten.«
»Das ist doch eher das Problem der Südamerikaner.«
»Nicht in jedem Fall. Einige sind möglicherweise noch in Großbritannien. Wir haben drei Namen. Und wir möchten, daß Sie die Leute aufstöbern und uns einen Überblick geben.«
»Aber dafür sind der Special Branch und MI 5 zuständig, nicht wir.«
Daley seufzte. »Sagen Sie das bloß nicht. Denken Sie nicht einmal daran. Können Sie sich vorstellen, wie man sich bei MI 5 die Hände reibt und alles dem SIS anhängt? Wir haben derzeit zwar ein einigermaßen vernünftiges Verhältnis zueinander, aber die Versuchung wäre einfach zu groß für sie. Ein Wort zu einem Abgeordneten oder auch nur eine Andeutung gegenüber einem Journalisten, und im Nu bringt Panorama eine Sondersendung.«
»Aber all das ist doch über vierzig Jahre her, und außerdem war die Labour-Partei an der Macht, als es passierte.«
»Charlie, Sie verstehen das nicht. Die würden das so hinstellen, als hätten wir und die Regierung etwas verheimlicht. Wenn wir erklären, wir hätten nicht gewußt, was da passiert ist, dann heißt es, wir wären inkompetent. Wenn wir erklären, wir hätten es gewußt, dann sagen sie, es war eine Straftat und die Verantwortlichen müßten entweder gefeuert oder angeklagt werden. Ich möchte lediglich, daß Sie mich über die Fakten informieren.«
»Und es sind nur diese drei, die überprüft werden müssen?«
»Soweit uns bekannt ist. Vielleicht gibt es noch andere, aber die hier haben überlebt, und sie sind unseres Wissens die einzigen, die uns in Verlegenheit bringen könnten.«
»Bekomme ich Unterstützung?«
»Ihnen stehen alle Mittel zur Verfügung, aber kein Personal.«
»Und wann soll ich anfangen?«
»Jetzt.«
»Wie dringend ist es?«
»Ergebnisse sind wichtiger als Geschwindigkeit.« Daley machte eine kurze Pause. »Toby Young meinte, Sie könnten vielleicht bei diesem Fogarty herumschnüffeln, der den Artikel geschrieben hat.«
»Unmöglich. Das würde ihn nur aufschrecken. Wie oft wollen Sie einen Bericht?«
»Wöchentlich reicht, es sei denn, es gibt etwas wirklich Entscheidendes.«
»Darf ich Sie etwas fragen, Mike?«
»Sicher. Nur zu.«
»Warum setzen Sie mich darauf an? Habe ich etwas verbrochen?«
»Wie alt sind Sie, mein Junge?«
»Zweiunddreißig.«
»Das ist einer der Gründe, warum Sie das hier aufgedrückt kriegen. Sie waren damals nicht dabei und –« Daley lächelte. »Und ich kann Ihnen vertrauen. Reicht das?«
Lächelnd stand Mallory auf. »Ich glaube schon. Wer hat die Akten von den drei Leuten?«
Daley grinste und reichte Mallory zwei Schreibmaschinenseiten. »Akten gibt’s nicht. Da drin steht alles, was wir haben.«
Mallory warf einen kurzen Blick auf die beiden Seiten und schaute dann Daley an. »Was ist mit Fotos?«
»Haben wir nicht. Sie würden Ihnen sowieso nicht viel nützen. Die sind jetzt vierzig Jahre älter. Das heißt, falls sie überhaupt noch leben.«
Mallory schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und ging langsam zur Tür.
Auf dem Weg zu den Aufzügen fragte er sich, was man ihm verschwiegen hatte. Im ersten Monat seiner Grundausbildung hatten die Ausbilder ihnen eingetrichtert, daß sie niemandem trauen sollten. Alle logen. Die Lügen mochten harmlos sein oder nicht ins Gewicht fallen. Aber Lügen blieben Lügen, und Mallorys Mißtrauen setzte, wie bei vielen seines Ranges, vor der eigenen Tür ein. Direkt im Century House.
Mallory nahm die Unterlagen mit in seine Wohnung und setzte sich in die Küche. Bei Apfelsaft und Cheddarkäse auf Waffelbiskuits las er die Seiten dreimal, bevor er sich schließlich eingestand, daß er Hirngespinsten nachjagte. Die dürftigen Informationen betrafen fast ausnahmslos Ereignisse, die über vierzig Jahre zurücklagen. Alle späteren Angaben beruhten auf Vermutungen. Selbst die Kriegsverbrechen, die man ihnen unterstellte, waren nicht näher genannt. Er notierte sich zu jedem Namen die Fakten.
STEFAN WOLFF, geb. 17. Januar 1920, Osterrode (Harz), Niedersachsen. Trat 1939 der NSDAP bei. Ging 1939 zur Wehrmacht. 1940 zur Waffen-SS abgestellt. Diente an der Ostfront, danach als stellv. Befehlshaber einer Einsatzgruppe in Krakau stationiert. Verantwortlich für Massenfestnahmen von Juden und sog. Subversiven zum Abtransport nach Oswiecim (Auschwitz). Wird in einem CRASC-Dokument als Kriegsverbrecher aufgeführt. Vom britischen Sicherheitsdienst im September 1945 in Bremen verhaftet. Als Übersetzer angeworben und dann im Raum Hamburg als Informant eingesetzt. Nahm 1951 an einem Kameradschaftstreffen der Einheit in London teil. Vermutlicher Wohnort Birmingham, wo er als Wachmann bei Fisher & Ludlow arbeitete (wurde von Austin/Morris, jetzt British Leyland, übernommen).
ERICH KELLER, geb. 24. Oktober 1919 in Berlin. Vater Anwalt, Mutter Schauspielerin (Singspiel). Besuchte Kunsthochschule in Berlin. Arbeitete an städtischen Bühnen in Braunschweig und in Hannover. 1939 eingezogen und wegen seiner Sprachkenntnisse (Englisch, Französisch) vom Sicherheitsdienst übernommen. Diente erst in Berlin, dann in Amsterdam. Verantwortlich für Deportation von Juden und Nichtjuden (nach Bergen-Belsen und Mauthausen). Wurde 1945 von der 103. Field Security in Peine (bei Hannover) verhaftet und ins Hauptquartier nach Hildesheim gebracht. Wurde von der Einheit bis 1950 in nachrichtendienstlicher Tätigkeit eingesetzt, danach an die 21. Army Group in Bad Oeynhausen überstellt und vermutlich im Raum Helmstedt für grenzüberschreitende Operationen in der sowjetischen Besatzungszone verwandt. Keinerlei Aufzeichnungen vorhanden. Letztmals erwähnt, als er kanadische Papiere und möglicherweise Pension erhielt. Vermutlich mit Empfehlungsschreiben an Verantwortliche bei Radiosender nach Toronto ausgewandert. Kanadische Papiere wahrscheinlich echt, nicht gefälscht. Wurde laut Bericht Ende der 50er Jahre von zwei ehemaligen britischen Nachrichtendienstoffizieren unabhängig voneinander in London gesehen.
FRITZ DETTMER, geb. Januar 1914 in Frankfurt. Vor Eintritt in die Gestapo im Jahr 1937 keine Erkenntnisse. Mutter Schottin. Geboren in Edinburgh, Mädchenname Mclean, Doris. Dettmer war möglicherweise bei der Kriminalpolizei. In Prag und Warschau eingesetzt. Wird beschuldigt, in Auschwitz Zivilisten und Gefangene gefoltert zu haben. War dort für 8 (acht) Blocks zuständig. Später war er Assistent des Gestapochefs von Magdeburg. Als das 30. Corps sich zu der bei der Konferenz von Jalta vereinbarten Zonengrenze zurückzog, wurde Dettmer Zugang zur britischen Zone gestattet. Wurde von der Field Security für grenzüberschreitende Operationen in der sowjetischen Besatzungszone angeworben. Unterstand vermutlich KELLER, ERICH. 1952 wurde ihm Einreise nach Großbritannien gestattet. Vermutliches Ziel Glasgow oder Edinburgh. Keine weiteren Erkenntnisse. Besitzt vermutlich britischen Paß.
Mallory beschloß, nach Birmingham zu fahren und zu sehen, was er über Stefan Wolff herausfinden konnte. Er packte seine Tasche und hinterließ Debbie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter.
Er bog von der M1 auf die M45 ab, fuhr an Coventry vorbei und nahm schließlich die Hauptstraße nach Castle Bromwich. An einem Zeitungsladen ließ er sich den Weg zu der alten, neben den Dunlop-Werken gelegenen Fabrik von Fisher & Ludlow zeigen. Sie gehörte jetzt zu British Leyland.
Am Haupteingang hielt ihn ein Wachmann an, und Mallory fragte nach dem Chef des Sicherheitsdienstes. Der Wachmann telefonierte mit dem Werkschutz und zeigte ihm dann auf einer Karte der ausgedehnten Anlage, wo sich die Verwaltung befand. Mallory war von den Ausmaßen des Werkes verblüfft. Es war so groß, daß es über einen eigenen Busdienst verfügte.
Er stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab und ging zum Hauptgebäude. Die Empfangsdame rief beim Werkschutz an, und eine Sekretärin kam herunter und geleitete ihn zu einem Fahrstuhl. Sie führte ihn einen langen Korridor im zweiten Stock entlang und dann durch einen Raum, in dem etliche Angestellte an Überwachungsbildschirmen saßen, bis sie in ein Büro kamen, das offenbar nur als Konferenzzimmer benutzt wurde. Der Mann, der ihn dort erwartete, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Der Boß ist nicht da, aber vielleicht kann ich Ihnen helfen. Dem Ausweis nach zu schließen, den Sie an der Pforte vorgezeigt haben, sind Sie vom SIS.« Er lächelte. »Normalerweise haben wir es eher mit Spionen von der Konkurrenz zu tun.«
Mallory lachte. »Gibt’s da so viele?«
»Mein Name ist Jack Heyford. Setzen Sie sich doch.« Als Mallory Platz genommen hatte, sagte Heyford: »Früher hatten wir hier ziemlich viel Werksspionage, aber wir haben dem Management eine neue Idee unterbreitet, und zu unserer Überraschung sind sie darauf eingegangen. Wir laden unsere Konkurrenten jetzt zu einer Besichtigung ein. Ingenieure, Designer, Leute, die für die Produktionsabläufe zuständig sind – die ganze Bande. Und damit hat das Herumspionieren aufgehört.«
»Bestimmt ein ziemliches Risiko, was?«
»Eigentlich nicht. Unsere Philosophie lautet: Sollen sie sich ruhig umsehen. Falls sie etwas von uns abschauen, dauert es sechs Monate, bis sie es in die Praxis umsetzen können. Und in der Zeit machen wir es längst anders. Schneller, besser, billiger – alles, was Sie wollen. Unsere Produktionsleiter müssen sich für jedes Gerät rechtfertigen, das älter als ein Jahr ist. Unser Motto lautet: Alles, was wir anpacken, läßt sich verbessern, ganz gleich, was es ist.«
Mallory grinste. »Vielleicht ringt sich die Regierung irgendwann auch zu dieser Haltung durch. Dann können wir den SIS dichtmachen.«
»Netter Gedanke. Nun, was können wir für Sie tun?«
»Ich versuche einen Mann namens Wolff aufzuspüren. Stefan Wolff. Wir nehmen an, daß er hier als Wachmann arbeitete.«
»Wann?«
»Damals nannte sich die Fabrik noch Fisher & Ludlow.«
»Das ist lange her. Wahrscheinlich ist er jetzt in Rente. Wollen Sie warten, während ich das überprüfe?«
»Gern.«
Heyford gab jemandem telefonisch Anweisungen und legte dann auf.
»Wir haben vor ein paar Jahren den Großteil unserer Unterlagen auf Computer gespeichert. Mit etwas Glück wird es nicht lange dauern.«
»Womit haben Sie hier hauptsächlich zu tun?«
»Werkschutzaufgaben – gegen Spinner, die glauben, daß Autos die Umwelt verschmutzen. Bagatelldiebstähle und organisierter Diebstahl. Meistens Ersatzteile. Und gelegentlich, wenn es um subversive Elemente geht, arbeiten wir auch mit dem Special Branch in der Stadt zusammen. Aber Streiks sind nicht mehr das Problem, das sie einmal waren.«
Ein Mädchen brachte einen Computerausdruck herein. Heyford nahm das Blatt entgegen und las es sorgfältig durch, als sie wieder weg war. Dann blickte er zu Mallory auf.
»Ihre Informationen waren richtig, Mister Mallory. Er hat hier gearbeitet. Scheint ein vorbildlicher Angestellter gewesen zu sein. Vor drei Jahren in Rente gegangen. Er ist vor fast genau einem Jahr gestorben. Seine Witwe erhält bis jetzt die übliche Betriebsrente. Anscheinend hatte er kurz hintereinander zwei Schlaganfälle und starb ein paar Stunden nach der Einlieferung ins Stadtkrankenhaus.«
»Wurde der Tod beglaubigt?«
»Ja. Wir haben den Befund des Hausarztes und eine Fotokopie des Totenscheins. Und einer unserer Mitarbeiter nahm an der Beerdigung auf dem Witton-Friedhof teil.«
»Haben Sie die Anschrift der Witwe?«
»Ja. Sie wohnt immer noch unter ihrer alten Adresse. Mere Road zweihundertfünf in Erdington – nicht weit von hier.«
Mallory notierte sich die Adresse. »Kann ich eine Fotokopie des Totenscheins bekommen?«
»Selbstverständlich.«
Das Haus an der Mere Road lag direkt hinter einer Hügelkuppe. Es war ein viktorianisches Backsteinhaus mit Erkerfenstern im Erdgeschoß und ersten Stock und einem ausladenden, über mehrere Treppenstufen zugänglichen Podest vor der mit bunten Glasfenstern und einem schweren Messingklopfer versehenen Haustür.
Die Frau, die die Tür öffnete, wischte sich die Hände an der geblümten Schürze ab. »Was wollen Sie?« fragte sie mit ausdrucksloser Miene.
»Sind Sie Mrs. Wolff?«
»Ja. Und wer sind Sie?«
»Könnten wir vielleicht kurz über Ihren verstorbenen Gatten reden?«
»Kommen Sie von der Prudential? Wegen der Versicherung?«
»Nein. Ich wollte nur von Ihnen wissen, wie Sie ihn kennengelernt haben und wie er so war.«
»Wozu wollen Sie das wissen?« Sie klang mißtrauisch.
»Aus rein persönlichem Interesse.«
»Haben Sie ihn gekannt?«
»Ich kannte ihn über andere.« Er lächelte. »Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.«
Sie zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Aber machen Sie schnell. Ich muß in einer Stunde weg, putzen gehen.«
Sie führte ihn einen schmalen Flur entlang und öffnete die Tür zu einem Zimmer, in dem eine dreiteilige, mit Staubschonern abgedeckte Sitzgarnitur stand. Sie nahm die Schonbezüge von zwei Armsesseln, faltete sie ordentlich zusammen und deutete auf einen der Sessel. Dann nahm sie die Schürze ab und setzte sich gegenüber von Mallory hin.
»Wo haben Sie Ihren Mann kennengelernt?«
»Im Clubheim an der Slade Road. Droben bei Stockland Green. Bingo und Tanzen, wie in der guten alten Zeit.« Sie lächelte. »Er war der beste Tänzer dort, obwohl er nicht mehr der Jüngste war.«
»Hat er damals schon bei Fisher & Ludlow gearbeitet?«
»Nein. Er war als Kassierer für die Prudential tätig. So sind wir an unsere Versicherung gekommen. Kurz vor unserer Hochzeit ist er dann in die Fabrik gegangen. Hat gesagt, die Arbeit würde besser bezahlt und wäre interessanter. Aber mit dem Fahrrad war es ein weiter Weg bis zur Tyburn Road.«
»Ist er in Birmingham geboren?«
»O nein. Er ist irgendwo in Deutschland geboren. Ich glaube, er war ein Flüchtling. Ist kurz vor dem Krieg rübergekommen. Bei Kriegsausbruch wurde er interniert. Feindliche Ausländer hat man damals dazu gesagt. Hat im Bergwerk gearbeitet, und als es dann vorbei war, ist er hierher gekommen, nach Birmingham. Hat den Job bei der Prudential gekriegt. Sie haben große Stücke auf ihn gehalten, wirklich. Er konnte mit den Leuten umgehen. Hat sich nie beschwatzen lassen von wegen ›Ich zahle nächste Woche‹ und so.«
»Haben Sie ein Foto von ihm?«
Sie lächelte und deutete auf ein gerahmtes Foto, das auf dem Klavier hinter ihm stand. Er hatte ein seltsam altmodisches Gesicht. Schwarze, glatt nach hinten gestriegelte Haare, dunkle Augen mit buschigen Brauen und tiefe Furchen von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln. Es war ein arrogantes Gesicht. Und er hatte ihr offensichtlich einen Haufen Lügen erzählt.
»Ein gutaussehender Mann, Mrs. Wolff.«
»Das war er bestimmt.« Sie lächelte. »Er hatte auch ein Auge für Frauen. Die waren alle ganz wild auf ihn.«
»War er ein guter Ehemann?«
»O ja.«
»Haben Sie Kinder?«
»Nein. Er hat gesagt, damit lädt man sich zuviel Verantwortung auf, so wie es heute in der Welt aussieht.«
»Nun denn, danke, daß Sie soviel Zeit erübrigen konnten, Mrs. Wolff.«
»Wozu waren die eigentlich, die ganzen Fragen?«
Lächelnd stand Mallory auf. »Reine Neugier. Ich wollte mehr über einen Mann erfahren, von dem ich bislang nur gehört hatte.«
Sie wirkte immer noch mißtrauisch, brachte ihn aber höflich zur Tür.
Es dauerte vierzig Minuten, bis er auf dem riesigen, weitläufigen Friedhof das Grab fand. Auf dem Stein aus poliertem Granit stand lediglich: Stefan Wolff, 1917-1984. Das Geburtsjahr entsprach nicht den Angaben in seinen Unterlagen, aber das konnte ein Flüchtigkeitsfehler sein. Schließlich handelte es sich nur um eine eher unwichtige SIS-Akte. Oder gehörte das zu Wolffs Täuschungsmanövern? Auch ohne eine Exhumierung konnte er ihn getrost von der Liste streichen.