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Donnerstag, 15. Mai, 11:00 Uhr

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Jan führte den Schlüssel ins Schloss. Mit einem metalli­schen Klicken bewegte sich der Riegel zur Seite und gab die Tür frei. Er ließ den Schlüssel in seine Hosentasche gleiten und betrat das Appartement, das in den vergangenen acht Jahren mehr oder weniger sein Zuhause gewesen war.

Zügig durchschritt er das Zimmer und öffnete das große Fens­ter sowie die sich davor befindenden Schlagläden, sodass augenblicklich Licht in den Raum fiel. Anschließend holte er flink seine große Sporttasche unter dem Bett hervor, öffnete den Klei­derschrank und blickte in den gerade einmal zur Hälfte gefüllten Stauraum. Mit zügigen Bewegungen griff er wahllos seine Kleidung und legte diese ohne jegliche Ord­nung in die Tasche. Um nicht rührselig zu werden, wollte er den Raum so schnell wie möglich wieder verlassen.

Nachdem er sich eine kurze blaue Hose und ein wei­ßes Hemd angezogen sowie den Schrankinhalt eingepackt hatte, hielt Jan kurz inne: Er wunderte sich darüber, dass er offensichtlich nicht viel Kleidung benötigte. Vor über acht Jahren hatte er in Deutschland nur das Nötigste für einen Sommer eingepackt und sich in ein Abenteuer aufgemacht, von dem er nicht wusste wohin es ihn führen würde. Er war mit seiner Sporttasche nach Mallorca gefahren und in dieses Appartement gezogen. Nun zog er mit derselben Tasche wieder aus und machte sich erneut auf einen Weg, von dem er nicht wusste, wohin er ihn führen würde.

Jan ging ins Bad, wo er sich die Waschutensilien griff und sie in seinen Kulturbeutel steckte. Nachdem er sich kurz umgeschaut hatte, um sicher zu gehen, dass er nichts vergessen hatte, ging er zurück in den Wohnraum. Er setzte sich auf die Bettkante, nahm die Tasche und ver­staute den Kulturbeutel darin. Anschließend beugte er sich zum Nachttisch hinüber und öffnete dessen oberste Schublade. Mit einem Griff hob er den gesamten Inhalt heraus und legte ihn auf das Bett. Es war nicht viel: Sein Ausweis, etwas Kleingeld, ein paar Fotos seiner Familie, seine Armbanduhr und ein Buch. Er nahm die Gegen­stände und verstaute alles in der Tasche. Als er gerade deren Reisverschluss schließen wollte, fiel sein Blick auf die Uhr. Achtsam nahm er diese noch mal heraus und betrachtete sie. Sie war golden mit einem schlichten perl­muttfarbenen Zifferblatt sowie schmalen, filigranen Zahlen und Zeigern. Vorsichtig rieb er mit seinem rech­ten Daumen den Staub vom Glas und von dem schwarzen Krokodillederarmband. Er drehte die Uhr um und schaute auf die Gravur auf der Rückseite: ‚25 Jahre Clouth Gum­miwerke Köln‘.

Jans Gesichtszüge wurden weich und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Sein Großvater hatte die Uhr zu seinem fünfundzwanzigjährigen Firmenjubiläum erhalten und danach bis zu seinem Tod täglich getragen. Jan erinnerte sich an das allabendliche Ritual seines Groß­vaters, wenn dieser, bevor er ins Bad ging, die Uhr abnahm, sie aufdrehte und anschließend neben seine Brille auf den Wohnzimmertisch legte.

Sein Großvater war einer der Menschen, die ihn am meisten geprägt hatten. Wenn Jan als Kind oder Jugendli­cher Probleme oder Sorgen hatte, war er zu ihm gegangen. Durch sein Alter und seine Lebenserfahrung hatte der alte Mann stets große Selbstsicherheit und Ruhe ausgestrahlt. Für Jan war sein Großvater der Fels in der Brandung gewesen. Dieser hatte immer die richtigen Worte gefun­den, um ihn auch in schwierigen Momenten wieder aufzu­bauen. Und immer wieder hatte er Jan darauf aufmerksam gemacht, dass alles im Leben seinen Zweck hat und dass auf Niederlagen wieder Erfolge kommen.

Sein Großvater war immer stolz auf ihn gewesen und hatte große Hoffnungen in seinen Enkel gesetzt. Jan fragte sich, was dieser wohl heute von ihm denken würde. Er war vierunddreißig Jahre, hatte keinen Job, keine Familie, einen dreizehn Jahre alten Fiat, knapp 1.600 Euro in der Tasche und kaum Ersparnisse auf dem Konto. Jan erfasste tiefe Traurigkeit. Sein Großvater hatte ihn ohne Wenn und Aber geliebt, auch dann, wenn er etwas angestellt hatte. Und er war sich sicher, dass sein Großvater ihn auch heute mit vierunddreißig und ohne Perspektive lieben würde. Wie oft hatte er den alten Mann sagen hören: „Junge, das Leben ist kein Wunschkonzert. Du solltest aber darauf achten, dass es meistens eines ist. Und sollten deine Wün­sche dennoch mal nicht in Erfüllung gehen, ärger dich nicht: Viele vermeintliche Misserfolge haben sich später als großer Segen herausgestellt!“

Jan legte sich aufs Bett, betrachtete die Uhr und dachte an seinen Großvater. Irgendwann überwältigte ihn die Müdigkeit und er fiel in einen unruhigen Schlaf.


Seelenverkäufer - Ein Mallorca-Krimi

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