Читать книгу Seelenverkäufer - Ein Mallorca-Krimi - T.F. Düchting - Страница 7
Donnerstag, 15. Mai, 15:00 Uhr
ОглавлениеUrplötzlich sackte das Flugzeug in ein Luftloch. Einige Passagiere schrien leise auf und Kinder johlten, als wenn sie in einem Fahrgeschäft auf der Kirmes säßen. Einen Moment später fing sich die Maschine wieder, begann aber deutlich zu schwanken, als eine Böe sie seitlich erfasste.
Lauenburg blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Die Landschaft, die Gebäude in der Ferne und die Höhen des Tramuntana-Gebirges rasten vorbei, ohne dass er sie wirklich registrierte. Erst als die Reifen aufsetzten und Maschine sowie Passagiere durchgeschüttelt wurden, wurde ihm wieder bewusst, wo er sich befand. Kaum eine Sekunde später heulten die Turbinen auf und das Flugzeug begann unter ihrer Kraft zu vibrieren.
Lauenburg schaute die Frau neben sich an, der man die Anspannung deutlich ansah. Erst als die Maschine abbremste, das Heulen der Turbinen erstarb und das Flugzeug mit gemäßigter Geschwindigkeit die Landebahn entlang fuhr, entspannte sie sich wieder.
„Puh, war das ein unruhiger Flug. Ich bin selten so durchgeschüttelt worden. Ihnen scheint das ja alles nichts auszumachen“, sprach sie ihn an.
Lauenburg schloss die Augen für einen Moment, hob einen der Mundwinkel zu einem schiefen, unechten Lächeln und schwieg. Dann blickte er wieder nach vorne und schaute sich in der Kabine um. Er konnte und wollte jetzt keinen Smalltalk halten.
Verwundert stellte er fest, wie sehr er fror. Er hatte eine Gänsehaut, war sich aber nicht sicher, ob es an der Klimaanlage lag oder die Kälte von innen kam. Interessiert schaute er die anderen Fluggäste an. Die meisten von ihnen trugen T-Shirts, Hemden oder, wie die Dame neben ihm, einfach nur ein Bluse. Sie alle schienen nicht zu frieren. Lauenburg spürte, dass die vergangenen Wochen extrem anstrengend für ihn gewesen waren und er zu wenig Schlaf bekommen hatte. Zwar schlief er nie mehr als fünf Stunden pro Nacht, weil er viel unterwegs war oder ihn die Arbeit bis in den späten Abend hinein an den Schreibtisch fesselte. Wenn er sich dann hinlegte, fiel er aber sofort in einen tiefen, erholsamen Schlaf, der die ganze Nacht anhielt. Dies war ihm nun bereits seit einiger Zeit nicht mehr vergönnt. Er schlief zwar immer noch recht schnell ein, kam aber nicht wirklich zur Ruhe. Gedanken schossen auch im Schlaf durch seinen Kopf und führten dazu, dass er sich unruhig hin und her wälzte und immer wieder wach wurde.
Der Lärm um ihn herum holte ihn in die Gegenwart zurück. Das Flugzeug war zum Stillstand gekommen und die Passagiere waren aufgestanden und holten ihr Gepäck aus den Fächern über den Sitzreihen. Obwohl er in der dritten Reihe saß, wartete er, bis fast alle Fluggäste die Maschine verlassen hatten. Dann stand er auf, trat in den Gang und griff sich sein Sakko aus dem Gepäckfach. Ursprünglich hatte er dieses fein säuberlich auf sein Handgepäck gelegt, damit keine Falten entstehen konnten. Offensichtlich war es aber von seiner Tasche heruntergerutscht und einer seiner Mitreisenden hatte anschließend sein Gepäck darauf gestellt, sodass nun deutliche Knickfalten zu sehen waren. Normalerweise hätte Lauenburg sich darüber geärgert – heute nicht. Es gab wichtigere Dinge im Leben als Falten in Sakkos. Er streifte dieses über, nahm sein Handgepäck und ging zum Ausgang. Dort angekommen konnte er sehen, wie die Flugbegleiterinnen mit den letzten Handgriffen beschäftigt waren und es sich bereits etwas bequemer machten. Eine von ihnen schaute kurz auf, brachte sich in Positur und schenkte ihm ein typisches „Stewardessenabschiedslächeln“. Sie wünschte ihm einen schönen Aufenthalt und einen erholsamen Urlaub. Lauenburg zog erneut nur seinen rechten Mundwinkel leicht hoch, dann verließ er als letzter Gast das Flugzeug.
Mit etwas Mühe schritt er den Finger hoch, der die Maschine mit dem eigentlichen Flughafengebäude verband. Umgehend wurde ihm warm, da die Sommersonne die Gangway aufgeheizt hatte. Er spürte seinen trockenen Mund und hatte das Gefühl, komplett dehydriert zu sein.
Endlich erreichte er das Flughafengebäude. Lauenburg sah sich nach dem Wegweiser zur Gepäckausgabe um und bewegt sich langsam in die ausgewiesene Richtung. Nach wenigen Metern hielt er inne, legte seine Tasche ab und zog sein Sakko wieder aus. Während er sich umständlich aus diesem schälte, blickte er auf den Boden. Der glatte Stein spiegelte sich im hellen Sonnenlicht und Lauenburg dachte bei sich, dass er irgendwie feucht aussah und Kühle suggerierte. Die versprochene Abkühlung war aber nur eine Fata Morgana.
Angestrengt nahm er sein Handgepäck wieder auf und setzte sich in Bewegung, bis er nach einigen Metern eines der Laufbänder erreichte. Erleichtert ließ er sich von ihm in Richtung Ausgang tragen. Dabei schaute er aus dem Fenster und sah in einigen Metern Entfernung Flugzeuge verschiedener Airlines stehen, angedockt an den Gangways. In der Ferne schwebte langsam eine weitere Maschine mit ausgefahrenen Landeklappen herein. Einen Moment später berührten ihre Reifen die Rollbahn, auf der die Nachmittagshitze die Luft über dem Asphalt zum flimmern brachte. Augenblicklich hört er das Aufheulen der Triebwerke bei der Schubumkehr, mit der die Piloten die Maschine abbremsten.
Nachdem Lauenburg noch einige Male die Laufbänder, die Richtungen und das Stockwerk gewechselt hatte, erreichte er endlich den Bereich der Gepäckausgabe. Er orientierte sich kurz und ging anschließend zu dem seinem Flug zugewiesenen Band mit der Nummer Zehn. Dort drängten sich bereits andere Passagiere und warteten darauf, dass endlich ihre Gepäckstücke ausgespuckt wurden. Lauenburg ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen und erkannte den einen oder anderen Mitreisenden.
Erleichtert, dass er am richtigen Laufband stand, nahm er auf einer der Sitzgarnituren Platz. Umgehend nahm die Müdigkeit wieder Besitz von ihm und er schloss die Augen. Als sein Kopf nach vorne wegsackte, schreckte er auf. Lauenburg fragte sich, ob er wohl eingeschlafen war. Müde schaut er sich um und stellte fest, dass sich die Gruppe am Gepäckband bereits deutlich gelichtet hatte. Er musste tatsächlich einige Minuten geschlafen haben.
Um nicht erneut einzunicken, erhob er sich, ging zu dem Band und hielt nach seinem Gepäck Ausschau. Nur noch wenige Taschen und Koffer drehten ihre Runden, sodass er seinen Trolley direkt entdeckte, der sich von ihm weg bewegte. Lauenburg ließ ihn laufen und wartete darauf, dass er wieder bei ihm vorbeikam.
Seine Augen folgten dem Koffer, der nicht allzu groß war und nur das Nötigste für einige Tage enthielt. Er fragte sich, warum er ihn nicht als Handgepäck mit an Bord genommen hatte, wie er es üblicherweise bei seinen Geschäftsreisen tat, um lange Wartezeiten an den Gepäckausgaben zu vermeiden. Unter normalen Umständen wäre er schon lange aus dem Flughafengebäude heraus – aber derzeit war nichts normal.
Lauenburg spürte ein flaues Gefühl im Magen, das sich mit seiner Müdigkeit zu einem emotionalen Cocktail vermischte, der ihn zutiefst verunsicherte. Er, der immer souveräne Manager, fühlte sich unsicher und schwach – ein Gefühl, das er so bisher nicht kannte, das ihn in der letzten Zeit aber öfter ereilte. Erleichtert stellte er fest, dass sich sein Gepäck auf dem Kofferband endlich näherte und er dadurch aus seinen Gedanken gerissen wurde.
Lauenburg bewegte sich einige Schritte auf das Band zu, nahm seinen Trolley und machte sich auf den Weg in Richtung Ausgang. Als er diesen passiert hatte, geriet er in eine Gruppe Mallorquiner, die offensichtlich auf ihre Angehörigen wartete. Um sie herum standen zahlreiche Angestellte der großen Reisanbieter, die Schilder hochhielten und den Urlaubern den Weg zu den Transferbussen erklärten.
Er ging an diesen vorbei, durchschritt den Ankunftsbereich und trat nach draußen auf den großen Platz zwischen Terminal und Flughafenparkhaus. Er hielt sich rechts, während er im Vorbeigehen das geschäftige Treiben beobachtete. Reisende bewegten sich hektisch auf ihre Transferbusse zu, als wenn sie fürchteten, dass diese ohne sie aufbrechen würden. Andere Touristen sprachen mit Reiseleitern, die ihnen den Weg zu ihrem Bus zeigten, während die Fahrer mit geübten Handgriffen Gepäckstücke in den Kofferräumen ihrer Fahrzeuge verschwinden ließen.
Als Lauenburg den Taxistand erreicht hatte, ging er zum vordersten Wagen, verstaute sein Gepäck, ohne auf den Fahrer zu warten, im Kofferraum und nahm anschließend im Fond des Fahrzeuges Platz.
„Einmal nach El Arenal, in den Carrer Maria Antònia Salvà, bitte“, sagte er ohne weitere Begrüßung.
Der Fahrer nickte kurz, legte den Gang ein und lenkte seinen Wagen in Richtung der Platja de Palma.
*
Jan fuhr hoch, als er aus einem unruhigen Schlaf erwachte. Er wischte sich mit der Hand durchs Gesicht und schaute sich orientierungslos um, bis ihm bewusst wurde, dass er sich in seinem alten Appartement befand.
Sein Blick fiel auf die Uhr seines Großvaters, die neben ihm auf das Bettlaken gerutscht war. Offensichtlich hatte er mehrere Stunden geschlafen, auch wenn er sich immer noch nicht besser fühlte. Jan nahm die Uhr, legte sie um sein Handgelenk und schloss das Armband. Anschließend schwang er seine Beine aus dem Bett, stand wackelig auf und ging ins Bad. Er betrachtete sich im Spiegel und stellte fest, dass er trotz der zusätzlichen Stunden Schlaf immer noch müde und matt aussah. Um dem entgegen zu wirken, spritze er sich kaltes Wasser ins Gesicht, musste aber nach dem Abtrocknen feststellen, dass auch das nicht geholfen hatte.
Resigniert verließ Jan das Bad und kehrte in den Wohnraum zurück, griff seine Sporttasche, holte den Appartementschlüssel aus der Hose und warf ihn mit einer lässigen Bewegung auf das Bett. Er hatte keine Lust, ihn noch im Hotel vorbeizubringen und insbesondere wollte er seinen ehemaligen Chef nicht noch mal sehen.
Nachdem er das Appartement verlassen hatte, sprang er die Stufen der Treppe hinunter und trat auf die Straße. Gegenüber vom Haus stand sein ‚italienischer Sportwagen‘ – ein dreizehn Jahre alter Fiat Punto in Ferrari-rot. Auch wenn dieser schon in die Jahre gekommen war und zahlreiche Kratzer sowie Beulen aufwies, liebte er diesen Wagen. Daran konnte auch nichts ändern, dass der Motor nur schwerlich und manchmal auch gar nicht ansprang. Er besaß den Fiat nun fast eine Dekade und erinnerte sich immer gerne daran, wie er mit diesem vor acht Jahren von seiner Heimatstadt Köln bis nach Barcelona gefahren war, um von dort aus mit einer Fähre nach Mallorca überzusetzen.
Jan hatte auf dem Weg ein unbeschreibliches Gefühl der Freiheit verspürt, für ihn war die Fahrt ein Aufbruch in ein Abenteuer und in eine spannende, vielversprechende Zukunft gewesen. Zudem hatte er sein altes Leben, die Enttäuschungen und das daraus resultierende schlechte Gewissen seinen Eltern gegenüber hinter sich lassen können.
Sie waren so stolz auf ihn gewesen, als er nach dem Abitur mit dem Jurastudium in Bonn begonnen hatte. Für sie standen Berufe wie Richter oder Anwalt für Seriosität, Ansehen, Erfolg und finanzielle Sicherheit. Und seine Eltern hatten sich mehr als alles andere gewünscht, dass es ihm und seinen Geschwistern irgendwann mal besser als ihnen gehen würde.
Jan wusste, dass es ihnen finanziell nicht leicht gefallen war, ihm sein Zimmer und die Ausbildung zu finanzieren. Entsprechend hatte er sich schwer damit getan, das Studium abzubrechen, obwohl er schon nach wenigen Semestern gewusst hatte, dass dies nicht seine Berufung war und ihm keinen Spaß machte. Die juristische Wortklauberei war ihm auf die Nerven gegangen und die Arbeit mit Gesetzen und Texten hatte ihn gelangweilt. Um dem zu entkommen, hatte er sehr viel Zeit im Fitnessstudio sowie beim Hochschulsport verbracht und war so seiner eigentlichen Passion nachgegangen. Nachdem er nach dem vierten Semester erst seinen ersten ‚kleinen Schein‘ gehabt hatte, hatte er die Entscheidung gefällt, das Studium zu beenden.
Seine Mutter hatte Tränen in den Augen, als er seinen Eltern den Entschluss mitgeteilt hatte. Und sie hatte verzweifelt versucht, ihn zur Fortsetzung des Studiums zu bewegen. Schlimmer war allerdings, dass sein Vater kein Wort gesagt hatte. Schweigend war dieser aufgestanden, hatte ihm auf die Schulter geklopft und war dann ohne ein weiteres Wort nach draußen in den Garten gegangen. Es hatte Jan fast das Herz gebrochen, zu spüren, wie sehr er seinen Vater enttäuscht hatte. Nie wieder hatten sie danach über seine berufliche Situation gesprochen und er hatte seine Eltern auch nie wieder um finanzielle Unterstützung gebeten.
Nach der Beendigung des Jurastudiums war er zurück nach Köln gezogen und hatte ein Sportstudium begonnen. Um dieses finanzieren zu können, hatte er tagsüber als Fitnesstrainer in einem Studio und an den Wochenenden in einer Kneipe auf der Zülpicher Straße, einer von Kölns Feiermeilen, gearbeitet. Aufgrund dessen hatte er erneut sein Studium vernachlässigt und war, da er die geforderten Leistungen nicht erbracht hatte, nach sechs Semestern zwangsexmatrikuliert worden.
Damals hatte er vor der Entscheidung gestanden, entweder als Fitnesstrainer oder als Kellner weiterzuarbeiten oder etwas ganz anderes zu machen. Jan hatte sich kurzentschlossen für das Abenteuer und einen neuen Weg entschieden: Direkt nach der Exmatrikulation hatte er sich als Animateur beworben und war, nachdem er die Zusage erhalten hatte, mit seinem Fiat in sein neues Leben aufgebrochen.
Mit den Gedanken im Kopf ging Jan zu seinem Wagen, öffnete den Kofferraum und warf seine Tasche hinein. Er ließ die Klappe ins Schloss fallen und machte sich erneut zu Fuß auf den Weg zu Inés.
*
„Da bin ich wieder“, rief Jan, als er erneut das ‚Bon Vivant‘ betrat. Die Bar war immer noch nahezu leer und neben ein paar Gästen auf der Terrasse, saßen nur Inés und ihre vier Jahre jüngere Schwerster Maria an einem der Tische im inneren. Die beiden Frauen schauten ihn an und begrüßten ihn mit einem freundlichen ‚Hola‘.
„Du siehst aber nicht gut aus, geht es dir nicht gut?“, fragte Maria.
„Er hat einfach wieder zu lange gefeiert, das hinterlässt selbst beim schönen Jan irgendwann Spuren“, warf Inés mit einem schelmischen Lächeln ein.
Jan hatte keine Lust auf den Seitenhieb einzugehen, geschweige denn zu berichten, was er in der vergangenen Nacht getrieben hatte. „Kann ich bitte ein Bier haben?“
„Oh, du fängst heute aber früh an. Klar, bediene dich einfach. Du weißt ja, wie es geht“, antwortete Inés und wandte sich dann wieder ihrer Schwester zu. Die beiden Frauen waren schnell wieder in ihrem Gespräch vertieft und sprachen Mallorquin in einer Geschwindigkeit, der Jan kaum folgen konnte. Und da er immer noch nicht richtig fit war, hatte er auch keine Lust sich zu bemühen. Er ging um die Theke herum, griff sich einen Krug und ließ den goldenen Gerstensaft hineinlaufen. Nachdem das Glas bis zum Rand gefüllt war und sich eine schöne Schaumkrone gebildet hatte, hob er es auf Augenhöhe und betrachtete sein Meisterwerk. Jan war zufrieden, er nahm einen tiefen Schluck und betrachtete die beiden Schwestern, die inzwischen noch intensiver in ihr Gespräch vertieft waren.
Maria lachte laut auf und warf ihre Haare in den Nacken. Sie war Mitte zwanzig, hochgewachsen, schlank und hatte lange braune Haare und ein ebenmäßiges Gesicht. Objektiv betrachtet war sie eine absolute Schönheit, aber aus Jans Sicht eben ‚nur‘ schön.
Seine Augen wanderten zu ihrer großen Schwester und sein Blick wurde deutlich weicher. Liebevoll betrachtete er Inés. Sie hatte ihre Beine übereinander geschlagen und er konnte sehen, wie sich ihr freischwebender Fuß auf und ab bewegte. Wenn Inés sprach, dann sprach sie mit jeder Faser ihres Körpers. Mimik, Gestik und Haltung unterstrichen jeden Satz, jedes Wort, jeden Buchstaben. Jan lächelte. Plötzlich bemerkte er, dass sich Inés‘ Fuß nicht mehr bewegte und dass es in der Bar absolut still geworden war.
„Jan, ist da irgendetwas unter dem Tisch?“, fragte Maria mit einem ironischen Unterton.
Kurz hatte er das Gefühl rot anzulaufen, was ihm eigentlich seit der Pubertät nicht mehr vorgekommen war – aber bei Inés war eben alles anders. „Ne, sorry! Ich hab gerade meinen Gedanken nachgehangen.“
„Wirklich?“
„Na ja, … es wird einem ja nicht täglich gekündigt“
„Oh, pardon! Das wusste ich nicht“, antwortete Maria sichtlich betroffen, während Inés aufsprang und zu Jan hinter die Theke ging. „Du bist entlassen worden? Warum das denn?“, fragte sie, während sie seine Hand nahm. „Was hat dein Chef gesagt?“
„Rückgang der Buchungen im gesamten Konzern und die Notwendigkeit Kosten zu sparen. Und da ich der teuerste Animateur bin, muss ich gehen“, sagte Jan bitter.
„Nur du?“
„Ja.“
„Und wer soll jetzt die Gäste unterhalten und das Team führen?“, fragte Inés erstaunt.
„Lukas.“
„Lukas? Der ist doch noch ein Kind.“
„Ja, Lukas ist noch jung, aber auch gut. Und man wächst ja auch mit seinen Aufgaben. Er wird das schon irgendwie hinbekommen. Auch wenn es für mich blöd ist, für Lukas freut es mich.“
„Komm setz dich zu uns. Möchtest du auf den Schreck einen Brandy?“
„Lieber noch ein Bier.“
„Klar, gerne.“ Inés nahm ihn bei der Hand und führte ihn um die Bar herum zu dem Tisch an dem sie mit Maria saß. Nachdem sie sich gesetzt hatten, fragte Inés besorgt: „Und was machst du jetzt?“.
„Weiß ich nicht. … Das ist ja gerade erst ein paar Stunden her.“
„Stimmt. … Dann brauchst du auch eine neue Wohnung, oder? Du musst aus deinem Appartement raus, oder nicht?“
„Ich bin schon ausgezogen.“
„Du bist schon ausgezogen?“
„Ja. Ich hatte keine Lust auch nur eine Sekunde länger da zu bleiben.“
„Und wo übernachtest du jetzt?“
„Weiß ich nicht.“
„Wenn du magst, kannst du bei mir übernachten“, schoss Maria hervor und während sie das sagte, lächelte sie Jan an.
„Nein, das kommt gar nicht in Frage“, brach es aus Inés heraus.
„Aber warum denn nicht?“
„Weil das nicht geht.“
„Und warum? Ich habe genug Platz“, sagte Maria erstaunt.
„Hast du nicht, du hast nur ein kleines Appartement und da kann nicht noch ein fremder Mann einziehen.“
„Jan ist kein fremder Mann. Und bei mir haben auch schon andere Männer übernachtet, und stell dir vor, manche auch schon in meinem Bett.“
„Darum geht es nicht.“
„Worum dann?“
„Darum, das … das … das bei dir alles zu klein ist. Jan kann bei uns im Gästezimmer übernachten. Und jetzt Schluss mit der Diskussion. Und hol ihm jetzt bitte ein Bier.“
„Warum sollte ich? Ist das nicht dein Job?“, fragte Maria schnippisch.
„Weil ich deine große Schwester bin, dich darum bitte und weil es unserem Freund schlecht geht. Du kannst Jan jetzt ja wohl einen Gefallen tun.“
Genervt stand Maria auf, rollte mit den Augen und ging langsam in Richtung Theke.
Erst jetzt registrierte Jan, dass Inés‘ Hand immer noch in seiner lag. Sie hatte ihn bisher noch nie berührt, sondern war immer auf Distanz geblieben. Er genoss das Gefühl und ihre Nähe und wünschte sich, dass der Moment nie vergehen würde.