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Kapitel 6

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Vorsichtig tastete einer der echsenhaften Steinplattler mit seiner langen Zunge das Innenleben eines Risses im Gestein ab, als er plötzlich eine Vibration im Boden spürte. Sofort vergaß er die vielversprechende Beute, die seine sensible Zungenspitze soeben ertastet hatte. Nur eine verhornte Braue zuckte nach oben, während der Rest des grauen Körpers erstarrte.

Zu seinem Entsetzen musste das Reptil feststellen, dass das Geräusch schnell näher kam: ein rhythmisches Klopfen und Klappern, das immer eindringlicher aus der Tiefe unter ihm ertönte. Der Steinplattler wollte nicht abwarten, was das undurchdringliche Gestein in solch heftige Bewegungen versetzte, sondern entschied sich zur Flucht. Bei dem Versuch, die Zunge ruckartig zurückschnellen zu lassen, verfing sich diese jedoch in der scharf gezackten Felsspalte. Panisch riss die kleine Echse mehrmals den Kopf hin und her und tänzelte um die Spalte herum, während das Poltern stetig zunahm. Schließlich löste der Steinplattler vor lauter Verzweiflung eine Pfote nach der anderen vom Stein und hing, dank der Schwerkraft, frei in der Luft. Doch die verfangene Zunge schnellte immer noch nicht zurück, obwohl der Fels ringsumher bereits erzitterte. Schließlich ergriff die Echse die letzte sich bietende Möglichkeit: Die Zungenspitze gab die Beute frei und sprang schon im nächsten Augenblick aus der Spalte heraus. Voller Furcht sah sich der Steinplattler in die Unendlichkeit stürzen, und als er an einem riesigen Felsen vorbeifiel, nutzte er die Gelegenheit und krallte sich an ihm fest.

»Dämliches Echsenpack!«, schimpfte der alte Mann, der eine der steinfarbenen Echsen vom Mantel zu lösen versuchte. Doch das Tier hatte sich fest mit seinen wurzelartigen Zehen im Gewebe verkrallt und stellte sich tot. »Sitzen in jeder verdammten Steinspalte und sind vor lauter Staubfresserei so verblödet, dass sie von den Wänden fallen!«

Nahim sah zum breiten Steinbogen über ihnen hinauf, von dem gerade ein weiterer der zahlreichen Steinplattler auf seinen Begleiter herabstürzte.

»Sie mögen deinen Mantel halt gut leiden, Maherind. Könnte mir vorstellen, dass es an der grauen Farbe liegt.«

Der alte Mann knurrte hörbar und zerrte dann noch einige Male an der Echse auf seiner Schulter, allerdings ohne Erfolg. »Kein Wunder, dass es niemanden in Trevorims Tal verschlägt. Tagelang sieht man nur Felsenspitzen, die sich eintönig aneinanderreihen. Fels, Spalte, Fels, Spalte. Nächster, gefährlich gezackter Fels, Spalte, tiefe Spalte. Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein Blümchen. Nur Felsen, der mit diesen lästigen grauen Biestern gespickt ist.«

Erneut begann er, an den einzelnen Zehchen einer Echse herumzuzupfen, doch sie ließen sich nicht aus dem groben Stoff herauslösen.

»Nur zu, beschwer dich ruhig laut und ausdauernd. Deine letzte Schimpftirade ist ja schon Ewigkeiten her«, sagte Nahim im gleichgültigen Ton. Und dann leise, dass nur er selbst es hören konnte: »Meckere ruhig noch einmal über das langweilige Wetter, den ekelhaft blauen Himmel oder darüber, wie sehr dir der Hintern vom vielen Reiten schmerzt.«

Nahim überhörte das wüste Gemurmel in seinem Rücken und fing an, eine jener fröhlichen Melodien zu pfeifen, die weder Anfang noch Ende kennen. Keinen halben Tagesritt mehr, und sie würden Trevorims Pforte durchqueren.

Keinen einzigen Gedanken wollte er mehr an den mühevollen Abstieg im letzten Winter verschwenden, bei dem sie fast die Pferde hatten zurücklassen müssen, da das Geröll des Weges mit einer Eisschicht überzogen gewesen war. Vennis’ Wallach war ins Stolpern geraten und hatte sich den Vorderlauf gestaucht, so dass sie nur noch langsam vorangekommen waren. Schließlich hatte sie ein eisiger Schneesturm auf halber Höhe gezwungen, einige Tage in einem der zugigen Verschläge zu verbringen, die ziehende Händler auf ihren seltenen Reisen in Trevorims Tal zur Übernachtung nutzten. Im Windschatten der Pferde hatten sie sich eng an eng zusammengekauert, mit Brill in der Mitte, dessen Fieber glücklicherweise nicht wieder aufflammte. Doch Nahims Wunde brach, wie befürchtet, wieder auf, und als sie endlich im Roten Topf, einer schäbigen Herberge am Fuß des Nordgebirges, angekommen waren, hatte Vennis sie ausbrennen müssen, so dass eine breite Narbe zurückgeblieben war.

All dies drängte Nahim nun beiseite, denn er wollte die warme Sonne und die Vorfreude genießen. Er stellte sich einen blühenden Hang mit duftenden Wäldern und Wiesen vor. Gerade als er sich eine wundersame Szene unter den Obstbäumen ausmalte, die bei Truburs Hof den Lauf des Grünstroms zierten, schloss Maherind neben ihm auf.

Vor ihnen lag Trevorims Pforte.

Es heißt, dass weit vor Beginn der Menschheitsgeschichte auf der Zinne des Nordgebirges eine kräftige Quelle entsprungen sei, die zu beiden Seiten des Berges ein Flussbett ausgehoben hatte, das die Menschen noch heute als Pfad ins Tal benutzen. Einem Vulkanausbruch gleich war das Wasser dem Stein entsprungen, hatte ihn zum Bersten gebracht, so dass die vielen Felssplitter sich in den Boden rammten und dem Nordgebirge sein heutiges Gesicht verliehen.

Der Sage nach durchwanderte in diesen Tagen vom Süden her der Riese Trevorim die Welt. Als er nach einem Schlaf in der südlichen Ebene erwachte, die die später dort verstreut lebenden Orks Siskenland nannten, hatten ihn die zu dieser Zeit noch aus der Erde heraussickernden Dämpfe benommen und durstig gemacht. Doch keiner der kleinen Gebirgsflüsse, die in der Ebene versickerten, vermochte seiner trockenen Kehle Abhilfe zu schaffen. Fast wahnsinnig vor Durst, kletterte Trevorim über das südliche Gebirge und rutschte auf seinem Hintern ins Tal. Auf allen vieren krabbelte der Riese auf die sprudelnde Quelle des Nordens zu, ohne sich um die Felssplitter zu scheren, die ihm dabei die Pranken zerschnitten. Gierig stülpte er sein gigantisches Maul über die Quelle und begann zu trinken.

Trevorim setzte erst wieder ab, als die Quelle versiegt war, und schenkte den Menschen somit einen Weg in das kleine, aber fruchtbare Tal, ohne sie den Qualen der südlichen Ebene auszusetzen. Dann erhob sich der Riese, machte einen mächtigen Sprung über das Gebirge und setzte seine Wanderung in Richtung Osten fort. Auch an der dortigen Küste, wo die Wellen hart an das von Klippen gesäumte Land schlagen, weiß man sich Geschichten vom Riesen Trevorim zu erzählen.

Trevorims Pforte glich einer tiefen Kerbe, die in die stolze Zinne geschlagen worden war, so dass der Eindruck entstand, der Krone des Nordgebirges würde ein Zacken fehlen. Steil und hoch ragten die beiden Säulen, die Trevorims Pforte säumten, in den Himmel. Sie strebten vom Boden her voneinander fort, näherten sich in der Höhe jedoch wieder an, wobei die östliche Säule ein wenig tiefer mit einem scharfen Schnitt abbrach. Ihre Oberflächen waren glatt, farblos und wölbten sich leicht nach innen, während das restliche Gestein unter dem Schnee schartig und grau war. Auch der Grund der Pforte wies ein ebenmäßiges Gestein auf, so als hätte der Riese bei seinem letzten Schluck heiße Lava aus dem Innersten des Berges heraufgesogen. Keine einzige Schneeflocke hatte diesen Boden je berührt.

Nebeneinanderreitend durchquerten Nahim und Maherind Trevorims Pforte, als die Sonne im Zenit stand. Auf der anderen Seite erwartete sie ein kleines Plateau, das einen Blick über das ganz Tal bot.

Obwohl ein leichter Dunstschleier die Senke bedeckte, so waren doch alle drei Ortschaften zwischen Feldern,Wiesen und Wäldern bestens zu erkennen: die wild gemusterten, schwarzroten Dächer Brennburgs mit dem einsam aufstrebenden Bürgerturm inmitten des dichten Netzes bunter Häuserzeilen, die den gleichnamigen Markt umkreisten, das weitläufige Dorf Westend und das kleine Wordensen mit seinen unscheinbaren Schieferhütten amAusläufer des mächtigen Tannengrünwaldes, der das gesamte westliche Gebirgsmassiv überzog.

Von hier oben, von Trevorims Pforte aus, bot sich eine einzigartig umfassende Sicht auf das von Stein umgebene trichterartige Tal mit breitem Grund. Während das schroffe Gestein östlich, beim so genannten Minja-Stieg, von allerlei Gebirgsflüssen und durch Kargheit geprägt war, flachte es im Süden mit seinen weichen Hängen ab, um schließlich wieder in die dunkelgrünen Höhen des Westens anzusteigen, die sich unbezwingbar bis tief in Rokals Lande zogen.

Die beiden Männer saßen ab, und Nahim versorgte die Pferde mit Futterbeuteln, die von der kleinen Stute getragen wurden, welche an ein Seil gebunden hinter Nahims Pferd hergelaufen war. Danach setzte er sich zu Maherind auf einen der großen Steine, die das Plateau säumten, reichte ihm den Wasserschlauch und packte anschließend den Proviant aus. Während Nahim mit einem Messer Streifen vom rohen Schinken schnitt, deutete Maherind auf den steil abfallenden Weg, der in wirren Serpentinen ins Tal führte.

»Wenn ich mich recht erinnere, dürften wir morgen Abend in Brennburg ankommen. Dort gibt es einen bemerkenswerten Gasthof, das Goldene Dreieck. Die Wirtschaft ist dafür bekannt, das großartige Brennburger Bier mit Hochprozentigem anzumischen. Das Verhältnis ist geheim und hat eine ganz wunderbare Wirkung.«

Der alte Mann ließ seine Beine über den Abhang baumeln, steckte sich die Pfeife zwischen die Zähne und blinzelte Nahim zu.

»Bier und Korn – auf solche Ideen kommt man wohl zwangsläufig, wenn man am Fuße eines so unfreundlich aussehenden Gebirges wohnt. Wir werden uns nach einer Nacht in diesem Dreieck kaum mehr auf den Pferden halten können«, sagte Nahim. Er hatte sich auf den Rücken gelegt und konnte Maherinds Gesicht nicht sehen, das im blauen, nach Fijenholz duftenden Rauch verschwand.

»Dann sollten wir einfach nicht am nächsten Morgen aufbrechen und am besten auch nicht am darauffolgenden. Bleiben wir ruhig ein paar Tage und schauen uns den Brennburger Markt an.«

Bei diesen Worten des alten Mannes setzte sich Nahim abrupt wieder auf.

»So hart wie der Winter war, so prächtig wird der Sommer in diesem Jahr, wenn du mich fragst«, fuhr Maherind lächelnd fort, als er den aufkeimenden Unwillen in Nahims Gesicht bemerkte. »Wir liegen gut in der Zeit, und Vennis erwartet dich nicht unmittelbar zurück, oder? Auf dem Brennburger Markt bekommst du alles, was Trevorims Tal zu bieten hat: Neben dem berüchtigten Bräute- und Gauklermarkt, der sich hinter zerfleddertem Grünzeug verbirgt und sich Blumenmädchenplatz schimpft, gibt es Leckereien aus dem prächtigen Süden und Edelsteine, Metall und gepökelten Fisch aus dem Westen. Wer weiß, vielleicht finden wir auf dem Markt etwas Schönes, vielleicht sogar ein Gastgeschenk, um uns beliebt zu machen?«

Nahim lächelte Maherind an und legte sich dann wieder hin. Hoch über ihnen, im wolkenlosen Himmel, sah er einen Adler kreisen. »Ja«, sagte er, »ein Gastgeschenk wäre gut.«

Brennburg war ringförmig angelegt. Das Bild des äußersten Kreises war von allerlei Verschlägen und Lagern geprägt. Hier war der Fuhrverkehr am stärksten und der Geräuschpegel am lautesten, denn es wurde mit Getreide, Holz und Tieren gehandelt. Die Besucher bahnten sich ihren Weg zwischen angepflockten Ziegen, Körben voller Küken und Käfigen mit Tauben. Es gab Bottiche mit Aalen sowie Verschläge mit Kaninchen und Schweinen. In den schmalen Gassen musste man stets auf der Hut sein, um nicht von einem schlecht gelaunten Esel getreten zu werden, der mit allerlei Gütern beladen war.

Auf dem angrenzenden Obst- und Gemüsemarkt ging es dagegen manierlicher zu, obwohl das zu einem lauten Summen verschmelzende Anpreisen der vielen Händler so manchen Hangbauern und Fischer aus den einsamen Gegenden des östlichen Minja-Stiegs halb um den Verstand brachte.

Den nächsten Ring bildeten schließlich die Steinhäuser von Brennburg mit ihren berühmten schwarzen Dächern, die mit einem dunkelroten Muster durchzogen waren. Die schwarzen Schindeln wurden aus einem nahe gelegenen Steinbruch gewonnen und nach einem geheimen Rezept in einer Brennerei mit roten Mustern versehen und dann glasiert. Neben der Arbeit im Steinbruch waren die Brennburger Familien in vielen Gewerben tätig, die für die ländlichen Gebiete des Tals untypisch waren: Es gab gut geführte Gasthäuser, Geschäfte und Handelshäuser sowie eine rege Organisation zur Vermietung von Ställen, Lagern und Verkaufsständen.

Das bekannteste Bauwerk der Stadt war das Goldene Dreieck, dessen Eingangstür seit Menschengedenken zu jeder Tages-und Nachtzeit offen stand. Nur als vor einigen Generationen die Beulenpest im Tal gewütet hatte und der Markt verwaist war, war die Familie Kelem gezwungen gewesen, die Tür zu schließen. Man hatte hierzu die alten Angeln abschlagen müssen und die schwere Holztür vor den Eingang gelehnt. Als man sie ein gutes Jahr später wieder an die Seite stellte, war es das Zeichen, dass das Tal die Pest überwunden hatte.

Im bunten Zentrum des Marktes führten Akrobaten ihre Kunststücke vor, Männer und Frauen boten ihre Arbeitskräfte und Händler ihre Waren an. Es gab Pyramiden von dickwandigen Gläsern mit eingemachtem Obst und Gemüse, Fässer und Flaschen, die mit Wein, Bier und Bränden gefüllt waren und von ihren Besitzern mit Argusaugen bewacht wurden. Es gab robust verarbeitete Harken und Schaufeln, Nägel und Fuchsfallen. In Ecken stapelten sich gebrannte Ziegel, verschiedenfarbige Fliesen und Geschirr aus den Brennburger Öfen. Die Handwerker aus Wordensen zeigten ihre schöne Glas- und Schmuckkunst sowie Messer und andersartige Klingen, während nebenan ein Händler aus dem fernen Süden von Rokals Lande seine kupfernen und gusseisernen Töpfe ausbreitete und darauf beharrte, seinen Stand bis über den Grenzstein hinaus auszuweiten.

Einige der Gaukler und ziehenden Händler kamen von außerhalb des Tals. Sie legten auf ihren Reisen gen Norden eine kurze Pause in Trevorims Tal ein, nachdem sie in den östlichen Steinhäfen an Land gegangen und ein Stück in Richtung Süden zurückgewandert waren. Doch ihre Zahl war gering, denn zum einen war das im östlichsten Ausläufer des Gebirges versteckte Tal weithin unbekannt, und zum anderen war es mit vielen Gütern gesegnet und der Bedarf an kostbaren Stoffen und Kriegshandwerk gering.

Maherind war bei einer Bude stehen geblieben, die allerlei Heilmittel anbot. Der Lederbeutel, der ihm über die Schulter hing, war bereits prall gefüllt. Sorgsam begutachtete er Bündel von getrockneten Kräutern und Gräsern, Schlangeneier, kristallartige Salze und Gläser mit in Öl konservierten Veilchen. Er schnupperte an strohenden Blumenköpfen und Pilzen, die in geflochtenen Körben und Schalen lagen, und ließ sich Destillate vorführen und erklären.

Energisch stopfte die stämmige Händlerin einiges in Maherinds Beutel, und manches, was sie ihm erwartungsvoll entgegenhielt, musste sie auch wieder zurücklegen. Ausgiebig stritt sich Maherind mit ihr über den Preis für in Honig eingelegte Bastalwurzeln und verspottete die Frau für die gedörrten Rinderhoden, die ihr ein Händler aus dem südlichen Purin mit vollmundigen Versprechungen angedreht hatte.

Schließlich kehrte Maherind zu Nahim zurück, den er vor gut einer Stunde im Schatten hockend zurückgelassen hatte. Der junge Mann hatte die Knie bis ans Kinn gezogen und lehnte mit dem Rücken gegen eine der Delikatessbuden, deren Pächter bereits mehrmals gereizt um die Ecke geschaut hatte. Maherind beugte sich zu ihm herunter und hielt ihm einen Napf mit dunklem Brei hin.

»Nein, lass nur. Ich kann nichts essen«, wehrte Nahim ab und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die aufgequollen Lippen. Sein Gesicht war unter der Sonnenbräune bleich, und trotz der Wärme schien er zu frieren. »Ich will nicht einmal daran denken, jemals wieder etwas in den Magen zu bekommen. Sonst wird mir sofort wieder schlecht.«

»Jeden verdammten Morgen dieselbe Jammerei, seit wir in Brennburg angekommen sind«, entgegnete Maherind voller Ungeduld. »Deine Sinne müssen noch von der letzten Zecherei benebelt sein, sonst hättest du dich wohl kaum neben Samims Innereienköstlichkeiten vom Schwein gesetzt.«

Maherind warf Nahim einen gereizten Blick zu, als dieser sich verzweifelt die Faust gegen den Mund presste und die Augen zusammenkniff.

»Außerdem ist das kein Essen, was ich dir mitgebracht habe, sondern ein hervorragendes Allheilmittel für junge Burschen wie dich: besteht größtenteils aus Mohnkapselextrakt und zerriebenem Fijenholz. Das wird deinen Magen ruhigstellen.«

Zuerst vorsichtig, dann deutlich wagemutiger löffelte Nahim den Napf leer.

»Ich werde heute Abend keinen Fuß ins Kellergewölbe des Goldenen Dreiecks setzen«, sagte er zwischen den einzelnen Bissen. »Irgendetwas stimmt dort unten nicht, es ist wie verhext! Gestern Abend wollten wir doch nur etwas vom Spanferkel essen. Aber das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, wie ich völlig von Sinnen mit einem fremden Kerl Arm in Arm in einer riesigen Bierlache sitze und versuche, einen dieser verrückten Südküstenwitze zusammenzubekommen. Währendessen hockst du Pfeife rauchend neben dem Kamin und schaust amüsiert zu. Dabei würde ich auf den Hintern meiner Mutter wetten, dass die meisten Krüge auf deine Kappe gingen.«

»Bist du dir sicher, dass es eine Bierlache war?«, erwiderte Maherind mit hochgezogenen Brauen, woraufhin Nahim mit einem Stöhnen den Kopf auf die Knie sinken ließ. Nach einiger Zeit packte Maherind ihn unterm Arm und zog ihn auf die Füße.

»Nun, mein Freund«, sagte er, »da drüben bei den tönernen Götzenstatuen erzählt jemand wilde Geschichten darüber, wie Orks einigen Bergarbeitern des Westgebirges aufgelauert haben sollen. Und auch über die Sicherheit des Handelswegs zwischen Westend und Brennburg sind merkwürdige Gerüchte im Umlauf. Was denkst du, versucht hier jemand, den Preis für seine Waren hochzutreiben? Von Orks auf den Südlichen Höhen war jedenfalls nicht ein einziges Wort zu hören. Eigenartig, nicht? Ich denke, wir sollten morgen früh bei Sonnenaufgang in Richtung Westend aufbrechen. Es sei denn, du betrinkst dich wieder hemmungslos mit deinem neuen Kumpan.«

Maherind schmunzelte beim Anblick von Nahims entsetztem Gesichtsausdruck.

»Wie ist es nun um das Gastgeschenk bestellt? Welches der tausendundeins Dinge auf deiner Liste soll es nun werden?«, schloss er seine Rede und klopfte dem jungen Mann auf den Rücken, woraufhin dieser von einem Schluckauf heimgesucht wurde.

»Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden«, antwortete Nahim. »Am besten wäre es vielleicht, jedem Familienmitglied ein eigenes Geschenk zu machen. Vielleicht ein Klappmesser für Tevils, eine Schmucktafel, in die der Name Trubur eingebrannt ist, für die beiden Familienoberhäupter, und irgendwas nach Aas stinkendes für den Hund.«

»Ach, und die junge Frau willst du lediglich mit deinem Anblick beglücken? Wie hieß sie noch einmal, Denen?«, fragte Maherind mit einem unschuldigen Lächeln im Gesicht.

»Aber sicher doch«, gab Nahim ungewöhnlich forsch zurück. Dann wandte er sich von seinem Begleiter ab, um einige Stapel Bodenmatten aus Flachs zu begutachten. Auch wenn die Opiate des Breis Nahims Zunge gelockert haben mochten, so hatten sie trotzdem sein Reaktions- und Urteilsvermögen beeinträchtigt. Reichlich benommen stand er da und kratzte ausgiebig das Kinn, das mit schwarzen Stoppeln übersät war.

»Wie dem auch sei«, sagte Maherind nach einiger Zeit und schubste Nahim zum nächsten Stand weiter, bevor der Händler sie in ein Gespräch verwickeln konnte. »Hatte sie denn keinen einzigen interessanten Zug an sich, der dich ein wenig inspirieren könnte, damit die Sucherei endlich ein Ende findet? Vielleicht denkst du ja an einen hübschen Kochlöffel, wenn ihr Bild vor deinem inneren Auge aufflackert, weil ihr Haferbrei einfach wunderbar war?«

Obwohl er Nahims wütenden Blick zu bemerken schien, fuhr Maherind sogleich fort: »Oder wie wäre es mit einem seltenen und interessanten Heilmittel? Du erwähntest doch ganz nebenbei, dass sie in der Heilkunde bewandert ist.«

»Ja, das stimmt«, antwortete Nahim ein wenig verunsichert. »Aber wäre das nicht ein wenig zu unpersönlich?«

Maherind lag eine passende Antwort auf der Zunge, die er nur schwerlich für sich behalten konnte. Aber da ihn das selbstquälerische Grübeln seines jungen Begleiters allmählich mürbe machte, schlug er ein Schmuckstück vor.

»Wenn du den Monat kennst, in dem sie gezeugt worden ist, dann könnten wir einen entsprechenden Stein aussuchen. Den könnte sie dann an einer Kette um den Hals tragen. Eine schöne Sitte aus dem Norden von Rokals Lande.«

»An etwas Ähnliches habe ich auch schon gedacht.« Nahim verharrte mitten in einer Bewegung und begann, an seiner Unterlippe zu kauen. »Aber wer weiß, was sie dann von mir denkt? Diese Art von Steinen tragen doch immer so anzügliche Namen wie Rot leuchtenden Perle des Mais. So ein Geschenk möchte ich ihr nicht unbedingt in Gegenwart ihrer Eltern übergeben müssen. Vor allem, da mich Bienem Trubur für einen ausgemachten Sittenstrolch hält.«

»Du übertreibst! Was soll das Mädchen denn schon denken, außer ›vielen Dank für das nette Mitbringsel‹? Ich habe schon jede Menge Zeugesteine verschenkt und immer ein freundliches Lächeln dafür erhalten«, sagte Maherind mit einer ausdrucksvollen Geste.

Doch Nahim, ganz in Gedanken versunken, steuerte bereits auf einen Sänger zu, der nachlässig an seiner Laute zupfte und die vorübereilenden Passanten musterte.

Sie waren am Blumenmädchenplatz angekommen, auf dem sich zwischen Blumen- und Weinständen, Dichtern und Wahrsagerinnen auch die berüchtigten Kupplerinnen herumtrieben. So mancher einsame Almbauer hatte hier schon mit einem Gänseblümchenstrauß die Aufmerksamkeit der entsprechenden Damen auf sich gezogen.

Der Sänger war ein schlaksiger Mann in grellbunter Kleidung, wie sie all die anderen Musiker, Dichter und Schauspieler trugen, um sich vom Gewühl des innersten Rings abzuheben. Obwohl er Nahim nicht weiter zu beachten schien, der sich im zerknitterten, aus der Hose hängendem Hemd und den hohen Reiterstiefeln dicht neben ihn gestellt hatte und den Musikanten mindestens einen Kopf überragte, begann er, auf schöne Weise zu spielen.

»Ich möchte gern ein Lied haben«, sagte Nahim und rieb sich ausgiebig die geschwollenen Augenlider. »Nichts Anspruchsvolles, sondern eins, das ich bei Gelegenheit selbst vortragen kann.«

Der Sänger sah den jungen Mann immer noch nicht an, wechselte aber zu einer fröhlichen Melodie, die Maherind, der sich mittlerweile zu ihnen gesellt hatte und nicht schlecht über Nahims Wahl staunte, die nächsten Tage während ihres Ritts durch das Tal begleiten sollte.

»An was habt Ihr dabei gedacht?«, fragte der Sänger, ohne die Augen von dem belebten Platz abzuwenden. »An ein Kneipenlied vielleicht, mit dem Ihr die Freunde bei Bier und Korn beglücken könnt?«

Einen Augenblick lang schaute Nahim verdutzt drein, dann nahm er selbst den eindringlichen Geruch war, den seine Kleidung seit dem gestrigen Abend verströmte. Angeekelt sah er an sich herab und erwiderte schließlich: »Es soll für eine Frau sein. Nein, nicht das, was Ihr denkt!«, wiegelte er sogleich ab, als der Liedermann spöttisch die Lippen spitzte. »Das Lied sollte von etwas Unverfänglichem handeln, vielleicht vom klingenden Plätschern eines Flusses oder von Vögeln, die sich ein Nest bauen. Ich meine, das Thema sollte ein harmloses sein und in erster Linie gefällig klingen.«

Maliande - Der Ruf des Drachen

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