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Die ersten Leichenfunde

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Am 17. Mai 1924 fan­den Kin­der, die an der Was­ser­kunst nahe dem Schloss Her­ren­hau­sen spiel­ten, einen Men­schen­schä­del. Am 29. Mai wur­de mit­ten in der Stadt an der Bruck­müh­le hin­term Lei­ne­schloss im Müh­len­gra­ben ein fei­ner Jüng­lings­schä­del an­ge­spült. Am 13. Juni klag­ten die au­gen­lo­sen Höh­len zwei­er neu­er Schä­del zum Licht. Wie­de­r­um: der eine im Os­ten der Stadt bei der Was­ser­kunst; der an­de­re im Wes­ten ne­ben der Brück­müh­le. Die ge­richt­s­ärzt­li­che Un­ter­su­chung er­gab, dass es sich han­del­te um Köp­fe jun­ger Men­schen im Al­ter von 18 bis 20 Jah­ren. Bei dem am 13. Juni bei der Brück­müh­le ge­fun­de­nen um den ei­nes 11 bis 13 Jah­re al­ten Kna­ben. Bei al­len Schä­deln war fest­zu­stel­len, dass sie mit ei­nem schar­fen In­stru­ment vom Rump­fe ge­trennt wor­den wa­ren. Fleisch­tei­le fehl­ten fast völ­lig oder wa­ren ver­west, da die Kno­chen an­schei­nend schon lan­ge Zeit im Was­ser ge­le­gen hat­ten. An dem am 13. Juni bei der »Was­ser­kunst« ge­fun­de­nen Kopf ließ sich fest­stel­len, dass die Kopf­haut durch einen skal­par­ti­gen Schnitt vom Kno­chen ab­ge­löst wor­den war. Man riet zu­nächst dar­auf, dass die Schä­del aus der Göt­tin­ger Ana­to­mie stamm­ten, oder dass sie in Al­feld, wo zu je­ner Zeit eine Ty­phus­epi­de­mie herrsch­te, in die Lei­ne ge­wor­fen wa­ren, oder end­lich, dass sie ins Was­ser ge­schleu­dert wur­den, ge­le­gent­lich von Grä­ber­schän­dun­gen, die im En­ge­soh­der Fried­hof ent­deckt wur­den. Kei­ne von die­sen Ver­mu­tun­gen be­stä­tig­te sich. Da­ge­gen fan­den Kna­ben, die auf ei­ner Wie­se in der Döh­re­ner Masch spiel­ten, einen Sack mit mensch­li­chen Kno­chen, und am 24. Juli wur­de in der Feld­mark Garb­sen aber­mals ein of­fen­bar vom Kör­per ge­trenn­ter skal­pier­ter Schä­del auf­ge­fun­den, wel­cher wie­der­um von ei­nem ganz jun­gen Men­schen stamm­te. Die vie­len Kno­chen­fun­de konn­ten nicht ver­bor­gen blei­ben. Es be­mäch­tig­te sich wei­ter Volks­krei­se eine schon lan­ge vor­be­rei­te­te Schrecks­ucht. Schon seit Jahr und Tag näm­lich war im Vol­ke ein aber­gläu­bi­sches Gerücht im Schwan­ge: »Es gibt in der Alt­stadt Men­schen­fal­len. Jun­ge Kin­der ver­schwin­den in Kel­lern. Kna­ben wer­den in den Fluss ver­senkt.« Man er­zähl­te, dass in der schwe­ren Not­zeit Men­schen­fleisch auf dem Markt ver­kauft wor­den sei. In den Dör­fern um Han­no­ver wei­ger­ten sich jun­ge Mäg­de, in die Stadt ein­kau­fen zu ge­hen. Und die un­ge­wis­se Angst vor ei­nem die Ge­gend un­si­cher ma­chen­den »Wer­wolf« wuchs von Tag zu Tag. In den Jah­ren 1918 bis 1924 wa­ren au­ßer­ge­wöhn­lich vie­le Men­schen ver­misst oder ver­schwun­den. Im Jah­re 1923 wuchs die Zahl der als ver­misst Ge­mel­de­ten auf fast 600, und wenn auch die grö­ße­re An­zahl der Ver­miss­ten sich wie­der ein­fand, so blieb doch im Ver­gleich mit an­de­ren gleich­großen Städ­ten die An­zahl der Ver­schwun­de­nen in Han­no­ver ziem­lich groß. Die Nach­for­schung zeig­te, dass es sich recht häu­fig han­del­te um Kna­ben und Jüng­lin­ge zwi­schen 14 und 18 Jah­ren.

Am Pfingst­sonn­tag des Jah­res 1924 zo­gen Hun­der­te aus Han­no­ver und Um­ge­bung an die »Ho­hen Ufer«, be­setz­ten die klei­nen Ste­ge und Lei­ne­brücken der Alt­stadt und be­gan­nen ein fie­ber­haf­tes Su­chen nach Lei­chen­tei­len und Kno­chen. Am fünf­ten Juli in der Mor­gen­frü­he wur­de, nach­dem man noch eine gan­ze An­zahl mensch­li­cher Kno­chen ge­fun­den hat­te, das gan­ze Fluss­bett von der Brück­müh­le an bis zur großen Lei­ne­brücke am Cle­ver­tor ab­ge­dämmt und durch Po­li­zei­be­am­te und städ­ti­sche Ar­bei­ter gründ­lich nach Lei­chen­tei­len durch­sucht. Die­se Stel­le der Lei­ne liegt mit­ten in der Stadt. Sie kann von Selbst­mör­dern we­gen des dort statt­fin­den­den star­ken Ver­kehrs nicht auf­ge­sucht wer­den. Das Er­geb­nis war furcht­bar. Es wur­den über 500 Lei­chen­tei­le ge­fun­den, de­ren Un­ter­su­chung durch den Ge­richts­arzt er­gab, dass es sich um die Res­te von min­des­tens 22 Per­so­nen han­del­te, von de­nen un­ge­fähr ein Drit­tel im Al­ter zwi­schen 15 und 20 ge­stan­den ha­ben moch­te. Etwa die Hälf­te hat­te schon län­ge­re Zeit im Was­ser ge­le­gen. – An den noch fri­schen Kno­chen aber wie­sen die Ge­len­ke glat­te Schnitt­flä­chen auf.

In­zwi­schen war teils durch das forsch zu­grei­fen­de Vor­ge­hen des Kri­mi­nal­kom­missars Retz, ei­nes freund­li­chen jun­gen Rie­sen, teils durch eine Rei­he merk­wür­di­ger Zu­fäl­le die Auf­klä­rung ge­lun­gen. Am 23. Juni wur­de der ver­mut­li­che Tä­ter ins Ge­richts­ge­fäng­nis ein­ge­lie­fert. Es war der am 25. Ok­to­ber 1879 zu Han­no­ver ge­bo­re­ne Fried­rich, ge­nannt Fritz, Haar­mann; fünf­zehn­mal vor­be­straft; seit 1918 Spit­zel im Diens­te der Kri­mi­nal­po­li­zei; im Üb­ri­gen Han­del trei­bend mit Klei­dern und Fleisch; seit vie­len Jah­ren auf der Si­cher­heits- und Kri­mi­nal­po­li­zei be­kannt als Ho­mo­se­xu­el­ler. – Sei­ne Er­schei­nung warf alle ge­wohn­ten Vor­stel­lun­gen von Mord und Mör­dern über den Hau­fen.

Haarmann

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