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Der Freiherr von Mardern denkt auf ein sinnreiches Wagestück und

sein Reitknecht macht einen dummen Streich.

m fünfzehnten September des Jahres sechzehnhundertundvier saß der ritterliche Doktor von Mardern mit gespanntester Erwartung zu Brüssel in seiner Behausung, die er bereits seit fünf Jahren bewohnte.

Vielleicht sah niemand in ganz Brüssel, ja in ganz Europa, der Einnahme Ostende’s mit solcher Ungeduld entgegen, als dieser platonisch liebende Dichter, Ritter und Gelehrte. Jetzt, wie schon seit Jahren, war er jedoch weit weniger Ritter und noch viel weniger Gelehrter als Dichter. Was Petrarca geleistet, war bloßer Scherz im Vergleich mit den Leistungen Marderns, wenigstens hinsichtlich der Menge. Ganze Schubladen voll Verse besaß er, lauter Isabellenverse, in spanischer, lateinischer und deutscher Sprache, die aber gleichwohl nur er selbst las.

Ja, hätt’ er nur ihr etwas davon vor Augen bringen dürfen! Leider konnt’ er so viel nicht wagen, obwohl er seines einstigen großen Dienstes wegen nicht nur bei Isabella; sondern auch bei deren Gemahl in nicht geringer Achtung stand und stets Zutritt im Palast hatte. Doch machte er davon aus übergroßer Scheu und Bescheidenheit nur selten Gebrauch. Er fürchtete, den wahren Charakter seiner Anhänglichkeit zu verraten — so gern er ihn doch auch verraten hätte! — und diese Furcht überwog jede andere Regung.

„Solche Liebe gibt’s gar nicht mehr“, hat man oft gesagt seit Adams Tagen bis einige Zeit vor unserer Gegenwart, d. h. bis die echte Liebe antiquiert worden; in Betreff Marderns aber hätte man’s mit Recht sagen können. Wie bescheiden war er in seinen Wünschen — und doch auch wie kühn! Das wird sich bald zeigen. Er hoffte auf eine Belohnung, die seltsam genug war und die ihm nur werden konnte (wenn sie ihm überhaupt wurde), sobald Ostende eingenommen, d. h. sobald Isabella ihres geleisteten Gelübdes los und ledig war.

Darum erwartete Mardern diesen Zeitpunkt mit heißester Ungeduld. Er hatte ein Gedicht an sie für dieses Ereignis schon seit einiger Zeit in Bereitschaft, sowie zu gleicher Zeit auch ein Begleitschreiben zu dem Gedichte, worin nur das Datum noch beizusetzen erübrigte und welches ein ehrerbietiges Gesuch enthielt.

Um diese beiden Papiere im rechten Augenblicke ohne die geringste Verzögerung abgeben zu können, d. h. um wo möglich als allererster Bote der Übergabe Ostende‘s zu erscheinen, hatte er keine Mühe und Kosten gespart. Auf verschiedenen Punkten zwischen Ostende und Brüssel standen von ihm besoldete Kuriere und Boten in steter Bereitschaft, die ihm das Ereignis mit Blitzesschnelle melden sollten, bevor noch der Vizekönig und insbesondere die Gemahlin desselben Nachricht davon haben konnten. Er verließ seine Wohnung jetzt nur selten und nie ohne genaue Angabe zurückzulassen, wo ihn der etwa eintreffende Bote sofort finden konnte.

Wie seine Ungeduld mehr und mehr wuchs, vermochte er nicht einmal mehr Verse zu machen. Es war daher ein wahres Glück, dass er das für sie bestimmte Gedicht nebst dem Begleitschreiben bereits bei Zeiten in ablieferungsfähigen Stand gesetzt hatte. So saß er denn auch an dem gedachten Septembermorgen in seinem Gemach, unruhevoll bald eine Partie seiner vielen Dichtungen durchblätternd, bald das eine Gedicht mit dem Schreiben immer wieder durchlesend, obwohl er’s längst auswendig wusste. Er fand es ohne Zweifel selbst sehr gelungen, indes doch bei weitem nach nicht schön genug für sie.

Er hatte an diesem Morgen seinen Reitknecht ausgesendet, um auf der Straße von Ostende nach dem erwarteten Boten zu spähen. Keine Stunde war seitdem verflossen, als der Reitknecht in stürmischer Hast wieder erschien. Atemlos stammelte der treue Mensch seine Meldung. Er war dem Boten begegnet. Der Doktor verschlang — man möchte fast sagen mit atemlosem Ohr — die kaum verständlichen Worte. Aber es war richtig: soeben, d. h. Tags vorher, war Ostende übergeben.

„Hat der Bote keine nähern Angaben? Ich will ihn selber befragen.“

„Keine“, antwortete der Reitknecht, „außer was in diesem Briefe stehen soll. Verzeiht, ich vergaß das in der Eile.“ Er zog einen Brief aus der Tasche und übergab ihn dem Ritter. Dieser öffnete das ziemlich unansehnliche Blatt hastig und las:

„— Liebe Annette! Du wirst diesmal ohne Zweifel böse auf mich sein; seit acht Tagen bin ich nicht gekommen. Es war aber rein unmöglich. Mein Herr liegt auf der Lauer irgendeiner großen Neuigkeit wegen, die jede Stunde eintreffen soll, und ich muss ihm leider lauern helfen, ohne selber zu wissen, warum eigentlich. Kein freies Viertelstündchen lässt er mir jetzt. Ohne seinen Auftrag darf ich nicht aus dem Hause. Aber sei nur ruhig, das wird schon anders werden. Verderben darf ich es nicht mit dem guten wunderlichen Kauz, denn Du weißt wohl, es gilt unser Beider Bestes. Ich bin ihm wirklich zugetan und weiß auch dass er freigebig sein kann, wenn die rechte Zeit kommt und ich ihm sage, dass wir uns heiraten wollen, obwohl er mich nicht gern aus dem Dienste lassen wird. Aber vielleicht können wir auch Beide bei ihm bleiben. Hast Du doch nun schon seit drei Jahren und darüber

für ihn gewaschen. Mit der Wäsche ist es im Grunde eine wunderliche Geschichte und ich soll eigentlich Niemand davon sagen, aber Brautleute dürfen, denk’ ich, kein Geheimnis vor einander haben, und Dich muss ich von Rechtswegen auch schon mit zu unserm Hause rechnen. Weißt Du wohl, dass Du eigentlich weit mehr für mich als für meinen braven Herrn gewaschen hast? Er braucht wenig Hemden, obwohl er viele waschen lässt; er legt höchstens ein frisches an, wenn er ausgeht, und das geschieht oft Tage lang nicht. Das hab’ ich mir zu Nutz gemacht, und die Hemden, ehe ich sie Dir brachte, immer erst selber noch ein Bisschen getragen, damit das liebe Gut doch etwas schmutzig würde. Du hast also eigentlich nur für mich gewaschen, lieber Schatz. Glaub’ aber darum nicht, dass mein gnädiger Herr daheim ohne Hemde läuft. Er trägt eins, das er, Gott sei’s geklagt! Tag und Nacht, jahrein, jahraus niemals ablegt; es sieht wahrlich braun aus wie Feuerschwamm und ist zottig wie Zunder. Nimmer zieht er’s aus und legt nur der Leute wegen ein reines darüber, wenn er ausgeht, obwohl er fast so viel Hemden hat wie beschriebene Papiere. Was ich davon denken soll, weiß ich nicht; Vorstellungen hab’ ich ihm oft gemacht, aber dann heißt er mich schweigen. Ich will sehen, dass ich Dir diesen Brief —“ „Weiter las der Ritter nicht. In seiner Eile hatte er die Aufschrift des Briefes gar nicht beachtet, erkannte aber nun, dass ihm der Reitknecht aus Versehen ein falsches Papier gegeben, und dass der ruchlose Mensch seiner Geliebten, der Wäscherin, ein ebenso tiefes als dunkles Geheimnis verraten wollte. Unter andern Umständen wäre ein heftiger Auftritt und ein strenges Strafgericht unausbleiblich gewesen, aber jetzt hatte der Ritter nicht einmal Zeit zu Zorn und Strafe. Er empfing aus des Reitknechts Tasche den richtigen Brief, welcher einiges Nähere über die Einnahme Ostende’s enthielt; er gab natürlich dem Reitknecht auch den Liebesbrief nicht zurück und der bestürzte Diener verließ beschämt und reuig das Zimmer, denn er betrachtete seinen Missgriff als ein Zeichen des Himmels und nahm sich heilig und teuer vor, auch selbst vor Annetten das Geheimnis wenigstens bis zur Hochzeit zu wahren.

Für den Ritter aber war der große Augenblick endlich gekommen. Er musste sich zusammennehmen, um in der halb freudigen, halb bangen Bestürzung, in die er geraten, und bei der gleichwohl notwendigen großen Eile nichts verkehrt zu machen. Es wurde mit bebender Hand dem Gedichte und dem Schreiben das ewig denkwürdige Datum beigefügt und zum Glück gelang dies ohne Missgeschick. Ein falscher Buchstabe, ein Tintenfleck hätte den Ritter heute auf ewig zum allerunglücklichsten Menschen machen können, denn das Ganze umzuschreiben, wär’ er jetzt nicht im Stande gewesen, hätt’ er auch noch die Zeit dazu gehabt. Er versiegelte das kostbare und verhängnisvolle Schreiben. Alles das war ein Werk von zwei Minuten, denn, wie gesagt, Alles war längst in Bereitschaft gehalten für diesen wichtigen Augenblick. Auch war der Ritter seit einer Woche täglich vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht vollständig angekleidet, um jeden Augenblick ausgehen zu können. Denn um der sofortigen und ungesäumten sichern Übergabe seiner Schrift völlig gewiss zu sein, hatte er beschlossen, dieselbe persönlich im Palaste abzugeben, obwohl er nicht wagen mochte, sie in Person der Vizekönigin zu überreichen.

Humoristische Geschichten - Vierter Band

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