Читать книгу Humoristische Geschichten - Vierter Band - Theodor Oelckers - Страница 9
5.
ОглавлениеMr. Fairweather reiste ab, nachdem er länger als fünfzehn Jahre seine stille und doch auffällige Rolle in der Siebenhügelstadt gespielt hatte.
Während er nordwärts längs der toskanischen Küste segelte, geriet ihm seine alte Dose (er hatte fünfzehn Jahre hindurch stets nur eine und dieselbe gehabt), die er noch in der Tasche hatte, in die Hand. Er betrachtete sie wehmütig — öffnete und schloss sie — aber er wäre nimmer mehr im Stande gewesen, den Inhalt zu berühren. Noch einen Blick warf er darauf — selbst eine Träne soll in diesen kleinen Sarg seiner Freuden gefallen sein — dann warf er sie hinab ins Meer, wie weiland der König in Thule seinen famosen Becher, und
„Nahm nie eine Prise mehr.“
Zum wenigsten glaubte er damals, er werde nie mehr eine nehmen.
Doch auch die Wehmut kann nicht ewig währen. Während sich Mr. Fairweather mit starken Schritten seiner englischen Heimat näherte, fiel es ihm plötzlich ein, dass er ja doch kein Schnupfer mehr und von dieser fünfzehn oder sechzehn Jahre lang beobachteten Unsitte gründlich geheilt war, dass er folglich auch gar keinen Grund mehr habe, eine üble Aufnahme bei Miss Mary Roß zu besorgen.
Dass diese letztere in eine Mrs. Pinch verwandelt sein könnte, fiel ihm dabei keineswegs ein, denn er war stets überzeugt geblieben, dass sich Mr. Pinch das Tabakschnupfen nie abgewöhnen und folglich die einmal dadurch verscherzte Braut nie gewinnen könnte.
Ja, es war seltsam, aber je näher Mr. Fairweather der Heimat kam, umso mehr schrumpften die langen Jahre der Vergangenheit in seinem Hirn zusammen und am Ende war es ihm wirklich kaum anders zu Mute, als kehre er nur von einem kurzen Ausfluge zurück.
Er begann immer eifriger an Miss Mary zu denken, und kaum war er in London angekommen, als er sofort, ohne sich erst zu erkundigen, ob es noch eine Miss Mary gebe u. s. w., ein Billet an diese Dame schrieb, um ihr seine Ankunft zu melden und um die Erlaubnis zu bitten, ihr ungesäumt seine Aufwartung zu machen.
Das war nun freilich ein beispielloser Glaube aus gute Schicksal. Aber während es Menschen gibt, die bei allem Fleiß und aller Eile doch Alles versäumen was sie vom Leben Gutes und Schönes erwarteten, bis endlich ihr ganzes Leben wie eine taube Nuss hinter ihnen liegt, gibt es auch wieder Andre, denen das Geschick so wohl will, dass sie bei aller Saumseligkeit und Zerstreutheit doch nie etwas versäumen und stets und überall noch zur rechten Stunde kommen. Solch ein Glücklicher war Mr. Fairweather. Denn kaum war ein Stündchen seit Absendung seines Billets verflossen, als eine Antwort, nicht von einer Mrs., am allerwenigsten einer Mrs. Pinch, sondern von Miss Mary Roß eintraf, die noch immer das nämliche Haus bewohnte und jetzt meldete, es werde ihr erfreulich sein Mr. Fairweather wieder zu sehen.
Während in der Heimat viele Leute behauptet hatten, Mr. Fairweather sei den Jesuiten in die Hände geraten und habe seinen Glauben gewechselt, war von Andern seit Jahren das ebenfalls verleumderische Gerücht verbreitet worden, er sei, um den vulgären Ausdruck zu gebrauchen, übergeschnappt und laufe zum öffentlichen wenn auch unschädlichen Skandal in Rom umher. Diese und ähnliche Gerüchte waren vielleicht eine Hauptursache gewesen, warum die arme Miss Mary weder schriftlich noch sonst wie Schritte gewagt hatte, um den Entfernten zurückzuführen.
Mr. Fairweather war, wie schon bemerkt, noch keineswegs ein Greis, denn er konnte das vierzigste Jahr noch gar nicht weit hinter sich haben, während Miss Mary gewiss nicht über fünfunddreißig zählte. Da jetzt seit den fraglichen Vorgängen bereits anderthalb Jahrhundert verflossen ist, kann man schon das Alter der Dame erwähnen, ohne unartig zu erscheinen. Die Beteiligten waren aber natürlich nicht so töricht, dergleichen Berechnungen anzustellen, und am allerwenigsten fiel so etwas dem Mr. Fairweather ein, denn als dieser sich in dem alten wohlbekannten Hause einfand, war es ihm beinahe, als sollt’ er jetzt die würdige Gesellschaft noch beisammen treffen, die er dort vor fünfzehn Jahren verlassen hatte: den (längst verstorbenen) allen Vormund, den Anwalt, die Zeugen, Alle seiner wartend, der nun endlich, nachdem er sein Geschäft abgemacht, zurückkehrte. Und wirklich war sein erstes Wort an Miss Mary die Bitte um Entschuldigung, dass er sich „ein wenig verspätigt habe!“
Manches hatte sich freilich verändert, nur nicht Miss Mary’s treue Gesinnung, — doch, man müsste manchen Bogen vollschreiben, wenn man schildern wollte, wie sie bei ihrer Schönheit, ihrem Reichtum und von Verehrern umringt, doch der ersten wahren Jugendneigung treu geblieben war und sich entschlossen hatte, jedenfalls unvermählt zu bleiben, wenn Mr. Fairweather für sie verloren sein sollte. Nichts war jetzt leichter, als eine Verständigung hinsichtlich der Vergangenheit, und die Zufriedenheit Beider war am Ende nicht minder groß, als sie es fünfzehn Jahre früher nur immer hätte sein können.
Eine kleine Überraschung hatte Mr. Fairweather indes gleich bei der ersten Zusammenkunft, als Miss Mary (die nicht mehr so sylphenhaft wie ehedem, aber bei einiger Fülle eine recht stattliche und angenehme Dame war), sich plötzlich im Gespräch selbst mit der Bemerkung unterbrach:
„O, ich habe meine Dose verlegt — bitte, die Ihrige, mein Freund!“ Gütiger Himmel! Miss Mary Roß schnupfte also! schnupfte selbst und in eigener Person! — und er hatte sich ihr nur wieder zu nähern gewagt, nachdem er seinerseits dieser Gewohnheit völlig entsagt hatte! Sie begehrte seine Dose, die ja längst tief im Meerbusen von Genua begraben lag! Übrigens wähne man nicht, dass dieser Umstand der guten Miss Mary bei ihrem wiedergefundenen Bräutigam schadete; im Gegenteil, er war entzückt darüber und bedauerte nur, im Augenblick ihren Wunsch nicht erfüllen zu können.
Heutzutage schnupfen, was die zarte und anmutige Hälfte des Menschengeschlechts betrifft, allerdings in der Regel nur einige alte Mütterchen und — Köchinnen.
Aber in jener Zeit war (obwohl im Norden weniger als im Süden) der Gebrauch des Schnupftabaks auch unter Damen nichts Seltenes, und neben dem kostbaren Fächer und andern üblichen Schmucksachen stellte manche schöne Insassin einer Opernloge auch gern ihre wertvolle Dose vor den Blicken der neidischen Nachbarinnen zur Schau. Man darf an dergleichen Dingen nichts Arges finden, zumal da es wirklich ersprießlicher und leichter sein würde, Stacheligel zu rasieren und Mohren weiß zu waschen, als mit Zeiten und Sitten zu rechten. Zum Glück besann sich Mr. Fairweather auf die päpstliche Dose, die noch tief im Reisekoffer vergraben lag. Am Tage der Vermählung vertraute er sie seiner Frau an, die darum viel beneidet wurde, denn war es auch ein „papistisches“ Präsent, so dachte man doch daran wenig, sondern hauptsächlich nur an die Seltenheit des Gegenstandes, den mancher Kuriositäten sammelnde Lord gar gern mit großen Opfern für sein Kabinett erkauft haben würde.
Mr. Fairweather behielt Rom stets in gutem Andenken und besuchte es auch bald nach seiner Vermählung noch einmal mit Mrs. Fairweather, wo beide die Ehre hatten, sich in geheimer Audienz Sr. Heiligkeit vorstellen zu dürfen.
Damals nahm auch Mr. Fairweather, dessen ganzes Wesen seit der Verheiratung eine sehr vorteilhafte Veränderung erfahren hatte, endlich wieder die erste Prise und zwar in St. Peter aus der Dose seiner Gemahlin.