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Mr. Fairweathers frühere Geschichte, soweit man sie ermitteln konnte, war äußerst einfach. Im Besitze eines stattlichen Vermögens hatte er sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahre um die anmutige Miss Mary Roß, eine bereits elternlose reiche Erbin, die schon viele Bewunderer abgewiesen, mit Glück beworben. Ihr Vormund hatte jedoch darauf bestanden, sie erst volljährig werden zu lassen, bevor er ihre Vermählung zugeben wollte, und Mr. Fairweather, der viel Geld und nichts zu tun hatte, war auf den Einfall gekommen, die Zeit die ihn noch von seinem Glücke trennte, zur großen Tour zu benutzen d. h. die Niederlande, Frankreich und das südliche Europa zu besuchen.

Wer damals nicht die „große Tour“ gemacht hatte, war bekanntlich kein vollkommener Kavalier. Auf der großen Tour vertiefte man sich nicht etwa in Bibliotheken und Kunstgalerien, man suchte auch nicht große Gelehrte und Künstler auf, wie heutzutage, und ebenso wenig schwärmte man für die Kunstschätze und gefeierten Altertümer Italiens; der Besuch romantischer Landschaften war zu jener Zeit noch gar nicht Mode, denn der damalige Geschmack fand nur blühende Felder und wohlgepflegte Gärten schön, wüste Felshaufen dagegen mit Tannen auf schwindelnder Höhe und dem wilden ungezogenen Sturzbach in der Tiefe entschieden hässlich. Der reisende Kavalier führte in den Hauptstädten Europa’s ungefähr so ein Leben, wie es die zahlreichen Memoiren der damals häufigen sogenannten Aventuriers oder auch die etwas neueren Memoiren Casanova’s schildern, d. h. man verschleuderte ungeheure Summen am Spieltisch, verwickelte sich aus einem galanten Abenteuer ins andre, bewunderte die schöne Natur höchstens aus der Opernbühne und suchte gelegentlich Abwechslung in einem Duell.

Ganz anders war es jedoch mit Mr. Fairweather. Er war ein sinniger gefühlvoller Bräutigam, machte eine echt sentimentale Reise und erreichte endlich ungefährdet und unangefochten Rom. Es mochte dies um das Jahr 1708 sein.

In Rom führte ihn der Zufall bald mit einem Landsmann, einem Mr. Pinch, zusammen, der weniger reich, aber desto lebenslustiger war und den ruhigen Fairweather, den er öfters zum Weine verleitete, wirklich zuweilen mit sich fortriss und in einen etwas stürmischen Zustand brachte. Mr. Pinch hatte übrigens die damals noch nicht so sehr häufige Untugend (wenn diese Bezeichnung nicht zu hart ist), ziemlich leidenschaftlich Tabak zu schnupfen.

Als beide eines Tages mit etlichen Andern ihrer Bekanntschaft beim geselligen Glase weilten, gestand Mr. Pinch mit einem komischen Seufzer, dass er allein durch seine fatale Liebhaberei eine vorteilhafte Partie in der Heimat verscherzt habe, die ihm gar sehr am Herzen gelegen.

„Miss ——, doch ich will ihren Namen nicht verraten sagte er, „war mir gar sehr gewogen und sie würde heute Mrs. Pinch sein, hätte sie nicht urplötzlich den eifrigen Gebrauch bemerkt, den ich von dieser unschuldigen Dose machte. Das war ihr ein Gräuel, sie begegnete mir fortan eiskalt und ich musste alle Hoffnung aufgeben.“

„Sie verdienen kein Mitleid. Übrigens scheint Ihnen dies Laster auch schon mit Ihrem Namen angeboren zu sein,“ bemerkte Mr. Fairweather, indem er an Pinch’s Namen erinnerte, der allerdings Prise bedeutet.

„Ach, Possen!“ erwiderte Mr. Pinch. „Ich richte mich ja darin gar nicht nach meinem Namen. Haben Sie mich jemals etwas nehmen sehn, was eine Prise heißen konnte?“

Er pflegte sich in Wahrheit nicht der Fingerspitzen zu bedienen, sondern griff den Tabak mit dem Daumen und dem Mittelgliede des gekrümmten Zeigefingers so reichlich, dass die Portion stets weit eher eine Handvoll als eine Prise heißen konnte.

„Umso weniger durften Sie sich beklagen, Mr. Pinch. Sie Indiskreter bedienten sich statt des Fingers gleich der ganzen Hand, und dieser Anblick musste Miss Somebody oder wie die Dame hieß, natürlich kopfscheu machen.“

„Hang her! sie hatte Unrecht! Ich versprach ja feierlich, es mir von Stund’ an ganz und gar abzugewöhnen und das hätt’ ich auch sicherlich getan. Aber sie wollte nicht daran glauben.“

„Darin hatte sie doppelt Recht, Mr. Pinch. Sie sind offenbar längst total unfähig, sich es wieder abzugewöhnen. Wollte wetten, Sie könnten sich’s in St. Peter selbst nicht fünf Minuten versagen, wären Sie auch sicher, in der nächsten Stunde die Hauptperson bei einem Autodafè spielen zu müssen.“

„Oho! eine Stunde, einen ganzen Tag, so lange Sie wollen, halt’ ich es aus. Bloßer Spaß, das!“

„Aber Sie sind über einen Monat in Rom und waren doch noch nie in St. Peter, eh?“

„Nun, ja — was soll ich auch dort?“

„Probieren, ob Sie’s eine Stunde ohne Tobak aushalten, was Ihnen nicht gelingen wird.“

Beide erhitzten sich bald und wetteten eine ansehnliche Summe. Mr. Pinch machte sich anheischig, in Gesellschaft seines Freundes dreißigmal und zwar jedes Mal eine Stunde lang die Peterskirche zu besuchen, ohne dort eine einzige Prise zu nehmen.

„Ich werde mir’s leicht zu machen wissen, Mr. Fairweather sagte er, nachdem Alles gehörig verabredet war, „ich werde meine Dose gar nicht zu mir stecken, wenn wir in die Kirche gehen.“

„Oh, never mind!“ erwiderte Mr. Fairweather; „ich werde eine wohlgefüllte Dose mitbringen und nicht verfehlen, sie Ihnen von Zeit zu Zeit anzubieten.“ —

Das Experiment wurde in der verabredeten Weise vorgenommen. Mr. Pinch, der sich vermutlich vorher und nachher tüchtig entschädigte, widerstand der Lockung und hielt sich tapfer. Mr. Fairweather hatte sich in der Tat mit einer Dose versehen, spielte den Versucher nach Kräften und bot alle Lockungen auf, um den Freund zu verführen. Ja, er ging so weit, vor den Augen des Begleiters selbst eine Prise zu nehmen, die allererste in seinem Leben, denn er hatte diese Gewohnheit von jeher gehasst. Diese Prise hatte ein fürchterliches Niesen zur Folge.

Mehrere Personen hatten staunend und sich bekreuzend den Frevel bemerkt, der gewaltiges Aufsehen zu erregen schien. Merkwürdigerweise aber zog niemand den Sünder zur Verantwortung, der, um den Andern zu reizen, noch manche Prise nahm. Aber St. Antonius selbst widerstand dem Versucher nicht glänzender, und schon hatte Mr. Pinch ungefähr zwanzig von den stipulierten dreißig Stunden mit einem Heldenmute überstanden, der einer bessern Sache wert gewesen wäre, als Mr. Fairweather eines Tages in seiner Wohnung einen Brief aus England vorfand, der ihn mahnte, sich nunmehr dort einzufinden, da Miss Mary Roß in wenig Wochen volljährig werden würde und der bejahrte Vormund, der plötzlich eine merkliche Abnahme seiner Gesundheit spürte, gern Alles ins Reine gebracht sehen wollte.

Mr. Fairweather besaß zwei Eigenschaften, von denen man die eine bei einem so ruhigen Manne am wenigsten hätte vermuten sollen. Diese war nämlich, dass er eine gewisse Neigung zu grellen Übergängen, zum plötzlichen Überspringen von einer Sache auf eine andere ganz verschiedene, hegte; und die zweite Eigenschaft, die ihm bei gegenwärtiger Gelegenheit einen Streich spielen sollte, bestand darin, dass er, obwohl im Übrigen ein sehr intelligenter Mann, sich doch nicht leicht mit zwei verschiedenen Gegenständen oder zwei Angelegenheiten gleichzeitig beschäftigen konnte. Was ihn einmal beschäftigte, das nahm ihn gleich ganz ein und er konnte inzwischen an gar nichts Anderes denken. Die etwas mühselige Wettangelegenheit hatte ihn für den Augenblick seine englischen Verbindungen und darauf bezüglichen Wünsche gänzlich vergessen lassen; und jetzt, wo er an letztere erinnert wurde, trat die Wette plötzlich ganz in den Hintergrund. Er dachte nun an nichts auf der Welt weiter, als an seine bevorstehende Verbindung und reiste am nächsten Morgen ab, ohne für seine Freunde, von denen er nicht persönlich Abschied nahm, etwas Weiteres als einen flüchtigen Gruß und den Ausdruck seiner Hoffnung eines baldigen Wiedersehens zurückgelassen zu haben.

Die Reise ging glücklich und so schnell von Statten, als es die Hilfsmittel jener Zeit erlaubten, und Mr. Fairweather fand in der Heimat Alles im erwünschten Zustande. Die einzig bemerkenswerte Veränderung war mit ihm selbst vorgegangen, er hatte sich nämlich bei Gelegenheit und in Folge seiner Verführungsmanöver in der Peterskirche das Schnupfen einigermaßen angewöhnt, war aber, trotz seiner häufigen Zerstreutheit, in diesem Falle behutsam genug, seiner Zukünftigen vorläufig nichts davon merken zu lassen, um sich nicht das Schicksal seines Freundes Pinch zu bereiten.

Es war ein sehr schöner heiterer Tag, wie sie London nicht allzu häufig sieht, als Mr. Fairweather sich zu einer bestimmten Stunde im Hause seiner Braut, das ihr alter Vormund, der zugleich ihr Oheim war, ebenfalls bewohnte, eingefunden hatte, um den Heiratsvertrag zu unterzeichnen. Alle, Braut, Bräutigam, ein Rechtsanwalt und die Zeugen hatten sich soeben versammelt und das Geschäft sollte vorgenommen werden, als man Mr. Fairweather einige Briefe überbrachte, die man ihm aus seiner Wohnung nachgeschickt hatte, weil auf dem einen die Bemerkung „Sehr eilig“ geschrieben stand.

Der Bräutigam öffnete diesen Brief sogleich und versank beim Lesen desselben in tiefes Sinnen.

Plötzlich steckte er die Papiere in die Tasche, warf seinen zerstreuten Blick auf die ehrenwerte kleine Versammlung, bat die Anwesenden um Entschuldigung und um die Erlaubnis, sich wegen eines dringenden Geschäfts, das er vergessen, noch auf kurze Zeit zu entfernen, und ging mit der Versicherung, nicht lange auf sich warten lassen zu wollen.

Diese Verzögerung war unangenehm und der Anwalt, der ebenfalls noch andre dringende Geschäfte hatte, sah verdrießlich nach seiner Uhr.

Wie lange die würdige Versammlung, mit Einschluss der holden Braut, damals beisammen blieb, würde schwer zu ermitteln sein; nur so viel ist außer Zweifel, dass sie nicht bis zur Rückkehr Mr. Fairweather’s versammelt bleiben konnte, denn dieser war, nachdem er sich kaum zehn Minuten in seiner Wohnung aufgehalten, sogleich abgereist und hatte ein segelfertiges Schiff benutzt, um nach Rom zu reisen.

Der entscheidende, mit „Sehr eilig“ bezeichnete Brief war nämlich, wie man leicht errät, von Mr. Pinch gewesen, der sich darin über die plötzliche Abreise Mr. Fairweather’s beklagte, ihm die noch schwebende aber so unverantwortlich vernachlässigte Wette ins Gedächtnis zurückrief und erklärte, er werde sich als den Gewinner betrachten müssen, falls Mr. Fairweather mit Ablauf einer bestimmten Frist nicht eingetroffen sein werde, um die Sache ordentlich zu Ende zu bringen.

Dieser Umstand hatte Mr. Fairweather seine nächsten Angelegenheiten, Braut und Alles, für den Augenblick vergessen lassen, während ihn Pflicht und Ehre ungesäumt nach Rom rief. Es gibt wirklich Leute, die in solchem Grade zerstreut und vergesslich sein können und sah dann in gleicher Weise wie Mr. Fairweather wunderlich benehmen. Vielleicht wird Mancher den hier berichteten Fall übertrieben und unwahrscheinlich finden; das steht natürlich einem Jeden frei; der Fall ist aber nicht erfunden, sondern historisch vollkommen beglaubigt und man braucht daher kein Wort weiter darüber zu verlieren.

Humoristische Geschichten - Vierter Band

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