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m ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts lebte in Rom ein fremder Herr, ein Sonderling, oder — um ihn ohne solch eine garstige Benennung gleich genauer zu bezeichnen — ein Engländer, der für Jung und Alt eine wohlbekannte und vertraute Erscheinung war und den kein Cicerone unter den Sehenswürdigkeiten der Stadt aufzuzählen vergaß. Die Gebildeteren, die seinen Namen auszusprechen vermochten, nannten ihn Signor Fairweather, unter dem Volke hieß er nur der „schnupfende Engländer“. Viele wollten behaupten, es müsse nicht ganz richtig im Oberstübchen bei ihm sein, und die höflicheren Leute erklärten ihn wenigstens für ein Original; Alle aber, namentlich die ärmeren Klassen, priesen ihn dabei als eine menschenfreundliche seelengute Haut, die nur auswendig weit kälter und schweigsamer erschien, als man es unter den beweglichen Bewohnern des Südens gewohnt ist.

Mr. Fairweather, wie er sich selbst nannte, wenn er sich in die ihm unangenehme Notwendigkeit versetzt sah, seinen Namen zu nennen, war allem Anschein nach ziemlich wohlhabend und der Volksglaube schrieb ihm einen Reichtum zu, gegen den die Schätze eines Zauberers der arabischen Märchen nur ein Bettel gewesen sein würden; trotzdem lebte der Engländer für seine eigene Person sehr einfach und frugal, obwohl sein Bankier hätte bezeugen können, dass er Geld genug unter die Leute brachte. Übrigens suchte er nie Gesellschaft, am wenigsten vornehme und am allerwenigsten die seiner eigenen Landsleute.

Den Namen des schnupfenden Engländers hatte er sich dadurch erworben, dass man ihn unfehlbar tagtäglich wenigstens eine Stunde lang in der Peterskirche treffen konnte, wo er, eine große Tabaksdose in der Hand und alle zwanzig oder dreißig Sekunden mit vielem Behagen eine Prise nehmend, langsam auf und abging oder sinnend eines der zahlreichen Kunstdenkmale beschaute, denn etwaige kirchliche Feierlichkeiten und dergl. vermochten seine Aufmerksamkeit wenig zu fesseln.

Bei alledem würde nun weiter —nichts Auffälliges gewesen sein, wenn andre Leute sich ebenso benommen hätten; aber Mr. Fairweather war damals der Einzige, der sich in der Peterskirche eine Prise zu nehmen erlaubte; kein anderer Mensch würde das gewagt haben und zwar aus gutem Grunde.

Zu der Zeit, als der Gebrauch des Tabaks Mode wurde, nahmen, wie man weiß, gar viele Leute großes Ärgernis an dieser neuen Sitte oder Unsitte und man hätte mit dem Psalmisten ausrufen mögen: „Was toben die Heiden!“ denn auch Türken und Heiden, d. h. bloß deren Herrscher, schienen sich gegen das arme Kraut verschworen zu haben. Gleichzeitig mit dem Großfürsten von Moskau, Michael Fedorowitsch, verboten auch der Sultan Amurad IV. und der Perserschah Abbas (reg. von 1587 — 1629) Einfuhr, Anbau und Gebrauch des Tabaks bei Lebensstrafe. Der genannte Schah verbot auch das Opium und machte auf seinem Zuge gegen den Tatarkhan bekannt, dass jedem Soldaten, bei dem man Tabak fände, Nase und Lippen abgeschnitten werden würden, worauf der Frevler noch lebendig verbrannt werden sollte. Auch Japan hatte damals schon Tabak und es erschien auch dort (Anfang des siebzehnten Jahrhunderts) ein Edikt, welches Anbau und Gebrauch der Pflanze bei schwerer Strafe untersagte.

Ganz so grausam war man im christlichen Europa nicht, denn ließ auch die Pariser medizinische Fakultät einmal eine These über die üblen Wirkungen der Tabakspflanze sowohl beim Schnupfen als Rauchen verteidigen, so hatte bei dieser Gelegenheit der präsidierende Dekan doch selber eine Dose in der Hand und

schnupfte heftig. Während die Humanität später mehr und mehr um sich griff, ward der Tabak sogar gewissermaßen zu einem Ehrenzeichen und der losgesprochene Lehrling bewies seine neue Gesellenwürde aller Welt durch die offen zur Schau getragene Tabakspfeife. Marmorne und eherne Standbilder beweisen noch heute wenig, was den wohlbegründeten Ruhm eines Mannes betrifft; wahrer Ruhm und wahre Popularität irgend eines großen Mannes sind erst außer Zweifel gestellt, wenn man sein Bildnis allgemein auf Dosen und Pfeifenköpfen sieht. Verboten war denn auch unter solchen Umständen der Genuss des Tabaks endlich niemanden mehr, ausgenommen unter den Augen der Polizei auf offener Straße; im Übrigen bekamen nur noch die kleinen Jungen, die zu frühzeitig rauchten, wohlgemeinte Prügel; neuerdings ist auch diese harte Maßregel in Wegfall gekommen und man will hier und da schon Säuglinge mit der Zigarre im Mäulchen gesehen haben.

Im zeitig vorgeschrittenen England fiel es schon einem Jacob I. nicht ein, die Raucher lebendig verbrennen zu lassen; er schrieb bloß sein Buch, den „Rauchfeind“, Misocapnus or Counterblaste to tobacco, wogegen die Jesuiten ein Werk „Antimisocapnus“ herausgaben.

Die Diener der Kirche, die sich allezeit gelegentlich um weltliche Dinge bekümmern mussten, weil sie bei den himmlischen nicht volle Beschäftigung finden konnten, ließen es sich damals, trotz dem von den Jesuiten gegebenen Beispiele, besonders angelegen sein, gegen diese kleine irdische Liebhaberei mit demselben Feuereifer zu wüten, den sie früher schon gegen die Pluderhosen und andre derartige Modeartikel bewiesen hatten. Die Frommen erfuhren zu ihrem Grauen von den Kanzeln, dass die Hölle wieder um zwei neue Teufel reicher geworden, den Rauch- und den Schnupfteufel. Der letztere, der sonst im Allgemeinen noch die meiste Toleranz fand, zog sich indes die persönliche Feindschaft St. Heiligkeit zu und freilich nicht ganz ohne Ursache. Ja den Kirchen Sevilla’s hatte nämlich das viele Riesen der noch ungeübten Schnupfer Anstoß erregt und nun exkommunizierte Papst Urban VIII. (freilich der nämliche, unter dessen Auspizien die Inquisition Galilei zum Abschwören seiner Lehre zwang!) Alle, die in einer Kirche schnupfen würden. Damals las man am Pasquin in Rom eines Tages die Stelle aus Hiob (13,12):

„Willst Du wider ein fliegend Blatt so ernstlich sein

und einen dürren Halm verfolgen?“

Wie immer, erwies sich aber auch diesmal die Sitte auf die Dauer mächtiger als das Gesetz, und als Papst Innozenz XII. im Jahre 1690 den von Urban ausgesprochenen Bann erneuerte, geschah dies doch ausdrücklich nur hinsichtlich der Peterskirche, während sonst überall der Schnupfteufel das Feld behauptete. Ja der Peterskirche wurde nun aber auch umso strenger auf die Beobachtung des Gesetzes gehalten.

Eigentlich zeugte das Verbot des Schnupfens von tieferer Menschenkenntnis, als das Verbot des Tabakrauchens auf offener Straße, welches letztere eine der Haupterscheinungen in der deutschen Polizeigeschichte des neunzehnten Jahrhunderts gewesen ist; denn man kann mit Fug sagen:

„Zwei Prisen aus einer Dose —

Zwei Herzen und ein Schlag!“

d. h. die beiden Prisen aus einer Dose können gar leicht aus zwei bis dahin einander fremden und gleichgültigen Leuten ein Paar Vertraute und folglich auch Komplottschmiede oder Verschwörer erster Klasse machen; die Prise (dieser trefflichste Köder zum Anknüpfen einer Bekanntschaft) kann weit leichter das Zündkraut zur Explosion eines Aufruhrs werden, als die brennende Zigarre und die Mittheilung des Feuers. Die letztere ist fast immer unbequem und macht die Beteiligten nicht leicht zu Freunden, zumal da sie das Gespräch notwendigerweise verhindert, während die dargebotene und angenommene Preise sofort wie durch Zauber ein „herzliches Einverständnis“ herbeiführt.

Doch kommen wir zu unserm Engländer zurück!

Mr. Fairweather trieb sich, einsam unter der Menge, an allen öffentlichen Orten in Rom umher und sprach, wie gesagt, täglich eine Stunde lang in der Peterskirche seiner Dose zu. Er war sonach gegen die geheiligte Autorität des Papstes geradezu ein Rebell, und wie denn Rebellen fast immer für interessant gelten, so war auch der rebellische Engländer für die Römer und noch mehr für die Römerinnen eine anziehende Erscheinung. Viele, die ihn als Kinder schon gekannt hatten, waren zu jungen Männern und Frauen herangereift, und noch immer sahen sie unverändert die altvertraute Gestalt durch die Straßen wandeln und dem Heiligen Vater zum Trotz in der Peterskirche schnupfen. Gleichwohl war Mr. Fairweather keineswegs ein alter Graukopf. Seine ein wenig pedantische Tracht und Haltung und die äußerst gesetzte ewig gleiche Miene seines Gesichts ließen ihn vielleicht weit älter erscheinen, als er war; ein Greis war er aber bei weitem noch nicht. Er sprach übrigens selten und wenig, vielleicht nur, weil es ihm unmöglich war, der italienischen Sprache genugsam mächtig zu werden.

Es hat sich nie vollkommen aufklären lassen, weshalb Mr. Fairweather trotz des jahrein jahraus täglich verübten Frevels fortwährend frei ausging und unangefochten blieb, während in den äußerst seltenen Fällen, wo sich etwa einmal ein anderer Freund der Dose in der Peterskirche vergaß, stets die strengste Ahndung erfolgte, denn in diesem Punkte war man nicht tolerant in Rom, so sehr man es sonst auch in mancher andern Beziehung dort zu sein pflegte. Umso auffälliger und rätselhafter war das scheinbare Privilegium des Engländers. Viele waren der Ansicht, die Regierung drücke dem Sonderling zu Gefallen ausnahmsweise ein Auge zu, weil er mit seinen großen pekuniären Hilfsmitteln ganz in der Stille eine Art von Armenbankier war, dessen Börse allen Hilfesuchenden, namentlich unter den untern Volksschichten, allezeit offenstand. Mochten es die Empfänger auch euphemistisch ein „Darlehn“ nennen, Mr. Fairweather lieh niemals, er machte nur Geschenke. Daher mocht’ es auch kommen, dass ihm niemand übelwollte, dass ihm kein Mensch seine eigentümliche Freiheit beneidete, dass ihn die Kinder auf der Straße immer lachend und jauchzend begrüßten und dass ihm die schönen römischen Mädchen, wenn sie Wasser am Brunnen schöpften, stets ihr freundlichstes bezauberndstes Lächeln zu schenken bereit waren, wenn er es nur entgegen nehmen wollte. Schade, dass er bei alledem immer so ruhig gelassen und kalt dreinsah, wie ein echter englischer Themsefrosch.

Humoristische Geschichten - Vierter Band

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