Читать книгу Falsch verbunden, ich bin dein Mörder! 3 Top Krimis - Theodor Horschelt - Страница 18
V
ОглавлениеMein erster Tag im Gefängnis war ein Sonntag. Soweit Sie mich kennen, wissen Sie, dass ich schon des Öfteren ein Gefängnis von innen betrachtet habe. Aber dieses in San Luis Cavanilles schlug doch alle negativen Rekorde. Selbst das berüchtigte Zuchthaus Sing-Sing war gegen diese mexikanische Haftanstalt ein Luxushotel für Millionäre der besseren Preisklasse.
Ich lag auf einer verfaulten Holzpritsche und hatte eine moderige Decke zum Zudecken, die alle sieben Wohlgerüche Asiens ausströmte. An den Wänden spazierten Wanzen und lange Kakerlaken ungeniert auf und ab und schienen geistvolle Spekulationen darüber anzustellen, wann ich zum Auffressen reif sein würde.
Mein Gefängnis hatte nach außen ein kleines, schwer vergittertes Oberlicht, durch das Sonne und Luft in ganz minimaler Quantität eindrang.
Dem Gang zu war es durch eine Lattenrosttüre verschlossen. Von einer Ventilation war nichts zu spüren. Die Luft in dem kleinen Raum war zum Ersticken, und der Brechreiz schüttelte mich bis zur völligen körperlichen Erschöpfung.
Ich sah, dass ich auf diese Weise nicht weiterkam, riss mich krachend am Riemen und war nun endlich einer vernünftigen Erwägung zugänglich.
Jedes mal, wenn der triefäugige, schlampige Gefängniswärter vorbeimarschierte, rüttelte ich an meinem Lattenrost und verlangte Leutnant Ramirez, meinen Konsul, einen Rechtsanwalt, und ich weiß nicht was sonst, zu sprechen.
Aber der Mexikaner hörte gar nicht auf meine Jeremiaden, lächelte mich hin und wieder zerstreut, doch mit ausgesuchter Höflichkeit an und sprach nur: „Mañana!“
Mañana – morgen. Das ist die Zauberformel der südlichen Welt. Wie der Russe Nitschewo sagt, sagt der Südamerikaner Mañana, und wenn Sie ihn fragen, wann Mañana sei, dann wird er Ihnen mit hochgezogenen Augenbrauen zur Antwort geben, eben morgen.
Auf diese Weise können Sie sterben und verderben, ohne amtlicherseits abgefertigt worden zu sein.
Am frühen Nachmittag wurde endlich mein Gefängnis aufgesperrt. Der Wärter schob eine schmale Gestalt zu mir in die Zelle und verschloss sie wieder sorgfältig.
Es war Gloria Keegan. Sie hatte dunkle Ringe um die Augen.
„Welch Glanz in meiner Hütte!“, sagte ich. „Um Himmelswillen, Miss Gloria, begeben Sie sich nur nicht in diesen Gestank hier! Gehen Sie wieder ins Freie, und sehen Sie zu, dass Sie einen Rechtsanwalt für mich auftreiben. Ich will irgendwie wieder herauskommen, damit ich den Fall klären kann. Oder glauben Sie selbst, ich sei der Mörder?“
Das Mädchen schüttelte seine goldblonden Locken und blickte mich mitleidig an.
„Reden Sie keinen Quatsch, Tabs! Selbstverständlich bin ich von Ihrer Unschuld überzeugt. Selbst wenn Sie einen Grund gehabt hätten, Felipe Pizarro zu ermorden, dann hätten Sie es nicht auf derart einfältige Weise getan, den im Zelt neben Ihnen Liegenden zu erstechen.“
„Ihre Anerkennung tut mir in der Seele wohl“, erwiderte ich. „Aber es wäre mir fast lieber, die mexikanischen Polizeibehörden wären von meiner Unschuld überzeugt, und nicht Sie.“
„Das glaube ich Ihnen ohne Weiteres, Tabs, aber ich kann Ihnen im Augenblick nicht helfen. Hier, nehmen Sie. Ich habe Ihnen Zigaretten, einige Tafeln Schokolade und etwas Geld mitgebracht. Das dürfen Sie als Untersuchungsgefangener besitzen, und es wird Ihnen die Haft ein klein wenig erleichtern.“
Sie schob mir ein umfangreiches Paket zu, Und ich wäre ihr am liebsten dankbar um den Hals gefallen.
„Heute ist Sonntag, und die Leute in San Luis feiern außerdem irgendein Fest“, sprach Gloria Keegan weiter. „Es ist völlig unmöglich, heute irgend etwas für Sie zu tun. Leutnant Ramirez ist mir vorhin völlig betrunken begegnet und hat mir vollkommen eindeutige Vorschläge gemacht. Der Richter liegt besoffen in einer Kneipe, die Polizisten können nicht mehr gerade stehen, und der Bürgermeister ist spurlos verschwunden. Unangenehmerweise ist der nächste Konsul in Mexiko City. Ich werde den morgigen Tag hier abwarten, um zu erfahren, was die Mexikaner nun mit Ihnen vorhaben. Wenn ich das weiß, werde ich das Konsulat telefonisch informieren und gleichzeitig einen schriftlichen Bericht loshetzen. Ich glaube, wir werden Sie im Laufe der Zeit schon wieder freibekommen.“
„Ausgezeichnet!“, erwiderte ich ironisch. „Da haben Sie mich in San Diego als starken, männlichen Schutz engagiert, Miss Gloria, und jetzt stellt es sich heraus, dass Sie mir nicht nur mein Gehalt zahlen, sondern auch noch meinen Schutz übernehmen müssen. Ich muss schon sagen, die Angelegenheit Rex Thyle hat sich für Sie maßlos gelohnt!“
Gloria Keegan lächelte und streichelte mir tröstend die Wange.
„Mein lieber Tabs“, sagte sie, „Sie sind mir trotz allem unendlich wertvoll. Besonders jetzt, da Pizarro tot ist. Ich halte mich im Augenblick hier in San Luis auf, denn ich würde es niemals wagen, allein unser Felsencamp zu beziehen. Immerhin treiben sich dort in der Nähe Mörder herum. Erst wenn ich Sie wieder freibekommen habe, werde ich mit Ihnen dort hinaufziehen, aber wir werden doch wohl unbedingt wachen müssen.“
Sie hätte sich gern noch eine ganze Weile mit mir unterhalten, aber jetzt kam wieder der schlampige Gefängniswärter und scheuchte sie mit barschen Worten aus meiner Zelle heraus.
Ich beschloss, ihm bei Gelegenheit die Visage zu polieren. Hoffentlich hatte ich auch eine Chance, dieses löbliche Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Sie werden lachen: Trotz der Tatsache meiner Inhaftierung war ich durchaus in der Lage, das Volksfest von San Luis mitzufeiern. Die wackeren Eingeborenen machten einen derartigen Krach, dass er schlechterdings nicht zu überhören war. Fünf, sechs Musikkapellen spielten durcheinander, und die Luft war mit einem brausenden Geschrei erfüllt.
Irgendwie war ich meinem Schöpfer dankbar, dass ich in der stillen Zurückgezogenheit meiner Zelle liegen durfte und die sonnigen Spiele dieser Verrückten dort draußen nicht mitmachen musste.
Als sich allmählich milde Dämmerung über das Gefängnis zu senken begann, hörte ich plötzlich im Gang eine besonders grölende Stimme, und gleich darauf betrat Leutnant Ramirez meine Zelle.
Er gab dem Wärter, der hinter ihm abschließen wollte, einen Fußtritt in den Bauch, dass er wie ein frisch importierter Tiroler jodelte und wankte dann auf unsicheren Beinen auf mich zu.
Hatte der Polizeioffizier schon in Uniform einen unerhört ausdrucksvollen Eindruck auf mich gemacht, so imponierte er mir in seinem eleganten Zivil noch mehr.
Er wirkte wie ein riesiger Globus, den der Altwarenhändler zum Scherz eingekleidet hat.
Ramirez trug ein Hemd, das dringend frisch geschwärzt hätte werden müssen, weil bei ihm bereits das Weiße durchkam, darüber hatte er einen alten Frack drapiert, der auf außerordentlich verschlungenen Wegen nach San Luis gekommen sein mochte, und die roten Hosen und die Schuhe hätten von einem ehemaligen Zirkusdompteur stammen können.
Anstelle eines Taschentuches ließ er ein hauchdünnes Damennylonhöschen zur Tasche heraushängen, und dieses Höschen hatte einen derart sagenhaft geringen Umfang, dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, es sei nicht im Bett erobert, sondern zwecks Angabe auf kommerzielle Weise gekauft.
„Na, du verhauter Stinker, da bist du ja!“, sagte Ramirez auf Spanisch.
Das verstand ich zwar einigermaßen, aber ich gab das nicht zu, und deshalb grinste ich ihn nur unschuldig an.
„Nun, mein lieber Mr. Thyle“, begann er in einigermaßen flüssigem Amerikanisch. „Wie gefällt Ihnen der kostenlose Staatsaufenthalt in San Luis?“
„Ausgezeichnet, mein lieber Leutnant Ramirez“, erwiderte ich. „Das Gefängnis ist der einzig angemessene Aufenthalt für einen Gentleman meines Ranges. Mit den Verrückten da draußen zu tingeln kann ja wohl kein Mensch von mir verlangen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich im Augenblick der einzige Bewohner von San Luis bin, der noch sämtliche Speichen im Rad und alle Tassen im Spind hat.“
Er machte ein Gesicht, als hätte er sich einen seiner schadhaften Stockzähne ausgebissen. Vermutlich war diese Antwort nicht das, was er hatte hören wollen.
„Es gäbe eine Möglichkeit, Sie aus dem Gefängnis herauszubekommen, mein lieber Mr. Thyle“, sprach der Leutnant weiter und kicherte betrunken.
„Ausgezeichnet, so etwas höre ich immer gern. An welche Möglichkeit denken Sie, Leutnant?“
„Nun“, sagte er. „Diese Miss Keegan, Ihre Arbeitgeberin, ist ein verdammt fesches Weib. Ein verdammt fesches Weib“, wiederholte er. „Wenn Sie sie vielleicht veranlassen könnten, ein klein wenig – nun, wie soll ich mich ausdrücken – ein klein wenig nett zu mir zu sein, dann wäre ich unter Umständen in der Lage, zwei oder drei Augen in Ihrer Angelegenheit zuzudrücken.“
Ich lachte ihm einfach ins Gesicht. „Das kann ich mir vorstellen, mein lieber Ramirez, dass Ihnen der Zahn nach Gloria Keegan tropft. Aber dieses Gewächs steht in einem andern Garten und ist nicht für Sie bestimmt. Reißen Sie sich eines von den stinkenden Weibern oder eine ungewaschene Mestizin oder Latina unter den Nagel und vergnügen Sie sich auf Ihre Weise. Aber lassen Sie gefälligst eine zivilisierte Dame wie Gloria Keegan aus dem Spiel. Ehe Sie eine Gloria Keegan erobern können, müssen Sie noch einmal geboren werden, und achtzig Prozent Ihrer Fettmassen können dann ruhig in den Abfalleimer fliegen. Haben Sie mich verstanden, Sie sonderbares, pflichtvergessenes Subjekt!“
Ganz so ernst meinte ich meine Standpauke ja nicht. Auf der anderen Seite schadete es ihm gar nichts, wenn er endlich hörte, was ein zivilisierter Amerikaner von ihm hielt.
Ramirez überlegte sich lange und gründlich, ob er sich auf mich stürzen und mich in die Schnauze schlagen oder ob er mich nur mit Verachtung strafen solle.
Angesichts meiner keineswegs verhungerten Figur, meiner momentanen Aufgekratztbeit und meiner offen zur Schau getragenen Renitenz schien er es für besser mich mit Verachtung zu strafen. Er murmelte eine ganze Reihe einheimischer Flüche vor sich hin, die ich mir selbst bei bestem Willen nicht merken konnte und verließ dann meine Zelle.
Ich dachte schon, ich hätte vor diesem verfluchten Mastschwein endlich Ruhe, aber es kam anders. Schon zehn Minuten später kam er zurück, und es hatte fast den Anschein, als sei er diesmal nicht mehr ganz so besoffen wie vordem.
„Ich habe mir die Sache überlegt“, sagte er. „Es spricht doch nicht alles dafür, dass Sie der Mörder sind. So dumm, wie Sie sich angestellt hätten, wenn Sie den Mann wirklich ermordet hätten, stellt sich nicht einmal ein Amerikaner an. Ich nehme an, Sie sind bereit, sich zu verpflichten, im Augenblick Ihren Standort nicht zu verlassen; unter diesen Umständen bin ich bereit, Sie wieder freizugeben, und zwar auf der Stelle.“
Wenn er mir alle Zähne in den Hals geschlagen hätte, ich wäre nicht erstaunter gewesen, als über diese markige Rede.
Ich dachte natürlich im ersten Augenblick, er wolle mir nur ein klein wenig an den Wimpern klimpern, aber das war ein Windei, er dachte gar nicht daran. Im Gegenteil. Er fasste mich ungeschickt an der Hand, zog mich von meiner Pritsche hoch und führte mich in das trostlose Geschäftszimmer der Polizeistation, die im gleichen Haus wie das Gefängnis untergebracht war.
Dort bekam ich mein Geld, meinen Füllfederhalter und sogar mein Knalleisen wieder, ich musste nur darüber quittieren, und fünf Minuten später war ich frei.
Dunkel sind die Wege eines südamerikanischen Gehirns. Man sollte direkt bei Gelegenheit einen psychologischen Roman darüber schreiben. Vielleicht tu ich’s tatsächlich noch!
Die wackeren Bewohner von San Luis Cavanilles hatten ganz offensichtlich einen Knall mit Freilauf. Sie zogen singend und grölend durch die Straßen der kleinen Stadt, trugen riesige Transparente mit sich, deren Inschriften ich nicht verstand und benahmen sich wie die ersten Menschen bei der Landung einer fliegenden Untertasse.
Männer und Frauen befanden sich in einer heldischen, ja, sogar fast hysterischen Erregung, sie tanzten und jubelten bis zur Erschöpfung und verschiedentlich lagen schon Gestalten am Boden, von denen ich nicht wusste, ob sie infolge von Trunkenheit oder wegen totaler Erschöpfung zusammengebrochen waren. Mich schauderte, wenn ich daran dachte, dass Gloria Keegan unter diese Räuber gefallen war.
Zufällig wusste ich, wo das einzige Hotel der Stadt zu finden war, und ich gab mir die allergrößte Mühe, Gloria dort ohne Verzug aufzusuchen. Irgend woanders konnte sie sich ja nicht aufhalten.
Auch in dem Hotel war man vollkommen aus dem Häuschen. Ich fragte die zahnlose Besitzerin nach Miss Keegan und erfuhr von ihr, dass Miss Keegan Zimmer fünf belegt hätte.
Ich orientierte mich ganz kurz über die Situation, nahm dann mit ein paar langen Sätzen die Treppe zum ersten Stock und schnüffelte dort herum. Dann klopfte ich bei Zimmer fünf.
Ein leiser Schrei antwortete.
„Draußen bleiben!“, sagte Gloria Keegan scharf. „Ich schieße, ich fackle nicht!“
„Aber beruhigen Sie sich doch, Goldkind!“, grinste ich durch die Zähne. „Ich bin es, Rex Thyle, Tabs! Sie brauchen jetzt keine Angst mehr zu haben.“
Im gleichen Moment flog die Türe auf, Gloria Keegan legte die Arme um meinen Hals, ihren Kopf an meine Brust, und dann weinte sie bitterlich.
Ich nahm die leichte Gestalt auf meine „Arme und trug sie ins Zimmer zurück. Dann verschloss ich die Türe.
„Oh, Tabs, wie schön!“, sagte Gloria. „Wie wunderschön! Ich glaube, es ist ein Traum. Seit Stunden belagern mich die verrückten Mannsbilder hier, und ich fürchtete schon, ich müsse tatsächlich unter ihnen ein Blutbad anrichten. Wie sind Sie denn freigekommen? Erzählen Sie!“
„Ich vermute, es war eine besoffene Laune dieses Leutnant Ramirez“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. „Warum der Bursche mich laufen ließ, ist mir vollkommen unerfindlich. Er hat mir jedenfalls plötzlich das Gefängnis geöffnet und mir den Rat gegeben, die Mücke zu machen. Diesen Rat habe ich selbstverständlich befolgt. Ich bin dafür, dass wir uns schleunigst hier verziehen, sonst gibt es doch noch eine fürchterliche Keilerei.“
„Ich glaube, es wäre das Beste, wir würden tatsächlich abhauen. Aber das ist vollkommen unmöglich. Mein Ford BB steht drüben im Felsencamp, und die hiesigen Autovermieter sind alle besoffen. Wir werden schon die Nacht hier verbringen müssen.“
„Selbstverständlich. Ich will mich dann nach einer Schlafgelegenheit umsehen.“
„Kommt gar nicht in Frage, Tabs. Ich lege mich angekleidet aufs Bett, und Sie schlafen hier auf der Couch. Wozu habe ich Sie schließlich zu meinem Schutz engagiert? Und ich würde mich notfalls sogar in ein Bett mit Ihnen legen. Solche Angst habe ich vor den entsetzlichen Menschen hier. Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch.“
Ich verstand die aparte Amerikanerin selbstverständlich nicht falsch. Ich legte mich aufs Sofa, und sie legte sich ins Bett. Ich konnte sie sogar dazu überreden, sich auszuziehen und damit einen besseren Schlaf zu finden.
Passiert ist nicht die Bohne. Dafür bin ich Ihnen gut. Ich bin ein Mann mit Grundsätzen und habe es gar nicht nötig, mich einer Frau gewaltsam zu nähern, die mich an sich für rein platonische Zwecke zu verwenden gedenkt.