Читать книгу Falsch verbunden, ich bin dein Mörder! 3 Top Krimis - Theodor Horschelt - Страница 28
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ОглавлениеIm Augenblick war von den wütenden Bewohnern nichts mehr zu hören. Gleich nach dem betäubenden Donner prasselte eine Regenflut herunter, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen und gehört hatte. Ich konnte durch das vergitterte Fenster verhältnismäßig wenig von den Vorgängen im Freien wahrnehmen, aber dass es sich um ein fürchterliches Unwetter handelte, war eine ausgemachte Sache.
Das Wetter ging nieder, und nach fünf Minuten kam der nächste Blitz, gefolgt von einem ebenfalls betäubenden Donner. Und dann ging alles Schlag auf Schlag. Die Blitze zuckten, der Donner krachte, der Regen prasselte, und irgendwo in der Ferne hörte ich hohles Heulen, das ich mir nicht erklären konnte.
In diesem Augenblick erlosch das elektrische Licht in meiner Zelle. Leutnant Ramirez und seine drei Polizeisklaven, die bisher bei mir gesessen hatten, glitten von ihren Stühlen, fielen auf die Knie und begannen irgendeinen lateinischen Sermon zu beten.
Von einer Stürmung des Gefängnisses war nicht mehr die Rede. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Was ist geschehen?“, wollte ich die vier tragischen Wachsfiguren fragen. Aber die Ereignisse nahmen mir gewissermaßen die Worte aus dem Mund.
Das hohle Heulen wurde stärker und stärker, es entwickelte sich zu einem knackenden und krachenden Prasseln, zu einem wahren Furiosum der Hölle. Und gleich darauf war tatsächlich bei uns die Hölle los. Ich hörte das Geräusch zusammenstürzender Mauern, herabfallender Dachschindeln und abknickender Balken. Irgendwo heulte eine Stimme los, Hunderte und Tausende anderer fielen ein, und ich wurde unwillkürlich an eine der Szenen aus Dantes göttlicher Komödie erinnert.
Gleich darauf hatte das Gefängnis kein Dach mehr. Es klirrte, knatterte und prasselte, und rings um die Mauern flogen die Dachziegeln nur so herunter.
„So, mein lieber Ramirez, jetzt hat sich die Situation ein klein wenig geändert“, sagte ich mit einem Versuch zu grinsen. „Ihren verdammten Mastschweinen von Mitbewohnern hat der liebe Gott sehr zu Recht die Hosen strammgezogen. Ich bin überzeugt, in Ihrem Revier herrscht das größte Durcheinander. Seien Sie so freundlich und verlassen Sie meine Zelle, rücken Sie mit Ihren Leuten zur ersten Hilfe aus!“
„Wo ich bin und bleibe, das geht Sie einen Dreck an“, erwiderte Ramirez. Er zitterte vor Furcht.
„Das geht mich keineswegs einen Dreck an!“, erwiderte ich massiv. „Ich kenne auch die Gefängnisvorschriften von Mexiko. Ich habe ein Recht darauf, mich nur in Gesellschaft meiner Mitgefangenen zu befinden oder in Einzelhaft gehalten zu werden. Sie können mich durch Ihre Wärter zum Verhör holen lassen, Sie können auch in meine Zelle kommen und mich da verhören, aber es ist im höchsten Maße unzulässig und unstatthaft, dass Sie sich ängstlich zu mir verkriechen. Machen Sie, dass Sie rauskommen, sonst packe ich Sie am Kragen und vergreife mich an Ihnen!“
Die vier Wunderpolypen duckten sich, standen langsam auf und machten dann wie die geprügelten Hunde die Mücke.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, sagt ein altes Sprichwort. Ich wusste ganz genau, dass nach Beseitigung der schlimmsten Schäden die erregte Volksseele von San Luis Cavanilles unter Umständen auf den kleinen Spaß mit mir zurückkommen würde. Ganz sicher war ich nicht, aber ich wollte mich lieber davor hüten, meine Lage zu rosig zu sehen.
Für den Rest der Nacht blieb es ruhig. Wenigstens was meine Person betraf. Das Unwetter tobte lustig weiter, die Windhose war aber von San Luis wieder weggezogen und so gnädig, im Verlauf der Nacht nicht noch einmal zurückzukehren.
Ich wusste, dass die Umstände für eine Flucht einmalig günstig waren, und ich gab mir die größte Mühe, aus dem Gefängnis von San Luis zu entkommen.
Selbstverständlich war es unmöglich, durch das vergitterte Fenster die Zelle zu verlassen, das versuchte ich gleich gar nicht. Aber die Gitterstäbe meiner Lattenrosttür machten einen außerordentlich schwachen Eindruck, und ich versuchte, mich mit der ganzen Wucht meiner eindrucksvollen Erscheinung dagegen zu werfen.
Aber ich hatte damit bedauerlicherweise kein Glück. Der Lattenrost war wesentlich fester, als ich angenommen hatte, ich schaffte es einfach nicht, mich zu befreien.
Nun resignierte ich. Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Dinge einfach an mich herankommen zu lassen. Ich gab mit schmerzenden Knochen meine vergeblichen Bemühungen auf, verfügte mich zu meiner harten Pritsche zurück und legte mich endlich lang.
Und dann versuchte ich zu schlafen. Aber schlafen Sie mal, wenn Sie fern von der Heimat in einem fremden, unwirtlichen Land im Gefängnis festgehalten werden und nun für die nächste Folgezeit die Wahl haben, sich entweder von wütenden Volksmassen bei lebendigem Leibe zerreißen zu lassen, oder von der fragwürdigen Justiz dieses Landes wegen eines Mordes zum Tode verurteilt zu werden, den Sie gar nicht begangen haben!
Sie werden verstehen, dass es außerordentlich finstere Gedanken waren, die ich im Verlauf dieser bedeutungsvollen Nacht wälzte. Als der Morgen mit seinem trüben Schein endlich hereinbrach, lag ich immer noch schlaflos und ganz zerschlagen auf meiner Pritsche,
Ich wollte mir bereits überlegen, was ich nun am fangen könne, um mein ach so kostbares Leben doch noch einmal zu retten, aber da wurde grob an meiner Türe gerüttelt und aufgeschlossen.
*
Gleich darauf trat Leutnant Ramirez ein. Er war gestiefelt und gespornt und von zwei Bleichgesichtern begleitet, die die entsicherten Maschinenpistolen verdächtig nahe, vor meinem Korpus baumeln ließen.
„Nanu, Leutnant, so früh am Morgen?“, sagte ich. „Hat man Sie wieder seelisch und moralisch gestärkt? Was führt Sie zu mir? Wollen Sie mich vielleicht standrechtlich erschießen lassen?“
„Reden Sie keinen Unsinn, Thyle“, gab der Leutnant scharf zur Antwort. „Reden Sie insbesondere nur, wenn Sie gefragt werden. Ich will dem ganzen Geplänkel hier die Spitze abbrechen und Sie, bevor die Bewohner unseres Ortes erwachen, nach Guadalajara überführen lassen. Ich rate Ihnen, das Maul zu halten, sonst muss ich Ihnen draufschlagen, dass Ihnen die Zähne bataillonsweise in den Hals fliegen. Ich glaube, ich rede Ihre Muttersprache so deutlich, dass Sie mich verstehen können.“
„Aber sicher, Leutnant!“, erwiderte ich. „Ich werde mich ganz nach Ihrem Befehl richten. Und Sie erscheinen mir heute in Ihrer heroischen Pose geradezu als ein Vorbild. Vergangene Nacht indessen haben Sie keinen derartigen Eindruck gemacht.“
Der Leutnant hob die Hand, um mich ins Gesicht zu schlagen, ich hielt dem ruhig stand, tauchte dann aber blitzschnell weg und ging in die Hocke. Dadurch wurde er veranlasst, mit der Hand gegen die Gefängnismauer zu patschen, dass es nur so schepperte, und er brach gleich darauf in ein unartikuliertes Gebrüll aus. Höchstwahrscheinlich hatte er sich seine verfettete Hand verstaucht. Aber er machte keine Anstalten mehr, sich an mir, seinem Gefangenen, misshandelnd zu vergreifen.
*
Man schaffte mich in den Gefängnishof, wo eines der drei Autos des Leutnants bereitstand. Ich durfte einsteigen und musste meine Hände nach vorne halten. Jemand ließ stählerne Handfesseln über meinen Gelenken zusammenknacken, und auf diese Weise hatte man endlich den gefährlichen Verbrecher fest.
Zwei Polizisten rissen im letzten Moment das Tor auf, dann gab der Fahrer gewaltig Gas und raste auf die Straße, wo kaum eine Menschenseele der kleinen Stadt zu sehen war.
Die Verwüstungen, die der Sturm hinterlassen hatte, waren nicht ganz so schlimm, wie ich geglaubt hatte. Immerhin, es reichte.
Wir fuhren in harter Fahrt aus der Stadt heraus und nahmen dann den verhältnismäßig guten Weg zum Tal des Rio Grande de Santiago hinunter. Im Übrigen kannte ich diesen Weg schon und konnte mir ausrechnen, wann ich in den Händen der rächenden Nemesis der Distrikthauptstadt sein würde. Ich hatte den leisen Eindruck, dass es nicht geraten sei, mich vertrauensvoll in die Hände der irdischen mexikanischen Gerechtigkeit zu begeben.
Ich musste vielmehr anstreben, auf dem schnellstmöglichen Wege die Mücke zu machen.
Aber das war selbstverständlich eine rein theoretische Erwägung, denn wie hätte ich es denn schaffen sollen, meine Konzeption in die Tat umzusetzen?
Nach etwa einer Stunde kam ein liebliches Tal in Sicht. Es handelte sich um ein kleines Flüsschen, das zum Rio Grande de Santiago fließen mochte. Dort machten meine verhungerten Gefängniswächter halt.
Ich erhielt großzügig die Erlaubnis, im Wagen sitzen zu bleiben. Meine Wächter, darunter Leutnant Ramirez, öffneten den Kofferraum des offenen Kraftfahrzeuges und holten einen ledernen Picknickkoffer heraus.
Kurz darauf hatten sie in Sichtweite meiner Augen ein ehemals weiß gewesenes Tischtuch im Gras ausgebreitet, und dort deckten sie nun die tollsten Herrlichkeiten auf, als da sind: Rollschinken, Lachs, Brot, Butter und Wein.
„Von Rechts wegen hätten Sie ja auch Anspruch auf eine bescheidene Verpflegung, Thyle“, brummte Leutnant Ramirez trocken. „Aber angesichts Ihrer Aufsässigkeit und Ihrer offen zu Tage getragenen Verachtung der Behörden bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie durch Essensentzug zu strafen.“
„Das ist gegen jede Vorschrift, das ist gegen jedes Gesetz!“, rief ich erregt. Ich hatte Hunger und Durst. „Ich werde mich, sobald ich in Guadalajara eingetroffen bin, bei den zuständigen Behörden zu beschweren wissen, und es wird Sie teuer zu stehen kommen, was Sie allein im Verlauf der letzten Woche verbrochen haben!“
Leutnant Ramirez stand langsam auf. Eine Hühnerkeule in der Hand haltend und heftig kauend, schmatzend und schlingend kam er näher und grinste mich offen an. Und dann sagte er mir, was ich könne, und was ich insbesondere ihn könne.
*
Ich glaube, ich habe Sie schon hinlänglich darüber aufgeklärt, was das Mañana des Südamerikaners zu bedeuten hat. Die Burschen hatten aus ehrlicher Besorgnis, einen fürchterlichen Saustall zu kriegen, den heroischen Entschluss gefasst, bei Sonnenaufgang aufzustehen und mich schleunigst aus San Luis Cavanilles abzuschleppen. Da nun tatsächlich alles gut gegangen war und man sich in Sicherheit befand, hatten sie gar keine Veranlassung mehr, diesen unverhofften Betriebsausflug unnötig abzukürzen. Deswegen dachten sie gar nicht daran, aus dem Flusstälchen so bald wieder aufzubrechen. Im Gegenteil: Sie gaben sich größte Mühe, das Picknick zu verlängern. Sie fraßen wie die Schweine, rülpsten ungeniert und tranken sich gegenseitig ununterbrochen zu.
Ein derart vernunftwidriges Verhalten hätte selbst den stärksten Mann aufs Kreuz gelegt. Aber diese vier windigen mexikanischen Polypen waren gar nicht der stärkste Mann, auf Ehre!
Ich hatte ursprünglich eine Wut wie’n Hochofen im Bauch, aber je weiter sich dieses Picknick ausdehnte, desto reeller erschienen mir damit die Chancen zurückzukehren, mich doch noch auf irgendeine ganz lausige Tour abzusetzen.
Die Burschen waren bereits derart bezecht, dass ich nicht der Meinung war, sie noch für voll nehmen zu müssen.
Langsam stand ich in meinem Car auf.
Ramirez bemerkte das als erster. Er erhob sich ebenfalls taumelnd und führte die fleischige Rechte an die Pistolentasche.
„Sitzen bleiben, Thyle!“, sagte er. „Oder ich knalle Ihnen eine blaue Bohne in den Nabel. Es soll unerhört schön sein, in drei oder vier Tagen langsam an einem Bauchschuss zu verrecken!“
„Aber, aber, Leutnant!“, grunzte ich tadelnd. „Wer wird denn gleich so nachtragend sein! Ich muss dringend mal! Ich bin fest überzeugt, Sie werden mir das erlauben!“
Ramirez murmelte etwas Undefinierbares in sein Kinn und ließ mich gewähren. Ich konnte selbstverständlich dem Burschen auf normalem Wege gar nicht entgehen. Rechts der Fluss war absolut unpassierbar, zur Linken lag eine Kaktushecke, die zu durchschreiten nicht ratsam war, und außerdem hatte ich gefesselte Hände. Nun, ich ging zu der Kaktushecke hin und verrichtete dort mit außerordentlichen Schwierigkeiten meine Notdurft. Knöpfen Sie sich mal den Hosenlatz auf, wenn Ihre beiden Handgelenke aneinandergefesselt sind!
Ich ließ mir selbstverständlich Zeit, machte keinerlei ruckartige Bewegungen und gab mir die größte Mühe, zu demonstrieren und zu dokumentieren, dass es mir auf eine Flucht ganz und gar nicht ankomme. Dann marschierte ich langsam zu dem Polizeiwagen zurück und stieg wieder ein. Ich stieg aber diesmal am Vordersitz ein, und die Cops waren bereits derart besoffen, dass ihnen das gar nicht auffiel.
Langsam, zentimeterweise, schob ich mich vom Nebensitz her hinter das Steuerrad. Die Kerle merkten noch immer nichts. Leise und langsam, unendlich bedächtig, löste ich die Handbremse. Dann trat ich mit dem linken Fuß die Kupplung und schaltete ebenso gemächlich auf den ersten Gang.
Als ich so weit war, beobachtete ich aus den Augenwinkeln heraus scharf nach allen Seiten. Hatten diese verdammten Zuchtbullen nun etwas gemerkt oder nicht?
Ich kam zu der Überzeugung, sie hatten nicht. Und so was freut einen denn auch!
Bei meinem weiteren Vorgehen durfte es keine Panne geben. Wenn die Flucht beim ersten Versuch missglückte, dann war ich im Kohlenkeller, dann war ich im Eimer, dann war ich in der Lehmkuhle des Propheten. Darüber durfte ich mich keinen Täuschungen hingeben.
Und hier beschloss ich nun, es unter allen Umständen zu wagen. Ich drückte mit dem linken Fuß die Kupplung nieder, schaltete die Zündung ein – diese Hornochsen hatten sogar den Zündschlüssel stecken lassen – und drückte auf den Anlasser.
Heureka, der Motor kam sofort! Ich gab Gas, ließ die Kupplung langsam kommen, und der Wagen schoss aufheulend davon. Nun fasste ich mit meinen, gefesselten Händen von unten her das Steuer, hielt Kurs, ließ blitzschnell los, schaltete mit beiden Händen – eine allein konnte ich ja nicht bewegen – auf den zweiten Gang, und jetzt hatte ich praktisch schon gewonnen.