Читать книгу König und Meister - Theresa Hannig - Страница 17
Оглавление8. Kapitel
Ada erwacht von einem Donnerschlag. Sie muss eingeschlafen sein, anders kann sie es sich nicht erklären. Der Donner hallt durch das Wohnzimmer, und das Licht scheint draußen wie ein eingefrorener Blitz in der Luft zu verweilen, ohne zu flackern oder zu vergehen. Er zieht Adas ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wie das Flutlicht eines Fußballstadions erleuchtet der stehende Blitz den Garten. Durch die Fenster und die gläserne Terrassentür späht sie nach draußen in den nächtlichen Garten, wo der Wind an den Ästen und Blättern zerrt und die Schatten der Bäume tanzen lässt. Sie schlüpft in ihre Schuhe. Vorsichtig öffnet sie die Tür und tritt nach draußen, woraufhin sie eine plötzliche, vollkommene Stille umgibt. Irritiert hält sie inne und macht einen Schritt zurück ins Haus, von wo aus sie das Heulen des Sturms hören und seine Wogen fühlen kann, mit denen er sich auf das Dach wirft und die Balken zum Ächzen bringt. Wieder wagt sie sich vorsichtig hinaus und wieder ist die Ruhe, die sie umfängt, absolut. Fasziniert geht sie weiter, hin zum großen Walnussbaum, zum Meister, dessen Wipfel rhythmisch und völlig lautlos auf und ab wippt. Ada fühlt etwas Hartes unter ihrem Fuß und bückt sich, um es aufzuheben. Es ist eine Walnuss, die im eisigen Licht des Flutlichtblitzes silbern schimmert. Die Nuss ist so schwer, dass Ada die rechte Hand mit der Linken stützen muss, um die kleine Kugel halten zu können. Da bricht die silberne Schale auf, sodass das Fruchtfleisch – weich und zähflüssig wie aus einem aufgeschlagenen Ei – hervorquillt. Der Dotter ist grau und zerfurcht, mit aufgeworfenen Falten und Vertiefungen wie die Darmschlingen eines winzigen Tieres – oder wie ein Gehirn. Angewidert lässt Ada die Nuss zu Boden fallen, wo sie mit einem dumpfen Schlag im weichen Moos versinkt. Es ist der erste Laut, den sie in diesem seltsamen Garten wahrnimmt. Der Zweite ist ein Knistern wie von brennendem Reisig. Das Geräusch kommt vom Fuß des Nussbaums. Als sie sich dem Stamm nähert, biegen sich die Äste unter den überschweren Früchten herab wie die Zweige einer alten Weide und umschließen Ada wie ein natürlicher Pavillon. Da sieht sie einen Schatten an den Wurzeln. Ada wagt sich einige Schritte vor und starrt auf den aufgewühlten Boden, über dem weißer Rauch aufsteigt. Zwischen den Wurzeln liegt jemand begraben, nur wenige Zentimeter tief, sein Gesicht liegt frei. Es ist ein verbranntes Gesicht mit zwei goldenen Augen, die Ada anblitzen wie glühende Kohlen. Der lippenlose Mund öffnet sich und fragt knisternd: »Willst du immer noch leben?«