Читать книгу Lockvogel - Theresa Prammer - Страница 11
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ОглавлениеToni hörte von der Couch hinter sich ein Grummeln, als sie den Lieferservice bezahlte. War das wieder der kleine Bär in Brehms Magen, der nach Essen verlangte? Oder machte er diese Geräusche im Schlaf?
Um ihn herum lagen die verstreuten Akten, die die Rettungssanitäter auf den Boden geworfen hatten, damit sie den großen und schweren Körper Brehms unter Stöhnen und Ächzen auf der Chaiselongue ablegen konnten. Er schlief noch immer. Seine Augenlider flatterten leicht. Er war wirklich riesig, sie schätzte ihn auf mindestens 1,90. Mit ihren 1,56 Metern Körpergröße hatte Toni sich angewöhnt, bei Gesprächen mindestens zwei Schritte Abstand zu halten, um nicht in Genickstarre zu verfallen. Aber bei Brehm würde sie mehr brauchen.
Er war zu lang für die Chaiselongue, also hatte sie ihm ein paar von den Akten unter die Unterschenkel gestapelt. Seine Riesenfüße ragten in die Luft wie Bojen. Daneben saß der Kater, als würde er Wache halten.
In dem ganzen Trubel waren zwei Stunden vergangen, seit sie vor seinem Büro gewartet hatte. Sie war nicht aus dem Grund geblieben, weil sie wusste, dass diese blonde Frau Sybille Steiner war. Auch nicht, um zu lauschen – obwohl es quasi unmöglich war, nicht zu lauschen, denn über der Tür fehlte das Glas der Oberlichte. Zuerst hatte sie sich Kopfhörer in die Ohren gesteckt und Musik am Handy laufen lassen. Doch dann hatte schließlich die Neugier gesiegt. Das da drin war schließlich Alexander Steiners Ehefrau, die wissen wollte, ob ihr Mann ihr treu war. Also hatte Toni dem Gespräch gelauscht – bis Sybille Steiner nach einem Knall die Tür aufgerissen hatte. Toni hatte nicht erkennen können, ob sie fliehen oder Hilfe holen wollte.
Jetzt sah Toni aus dem schmutzigen Fenster hinter dem Schreibtisch, draußen setzte bereits die Abenddämmerung ein.
Ihr war klar, dass es durch das Auftauchen einer so prominenten Klientin ein ungünstiger Zeitpunkt war, um Brehm zu überzeugen. Aber versuchen musste sie es trotzdem, nur darum war sie geblieben. Weil sie bei ihm, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, so etwas wie echtes Mitgefühl gesehen hatte. Sie brauchte seine Hilfe. Wie Prinzessin Lea: Edgar Brehm, Sie sind meine letzte Hoffnung.
„Herr Brehm? Hallo?“ Sie stupste ihn leicht an der Schulter. „Sind Sie wach? Ich hab Ihnen was zu essen bestellt.“
Er blinzelte sie schlaftrunken an, griff sich an den Kopf und keuchte.
„Was ist … bin ich eingenickt?“
„Na ja, so kann man es auch nennen. Der Notarzt hat gesagt, Sie sollen was essen.“
„Welcher Notarzt?“
„Erinnern Sie sich nicht?“
Er schüttelte den Kopf. Was auch immer der Arzt ihm gespritzt hatte, sie hätte es auch gern.
„Es ging Ihnen nicht so gut. Sie waren ein bisschen verwirrt. Wir haben die Rettung gerufen, aber Sie haben sich geweigert, ins Krankenhaus gebracht zu werden.“
„Wer ist wir?“
„Frau Steiner und ich. Sie ist gegangen, bevor die Rettung da war.“
Brehms Augen starrten ins Leere, dann nickte er leicht, als würden die Erinnerungen zurückkehren. Sie bemerkte seinen Blick zum Schreibtisch.
„Das Kuvert hat sie mitgenommen und auch dieses blaue Heft.“
Der Anflug von Panik in seinem Gesicht war unübersehbar.
„Sie hat aber ihre Telefonnummer dagelassen“, beruhigte sie ihn. „Ich hab sie auf den Schreibtisch gelegt.“
Er wollte aufstehen, doch sie schüttelte den Kopf.
„Der Arzt hat gesagt, Ihr Kreislauf hat schlappgemacht. Sie sind dehydriert und brauchen was zu essen. Und er hat gefragt, ob Sie momentan viel Stress haben?“
Er ließ die Frage unbeantwortet, worauf sie ihm eine Kartonbox mit Essstäbchen und eine Flasche Mineralwasser auf den Beistelltisch stellte.
„Hier. Für Sie.“
Er versuchte sich aufzusetzen. Toni wollte ihm helfen, aber er schüttelte den Kopf.
„Was machen Sie überhaupt noch hier?“
Sie verschränkte die Arme. Das war also seine erste Reaktion?
„Oh, danke, dass Sie geblieben sind, Frau Lorenz“, sagte sie schnippisch. „Und mir auch noch was zu essen bestellt haben. Das wäre aber nicht nötig gewesen.“
Seine Augenbrauen schoben sich zusammen, er stieß ein leises Grummeln aus. Sein gemurmeltes „Danke“, als er die Box öffnete und am Essen schnupperte, war kaum hörbar. War er verärgert, dass sie hier war? Oder hatte sie es hier mit gekränktem Stolz zu tun? Beim ersten Bissen verzog er den Mund.
„Was ist das? Gebratener Radiergummi?“
„Ja, genau“, sagte sie lauter als nötig. „War im Sonderangebot.“
Es wirkte, als müsse er sich ein Lächeln verkneifen.
Sie setzte sich auf den Thron, überschlug die Beine, zum ersten Mal saß sie höher als er und sah auf ihn hinunter. „Das ist Tofu mit Gemüse. Vegan.“
Sein Blick war so entsetzt, als hätte sie gesagt, es wäre gepresstes Zyankali. Sie konnte sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen.
„Haben Sie noch was von den Chips?“
„Jetzt essen Sie das, Ihr Körper braucht Eiweiß und Kohlenhydrate.“
Sie lehnte sich zurück und sah ihm dabei zu, wie er das nächste Stück Tofu zwischen die Stäbchen klemmte und skeptisch betrachtete.
„Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie mir geholfen haben. Aber wieso sind Sie noch da?“
„Nach dem Essen.“
Widerwillig schob er den nächsten Bissen in den Mund. Es war nichts zu hören, nur sein Kauen. Anscheinend schmeckte es ihm doch. Der Kater miaute. Brehm gab ein Stück Tofu auf die Serviette und legte sie auf den Boden. Der Kater leckte darüber und hob den Kopf mit einem Blick, als könnte er nicht fassen, was er da vorgesetzt bekam. Brehm hustete, aber sie erkannte sein unterdrücktes Lachen. Wenigstens spielte er es nicht als Triumph aus.
Ob er verheiratet war? Kinder hatte? Oder war er geschieden? Er trug keinen Ehering – was natürlich nichts zu bedeuten hatte. Sonst stand kein persönlicher Gegenstand herum, kein Familienfoto, noch nicht mal irgendeine Postkarte an der Wand. Da fiel ihr der Name wieder ein.
„Wollen Sie Kurt anrufen?“
Er zuckte zusammen, ein Stückchen roter Paprika fiel ihm aus dem Mund.
„Kurt?“
„Sie haben ein paar Mal seinen Namen genannt.“ Dass ihr dieser Name auf ein paar Kuverts auf dem Schreibtisch untergekommen war, verschwieg sie ihm. Kurt. Kurt Eisner.
Er legte die Stäbchen weg, griff nach der Flasche.
„Nein.“
„Oder sonst jemanden?“
„Nein.“
Seine Stimme klang merkwürdig gequetscht, fast heiser. Hoffentlich klappte er nicht gleich wieder zusammen. Sie hatte seine Entlassungspapiere aus dem Krankenhaus gefunden, als sie den Schreibtisch nach Geld für das Essen durchsucht hatte. Er war erst gestern nach Hause geschickt worden. Anscheinend ein Auffahrunfall, er hatte so eine Art Kollaps und die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Und daran heftete eine erstaunliche Liste mit Medikamenten, die er einnehmen musste.
Brehm lehnte sich zurück, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und atmete mit einem tiefen Seufzer aus. Jetzt war der richtige Zeitpunkt. Sie reichte ihm die Verpackung mit dem Nitrolingual-Spray. Der war zur Blutdrucksenkung und gegen Herzschmerzen, sie hatte es gegoogelt.
„Hier, der lag unter Ihrem Schreibtisch. Scheint runtergefallen zu sein.“ Sein erleichterter Gesichtsausdruck änderte sich sofort, als sie fragte: „Arbeiten Sie ganz alleine?“
„Danke, dass Sie geblieben sind. Was bin ich Ihnen für das Essen schuldig?“
Sie schluckte den Ärger über den barschen Tonfall seiner Frage runter.
„Nichts. Ich habe auf Ihrem Schreibtisch zwanzig Euro gefunden.“
Er seufzte und sah Richtung Tür, eine stille Aufforderung, dass sie jetzt gehen sollte.
Toni beugte sich vor, sah ihm fest in die Augen. Hier war eindeutig ein „Zebra im Raum“, wie ihre Großmutter das immer nannte, weil ihr der sprichwörtliche Elefant zu abgedroschen war. In der letzten Stunde hatte Toni so einiges über Edgar Brehms Detektei herausgefunden.
„Herr Brehm, Sie werden das jetzt nicht hören wollen, aber ich muss es fragen. Was ist passiert?“
Er ruckte den Kopf und verzog den Mund, als hätte er Schmerzen.
„Wie bitte?“
„Das Schild beim Eingang – die Detektei war doch in dem schönen Gebäude vorne. Wieso mussten Sie in diese …“, fast hätte sie Bruchbude gesagt, „… dieses Hinterhaus umziehen? Hat es was mit den Anzeigen zu tun?“
Sein Schreibtisch brach fast zusammen unter den Vorladungen bei Gericht wegen hoher Schulden, Rückzahlungsforderungen, Rechnungen, Mahnungen. Um alles zu begleichen, müsste er doch nur diese antiken Möbel hier verkaufen. Nach ihrer Recherche im Internet hatte sie keinen Zweifel mehr, dass sie echt waren. Oder lagerte er sie nur ein und sie gehörten gar nicht ihm?
Außerdem hatte sie ausgedruckte E-Mails und Briefe voller Drohungen entdeckt, die sich mitunter lasen wie aus einer schlechten Tageszeitung. Wenn sie es richtig verstand, hatte er ungeschultes Personal einer Sicherheitsfirma für Beschattungen eingesetzt. Das seine Aufgabe anscheinend so interessant fand, dass es Informationen und Fotos auf Social-Media-Plattformen geteilt hatte.
„Haben Sie meine Unterlagen gelesen?“, fragte er forsch. Sein Brustkorb hob und senkte sich energisch, aber sie hielt seinem Blick stand.
„Teilweise, ja.“
Ihre Ehrlichkeit schien ihn zu überraschen.
„Sie sollten jetzt gehen, Frau Lorenz.“
Toni schüttelte den Kopf. Die Idee war ihr bei der Durchsicht seiner Post gekommen.
„Ich brauche Ihre Hilfe, Herr Brehm. Nicht umsonst natürlich. Ich biete Ihnen mich als Gegenleistung für Ihre Nachforschungen an.“
Der letzte Rest Farbe wich aus seinem ohnehin schon blassen Gesicht. Er hustete ein paar Mal und holte röchelnd Luft.
„Ich weiß, Sie sind verzweifelt“, krächzte er zwischen den Atemzügen, „aber ich werde jetzt so tun, als hätte es Ihr Angebot nie gegeben.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, was er unter Gegenleistung verstanden hatte.
„Sie denken, ich würde … nein!“
Wenn die Situation nicht so ernst wäre, würde sie jetzt laut lachen. Die frühere Bevor-Felix-weg-war-und-sie-in-dieser-Scheiße-saß-Toni-Version hätte gelacht.
„Ich hab gemeint, dass ich Bürosachen für Sie erledigen kann.“
Brehm sah sie ratlos an, sie deutete auf seinen Schreibtisch.
„Papiere ordnen, Mails versenden, Anrufe erledigen. Von mir aus würde ich auch putzen.“
Seine Miene verwandelte sich in Entsetzen.
„Sie wollen um zweitausendfünfhundert Euro mein Büro putzen?“
Toni verkniff sich die Bemerkung, dass das Honorar bei einem Büro in diesem Zustand durchaus gerechtfertigt wäre.
„Was ich sagen will: Ich würde die Stunden abarbeiten, die Sie für die Suche nach Felix brauchen.“
„Herr im Himmel.“ Brehm schlug die Hände vors Gesicht. „Wie alt sind Sie, Frau Lorenz?“
„Was hat das damit zu tun?“
„Nun, es …“ Er sah sie fragend an, winkte dann plötzlich ab. „Egal, ich gebe Ihnen jetzt einen Rat: Bevor Sie das nächste Mal einen Detektiv aufsuchen, erkundigen Sie sich telefonisch über die Konditionen. Hören Sie, ich weiß, Ihnen ist etwas Schlimmes passiert, und ich nehme das ernst, aber Sie sollten damit zur Polizei gehen.“
Sie lehnte sich zum Schreibtisch und zog das Foto aus dem Stapel, das die beiden jungen Polizisten zeigte. „Sie haben nicht die Wahrheit gesagt. Der eine da, das sind Sie.“
Er schien zu überlegen. Vielleicht wollte er kontern, doch dann sagte er mit einem Seufzen: „Ja, und?“
„Und? Sie wollten Menschen helfen. Recht und Ordnung und Freund und Helfer, das alles.“
Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, doch er schien es durch ein Räuspern zu vertreiben und sah sie mit einem schlecht gespielten grimmigen Ausdruck an.
„Nur weil ich mal bei der Polizei war? Das ist doch sehr naiv“, sagte er streng. Aber auch sein Tonfall klang nicht überzeugend, als würde er sich zu sehr bemühen. Brehm wirkte mehr wie ein tadelnder Onkel, der will, dass man sein Gemüse brav aufisst.
Sie deutete zum fehlenden Fenster über der Tür.
„Ich kann mir vorstellen, dass es nicht Ihre Absicht ist, alle vor der Tür bei Ihren Gesprächen hier mithören zu lassen.“
Er folgte Tonis Blick, sah sie halb verwirrt, halb erschrocken an. Nein, von dem Loch wusste er garantiert nichts. Er wollte etwas sagen, aber Toni ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Auf Ihrem Schreibtisch stapeln sich Rechnungen und Klagen, anscheinend können Sie nicht zahlen. Sie sitzen so tief in der Scheiße wie ich und brauchen Hilfe. Brauchen diese vierundzwanzigtausend Euro von Frau Steiner. Und Sie müssen richtig gut sein. Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie reich die Steiners sind? Die hätte sich doch jeden holen können.“
„Woher wissen Sie das?“
Die Strenge war nun völlig aus Brehms Stimme verschwunden. Er klang fast beeindruckt.
„Aus den Nachrichten, weil die doch dieses Unglück auf ihrer Party hatten. Und ich habe jetzt ein bisschen gegoogelt, als Sie geschlafen haben. Ihre Unterlagen sind das reinste Chaos. Ich kann das, Ordnung da reinbringen. Anrufe machen, bevor die nächste Mahnung kommt. Ich kann sogar dafür sorgen, dass Sie was essen und Ihre Medikamente nehmen. Und vielleicht sind Sie auch in der Lage, das, was auch immer diese Frau wissen will, herauszufinden, wenn Sie nicht vor lauter Stress zusammenklappen.“
Brehm seufzte laut. Und dann noch mal. Er verschränkte die Arme vor seiner massigen Brust.
„Wie sind Sie denn überhaupt auf mich gekommen, Frau Lorenz?“
„Durch eine Empfehlung“, sagte sie knapp.
„Und wer hat mich empfohlen?“
„Meine Lehrerin, Beate Schmitz.“
Brehm sah sie ratlos an.
„Also, sie hat Sie nicht direkt empfohlen. Aber sie hat von Ihnen erzählt und gesagt, Sie wären eine Koryphäe.“
Er schien keine Ahnung zu haben, von wem sie sprach.
„Beate Schmitz, die Schauspielerin“, schob sie nach. „Hatte vor etlichen Jahren eine Hauptrolle in der Josefstadt. In ‚Maria Stuart‘.“
Noch immer keine Reaktion von ihm.
„Am Abend vor der Premiere. Sie ist doch nach der Generalprobe überfallen und zusammengeschlagen worden. Die Polizei dachte, sie war ein zufälliges Opfer. Aber ihr Ehemann hat einen Verdacht gehabt und Sie engagiert.“
Brehm sah sie unverändert an, die Stirn gerunzelt. Die Schmitz hatte doch EB-Detektei gesagt. Oder hatte sie sich geirrt?
„Das waren nicht Sie, der rausgefunden hat, dass es der Freund vom Ehemann der Zweitbesetzung war? Damit die die Premiere spielen konnte?“
Endlich schien bei Brehm doch der Groschen gefallen zu sein, er nickte und winkte im nächsten Moment ab.
„Das war nicht mein Fall. Es war mein Kollege. Er hat das damals aufgeklärt.“
„Aha. Okay. Und wo ist Ihr Kollege jetzt?“
Vielleicht hatte sie bei dem mehr Glück. Aber Brehm ließ die Frage unbeantwortet.
Wahrscheinlich arbeitete der hier nicht mehr. Was erklärte, warum Brehm die Sicherheitsfirma beauftragt hatte.
„Ich würde Ihnen ja helfen, aber wie soll ich das machen, Frau Lorenz?“
„Es geht hier um mehr als nur das Geld“, sagte sie nachdrücklich. „Ich kann die Seniorenresidenz meiner Großmutter nicht mehr zahlen. Geschweige denn sonst irgendwas. Sie hat ihr Leben lang gespart, und dieses Geld kann nicht einfach so weg sein.“
Brehm hob schwerfällig die Schultern, sah sie einen Moment an. So, dass sie schon dachte, sie hätte ihn überzeugt. Doch dann schüttelte er den Kopf. Das war die Antwort, vor der sie sich gefürchtet hatte. Er würde ihr nicht helfen. Niemand würde ihr helfen.
Die Wut verpuffte so schnell, wie sie gekommen war. Es folgte dieses vertraute Gefühl, als würde sie fallen. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie ihn vielleicht doch noch mit der Geschichte ihres potenziellen Verfolgers ködern konnte. Doch vermutlich würde er bloß rasch herausfinden, dass sie sich das einbildete. Und damit hatte sie auch nichts gewonnen. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf, ging zur Tür und riss sie schwungvoll auf. Ein hagerer kleiner Mann mit Brille stand davor, die Hand erhoben, als hätte er gerade anklopfen wollen. Im Gegensatz zu Toni erschrak er nicht, sondern rückte sich nur die Brille zurecht.
„Herr Brehm?“, sah er sie fragend an.
Toni hörte den Detektiv hinter sich ächzen und etwas murmeln, das nicht besonders freundlich klang. Der kleine Mann schob sich an ihr vorbei, er schien nicht das erste Mal hier zu sein.
„Da Sie meine Anrufe in der letzten Woche ignoriert haben“, er stützte die Aktentasche auf seinem Knie ab, „sehe ich mich genötigt, Sie persönlich aufzusuchen. Das wird natürlich in Rechnung gestellt. Mein Mandant war sehr über Ihre Forderung an Schadensbeteiligung amüsiert.“ Er lachte, als wäre er das auch. „Die Angestellten seiner Sicherheitsfirma sind nicht für Observationen ausgebildet. Entweder, Sie ziehen Ihre Forderung zurück, oder er wird Klage gegen Sie einreichen. Und wie ich den Gerichtsunterlagen entnehmen konnte, ist er nicht der Einzige, der Sie vor Gericht sehen möchte.“
Es hörte sich an wie eine Drohung. Toni verließ eilig das Büro, sie hatte schon genug mitbekommen.
Wahrscheinlich war ihr Vorschlag tatsächlich eine Schnapsidee. Wenn seine letzten Einsätze solche Reinfälle waren, wie sollte dann ausgerechnet er Felix finden? Sie hatte es ja selbst versucht, stundenlang im Internet gesurft, herumtelefoniert – alles ohne Ergebnis.
Und was jetzt? Ein anderer Detektiv? Blieb die Frage, wie sie den bezahlen sollte. Bezahlen. Das war das Stichwort. Sie hatte vergessen, Brehm das Restgeld vom Lieferservice zu geben.
Als sie wieder die Treppe zu seinem Büro hochstieg, kam ihr der Anwalt entgegen. Er sah sichtlich erfreut aus.
Die Tür stand offen, Brehm saß zusammengesunken auf der Chaiselongue, der Kater zu seinen Füßen. Toni machte sich durch ein Türklopfen bemerkbar, er sah hoch.
„Das gehört noch Ihnen“, erklärte sie und legte das Restgeld auf den Tisch. „Okay, dann auf Wiedersehen.“
„Sie haben gesagt, Beate Schmitz ist Ihre Lehrerin?“, hielt er sie auf.
„Ja.“
„Was für eine Lehrerin?“
„Rollengestaltung und Improvisation. Außerdem ist die Schmitz die Schulleiterin.“
Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. „Schulleiterin?“, wiederholte er.
„In der Schauspielabteilung. Ich gehe aufs Konservatorium.“
Noch. Aber das würde sich auch ändern, wenn sie das Problem mit Felix und dem verschwundenen Geld nicht lösen konnte.
„Sie sind Schauspielerin?“
Sie wollte ihn korrigieren, dass sie lediglich den ersten Jahrgang besuchte und bestenfalls eine angehende Schauspielerin war. Doch Brehm sah sie plötzlich so erfreut an, dass sie nur nickte. Womöglich hatte er ein Faible für Künstler, und ihr war alles recht, wenn er ihr nur helfen würde.
Er stand mit einem Ächzen auf, der Kater huschte an ihr vorbei aus der Tür.
„Haben Sie ein Auto, Frau Lorenz?“
„Nein.“ Sollte sie Botendienste für ihn erledigen? „Aber einen Führerschein. Und ich habe ein Fahrrad.“
„Fahrrad … damit wird es nicht gehen. Aber ich lasse mir was einfallen.“ Er wirkte fast aufgeregt. „Ich nehme Ihr Angebot an. Wir treffen uns morgen hier. Um zehn Uhr. Halten Sie sich den Tag frei. Haben Sie ein Foto von Herrn Meier dabei?“
Die Müdigkeit schien von ihm abgefallen zu sein.
Doch Toni zögerte. Seine Gesamtsituation wirkte nicht gerade vielversprechend. Andererseits war er die einzige Option, die sie hatte. Und die war besser als nichts.
Sie reichte ihm drei Bilder, die sie gestern im Drogeriemarkt ausgedruckt hatte. An seinem Blick erkannte sie, dass ihm nicht entging, wie gut Felix aussah.
„Noch etwas: Ziehen Sie morgen bitte etwas Unauffälliges an. Am besten ganz klassische Jeans, schlichtes T-Shirt oder Bluse und eine dunkle Jacke.“
Er nahm hinter dem Schreibtisch Platz und holte sein Handy hervor. Toni wollte noch nachfragen, was sie zu tun hätte, ob er auch gleich mit der Suche nach Felix beginnen würde. Doch er setzte die Brille auf und tippte eine Telefonnummer in sein Handy.
„Wir sehen uns morgen“, sagte er und deutete zur Tür.